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Der neue Pferdepass kommt
Quadrille Johannistrieb besteht seit 1879
Sattelfeste Männertruppe
16 Herren, ein ordentlicher Schwung Motivation, Kameradschaft und weit mehr als hundert Jahre Geschichte: Das sind die Zutaten der Quadrille Johannistrieb, beheimatet im Hamburger Reiterverein im schleswig-holsteinischen Norderstedt.
Aufstellung zum Training: Die zehn Reiter der Quadrille hören auf das Wort ihrer Kommandeurin Ulrike Rönz, die im Sattel des Schimmels Platz genommen hat. Alle Fotos: J. Toffi
Auf dem Außenplatz des Hamburger Reitervereins herrscht Tumult – nicht laut, aber lebhaft: Füchse, Braune und Rappen schreiten durcheinander mit grünen, in gelb eingefassten Schabracken unter den Sätteln, derselbe Gelbton findet sich in den vier Gamaschen wieder. Ihre Reiter tragen schwarze Jacketts, weiße Hemden mit Krawatte, weiße Handschuhe, schwarze Hosen, glänzend polierte Reitstiefel und schwarze Melonen auf dem Kopf. An der Bande des Reitplatzes lehnt eine creme- und grünfarbene Standarte. Es ist Dienstagabend, die warme Herbstsonne verschwindet langsam hinter den Bäumen. Während im Stall der Alltag seinen geregelten Gang geht – zwei Kinder führen ein Pony, eine Dressurreiterin kommt mit ihrem Rappen nach getaner Arbeit aus der Reithalle heraus, die Futterkarre rumpelt über die Stallgasse, Gesprächsfetzen von der Terrasse des Casinos sind zu hören – haben sich die Herren der Quadrille Johannistrieb versammelt zum Pressetermin. Herzlich willkommen auf einer Zeitreise. Aber Moment… es sind nur neun Reiter, eine ungerade Teilnehmerzahl in einer Quadrille? Geht nicht! Einer fehlt. Die Kollegen reiten auf dem Platz herum, um die Pferde aufzuwärmen.
Ehren-Präses Hans-Ulrich Plaschke hält die Standarte, die für öffentliche Auftritte 1985 angefertigt wurde.
Allmählich werden sie ungeduldig. Das Szenario erinnert ein wenig an einen Ameisenhaufen. Da kommt der Wirt des Casinos über die Terrasse und die Treppe herunter gehastet. Catalin Voigt, „Gino“, zieht mit einer Handbewegung seine weiße Schürze ab. Darunter: die volle Reitmontur. Er eilt auf den Platz, wo sein Pferd Capricho schon gesattelt und getrenst auf ihn wartet. Jetzt ist die Quadrille vollständig. Fast zumindest. Denn ursprünglich sind es stets 16 Johannistreiber, die sich zum Quadrillenspaß treffen – und das seit 137 Jahren (!).
Dienstags Reiterei
Die Quadrille Johannistrieb ist die älteste private Quadrille der Welt, gegründet 1879 von hanseatischen Kaufleuten unter dem Namen „Dienstags Reiterei“. Der alte Name ist Programm. Bis heute treffen sich die Herren von November bis Februar jeden Dienstag von 20 bis 21 Uhr, um sich im Quadrillenreiten zu üben – und zwar die Johannistrieb Quadrille, die seit jeher aus denselben Figuren wie zu Gründerzeiten besteht. Es werden immer dieselben Linien zur selben Musik – deutsche Reitermärsche – geritten. Die „harmonischen Figuren öffnen und schließen sich wie Blumen“, heißt es in der überlieferten Chronik. Die traditionelle Quadrille dauert eine Stunde, für öffentliche Auftritte wurde eine 15-minütige Kurzversion entwickelt. Dazu gehören Figuren wie vier Eckvolten, zu acht über die Mittellinie, Mühlen, zwei Eckvolten während der andere Teil durch die ganze Bahn wechselt, Kehrtvolten auf der Mittellinie und in verschiedenen Variationen kreuzen.
Joachim Ruppert beim Vorbereiten seines Pferdes für die Übungsquadrille.
Die Quadrille Johannistrieb ist eine Idee, die beide Weltkriege überstanden hat und in ihrer Form erhalten geblieben ist, wenn sich auch der Rahmen hier und da verändert hat. Denn die reine Herrendomäne von einst ist zwar geblieben, die Mitgliedschaft in der Quadrille ist nach wie vor Männern vorbehalten, etwas gelockert hat sie sich trotz alledem, dem Zeitgeist oder auch dem „Mitgliedermangel“ geschuldet: Das Mindestalter von 50 Jahren gibt es nicht mehr, anlässlich der Weihnachtsvorstellung dürfen auch Frauen aufs Pferd und die Kommandos kommen ebenfalls von einer Reiterin. Ulrike Rönz ist hauptberuflich Reitlehrerin im Hamburger Reiterverein. Im Moment sitzt sie allerdings in Turnierkleidung auf einem Schimmel, der am Rande des Platzes steht. In den Händen hält sie die vier Zügel der Kandarenzäumung, während sie mit forscher Stimme Ordnung in den Ameisenhaufen bringt: „Meine Herren, ausrichten!“ Es herrscht konzentrierte Stille, die in regelmäßigen Abständen vom Donnern eines Flugzeuges am Himmel unterbrochen wird, der Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel ist nicht weit entfernt. Tradition trifft Moderne.
Der Älteste ist 73
Die zehn Reiter formatieren sich, marschieren auf, grüßen. Dann startet die Kurzversion der Quadrille, die im Schritt beginnt und später in den Trab und Galopp übergeht. Die Pferde sind eine bunte Mischung aus Schul- und Privatpferden, das eine mehr, das andere weniger trainiert, ein paar ganz gut im Futter. Nicht alle gehen korrekt am Zügel, hier und da sitzt einer der Reiter nicht ganz so geschmeidig. Immerhin ist das älteste Mitglied schon 73 Jahre alt, Gert Kaden auf Rudi. Aber keines der Pferde ist unwillig oder scheint sich unwohl zu fühlen. Vielmehr marschieren sie alle brav durch die geforderten Figuren. „Teten rechts und links“, kommandiert Ulrike Rönz. „Zu Vieren aufschließen.“ Zwischendurch ermahnt sie streng: „Abstände!“… „Vorwärts Thomas! Vorwärts!“… „Einschwenken!… Einschwenken habe ich gesagt… Mann, mann, mann.“ Hat etwas von Militär.
Ehren-Präses Plaschke
„Das Forsche mögen die Männer“, erklärt Hans-Ulrich Plaschke mit einem Grinsen im Gesicht. Der 75-Jährige ist PM-Delegierter Hamburg und kennt die Quadrille, die 1979 nach verschiedenen Stationen in Hamburg in Norderstedt gelandet ist, seit über 50 Jahren. Er war aktives Mitglied und zweimal Präsident, Präses wie es bei den Johannistreibern heißt, und ist heute Ehrenpräses. „Alle nehmen die Sache ernst, sind hochmotiviert dabei und keiner will einen Fehler machen. In der Quadrille muss man aufmerksam sein, auf die anderen schauen. Die Abstände müssen stimmen. Das Gesamtbild macht dann kleinere Fehler wieder wett.“ Auf dem Platz finden sich die Reiter zu einer Mühle zusammen. Immer wieder eine imposante Figur. Der jüngste Reiter ist der 30-jährige Marian Pittroff auf Chris. Es folgt ein Wechsel durch die ganze Bahn, paarweise kreuzen. Dann wird aufmarschiert. Als alle nebeneinander ruhig stehen, fassen sich die Herren zum Gruß an die Melone. Ganz unerwartet schallt dann plötzlich ein lautes: „Vielen Dank, Frau Kommandeurin“ von der Zehner-Riege über den Platz, bevor sie sich am langen Zügel aus der Formation lösen. Unweigerlich muss man schmunzeln, etwas wunderlich wirkt das Schauspiel schon, gleichwohl strahlt die Truppe Zusammenhalt aus. „Jeder ist auf den anderen angewiesen“, bringt es Ulrich Plaschke auf den Punkt. „Kameradschaft, die Liebe zum Pferd und das Gesellige – das ist es, was uns wichtig ist.“
Jeder der Reiter trägt ein Abzeichen am Revers. Das Symbol der Quadrille, ein Kleeblatt, das den Freundschaftsbund darstellt. In der Mitte ist ein Baum abgebildet, dessen Ast gekappt ist: der Johannistrieb. Rechts und links des Baumes sind zwei Schlangen mit Pferdeköpfen abgebildet – ein keltisches Symbol, das für die Verbundenheit mit dem Pferd steht. Gleiches findet sich auch auf der Standarte der Quadrille wieder.
Jeder Johannistreiber versucht eine Saison lang immer mit demselben Pferd mitzureiten, dem eigenen oder einem geliehenen. Um Pferdemangel vorzubeugen hat die Quadrille Johannistrieb im Laufe ihrer jüngeren Geschichte auch schon Pferde gekauft, die dem Hamburger Reiterverein gestiftet wurden: die Stute „Triebchen“ und die beiden Brandenburger Wallache „Johannis“ und „Trieb“. Die Quadrillenmitglieder hatten das Erstnutzungsrecht an den Pferden, heißt, sie konnten sie immer für die Aktivitäten der Johannistreiber einsetzen. In der übrigen Zeit waren sie als Schulpferd im Reiterverein im Einsatz – eine „Win-Win-Situation“.
Der „Merker“ passt auf
Aus der „Dienstags Reiterei“ wurde 1880 die Quadrille in „Johannistrieb“ umbenannt. Der Grund: Von den ursprünglich 16 Gründungsmitgliedern waren nur noch sieben übrig geblieben. Neue Mitglieder mussten aufgenommen werden, dieser „neue Trieb“ gab der Quadrille ihren aktuellen Namen. Ergänzt wurde er durch den Titel eines Theaterstücks, das zu dieser Zeit in Hamburg aufgeführt wurde, „Johannis“. Strenge Regeln galten einst. Pünktlichkeit hatte oberste Priorität. „Wer später als fünf Minuten kommt, zahlt eine Reichsmark und kann nur mitreiten, wenn Platz ist“, so die alte Satzung. „Ein verhindertes Mitglied muss auf jeden Fall für Ersatz sorgen.“
Der ehemalige Präses Adolf Huntemann pflegte zu sagen: „Präsenz, meine Herren, ist Pflicht! Nur der eigene Tod entschuldigt und das nur ganz bedingt!“ Um den Überblick über die Truppe zu behalten, saß ein „Merker“ auf der Tribüne, der notierte, wer zu spät kam, sich verritt oder nicht ordnungsgemäß gekleidet war. Amüsant sind die Aufzeichnungen aus den 60er-Jahren. „Der Präsident fehlt unentschuldigt, da er sich bei sich selbst entschuldigt hat“, heißt es da und: „Der Merker musste feststellen, dass der Präsident während des Rittes die Höflichkeit den Damen gegenüber übertrieben habe, indem er den Hut abnahm. Damit wurde eine Buße von 2 DM fällig.“
Den Merker in seiner Funktion gibt es heute noch, allerdings reitet er mittlerweile als Letzter die Quadrille mit, so hat er einen guten Überblick, was die Kollegen machen. Verreiten wird nach wie vor geahndet – mittlerweile allerdings mit einer Runde im Casino – denn selbst wenn die Quadrille aus der immer gleichen Figurenabfolge besteht, es gibt immer wieder einen Herren, der sich im Weg irrt.
Auch „Fränzchen“ dabei
Bis zum Zweiten Weltkrieg fand das Quadrillenreiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Auch das hat sich geändert. Mehr noch. Mitte der 80-er Jahre traten die Johannistreiber sogar ins Rampenlicht. Hans-Ulrich Plaschke war zu dieser Zeit im Amt des Präses und organisierte einige Auftritte für die Quadrille. Sie traten 1985 auf der Horner Rennbahn auf, beim Gala-Abend der Verdener Elite-Schau 1986, in der Bremer Stadthalle und auf der Messe HansePferd. „Das war wirklich ein voller Erfolg“, erinnert sich Plaschke. „Die Menschen waren begeistert und voll Anerkennung, was wir alten Herren da auf die Beine gestellt hatten. Wir hatten das erste Mal in unserer Geschichte eine Warteliste für Mitglieder.“ Mit zur Truppe gehörte damals schon Franz-Peter, „Fränzchen“, Bockholt – eine norddeutsche Institution in seiner Funktion als FEI-Steward und Präsident des Landesverbandes der Reit- und Fahrvereine Hamburg. Zu seiner Zeit als aktiver Johannistreiber musste Bockholt einiges berappen, erinnert er sich, eine Strafe für „Quasseln während des Trainings“ wurde regelmäßig fällig.
Eine Runde Schnaps
Will man zu den Johannistreibern gehören, muss man zunächst die Aufnahmeprüfung erfolgreich hinter sich bringen. Nach dem Probereiten, einem persönlichen Bericht über sich selbst und einer Runde Schnaps beraten sich die Mitglieder. Wird ein Reiter aufgenommen, muss er sich zunächst ein Jahr lang bewähren, bevor er fester Bestandteil der Gruppe wird und das Abzeichen am Revers tragen darf. Eine Warteliste gibt es allerdings schon länger nicht mehr. Es ist schwierig geworden, das Interesse für das gemeinsame Figurenreiten zu wecken. Mittlerweile kommt so eine traditionelle Quadrille eher etwas eingestaubt daher. „Es ist nicht leicht für uns, Nachwuchs zu finden“, so Rolf Müller, aktueller Präses der Quadrille Johannistrieb, der mit seinem neunjährigen Hannoveraner Wallach Flight of Fancy mitreitet. „Keiner will sich auf feste Termine einlassen. Wir sind traditionell, aber das immer mit Spaß und einem Augenzwinkern. Die Gemeinschaft ist unser Zusammenhalt und Verpflichtung zugleich. Für uns alle ist es eine Ehre, bei den Johannistreibern dabei sein zu dürfen.“ Nostalgisch ja, aber was die Truppe eigentlich ausmacht, ist der Teamgeist, mit dem jeder einzelne aus der Zweier-Partnerschaft mit seinem Pferd eine großes „Wir“ macht und fernab von sportlichen Ambitionen gemeinsam das Reiten zelebriert. In diesem Jahr konnte die Quadrille drei neue Mitglieder gewinnen, das jüngste ist gerade mal 18 Jahre jung. „Wir freuen uns sehr über den Zuwachs“, so Rolf Müller. Der muss sich jetzt das Abzeichen erst einmal verdienen.
Laura Becker
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