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Disziplinen der Weltreiterspiele in Tryon, Teil 5: Vierspännerfahren
Die Künstler an den Leinen
Die wohl aufwändigste Disziplin der Weltreiterspiele in Tryon/USA ist das Vierspännerfahren. Drei deutsche Aktive fliegen mit insgesamt 15 Pferden über den Atlantik. Die Künstler an den Leinen gehen als Vize-Weltmeister (Mannschaft) an den Start.
Georg von Stein auf der Geländestrecke des CHIO Aachen. Der 45-Jährige startet seit 2010 für Deutschland auf Championaten. Alle Fotos: Arnd Bronkhorst
Bundestrainer Karl-Heinz („Charly“) Geiger gibt die Fahrtrichtung vor: „Wir wollen mit der Mannschaft einen Podestplatz und hoffen auch auf eine Einzelmedaille.“ Das Ziel ist keineswegs unrealistisch, denn beim letzten Championat, Europameisterschaft in Göteborg 2017, behauptete sich das deutsche Team mit Christoph Sandmann, Mareike Harm und Georg von Stein auf dem Silberrang, Sandmann sicherte sich zudem Einzel-Bronze. Als Vize-Weltmeister beendeten die deutschen Fahrer auch die Weltreiterspiele 2014 in der Normandie, damals in der Zusammensetzung Christoph Sandmann, Georg von Stein und Michael Brauchle.
Der deutsche Vierspännerfahrer Christoph Sandmann und seine Tochter Anna, international erfolgreich im Zweispänner, sprechen im Film über ihre Leidenschaft an den Leinen.
Lange Zeit war das Vierspänner eine reine Männerdomäne. Zwar tauchte gelegentlich eine Dame aus dem Ausland an den Leinen auf, aber das war die Ausnahme von der Regel. Mareike Harm aus dem holsteinischen Negernbötel hat die Phalanx der Männer durchbrochen: Die 32-Jährige, die schon als Einspännerfahrerin Deutsche Meisterin und Mannschafts-Weltmeisterin war, schaffte den Sprung in die Königsklasse und formierte ihre Single-Pferde zu einem Viererzug. Der Erfolg stellte sich schnell ein, bereits 2012 nahm Mareike Harm an der Vierspänner-WM in Riesenbeck teil und belegte einen sehr respektablen 25. Platz. Ihre Stärke liegt vor allem in der Dressur, kein Wunder, denn vor ihrer Fahrsportkarriere war sie auf dem Viereck bis zum Prix St. Georges erfolgreich. Auch in diesem Jahr hat sie beste Chancen, erneut beim Championat die deutschen Farben zu vertreten. Mit ihr sind ihre Kollegen Christoph Sandmann und Georg von Stein im Championatskader.
Sie hat sich in der Männerwelt der Vierspännerfahrer bestens etabliert: Mareike Harm, deren Stärke das Dressurfahren ist.
„Leitwolf“ Christoph Sandmann (51) fährt seit über 30 Jahren, war bei zahlreichen Championaten und Weltcup-Finals am Start und ist der derzeit erfolgreichste Vierspännerfahrer Deutschlands. Der Spediteur aus dem emsländischen Lähden gewann allein achtmal die Deutsche Meisterschaft. Seine Vorbereitung auf die Weltreiterspiele wird allerdings zeitverzögert anlaufen. Derzeit verletzt, kann sich Sandmann erst im Laufe des Sommers den Sichtungsprüfungen stellen. Mit Georg von Stein (45) haben die deutschen Fahrer einen weiteren routinierten Leinenkünstler in ihren Reihen. Der Reitlehrer und Gastwirt aus dem hessischen Modautal startete erstmals 2010 bei Weltreiterspielen.
Der routinierteste und erfolgreichste deutsche Vierspännerfahrer ist Christoph Sandmann.
Aber die Konkurrenz ist stark. Bundestrainer Charly Geiger: „Unsere größten Konkurrenten in der Mannschaftswertung sind nach wie vor die Niederländer, aber die Belgier und Franzosen rücken näher an uns ran.“ Die Gruppe um den Niederländer Ijsbrand Chardon hat bei den Championaten der letzten Jahre stets Mannschafts-Gold gewonnen. In der Einzelwertung wird wohl kein Weg an dem australischen Ausnahmefahrer Boyd Exell vorbeiführen, der die letzten vier Weltmeisterschaften mit der Goldmedaille abgeschlossen hat.
Die Wertung
Der Weg zu den Medaillenentscheidungen führt beim Fahren (wie bei der Vielseitigkeit) zunächst über die Dressur. Am zweiten Tag folgt das Herzstück des Championats, der Marathon. Auf einem ehemaligen hügeligen Golfplatzgelände am Rande des Equestrian Centers von Tryon gilt es, acht Hindernisse zu meistern. Jedes Hindernis besteht aus bis zu sechs Pflichttoren A bis F, die es möglichst schnell und fehlerfrei in der richtigen Reihenfolge zu durchfahren gilt. Der kürzeste Weg ist nicht immer der schnellste, daher geht jeder Fahrer das Hindernis mehrfach ab, um die beste Linie für sich und sein Gespann zu finden. Mit der Einfahrt beginnt die Uhr zu laufen und stoppt bei der Ausfahrt. Grundsätzlich werden pro angefangene Sekunde 0,2 Punkte veranschlagt. Dazu kommen weitere Strafpunkte, zum Beispiel für das Abstreifen abwerfbarer Teile (je 2 Punkte), für das Verlassen des Wagens durch den Fahrer (20) oder einen bzw. beide Beifahrer (5). Das Umkippen der Kutsche führt zum Ausschluss. Verfährt sich ein Gespann, kann es bis zur Ausfahrt noch korrigiert werden (20), ansonsten folgt der Ausschluss. Am Ende werden sämtliche Strafpunkte addiert.
Die Bewertung beim abschließenden Kegelfahren ähnelt dem Reglement im Springen. Allerdings kostet ein gefallener Ball „nur“ drei und nicht vier Strafpunkte. Eine maßgebliche Rolle spielt auch die Zeit. 0,5 Strafpunkte bezahlt der Fahrer für jede Sekunde, die er länger braucht als erlaubt. Mindestens zwei, maximal drei Gespanne bilden eine Mannschaft. Anders als in der Vielseitigkeit werden die jeweils zwei besten Ergebnisse je Teildisziplin – Dressur, Geländefahrt und Kegelfahren – für das Endergebnis herangezogen. Voraussetzung ist allerdings, dass ein Gespann in der Wertung bleibt.
Susanne Hennig/Eva Borg
Lange Historie
Das Fahren von Pferden hat eine längere Tradition als die Reiterei. In Kleinasien kannte man schon um 1.400 v. Chr. Trainingspläne mit Anleitungen für Aqua- und Intervalltraining. Und bereits im antiken Olympia gehörte das Wagenrennen fest zum Programm. Auch im modernen Turniersport spielt das Fahren von Beginn an eine Rolle, schließlich waren Pferd und Wagen lange Zeit ein wichtiges Fortbewegungsmittel. Schon in den frühen 1920er Jahren bei den ersten Turnieren in der Aachener Soers, wo später der berühmte CHIO ausgetragen wird, starten die Fahrer in einer Vielzahl von Wettbewerben und Anspannungsarten.
Trotz der langen Tradition wurde erst 1972 die erste Weltmeisterschaft der Vierspänner ausgetragen. Seitdem gehen die Fahrer alle zwei Jahre auf WM-Titeljagd. Die ersten Goldmedaillen für das deutsche Team gab es allerdings erst 1992 und 1994. Beide Male gehörten Michael Freund und Christoph Sandmann zur Mannschaft. Zusätzlich griff Michael Freund 1994 als erster und bislang einziger Deutscher zum WM-Einzeltitel. Bei den Weltreiterspielen 2006 in Aachen gewann Deutschland erneut Gold. Freund beendete danach seine aktive Vierspänner-Karriere, Sandmann gehört noch heute zu den erfolgreichsten Vierspännerfahrern der Welt.
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