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Disziplinen der Weltreiterspiele in Tryon, Teil 7: Vielseitigkeit

Die Komplett-Athleten

Dressur, Springen, Geländeritt – nicht von ungefähr wird die Vielseitigkeit die „Krone der Reiterei“ genannt. Der Triathlon im Sattel verlangt sportliche Höchstleistungen auf der Basis von absolutem Vertrauen zwischen Reiter und Pferd.

Michael Jung, hier mit seinem langjährigen Erfolgspferd La Biosthetique Sam FBW in Aachen, plant die Weltreiterspiele mit fischer-Rocana FST. Foto: Stefan Lafrentz

Was Jahrzehnte zumindest in Europa vor allem eine Domäne der Reiter aus Großbritannien war, ist seit einigen Jahren auch eine Medaillenbank für deutsche Championatsequipen: die Vielseitigkeit. Ein Reiter schrieb in diesem Zusammenhang Geschichte: Michael Jung wurde nicht nur 2012 in London Doppel-Olympiasieger und verteidigte seinen Einzel-Titel 2016 in Rio de Janeiro, sondern gewann Einzel-Gold auch bei den Weltreiterspielen 2010. Nach den Olympischen Spielen zog er sein Paradepferd Sam von künftigen Championatseinsätzen zurück. Er wolle reiten, solange das Pferd Spaß daran habe, aber auch jederzeit während einer Prüfung aufhören können, wenn ihm Sam dies signalisiere, begründete er diese Entscheidung.

Diesem Beispiel folgte in diesem Jahr auch die Doppel-Weltmeisterin von 2014, Sandra Auffarth, und meldete ihren jetzt 16-jährigen Fuchswallach Opgun Louvo von den Weltmeisterschaften ab. Anders als Jung jedoch, der mit seiner Rappstute fischerRocana FST ein erfahrenes und WM-erfolgreiches Pferd zur Verfügung hat, nimmt die Titelverteidigerin mit Nachwuchspferd Viamant du Matz nur auf der Reservebank Platz.

Ingrid Klimke und SAP Hale Bob OLD, Europameister von 2017, sind seit Jahren Stützen des deutschen Vielseitigkeitsteams. Foto: Pauline von Hardenberg

Die Hoffnungen in Tryon ruhen daher neben Jung vor allem auf Europameisterin Ingrid Klimke mit SAP Hale Bob OLD, aber auch auf der Deutschen Meisterin Julia Krajewski mit Samourai du Thot und dem Hannoveraner Chipmunk FRH. „Alle Pferde sind sehr gut drauf. Rocana war im Frühjahr Zweite beim Vier-Sterne- Turnier in Kentucky und hat sich jetzt wieder bei einer kleineren Prüfung in Jardy in Topform gezeigt. Hale Bob ging in Wiesbaden und Luhmühlen in gewohnt guter Form und Julia hat mit zwei absolut gleichwertigen Pferden die Qual der Wahl“, sagt Bundestrainer Hans Melzer.

Gut aufgestellt ist auch Andreas Dibowski mit FRH Butts Avedon und FRH Corrida. Der Mannschafts-Olympiasieger von 2008, der zuletzt 2011 bei einer EM für Deutschland an den Start ging, steht damit unmittelbar vor seinem Comeback in ein Championatsteam. Hans Melzers Favoritin ist die Hannoveraner Stute FRH Corrida. „Sie hat noch etwas mehr Potenzial in Dressur und Springen, aber auch Avedon ist in einer super Form“, erklärt Melzer. Seit vergangenem Jahr in Dressur und Gelände noch verbessert habe sich der Oldenburger Wallach Colani Sunrise, so Melzer.

Nach dem gelungenen EM-Auftritt in Strzegom gehört auch er mit seinem Reiter Kai Rüder zur ersten Wahl der WM-Kandidaten. Wer am Ende tatsächlich die Reise antreten wird, entscheidet sich nach dem CHIO Aachen und einer letzten Sichtung in Strzegom.

Ingrid Klimke spricht im Film über ihren Erfolg mit Hale Bob bei den Europameisterschaften 2017 in Göteborg.

Der Weg zur Medaille

Traditionell beginnt jede Vielseitigkeitsprüfung mit der Dressur. Die zweite Etappe und Kernstück der Vielseitigkeit ist die Geländestrecke. Die Bodenverhältnisse, wichtiges Qualitätskriterium eines Kurses, werden in Tryon vom Feinsten sein. Die Strecke führt über das Gelände eines früheren Golfplatzes, das unmittelbar an das Reitsportzentrum angrenzt. „Das erinnert ein bisschen an Hongkong, wo auch auf einem Golfplatz geritten wurde. Der Start ist relativ weit weg vom Hauptstadion. Die ersten siebeneinhalb Minuten führen durch ein Tal, dann geht es die letzten zweieinhalb Minuten hinauf zum Ziel. Dabei sind 70 Höhenmeter zu überwinden, das wird konditionell noch einmal richtig anspruchsvoll”, sagt Melzer.

Verantwortlich für die Gestaltung des Kurses ist der Brite Captain Mark Phillips, der von 2001 bis 2012 Trainer der US-amerikanischen Vielseitigkeitsreiter war. Der Kursdesigner ist aber auch in Europa kein Unbekannter: Bis 2016 war der Vater der Weltmeisterin von 2006, Zara Phillips, Gelände-Parcourschef im deutschen Vielseitigkeits-Mekka Luhmühlen.

Julia Krajewski hat mit Samourai du Thot (Foto) und Chipmunk FRH gleich zwei Eisen für die Weltmeisterschaften im Feuer. Foto: Stefan Lafrentz

Das olympische Silber-Team von Rio de Janeiro: (v.l.) Sandra Auffarth, Michael Jung, Ingrid Klimke und Julia Krajewski Foto: Stefan Lafrentz

Maximal 42 Sprünge erwarten Reiter und Pferd auf der rund 5.700 Meter langen Strecke in Tryon, ideales Tempo im Gelände ist eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 570 Meter/Minute. Deutlich langsamer kann im abschließenden Springen, bei dem elf bis 13 Hindernisse mit insgesamt 16 Sprüngen bis zu einer Höhe von 1,30 Meter zu überwinden sind, geritten werden: Gefordertes Tempo im Parcours ist 375 Meter/Minute. Gestartet wird in umgekehrter Reihenfolge des Zwischenstandes, das heißt, der Reiter mit der größten Chance auf den Titel reitet als Letzter über die Ziellinie, wobei die Reiter der Weltspitze in der Regel dicht beieinander liegen. Dann liegt Spannung in der Luft, die Zuschauer halten den Atem an – einer von vielen Momenten, die die Faszination dieses Sports ausmachen.

Dr. M. Weber-Herrmann/Uta Helkenberg

WM-Format unverändert

Bei den Olympischen Spielen in Tokio erwartet die Vielseitigkeit ein deutlich verändertes Format: mit nur drei Reitern im Team und somit ohne „Streichergebnis“, dafür jedoch der Chance, im Springen ein Ersatzpaar einzusetzen. In Tryon bleibt alles weitgehend wie gehabt. Lediglich der sechste Reiter wurde gestrichen, so dass neben dem Team nur noch ein Einzelreiter an den Start gehen wird. Die Mannschaft besteht nach wie vor aus vier Reitern, wobei jeweils die drei besten Ergebnisse der Teammitglieder nach allen Teilprüfungen zum Mannschaftsergebnis addiert werden. Allerdings sind die Ergebnisse mit denen vor vier Jahren nicht zu vergleichen, denn 2018 ist der Koeffizient bei der Berechnung des Dressurergebnisses weggefallen. Die Umrechnung erfolgt nun nach der Formel „100 Prozent minus X Prozent gleich Y Minuspunkte”. Daraus folgt, dass die Reiter weniger Minuspunkten ins Gelände mitnehmen und die Abstände geringer sind als zuvor. Mit der Konsequenz, dass die Strafpunkte im Gelände und im Springen deutlich schwerer wiegen. Wie es sich in den ersten Prüfungen in diesem Jahr bereits gezeigt hat, kann ein einziger Abwurf gleich etliche Plätze in der Rangierung kosten.

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