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Locker ist nicht leicht
Persönlichkeiten der Pferdeszene: Alfred Casper
Niemals aufgeben
Alles was er hatte, waren ein Schlachtpferd, ein Ferkel und ein Hof ohne Toilette. Was Alfred Casper mit unermüdlicher Tatkraft und Pferdeverstand daraus machte, hat sich zu einem der wichtigsten deutschen Privatgestüte entwickelt. Nicht zuletzt wegen eines legendären Vollbluthengstes. Auf den Spuren von Heraldiks xx Entdecker…
Alfred Casper mit Don Diamond, Foto: J. Toffi
Vollbluthengst Heraldik xx, jahrelang der weltbeste Vielseitigkeitsvererber, ist Vater mehrerer Olympiasieger und kann auf rund 960 eingetragene Turnierpferde verweisen. Für die Zucht ist der Rappe unentbehrlich, für Liebhaber einzigartig – für Alfred Casper ist er das Pferd seines Lebens. Der 83-Jährige, dessen schlohweißes Haar unter einer Schiebermütze versteckt ist, sitzt in einem Büro mit niedrigen Decken im Erdgeschoss eines Fachwerkhauses. Das alte Schmuckstück ist das Markenzeichen des Gestüts Birkhof im schwäbischen Donzdorf. Die Wand hinter Alfred Casper ist bedeckt mit unzähligen Fotos der besten Hengste aus über 50 Jahren Birkhof-Zucht. Einer davon sticht für den Senior besonders heraus: „Ein Pferd wie Heraldik xx gibt es für mich kein zweites Mal.“ 1995 entdeckte er den grazilen Hengst in einem Stall bei Siegen in Westfalen und holte ihn nach Süddeutschland. Die Suche nach ihm glich allerdings einer Odyssee.
Vollblüter Heraldik xx war das Aushängeschild des Gestüts und ist noch immer der beste Vielseitigkeitspferde-Vererber der Welt. Foto: Gestüt Birkhof
Alfred Casper hatte sich schon längere Zeit erfolglos nach einem Vollblüter für seine Zucht umgeschaut, bevor er auf Heraldik xx aufmerksam wurde und sich auf den Weg machte. „Ich hatte ein Fax mit einer Wegbeschreibung bekommen“, erzählt er, „aber die stimmte nicht. Wir sind stundenlang umhergeirrt. Mein Fahrer war drauf und dran umzudrehen, aber ich wollte noch nicht aufgeben und bat ihn, noch eine mögliche Abzweigung zu versuchen. Gott sei Dank. Wären wir früher nach Hause gefahren, hätte ich meinen Heraldik xx nie bekommen.“ Denn spätabends erreichte das Duo schließlich den Stall und sah sich den Hengst an. Alfred Casper rief sofort bei seiner Familie an und sagte nur: „Ich habe ihn gefunden!“
Neid und Anfeindungen
Auf dem Birkhof machte sich Heraldik xx binnen kurzer Zeit einen Namen, war innerhalb von zwei Jahren für alle deutschen Zuchtverbände anerkannt, deckte europaweit und stellte überragende Fohlenjahrgänge. Kurzum: Er verhalf dem Gestüt zu nationalem und internationalem Renommee. Mit dem Erfolg kamen allerdings die Neider. Konkurrierende Hengsthalter zweifelten den guten Ruf und die Sporterfolge des Hengstes an, der aus der ehemaligen Tschechoslowakei stammte und dessen Lebenslauf schwierig zu rekonstruieren war. Alfred Casper ließ sich von den Anfeindungen aber nicht beirren, kämpfte und am Ende der juristischen Auseinandersetzung musste er zwar finanzielle Einbußen in Kauf nehmen, ging aber trotz allem als moralischer Sieger und sein Hengst als erwiesener S-Springsieger hervor. Mittlerweile kann er den unangenehmen Vorfall nüchtern betrachten. Wenn jemand andere Hengste schlecht machen müsse, damit seine eigenen Hengste etwas zu tun bekommen, habe er die falschen Hengste, so sein persönliches Fazit. Die Geschichte ist abgehakt. Viel lieber erinnert sich Alfred Casper an seine Nummer eins im Stall: „Heraldik xx war ganz klar im Kopf. Ich bin auf ihm mit 77 Jahren noch fliegende Wechsel geritten. Ein eleganter Typ mit viel Halsung und einem großen Auge – ein Rappe noch dazu. Und er war sehr umgänglich. Man hätte gefahrlos in seiner Box schlafen können.“
Schöne Pferde züchten
2005 fiel der Hengst mit 23 Jahren nach dem Decken plötzlich tot um, vermutlich Herzversagen. „Sein Tod war ganz schlimm für uns“, betont der Senior sichtlich berührt. Heraldik xx war das Aushängeschild des Gestüts und er vereinte die Grundsätze, auf denen die Caspersche Zucht basiert: „Mir war es immer wichtig, schöne Leistungspferde zu züchten. Unsere Hengste, die sich hundertfach verbreiten, beweisen sich im Sport. Und sie sind unkompliziert, sie können von Kindern geritten werden. Wir müssen Pferde züchten für den Endverbraucher. Das A und O ist, dass sich der Reiter im Sattel wohl fühlt.“ Sein Konzept funktioniert bis heute. Der Birkhof gehört zu den führenden Gestüten Deutschlands, er stellte mit Lettina 1999 die erste Bundeschampionesse Baden-Württembergs, seine Hengste sind sportlich auf höchstem Niveau erfolgreich unterwegs und zu den Birkhof-Nachkommen gehören prämierte Fohlen, Siegerstuten und gekörte Söhne. Sie sind außerdem bei nationalen Wettkämpfen von den Bundeschampionaten über den Nürnberger Burg-Pokal bis hin zu den Deutschen Meisterschaften genauso vertreten wie auf internationaler Bühne. Bei den Weltreiterspielen in Kentucky (USA) waren sieben Nachkommen von Birkhof-Hengsten für fünf Länder am Start.
Solistin wurde zur Stammstute der Casperschen Zucht. Foto: Gestüt Birkhof
Ein eingeschworenes Paar und Team, und das seit über 60 Jahren: Lore und Alfred Casper. Foto: J. Toffi
Flucht aus Schlesien
Bei allem, was Alfred Casper in seinem Leben widerfuhr, folgte er stets dem Grundsatz: Es gibt immer einen Weg. Die Umstände waren mitunter widrig, einen finanzstarken Hintergrund gab es nicht, aber er improvisierte und packte an – mit seinen bloßen Händen und seinem grenzenlosen Engagement. Er wagte stets Neues und vertraute auf Bewährtes. Rückschläge sah er immer auch als Herausforderung. Dabei ist Alfred Casper aber auch ein vom Krieg gezeichneter Mann geblieben. Die Erinnerungen an seine Kindheit belasten ihn bis heute, sagt er. Er wurde 1932 in Wittgendorf in Niederschlesien als das älteste von drei Kindern geboren. Seine Eltern betrieben eine Landwirtschaft mit Kühen und Pferden. Seine Leidenschaft für die Tiere hatte er von Anfang an. „Ich bin auf dem Pferd geboren“, sagt er und erzählt: „Mit den Ponypferdle sind wir ausgeritten – während die Polen hinter uns her geschossen haben…“ Der Krieg war allgegenwärtig, seine ganze Härte traf die Familie 1946. „Wir wurden morgens um sieben Uhr auf die Straße gescheucht und dann wie eine Schafherde zum Güterbahnhof getrieben. Wir mussten alles zurücklassen. Unser Haus, unsere Tiere, unser Hab und Gut und unsere Heimat. Wir wurden acht Tage lang durch Deutschland gekarrt und angeschaut wie die Zigeuner.“ In Ahlhorn bei Bremen wurde die Familie schließlich getrennt voneinander in verschiedenen Betrieben untergebracht, um zu arbeiten. Der damals 14-jährige Alfred verlor vier Monate später seine Mutter. Sie starb an einer Lungenentzündung und an den Strapazen der Flucht. „Der Schmerz sitzt noch immer tief.“ Der Senior flüstert fast, während sich sein Blick in der Ferne verliert. Er hat Tränen in den Augen.
Neustart im Ländle
Doch der junge Alfred gab nicht auf und kämpfte weiter. 1951 war er 19 Jahre alt, als er über seine Verwandtschaft von den Gutshöfen des Grafen Rechberg in Donzdorf erfuhr. Voller Tatendrang packte er seinen Rucksack und zog los. Fünf Jahre später konnte er schließlich die Verwaltung des Rechberg’schen Gutshofs Birkhof mit 20 Mitarbeitern, 50 Kühen, sechs Arbeitspferden und 100 Schweinen übernehmen. Sein Ziel war erreicht. Er lernte seine Frau Eleonore, „Lore“, kennen, heiratete und wurde Vater zweier Söhne.
1962 wurde der Gutshof verkauft und in fünf Parzellen unterteilt. Alfred Casper bekam eine davon und konnte 22 Hektar zum ersten Mal sein Eigentum nennen. Die Familie begann, den Hof in Eigenregie neu aufzubauen, Gebäude zu sanieren, Straßen zu teeren, Wege zu befestigen. Der Schwerpunkt lag zunächst auf der Schweinezucht, die Alfred Casper erfolgreich betrieb, bis ihm die Schweineseuche den gesamten Bestand dahinraffte, nur ein paar Ferkel blieben verschont. Die Existenz der Familie war bedroht, sie musste wieder bei Null beginnen. Aber aufgeben? Kam nicht infrage!
Baufälliges Gemäuer
Alfred Caspers größte Leidenschaft, die Pferde, spielten weiterhin eine tragende Rolle in seinem Leben. Er konnte die Stute Solistin, die ihm als Gutshof-Verwalter zur Verfügung gestanden hatte, günstig erwerben. Der Grund: Sie hatte einen Knochenriss. Eigentlich ihr Todesurteil. Alfred Casper gab sie trotzdem nicht auf. Er gipste die Fraktur eigenhändig ein und rettete der Stute das Leben. Solistin v. Sohn sollte die Stammstute der Casper’schen Zucht werden. Sie bekam vier Stutfohlen. Ihr Enkel Tarik v. Talismann war eines der erfolgreichsten in Baden-Württemberg gezogenen Springpferde. Zu den selbstgezogenen kaufte Alfred Casper jedes Jahr auf dem Fohlenmarkt in Riedlingen ein bis zwei Fohlen dazu. Eigentlich sollten diese dann wieder mit drei Jahren weiterverkauft werden. Allerdings: „Pferdeverrückt wie ich bin, konnte ich sie nicht hergeben.“ So wurde der Bestand immer größer und die Pferde allmählich zu einem zweiten Standbein. Caspers kauften eine alte Scheuer, bauten sie selbst zu einer Reithalle um und eröffneten eine Reitschule, die Söhne Thomas und Jürgen kümmerten sich um die Pferde, waren bei nationalen und internationalen Spring-Wettkämpfen bis hin zur Junioren-Europameisterschaft am Start.
1970 bot sich dann die Gelegenheit, das Fachwerkhaus des ehemaligen Gutshofes zu kaufen – baufällig. Wieder wurde selbst Hand angelegt. Und wieder nicht zum letzten Mal. In den folgenden zehn Jahren wurde der Hof kontinuierlich vergrößert. Neue Reithallen kamen hinzu, Ställe wurden erweitert und modernisiert. Lore Casper sagte einmal zu ihrem Mann: „Wenn du jetzt noch einmal baust, lasse ich mich scheiden.“ Es blieb bei der Androhung – der Hof wächst noch heute.
Erster Hengst: Koriolan
Für die Casper’sche Zucht war das Jahr 1972 ein entscheidendes, ein zukunftsweisendes. Die ersten Hengste hielten Einzug auf dem Birkhof: gepachtete Landbeschäler aus Marbach. Zwei Jahre später konnte Alfred Casper seinen ersten eigenen gekörten Hengst vorweisen. Koriolan v. Kornett, dessen Blut über Pagathon in den Birkhof-Stuten weiterlebt. 1981 bezog der erste Privathengst in Baden-Württemberg eine Box auf dem Birkhof: Stempelhengst Wettstreit v. Wedekind, Vater von Wettruf und Wilano aus dem Besitz von Werner Schockemöhle. Er begründete die heutige Deckstation des Gestüts, die neun Jahre später zur ersten privaten staatlich anerkannten Besamungsstation und 1995 EU-Besamungsstation wurde.
Zum Erfolgsrezept des Gestüts gehörten neben Alfred Caspers Gespür für Pferde schon immer drei weitere Zutaten: familiärer Zusammenhalt, Gastfreundschaft und Service. „Freundlich zu sein steht an erster Stelle“, betont der Senior. „Das ist das Wichtigste. Und man muss für die Kunden da sein, sich kümmern und mit den Züchtern muss man gut umgehen.“ Aus dieser Devise entwickelte sich über 30 Jahre ein in Deutschland einzigartiges Service-Konzept. Dazu gehören regelmäßige Verkaufswochen sowie Förderlehrgänge für Birkhof-Pferde und das jährliche Birkhof-Fohlenchampionat, das erstmals 1987 stattfand und bei dem Züchter ihre Birkhof-Nachkommen präsentieren können, genauso wie das Sommernachtsfest für Freunde des Gestüts.
Staatsmedaille in Gold
Mit 65 Jahren übergab Alfred Casper sein Lebenswerk an Sohn Thomas, der das Gestüt im Sinne seines Vaters gemeinsam mit seiner Frau Nicole weiterführt. Aus 22 sind rund 100 Hektar geworden mit etwa 100 Pferden und 100 Plätzen für die Aufzucht. Sohn Jürgen ist voll integriert in das Geschehen und hat sich außerdem seine eigene Anlage mit 26 Pferden direkt gegenüber des Gestüts aufgebaut. Die Söhne stehen dem Vater in seinem Tatendrang und Ideenreichtum in nichts nach. Ein neuer Aktivstall samt Reitplatz soll bald in Betrieb genommen werden. Alfred Casper, der für seine Verdienste vom Landwirtschaftsministerium Baden-Württemberg mit der Staatsmedaille in Gold ausgezeichnet wurde, hat seine Werte immer gelebt und er hat es geschafft, aus seiner Familie und den Mitarbeitern ein eingeschworenes Team zu formen, das gemeinsam an einem Strang zieht, neue Impulse setzt, den Blick immer in die Zukunft richtet und jeden Besucher mit einem Lächeln empfängt. Betritt man die Anlage, wird man sofort willkommen geheißen im Gestüt und in der Großfamilie. Wie selbstverständlich wird man mit an den Mittagstisch gebeten, an dem jeden Tag Alfred Caspers Söhne, seine Schwiegertöchter und insgesamt fünf Enkel zusammenkommen, wenn Lore Casper kocht, schwäbische Hausmannskost.
Mittlerweile hat Alfred Caspers Sehkraft nachgelassen, seine Stimme ist leise, wenn er über sein Leben spricht, er schweigt lange zwischendurch, körperliche Beschwerden bremsen ihn aus. Trotzdem sagt er: „Ich könnte ohne Pferde nicht leben. Ich tue auch heute noch alles, damit ihre Schönheit erhalten bleibt. Pferde müssen vernünftig untergebracht und aufgezogen werden.“ Während er das sagt, hört man von draußen ein durchdringendes Wiehern. Man sieht ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht. „Das ist das Schönste, oder?!“ Als er sich verabschiedet, sagt er: „Bleiben Sie gesund! Und geben Sie niemals auf!“
Laura Becker
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