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Persönlichkeiten der Pferdeszene: Rosemarie Springer

Die bescheidene Grande Dame

Sie hat als Unbekannte die Dressurszene der 60er-Jahre aufgemischt und sich gegen die großen Namen durchgesetzt. Und doch ist Rosemarie Springer immer bescheiden geblieben – selbst nach neun Jahrzehnten im Pferdesport. Begegnung mit einer großen Reiterin, die in diesem Jahr ihren 95. Geburtstag feierte.

Foto: J. Toffi
Bruno ist Gärtner. Sozusagen. Nicht in Person, sondern in Form eines flachen tablettgroßen Gefährts, das durch den weitläufigen Garten hinter Rosemarie Springers Wohnhaus auf Gut Halloh nördlich von Hamburg surrt. „Das ist Bruno, ein automatischer Rasenmäher“, erklärt die ehemalige Olympiareiterin, ohne eine Miene zu verziehen. „So ein modernes Ding, wie auch dieses iPad.“ Das „i“ spricht sie dabei deutsch aus. „Er ist nur auf Probe hier… Aber er kann wahrscheinlich bleiben.“ Sie lächelt. Im Juli feierte Rosemarie Springer ihren 95. (!) Geburtstag. Während die zierliche Dame fast in den floral geschmückten Kissen des Sofas versinkt, bedecken hinter ihr unzählige Jagdtrophäen die Wand. Das Jagdzimmer des Anwesens. Wie der Rest geprägt von englischem Landhausstil. Haushälterin Hanni bringt Tee und Kaffee. Eine große Fensterfront lässt den Blick immer wieder nach draußen schweifen. Bruno schaut in regelmäßigen Abständen vorbei. Hier sitze sie oft und denke über vergangene Zeiten nach, erzählt Rosemarie Springer.

Die Frau von Axel Springer

Neben der Stereoanlage und CDs des chinesischen Pianisten Lang Lang und Richard Strauss’ „Der Rosenkavalier“ liegt auf der Fensterbank ein überdimensional großes, elf Kilogramm schweres Buch mit dem Titel „Das BILD Buch“. Die Boulevardzeitung prägte Rosemarie Springers Leben. Sie war von 1953 bis 1961 mit dem Verleger Axel Springer verheiratet, der mit ihr in Hamburg-Falkenstein oberhalb der Elbe auf einer Reitanlage mit 15 Boxen lebte. Herr Springer – wie sie ihn bis heute nennt – war die treibende Kraft, als ihr Reiterleben 1950 eine entscheidende Wendung nahm. Er errichtete zu dieser Zeit das Hamburger Verlagshaus und baute sein Imperium auf (die erste Ausgabe der Bild-Zeitung erschien 1952). Die junge Rosemarie Springer war bis dato in der Reiterszene ein eher unbeschriebenes Blatt. Auf einem Turnier in Berlin wurde dann aber Hans Günter Winkler auf die damals 30-Jährige aufmerksam. Er sah sie reiten und sagte zu ihr: Sie gehören zu Willi Schultheis! Ich bringe Sie zusammen. „Ach, was war ich aufgeregt!“ Rosemarie Springer ist noch immer sichtlich berührt von der Situation und betont voller Respekt: „Schultheis war unser König.“ Der seit zehn Jahren verstorbene Otto Lörke-Schüler, Träger des Bundesverdienstkreuzes und ehemaliger Dressurbundestrainer, ist bis heute als exzellenter Ausbilder bekannt. Er war der erste, dem der Titel Reitmeister verliehen wurde. Bei den Olympischen Spielen in München 1972 waren sechs von ihm ausgebildete Pferde am Start. „Schultheis beherrschte die große Kunst, das Pferd zu verstehen“, bringt es seine einstige Schülerin auf den Punkt. „Er war im Sattel energisch, aber er hat niemals ein Pferd drangsaliert oder sich mit ihm angelegt.“

Willi Schultheis‘ Doublette

Axel Springer war es schließlich, der Willi Schultheis 1953 drängte, nach Hamburg zu kommen. Schultheis kam – und blieb. Mit im Gepäck hatte er unter anderem die Hannoveraner Stute Doublette v. Duellant, die am Ende ihrer Karriere 165 S-Siege auf ihrem Konto hatte und das erste Pferd war, dessen Gewinnsumme über 100.000 DM lag. Schultheis kümmerte sich in Falkenstein um die Ausbildung der Pferde und um Rosemarie Springers Training. Die ersten großen Erfolge der aufstrebenden Reiterin stellten sich ein mit der Vollblutstute Thyra xx, die ein Stockmaß von nur 1,58 Meter hatte. „Schultheis sagte immer: Sie müssen sie groß reiten. Stellen Sie sich vor, Sie wollen oben auf die Bande reiten.“ Springer bestritt mit Thyra xx ihre erste S-Dressur. „Das war in Köln. Die Olympiamannschaft um Liselott Linsenhoff, Anneliese Küppers und Hannelore Weygand war am Start. Der Schlamm spritzte auf den Richtertisch. Thyra und ich haben gewonnen.“ Die von Karl Diehl ausgebildete Tribonius-Tochter sei sehr gelehrig gewesen, erzählt sie. Die beiden siegten beim CHIO in Aachen und wurden Deutsche Vize-Meister. Das war 1959.

Olympia in Rom

Ein Jahr später gewann Rosemarie Springer Gold bei den Deutschen Meisterschaften im Sattel von Brilliant xx, einem Vollbluthengst v. Organdy xx. 1960 sollte auch das Jahr werden, in dem sie ihren wichtigsten Auftritt hatte: die Olympischen Spiele in Rom. Sie reiste gemeinsam mit Dr. Josef Neckermann nach Italien. Eine Teamwertung gab es damals nicht. Rosemarie Springer saß im Sattel von Doublette, mit der Schultheis dreimal in Folge Deutscher Meister geworden war. Die Startzeit des Paares für den Grand Prix war auf 8.30 Uhr angesetzt. Sie erzählt: „Wir ritten in der Piazza di Sienna, um 8.25 Uhr waren Doublette und ich fertig zum Einritt. Die Stute ging wie ein Traum. Und dann? Ich wartete und wartete, aber die Klingel kam einfach nicht. Die Richter diskutierten über eine andere Reiterin. Ich musste eine halbe Stunde im Schritt ums Dressurviereck reiten. Eine halbe Stunde! Und das mit einem Pferd, das für die höchste Prüfung vorbereitet ist. Doublette rollte sich auf, der Schritt wurde immer schlechter. Dann durften wir endlich hinein. Wir hielten bei X. Die Glocke der Plaza schlug, es war Punkt neun Uhr. Mit jedem Glockenschlag kam Doublettes Kopf etwas höher. Ich hatte richtig zu kämpfen. Wir schlugen uns wacker durch die Aufgabe.“ Doch der Medaillentraum war geplatzt, am Ende wurden die beiden siebte.

Rosemarie Spinger lebt seit 1970 auf Gut Halloh in Schleswig-Holstein, wo sie den heutigen Co-Bundestrainer Jonny Hilberath als Lehrling unter ihre Fittiche nahm. Foto: J. Toffi

Kapelle am Viereck

Nach diesem Tiefschlag stellte sich der Erfolg aber schnell wieder ein. Bis 1965 wurde Rosemarie Springer noch viermal Deutsche Meisterin, 1966 und 1967 erreichte sie Bronze. Als ihr Heimatturnier bezeichnet sie die Veranstaltung in Nörten-Hardenberg, obwohl sie dort auch etwas unangenehmen Begleitumständen begegnete. „Ich bin meinen schwedischen Schimmel Lenard geritten. Damals spielte immer eine Kapelle am Dressurviereck. Ich bin vor der Prüfung zu den Musikern gegangen mit einer Kiste Bier, damit sie bloß leise spielen, wenn ich im Viereck bin. Auf Weisung des Chefs taten sie es aber in gewohnter Manier. Die Kapelle stand direkt hinter den Richtern. …Tschingdaradabum… Lenard dachte nicht daran, auch nur in die Nähe von C zu gehen. Ich bin nur halbe Bahn geritten und am Ende fünfte geworden – von fünf Reitern insgesamt.“

Dafür konnte Rosemarie Springer 1966 die reitenden Herren Josef Neckermann, Reiner Klimke und Harry Boldt auf traditionsreichem Boden in den Schatten stellen: Sie gewann das Deutsche Dressur-Derby in Hamburg auf Brilliant xx. „Ich hatte eine sehr gute Hand. Sie war eins mit dem Kreuz“, beschreibt sie ihr Talent im Sattel. „Nur wenn der menschliche Körper mit dem des Pferdes verschmilzt, kann man dem Pferd Leistung abverlangen. Es geht darum, das was das Pferd anbietet, herauszuarbeiten. Dabei darf man das Pferd aber nie überfallen oder überfordern.“
Schultheis war Rosemarie Springers Lehrmeister und Idol. Doch zu ihren großen Vorbildern gehörte auch ihr Vater Werner Lorenz, der sie im Alter von zwei Jahren zu sich aufs Pferd vor den Sattel setzte und mit ihr über die Felder ritt. „Die Begabung fürs Reiten habe ich von meinen Eltern. Meine Mutter ritt im Damensattel und mein Vater hatte beim Militär gelernt, war durch eine strenge Schule gegangen. Er war ein begnadeter Reiter. Ich habe so viel von ihm gelernt. Über das Reitergefühl sagte er: Entweder man hat es oder man hat es nicht. Aber erlernen kann man es nur schwer.“

Mit 14 nach Hamburg

Geboren ist Rosemarie Springer 1920 als ältestes von drei Kindern auf dem Gut Mariensee östlich von Königsberg. Als sie 14 Jahre alt war, zog die Familie nach Hamburg. Von dort führte der Weg der Heranwachsenden in ein englisches Mädcheninternat. 1938 kehrte sie zurück und leistete während des Zweiten Weltkriegs Dienst beim Roten Kreuz. Die Pferde blieben immer ein wichtiger Teil ihres Lebens und nach Kriegsende konzentrierte sie sich ganz auf die Reiterei. Bevor sie Axel Springer kennenlernte, war sie in erster Ehe mit dem hanseatischen Unternehmer und Zementhersteller Horst-Albert Alsen verheiratet. Sie blieb kinderlos.

Internationale Trainerin

Nach ihrer aktiven Karriere im Sattel widmete sich Rosemarie Springer der Trakehnerzucht, sie legte die Richterprüfung ab und war 25 Jahre lang als Trainerin in Deutschland, England, Holland, Australien, Afrika und in den USA tätig. Sie entdeckte unter anderem die australische Grand Prix-Reiterin Kristy Oatley und brachte sie zu Herbert Rehbein. Jahrelang unterstützte sie Markus Waterhues und übernahm das Dressurtraining der Vielseitigkeitsreiter Horst Karsten, Harry Klugmann und Karl Schultz. Später kamen auch Claus Erhorn und Bettina Hoy in den Genuss, bei ihr zu trainieren. Den Vielseitigkeitssport unterstützt Springer, die das Deutsche Reiterkreuz in Gold trägt, bis heute mit dem Förderverein junger Vielseitigkeitsreiter.

Hilberath mit Afro-Look

Seit 1970 lebt sie auf Gut Halloh in Schleswig-Holstein, einem mittlerweile verpachteten rund 100 Hektar großen Reit- und Zuchtbetrieb, an den ihr Wohnhaus anschließt und auf dem sie jahrzehntelang als Ausbilderin wirkte. Auf dem Gut absolvierte auch ihr bekanntester Schützling seine Lehre: „Ein Bauer aus der Nachbarschaft kam zu mir und sagte, er hätte einen Jungen, bei dem es sich lohnen würde“, erinnert sie sich. „Der Junge hatte so einen Afro-Look.“ Rosemarie Springer hält beide Hände seitlich an ihrem Kopf nach oben. „Ich war erst einmal etwas schockiert. Aber als er im Sattel saß – so ein großes Talent. Natürlich konnte er bleiben.“ Der Junge hieß Jonny Hilberath. „Alle haben ihn geliebt.“ Einige Zeit später bekam er den Einzugsbefehl der Bundeswehr, dem er nur entgehen konnte, indem er eine Ausbildung absolvierte. Rosemarie Springer hatte allerdings nie eine Reitlehrerprüfung abgelegt, war also offiziell keine Ausbilderin. Das holte sie für Hilberath aber schnell nach und und nahm ihn von 1974 bis 1977 in die Lehre. Mittlerweile ist Jonny Hilberath 60 Jahre alt und kümmert sich an der Seite von Monica Theodorescu um die deutschen Dressur-Championatsreiter.„Ich bin so stolz, dass mein Jonny Bun­destrainer geworden ist.“

77 Jahre am Arlberg

Alles, was Rosemarie Springer ihr Leben lang gemacht hat, tat sie immer mit Leidenschaft. Dabei galt ihre Aufmerksamkeit nicht ausschließlich den Pferden. Sie war Leichtathletin im Hoch- und Weitsprung und sie fuhr gerne Ski. Am Arlberg, 77 Jahre lang. Sie bekam das Goldene Skiabzeichen und war bis vor drei Jahren noch aktiv auf Skiern unterwegs. Sport habe sie schon immer fasziniert, sagt sie. Und sie habe alle Sportarten immer bis zur Meisterehrung ausgeübt. Eine lange Liste an Erfolgen, besonders im Reitsport – und trotzdem war Rosemarie Springer stets unsicher und zurückhaltend. Wenn sie einen Platz im Dressur-Team bekam, fühlte sie sich gegenüber den bekannten und erfolgsverwöhnten Reitern gehemmt. Sie fragte Schultheis, den sie bis zum Schluss gesiezt hat, einmal nach einer Nominierung: „Herr Schultheis, wie soll ich das je reüssieren?“ „Gnäd’ge Frau, leisten!“ antwortete er in seinem Berliner Jargon, sie solle es rechtfertigen durch ihre Leistung, die sie im Sattel abliefert. Das tat seine Schülerin – und blieb dennoch befangen. Glückwünsche, die sie nach einer erfolgreichen Prüfung auf der Tribüne bekam – „Röschen, toll geritten!“ – ließen sie eher vor Scham als vor Freude erröten. „Ich wusste nicht, wie gut ich war“, sagt sie heute. „Ich habe mich damit nicht beschäftigt.“ Doch gerade diese Bescheidenheit ist es, die immer noch den Charme der sympathischen Dame ausmacht. Denn ihr Alter hat sie zwar in ihrer Mobilität eingeschränkt, ihr aber nichts von ihrer Ausstrahlung nehmen können. Sie sei aufgeregt wegen des Pressetermins, sagte sie vor dem Treffen am Telefon. Dabei ist man in ihrer Gegenwart selbst etwas unsicher ob der eigenen guten Manieren und hofft, das feine Teeservice aus geschwungenem Porzellan nicht plump in der Hand zu halten. Fotograf Jacques Toffi, der Rosemarie Springer gegenübersitzt, formuliert es treffend: „Schönheit ist vergänglich, aber Anmut ist das, was einen Menschen bis ins hohe Alter so interessant und attraktiv macht – nicht nur auf Fotos.“ Wenn auf jemanden das etwas antiquierte Wort Anmut passt, dann ist es Rosemarie Springer.

Draußen im Garten dreht Bruno derweil seine letzte Runde. Rosemarie Springer blickt ihm hinterher. „Ich habe meinen Erfolg nicht genug genossen. Daran muss ich oft denken, wenn ich Zeit für mich habe. Es wäre schön, wenn das die Generalprobe gewesen wäre und es jetzt noch einmal richtig losginge.“

Laura Becker

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