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Reithalfter sind weit mehr als nur schick oder elegant
Passt, wackelt und hat Luft
Für die meisten Reiter gehört das Auftrensen zum Alltag. Im Schlaf beherrschen sie es, ihrem Pferd das Gebiss ins Maul zu legen, die Riemchen und Schnallen zu ordnen und zu verschließen. Doch gerade dieser Automatismus kann in Hinblick auf das Reithalfter zu Fehlern führen. Nämlich dann, wenn dessen Position nicht stimmt, die Verschlüsse unbedarft festgezurrt werden oder aber das Modell der Wahl einfach nicht zum Pferdekopf passt. Ein wacher Blick auf das Reithalfter lohnt sich allemal.
Ein bildschöner Pferdekopf mit einem ebensolchen Reithalfter – aber viel wichtiger als die Optik ist für das Wohlbefinden des Pferdes die Passform des Reithalfters. Foto: Beate Langels, www.gestuet-haemelschenburg.de
Erst ein schickes Reithalfter macht das Outfit komplett. Glitzernde Stirnriemen, Nasenriemen aus Lack und glänzende Beschläge haben aus der Trense längst ein modisches Accessoire gemacht. Tatsächlich wählen viele Reiter das Modell für ihr Pferd aus rein ästhetischen Gründen. Schnell lässt ein Hannoversches Reithalfter den Pferdekopf länger wirken. Ein Mexikanisches hingegen kann eine Ramsnase kaschieren. Doch das Reithalfter kann viel mehr. Es beeinflusst die Wirkung des Gebisses, ermöglicht mal mehr mal weniger Spielraum für Kiefer und Zunge und kann das Pferd, je nach Modell, mehr oder weniger unterstützen. Die Optik bleibt zweitrangig. Oberste Priorität haben Passform und Tragekomfort. Aus anatomischer Sicht sind Kopfform, Länge und Form der Maulspalte sowie Ausformung des Jochbeins und der Kinngrube nur einige der Faktoren, die es zu berücksichtigen gilt. Und weil die meisten Reithalfter aus Leder bestehen, das sich im Laufe der Zeit verändern kann, muss der Reiter die Passform des Reithalfters regelmäßig überprüfen und es im Zweifel neu anpassen. Denn erst mit einem passenden Reithalfter fühlt sich das Pferd wohl, nimmt das Gebiss an und dehnt sich vertrauensvoll an die Reiterhand. Und nur so kann eine weiche und beständige Anlehnung entstehen.
Hannoversches Reithalfter
Passform: Der Nasenriemen liegt etwa vier fingerbreit über dem Nüsternrand. Der Kinnriemen wird unterhalb des Gebisses befestigt.
Vorteil: Dieses Modell fixiert das Gebiss und sorgt dafür, dass es ruhig im Maul liegt. Durch seine tiefere Lage wirkt es im Vergleich zu anderen Reithalftern direkter.
Nachteil: Falsch verschnallt kann es die Atmung des Pferdes beeinträchtigen. Das Hannoversche Reithalfter ist nicht für alle Pferdeköpfe geeignet. Die Länge des Nasenriemens muss zum jeweiligen Pferd passen. Bei Pferden mit kurzer Maulspalte lässt es sich häufig nicht korrekt verschnallen.
Englisches Reithalfter
Passform: Der Nasenriemen liegt ein bis zwei fingerbreit unter dem Jochbein. Das Englische Reithalfter ist das einzige, das in Kombination mit Dressurkandare erlaubt ist.
Vorteil: Ist es korrekt verschnallt, hilft es dem Pferd dabei, den Kiefer geschlossen zu halten und entlastet den Kaumuskel, ohne dabei die Atmung einzuschränken.
Nachteil: Zu stramm verschnallt reizt es die sensiblen Nervenaustrittspunkte am Nasenbein des Pferdes und kann die Schleimhäute im Bereich der Backenzähne quetschen. Außerdem liegen die modernen Varianten mit sehr breiten und stark gepolsterten Nasenriemen häufig zu nah am Jochbein und an den Nervenaustrittspunkten oder die empfindliche Haut der Maulwinkel wird zwischen Gebiss und Nasenriemen eingeklemmt.
Kombiniertes Reithalfter
Passform: Das Kombinierte Reithalfter sollte wie das Englische verschnallt sein. Es hat zusätzlich einen Kinnriemen, der in seiner Wirkung dem Hannoverschen Reithalfter nahekommt. Dieser darf aber nicht die Kaubewegung unterbinden.
Vorteil: Wie etwa beim Hannoverschen Reithalfter liegt das Gebiss auch beim Kombinierten Reithalfter ruhiger im Maul.
Nachteil: Ein zu strammer Kinnriemen kann die Atmung und das Kauen am Gebiss behindern oder die Nervenaustrittspunkte in der Kinngrube reizen. Der Nasenriemen kann zu hoch, zu tief oder zu stramm verschnallt auf das Jochbein drücken und die empfindlichen Nervenenden in diesem Bereich reizen oder die Mundschleimhaut quetschen. Diese Nachteile treten nur auf, wenn das Reithalfter falsch verschnallt ist.
Egal ob hannoversches (li.) oder kombiniertes Reithalfter: Bei korrekter Verschnallung werden weder Atmung noch Maultätigkeit eingeschränkt. Fotos: Thoms Lehmann
Viele Aufgaben
In erster Linie soll das Reithalfter eine direkte Wirkung des Gebisses auf das Maul ermöglichen und verhindern, dass das Pferd beim Aufnehmen des Zügels sein Maul öffnet und sich so den Reiterhilfen entzieht. Auch überträgt jedes Reithalfter einen Teil der Gebisswirkung indirekt auf den Nasenrücken. Seinen Namen hat es in vergangenen Zeiten bekommen. Der Reiter schnallte einst bei Pausen das Gebiss aus, sodass sein Pferd fressen und trotzdem geführt werden konnte. Heutzutage sollen Reithalfter aber noch viel mehr können. Neue Sonderformen sollen beispielsweise mit anatomischer Form die Nervenbahnen am Pferdekopf umgehen oder mit weit zurückgelegtem Genickstück den sensiblen Bereich hinter den Pferdeohren aussparen. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung hat auch solche Modelle in der Leistungsprüfungsordnung (LPO) zugelassen. Wichtig ist dabei, dass die neuen Modelle in ihrer Wirkung immer einem der bereits zugelassenen Reithalfter entsprechen müssen. Das Micklem beispielsweise wirkt wie ein Kombiniertes Reithalfter, wenn es korrekt verschnallt ist.
Was viele nicht über das Reithalfter wissen: Es soll das Pferd auch aktiv unterstützen, genauer gesagt seinen Kaumuskel. Um das zu erklären, muss man sich auf einen kleinen Exkurs in Sachen Anatomie begeben. Der Kaumuskel des Pferdes ist groß und kräftig und befindet sich beidseitig an den Ganaschen. Er ist deshalb so stark ausgeprägt, weil das Pferd von Natur aus die meiste Zeit des Tages mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt ist. Er funktioniert beim Kauen wie eine Pumpe, spannt sich ständig im Wechsel an und lässt wieder los.
Sobald der Reiter nun ein Gebiss in das Pferdemaul legt und über den Zügel eine konstante Anlehnung herstellt – die dem Grundsatz der klassischen Reitlehre entspricht – entsteht ein leichter, aber konstanter Druck auf den Unterkiefer. Der Kaumuskel sorgt reflexartig dafür, dass sich das Maul beziehungsweise der Unterkiefer nicht öffnet. Dadurch ist der Muskel permanent angespannt und ermüdet irgendwann. Das Reithalfter gibt dem Unterkiefer Stabilität, indem es dessen Öffnung begrenzt. Das entlastet den Kaumuskel. Dabei darf es natürlich nicht festgezurrt sein, sondern muss immer eine gewisse Beweglichkeit des Unterkiefers zulassen.
Hochsensible Punkte
Egal für welches Reithalfter der Reiter sich entscheidet, es sollte stets berücksichtigt werden, dass es am Pferdekopf viele hochsensible und druckempfindliche Bereiche gibt. Ist das Reithalfter falsch oder zu stramm verschnallt, kommt es zum Beispiel im Genick zu schmerzhaftem Druck hinter den Ohren. Auch dem Nasenbein des Pferdes schadet ein zu stramm sitzendes Reithalfter, schließlich ist es nur von einer dünnen Hautschicht überzogen. Deshalb ist der Nasenriemen bei modernen Trensen häufig sehr breit und dick gepolstert, bei einem korrekten Sitz ist dies jedoch in der Regel nicht notwendig und erschwert die richtige Verschnallung. Denn der zu dick gepolsterte, breite Riemen liegt dann zwangsläufig sehr nah am Jochbein oder aber zu tief und somit zu nah am Gebiss. Die Folgen: Entweder drückt der Nasenriemen auf die Nervenaustrittspunkte und das Jochbein oder die Haut an den Lefzen wird zwischen Gebiss und Nasenriemen eingeklemmt. Auch sein Verschluss liegt an einer empfindlichen Stelle des Pferdekopfes, nämlich an den Unterkieferästen.
Gerade in Bezug auf Reithalfter und deren Verschnallung ist die Lage der Nervenbahnen und Nervenaustrittspunkte am Pferdekopf interessant. So tritt beispielsweise der Hauptgesichtsnerv seitlich vom Nasenbein aus. Genau da, wo der Nasenriemen des Englischen Reithalfters seinen Platz findet. Im Extremfall kann punktueller Druck auf Nervenaustrittspunkte einen stechenden Schmerz verursachen und unter anderem ein Grund für Headshaking sein. Noch ein sensibler Punkt, an dem Nerven austreten, befindet sich in der Kinngrube des Pferdes, wo beispielsweise die Kinnkette oder der Kinnriemen liegt. Deshalb ist eine Kinnkettenunterlage immer zu empfehlen und beim Pelham sogar vorgeschrieben. Und auch der Kinnriemen darf nicht zu stramm gezogen werden. Übrigens: Gemäß Richtlinien für Reiten und Fahren Band 1 heißt der Riemen korrekt Kinnriemen, fälschlicherweise eingebürgert hat sich der Name Sperrriemen. Diese Bezeichnung ist abzulehnen und zeugt von falschem Verständnis für die Funktion eines Reithalfters. Niemals soll damit irgendein Teil des Pferdemauls zugesperrt werden, vielmehr kombiniert der Kinnriemen die Vorteile des hannoverschen Reithalfters mit denen des Englischen und sorgt für eine ruhige Lage des Gebisses im Pferdemaul.
Schwedisches Reithalfter
Passform: Da es sich beim Schwedischen um eine Sonderform des Englischen Reithalfters handelt, muss es genauso verschnallt und angepasst werden.
Vorteil: Der Verschluss des Nasenriemens, der an den Unterkieferästen liegt, ist gepolstert. Das bedeutet mehr Tragekomfort für das Pferd.
Nachteil: Die Umlenkrolle am Verschluss des Nasenriemens wirkt nach dem Flaschenzugprinzip. Das bedeutet: Der Nasenriemen kann ohne großen Kraftaufwand sehr stramm gezogen werden. Im Extremfall kann das Pferd dann nicht einmal mehr seinen eigenen Speichel schlucken. Als Zeichen von Losgelassenheit darf man diese extreme Speichelbildung auf keinen Fall interpretieren. Dieser Zustand ist für das Pferd äußerst unangenehm.
Mexikanisches Reithalfter
Passform: Das Mexikanische Reithalfter besteht aus zwei Riemen, die auf dem Nasenrücken kreuzen. Der untere Riemen wird in der Kinngrube verschnallt, der obere unterhalb der Ganasche unter dem Unterkiefer. Der obere Riemen darf nicht auf das Jochbein drücken. Es gibt außerdem zwei Möglichkeiten der Verschnallung: Der obere Riemen kann oberhalb oder unterhalb des Jochbeins verlaufen.
Vorteil: Das Mexikanische Reithalfter beeinträchtigt weder die Atmung noch die Wirkung des Gebisses. Deshalb ist es im Spring- und Vielseitigkeitssport so beliebt, meist in Verbindung mit einem Gebiss, das eine seitliche Begrenzung ermöglicht (Schenkeltrensen-Effekt). Zunge und Kiefer haben immer einen gewissen Bewegungsspielraum.
Nachteil: Die Verschnallung ist nicht immer ganz einfach.
Das Micklem lässt bei korrekter Verschnallung die Nervenaustrittspunkte am Nasenbein frei. Foto: Thoms Lehmann
Vier Finger, zwei Finger
Das Hannoversche Reithalfter hingegen lässt die Nervenaustrittspunkte am Pferdekopf weitgehend unberührt. Doch verläuft der Nasenriemen knapp über dem sehr feinen Knochenvorsprung des Nasenbeins, das frei tragend und spitz ausläuft. Der Richtwert zur Lage des Nasenriemens beim Hannoverschen Reithalfter lautet: vier Finger breit über dem Nüsternrand und mit etwa zwei Fingern Platz zwischen Reithalfter und Nasenrücken. Liegt er aber zu tief und wird dabei fest zugezogen, kann es zu Verletzungen des Nasenbeins kommen. Wann nun ein Reithalfter zu stramm und wann zu locker ist, das bleibt eine individuelle Entscheidung. Kauen und Schlucken sollte dem Pferd immer möglich sein. Es sollte also auch mit geschlossenem Reithalfter problemlos ein Leckerli fressen können. Das setzt voraus, dass Kiefer und Zunge sich bewegen können.
In der LPO 2018 lautet die Formulierung: „Das Reithalfter soll leicht anliegen und darf weder die Atmung beeinträchtigen noch die Maultätigkeit (Kauen) des Pferdes unterbinden.“
Hier ist das Reithalfter nicht nur viel zu stramm zugezogen, es sitzt auch noch insgesamt zu tief und quetscht die Lefzen zwischen Gebissring und Nasenriemen ein. Foto: Pierre Costabadie / scoopdyga.com
Grundsätzlich darf ein Reithalfter niemals Mängel in der reiterlichen Einwirkung oder Durchlässigkeit des Pferdes vertuschen, indem es einfach festgezurrt wird. Sind Reiter und Pferd in ihrer Ausbildung auf dem richtigen Weg, ist weder ein scharfes Gebiss noch ein stramm gezogenes Reithalfter notwendig. Welche unterschiedlichen Reithalfter es gibt, wie sie korrekt sitzen und welche Vor- und Nachteile sie mitbringen, zeigt die Übersicht.
Kirsten Ahrling
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