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Parasitenkontrolle

Wenn der Wurm drin ist

Seit einigen Jahren beschäftigt Parasitologen, Tierärzte und auch Pferdebesitzer ein Problem: Würmer werden zunehmend resistent gegen die verfügbaren Wirkstoffe in Wurmkuren, doch
Alternativen sind nicht in Sicht. Was ist zu tun?

Regelmäßiges Abäppeln der Weide, am besten alle zwei bis drei Tage, hält den Parasitenbefall in Schach. Foto: A. Bronkhorst

Das Problem der zunehmenden Immunität von Endoparasiten (also solche, die im Pferd leben) gegen die gängigen Wurmkur-Wirkstoffe ist bereits seit längerem bekannt. Aber geändert hat sich bislang nichts an der Situation, wie einer der führenden Parasitologen Deutschlands, Prof. Dr. Georg von Samson-Himmelstjerna von der Freien Universität Berlin, sowie sein Kollege Dr. Gotthard Ilchmann beklagen: „Man muss sagen, die Situation hat sich leider nicht entschärft.“ Und in absehbarer Zeit wird es keine neuen Wirkstoffe geben. „Genau kann man das zwar nicht sagen, schließlich lassen die Pharma-Firmen sich nicht in die Karten schauen“, wirft Prof. Georg von Samson-Himmelstjerna ein. „Aber es sieht nicht so aus, als würde sich in dem Bereich etwas tun.“ Außerdem, selbst wenn jetzt mit der Entwicklung begonnen würde, gingen mindestens zehn Jahre ins Land, ehe das Produkt marktreif wäre. Die letzte Innova­tion aus dieser Richtung waren in den 1980er-Jahren die makrozyklischen Lactone (ML, besser bekannt als die Wirkstoffe Ivermectin und Moxidectin). Obwohl diese lange Zeit als die ultimative Waffe im Kampf gegen Parasiten galten, weiß Prof. von Samson-Himmelstjerna inzwischen auch hier von einem Fall zu berichten, bei dem vier Pferde eines Betriebs mit MLs gegen Pfriemenschwänze behandelt werden sollten – vergeblich, die Medikamente wirkten nicht.

Was wann wogegen?

April/Mai: Rundwürmer (Kleine und Große Strongyliden, Spulwürmer, Zwergfadenwürmer), Wirkstoff: Ivermectin, Pyrantel

Juni/Juli/August: Rundwürmer, Wirkstoff: Ivermectin, Moxidectin, Pyrantel, Benzimidazol (aber Vorsicht: Resistenzgefahr! Bei Benzimidazole hat man schon lange festgestellt, dass die Wirkung nicht immer zufriedenstellend ist. Prof. von Samson-Himmelstjerna berichtet außerdem von jüngsten Beobachtungen, bei denen Pfriemenschwänze nicht auf Ivermectin und Moxidectin ansprachen.)

September/Oktober: Rund- und Bandwürmer, Wirkstoff: Ivermectin, Praziquantel

November: Rund- und Bandwürmer, Magendasseln, Wirkstoff: Ivermectin, Praziquantel, Moxi-dectin

Achtung: Egal, ob als Paste, Pellets, Gel oder in Tablettenform – wichtig ist, dass die Wurmkur ausreichend hoch dosiert wird! Um das genaue Gewicht seines Pferdes zu ermitteln, gibt es inzwischen spezielle Serviceanbieter, z.B. www.pferdewaage.de.

Von der regelmäßigen Entwurmung einmal im Quartal raten die Experten seit langem ab. Stattdessen lieber Kotproben untersuchen lassen und bei Parasitenbefall dann selektiv  entwurmen.  Foto: A. Bronkhorst

Palisadenwürmer (Strongyliden)  im Kot – kein  schöner Anblick.  Foto: A. Bronkhorst

Weniger Wurmkuren

Als man das Problem der fortschreitenden Resistenzentwicklung erkannte, forderte man ein Umdenken beim Parasitenmanagement: weg von den strategischen Entwurmungen, hin zu einem alternativen Konzept, bei dem nicht mehr alle Pferde eines Betriebs pauschal mit demselben Mittel zur selben Zeit behandelt werden, sondern nur diejenigen, bei denen man nach vorangegangener Untersuchung auch tatsächlich Parasiten feststellen konnte. Das Ganze nennt sich „zeitgemäße (+Selektive) Entwurmung“. Der Begriff wurde in Deutschland und der Schweiz geprägt und ist gewissermaßen die erweiterte Form der bereits in den 1990er-Jahren in Dänemark praktizierten Selektiven Entwurmung. Diese bezog sich ausschließlich auf die kleinen Strongyliden, während die zeitgemäße Entwurmung alle fürs Pferd relevanten Endoparasiten berücksichtigt. Dies sind: Kleine und Große Strongyliden, Spulwürmer, Bandwürmer, Zwergfadenwürmer, Pfriemenschwänze und Larven der Dasselfliege.

Das Prinzip der zeitgemäßen Entwurmung ist einfach: Mittels Eizählung in Kotproben werden diejenigen Pferde eines Bestandes ermittelt, die „starke Ausscheider“ sind, deren frischer Kot also 200 Eier (EpG) und mehr pro Gramm aufweist. Im ersten („Monitoring“-)Jahr wird alle 42 bis 60 Tage beprobt. Danach können die Intervalle auf ungefähr 90 Tage ausgedehnt werden. Starke Ausscheider werden mit einer entsprechenden, vom Tierarzt verordneten Wurmkur behandelt. Anschließend wird der Erfolg mittels eines Eizahl-Reduktions-Testes (EZRT) kontrolliert. Gegebenenfalls muss nachbehandelt werden. Der Schwellenwert von >200 EpG bezieht sich auf Strongyliden. Bei allen anderen Parasiten gilt: Wurmkur, sobald ein positiver Befund vorliegt! Und wenn auch nur ein einziges Pferd einen positiven Bandwurmbefund hat, muss der gesamte Bestand behandelt werden.

Nur 30 Prozent

Das Ziel ist, dass nur tatsächlich behandlungsbedürftige Pferde eine Wurmkur bekommen, erklärt Dr. Marcus Menzel, Tierarzt aus Bayern, der seine Doktorarbeit zum Thema zeitgemäße (+Selektive) Entwurmung am Lehrstuhl für vergleichende Tropenmedizin und Parasitologie der Veterinärmedizinischen Fakultät an der LMU München unter Betreuung des renommierten Parasitologen Prof. Dr. Kurt Pfister geschrieben hat. Bei diversen Studien zur zeitgemäßen (+Selektiven) Entwurmung habe man herausgefunden, dass maximal 30 Prozent aller erwachsenen Pferde wirklich behandelt werden müssen, fährt Dr. Menzel fort. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass bislang 70 Prozent aller Pferde unnötigerweise entwurmt wurden. Ließe man diese 70 Prozent nun unbehandelt – was ohne gesundheitliche Risiken sei, versichert er – kämen weniger Parasiten mit den Wirkstoffen in Kontakt und die Chance , dass sie Resistenzen entwickeln, würde sinken (siehe Kasten). Menzel erklärt: „Das unspezifische Entwurmen wurde in den 1960er-Jahren im Kampf gegen die Großen Strongyliden angewendet und war damals sehr erfolgreich. Doch dann hat man es ungeprüft weitergeführt und auf alle anderen für Pferde relevanten Endoparasiten übertragen.“ Das wirft zweierlei Probleme auf: zum einen die zunehmenden Resistenzen, zum anderen die Belastung des Pferdekörpers mit einem Medikament, von dem gar nicht sicher ist, dass es tatsächlich gegen die Parasiten hilft. Dr. Menzel: „Die Tierärztliche Hausapothekenverordnung fordert, dass wir eine Diagnose stellen, behandeln und dann den Erfolg der Behandlung kontrollieren. In der Praxis sieht es anders aus. Da werden seit Jahren unhinterfragt immer die gleichen Wurmkuren gegeben, ohne ein einziges Mal zu überprüfen, ob sie überhaupt wirken.“

Auch Antje Elzer, Leiterin eines Betriebes mit 50 Pferden aller Altersgruppen, hörte von der Resistenzproblematik und der neuen Art der Parasitenkontrolle. Nachdem sie damit bei ihren Haustierärzten auf taube Ohren stieß („Für die 20 Euro für die notwendigen Untersuchungen kannst Du ihnen auch gleich eine Wurmkur reindrücken.“), wandte sie sich an Dr. Marcus Menzel. Bis dato wurden auch bei ihr die Pferde strategisch alle drei Monate entwurmt. Fortan richtete sie sich nach Dr. Menzels Anweisungen und schickte die ersten Kotproben ihrer Pferde ein, die eigentlich alle fit und gut im Futter waren. Alle, bis auf ein junger Friese, der sich nicht recht entwickeln wollte, wie Elzer beschreibt. Dieser Friese ist ein Beispiel dafür, dass die regelmäßige Wurmkur nicht automatisch vor übermäßiger Parasitenbelastung schützt, denn bei der Kotuntersuchung stellte sich heraus, dass er „trotzdem total verwurmt“ war. Und zwar mit einer besonderen Spezies, der mit den gängigen Präparaten nicht beizukommen war. Also wurde das Pferd gezielt behandelt. Antje Elzer: „Wir konnten zusehen, wie sein Allgemeinzustand sich besserte.“

Verwurmt und hochgradig vernachlässigt ist dieses Pferd. So schlimm muss es nicht kommen, schon ein stumpfes und struppiges Fell ist ein Alarm­signal für hohen Parasitendruck.  Foto: A. Bronkhorst

So entstehen Resistenzen

Dr. Gotthard Ilchmann: „Es hat schon immer einzelne Würmer gegeben, die immun gegen die Wirkstoffe sind. Diese waren aber klar in der Minderheit gegenüber der nicht resistenten Population. Je öfter man aber mittels Wurmkur die empfindlichen Würmer abtötet, desto rascher vermehren sich die unempfindlichen. Für die Pferdegesundheit ist es auf Dauer also von entscheidender Bedeutung, dass genügend empfindliche Würmer überleben.“

Schwachstellen?

In der „Pferdeheilkunde“ 2/2011 geben Prof. Georg von Samson-Himmelstjerna, Dr. Gotthard Ilchmann und weitere namhafte Experten „Empfehlungen zur nachhaltigen Kontrolle von Magen-Darmwurminfektionen beim Pferd in Deutschland“. Auch ihnen geht es darum, Resistenzen durch Selektive Entwurmung vorzubeugen. Allerdings warnen sie auch vor Schwachstellen des Konzepts. Schwachstellen, die jedoch an anderen Lehrstühlen widerlegt wurden, wie Dr. Marcus Menzel einwirft. Auszüge einer Debatte:

Kritikpunkt 1:

Die Wurmeier im Kot sind ungleichmäßig verteilt. Es könnte also passieren, dass man eine Handvoll mit vielen oder auch mit wenigen Würmern erwischt, der Befund dann aber nicht unbedingt die Realität widerspiegelt. Zudem werden die Wurmeier nicht kontinuierlich ausgeschieden.

Dr. Marcus Menzel hält dagegen: „Es gibt inzwischen Studien, in denen mehrfach eine sogenannte ,egg shedding consistency’ (also eine gleichmäßige Eiausscheidung) nachgewiesen wurde.“

Kritikpunkt 2:

Pferde können hochgradig verwurmt sein, scheiden jedoch nur wenige Eier aus. Professor Dr. Thomas Schnieder von der Tierärztlichen Hochschule Hannover berichtete 2011 von Studien, die dies belegen. Blieben diese Pferde unbehandelt, würde das eine Gesundheitsgefährdung (Koliken, irreparable Organschäden, schlimmstenfalls Tod) bedeuten. Langfristig gesehen führt die zeitgemäße (+Selektive) Entwurmung allerdings insgesamt zu einer Verringerung der Parasitenbelastung, weil die starken Ausscheider die Flächen weniger verschmutzen.

Dr. Marcus Menzel als Verfechter der zeitgemäßen (+Selektiven) Entwurmung widerspricht Prof. Thomas Schnieder: „Wir sind dagegen, aus blinder Angst den Pferden sinnlos Medikamente zu verabreichen! Egal bei welcher Strategie, ein Restrisiko bleibt. Und aus der Erfahrung heraus kann ich sagen: Wir kontrollieren seit einigen Jahren rund 5.000 Pferde. Von denen ist noch keines an den Folgen einer Verwurmung gestorben.“ Außerdem weist Dr. Menzel darauf hin, dass ein geringgradiger Wurmbefall – wie er unausweichlich ist – für die Pferde keinerlei gesundheitliche Beeinträchtigung bedeutet. Im Gegenteil, das Immunsystem werde dadurch angeregt. Jedoch betont er auch, dass definitiv entwurmt werden muss, wenn die Untersuchungsergebnisse den Schwellenwert überschreiten – und zwar mit einem vom Tierarzt verordneten Medikament, keinesfalls mit Kräutern!

Kritikpunkt 3:

In der Praxis wird es aus logistischen Gründen nicht möglich sein, Proben von jedem einzelnen Tier zu nehmen. Auch wäre der finanzielle Aufwand zu groß.

Aber: Die Erfahrungsberichte der Kunden von Dr. Marcus Menzel entkräften dies. Jolene Martz, die zusammen mit ihrer Familie einen Pensionsbetrieb in Norddeutschland führt, sagt beispielsweise: „Sicher ist das Verfahren etwas aufwändiger, als jedem einfach eine Wurmkur zu verpassen. Aber das nehmen wir gerne in Kauf. Diese regelmäßige Chemiekeule war uns schon lange ein Dorn im Auge. Das Konzept mit Diagnose, Behandlung und Kontrolle hat uns alle überzeugt.“ Und was das Finanzielle angeht, hat man eine einfache Lösung gefunden, um Gerechtigkeit zu schaffen für diejenigen Pferdebesitzer, deren Vierbeiner regelmäßig zu den „Viel-Ausscheidern“ zählen. Alle zahlen etwas mehr für die Untersuchung der Kotprobe und aus dem Überschuss werden die notwendigen Wurmkuren finanziert. Erste Erfolge konnten alle angesprochenen Betriebe melden: Wenn sich der Gesundheitszustand der Pferde verändert hat, dann zum Positiven. Auch bestätigen sie, dass der Einsatz im ersten, dem Kategorisierungsjahr, in dem festgestellt wird, welche Pferde zu den Viel-Ausscheidern gehören, zwar am größten ist, da hier vier Proben genommen werden müssen. Danach werde es aber entspannter. Mittlerweile habe sich eine Routine eingestellt.

Pfriemenschwänze setzen ihre Eier meist am After des Pferdes ab und sorgen für Juckreiz. Ein abgescheuerter Schweif und Ekzeme in dem Bereich sind sichere Indizien für den Befall. Foto: A. Bronkhorst

Fohlen infizieren sich über die  Muttermilch mit Zwergfadenwürmern. Innerhalb der ersten beiden Wochen nach der Geburt wird eine Entwurmung  gegen diese Parasiten empfohlen.  Foto: A. Bronkhorst

Spezialfall Jungpferde

Junge Pferde haben noch keinen ausgeprägten Immunschutz. Deshalb muss man ihnen besondere Aufmerksamkeit widmen. Insbesondere der Spulwurm ist ein Problem im Jungpferdestall. Wenn man ihn im Betrieb hat, wendet man sich am besten an eine Universität mit parasitologischem Lehrstuhl, rät Dr. Gotthard Ilchmann. Hier kann man dann individuell zugeschnittene Konzepte entwickeln, wie dem Problem beizukommen ist. Grundsätzlich könne aber mit dem Monitorieren (also der regelmäßigen Untersuchung der Kotprobe) schon im Fohlenalter begonnen werden, wenn die Betriebssituation es zulässt, sagt Dr. Marcus Menzel. Bei drei bis vier Pferden und deren Fohlen wäre das beispielsweise möglich. Menzel bestätigt, dass Jungtiere bis zu zwei Jahren häufiger beprobt werden müssen als ausgewachsene Pferde.

Hygienemaßnahmen zur Parasitenkontrolle

Auf der Weide:

Regelmäßiges Abäppeln (alle zwei bis drei Tage)
Geringe Besatzdichte (ideal: zwei Pferde pro Hektar)
Regelmäßiger Weideumtrieb
Wechselbeweidung mit Rindern
Zwischendurch abmähen
Ausbringen von Kalkstickstoff im Frühjahr

Im Stall:

Tägliches Ausmisten
Keine Fütterung vom Boden aus
Keine Tiefboxen

Dies würde allerdings in einem großen Zuchtstall logistisch und finanziell ein Ding der Unmöglichkeit, weiß Menzel. Jedoch verweist er auf eine Vielzahl an Möglichkeiten, die allerdings immer individuell auf die Situation abgestimmt werden müssen. Auch Prof. von Samson-Himmelstjerna ist der Meinung, dass man von den vier- bis sechswöchigen Behandlungen wegkommen müsse. Sein Kompromissvorschlag für Jungpferde: „Behandlung drei- bis viermal pro Jahr mit wechselnden Wirkstoffgruppen.“ Für erwachsene Pferde schlägt er zwei-, höchsten dreimaliges Entwurmen mit anschließender Kontrolle vor. Die erste Entwurmung sollte im Juni/Juli erfolgen. Im August sollte eine Kotprobe genommen werden. Wenn die Pferde sich infiziert haben, kann man dann gegebenenfalls noch einmal aktiv werden. Die nächste Wurmkur sollte die gegen Dasselfliegenlarven im Herbst sein, üblicherweise vor dem 6. Dezember. Allerdings ist die Dasselfliege nicht in ganz Deutschland verbreitet. Wo sie nicht ansässig ist, muss sie auch nicht bekämpft werden. Und wo kein Wurm erkennbar, da muss auch keine Wurmkur rein. Mit anderen Worten: „Viel hilft viel!“ war gestern. Heute muss das Motto in Sachen Parasitenmanagement lauten: „So viel wie nötig, so wenig wie möglich!“

Dominique Wehrmann

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