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Rio de Janeiro: Lebenslust unter tropischer Sonne

Fast im Postkarten-Look

Es lebt sich leicht unter südlicher Sonne – so die weitverbreitete europäische Meinung. Auf Rio de Janeiro scheint dies zuzutreffen – trotz aller Armut und Gewalt in den Favelas, trotz des Verkehrschaos und der löchrigen Infrastruktur. Was die PM-Reisegruppen und alle anderen Schlachtenbummler erwartet, hat Barbara Comtois erkundet.

Reitstadion in Deodoro Foto: B. Comtois

Schon der Anflug auf einen der gefährlichsten Flughäfen der Welt, eingezwängt zwischen Hochhäusern, dem Atlantischen Ozean und dem Zuckerhut, ist spektakulär. Postkartenmotive, wohin man blickt. Schnell vergisst man das Risiko und lässt sich hinreißen von atemberaubenden Aussichten auf weiße, spiegelnde Häuserfassaden, den tiefblauen Ozean, markante Felsformationen wie den Corcovado mit der Christus-Statue und eindrucksvoll hohe Berge, die Rio de Janeiro sprichwörtlich einrahmen. Dann, auf dem Boden der Tatsachen angekommen, wird indes schnell deutlich, dass die 14-Millionen Metropole auch Sorgen hat. Der krasse Unterschied zwischen arm und reich und die daraus erwachsenden Probleme sind sicher die größten davon. Wohlhabende, aufs Feinste gepflegte Wohnviertel wechseln sich ab mit sogenannten Armutsvierteln und Favelas. Aber auch in den ärmeren Gegenden ist in den letzten Jahren viel unternommen und investiert worden. Sanierungs- und Umsiedlungsprogramme, Aufbau kommunaler Infrastruktur wie Schulen und Krankenhäuser und die mit Entschiedenheit voran getriebene Eindämmung der Drogenkriminalität zeigen Wirkung. Schon jetzt sind einige Favelas wie die von Rocinha sicher geworden und für Touristen zugänglich. Durch die Einführung von Bodentiteln ist nun auch Grunderwerb möglich. Von diesem Recht sollen sogar auch einige Bundesbürger Gebrauch gemacht haben, die bereits mitten in der Favela in 1A Lagen mit Blick auf den Zuckerhut schmucke Häuschen errichtet haben.

Der legendäre Strand von  Ipanema. Foto: B. Comtois

Spricht man mit Brasilianern, ist diesen wichtig zu betonen, dass Cariocas – so nennen sich die Bewohner von Rio selbst – überaus liebenswerte, aufgeschlossene und gastfreundliche Menschen sind, die sich für sich selbst ein „easy living“ wünschen. Und natürlich, dass die Olympischen Spiele zu einem großen Erfolg werden und sich die Welt in Rio wohlfühlt. Dazu sind sie zum jetzigen Zeitpunkt bereit, auch Nachteile in Kauf zu nehmen. Allem voran beim Ausbau des Verkehrsnetzes. Kaum kann man 500 Meter im Stadtgebiet fahren, schon behindert eine der unzähligen Baustellen die Weiterfahrt. Dort sollen derzeit 9.000 Personen beschäftigt sein, die Stadt olympiatauglich zu machen. Man muss geduldig sein beim Autofahren – und mutig zugleich. Oder man nimmt direkt öffentliche Verkehrsmittel. Die U-Bahn funktioniert mindestens ebenso gut wie die Pariser Metro. Am wichtigsten ist aber der Bus. Busse fahren ständig, kommen überall hin, sind selten überfüllt und deutlich schneller als andere Verkehrsteilnehmer. Dort, wo es bereits Sonderspuren für Busse und Einsatzfahrzeuge für Polizei und Krankenwagen gibt, fahren sie an den Staus vorbei. Viele dieser Sonderspuren sind derzeit noch im Bau und sollen 2016 für ein problemloses Erreichen vor allem auch der Zone „Deodoro“ sorgen, wo die Reit-Wettbewerbe stattfinden.

„Easy living“ wird derzeit weniger im Straßenverkehr als zu anderen Gelegenheiten praktiziert. Zum Beispiel beim entspannten Kokoswasser-Drink (Strohhalm in junge Kokosnuss gebohrt: köstlich und gesund) an einem der zahlreichen Stände auf den Sandstränden von Copacabana, Ipanema und Leblon oder als Dolce Vita beim abendlichen Sonnenuntergang, zu dem sich Hunderte, vielleicht Tausende Cariocas an gerade angesagten Küstenabschnitten einfinden und bei Drinks und Unterhaltung den Tag ausklingen lassen.

„Chinesische Aussicht“ im Nationalpark da Tijuca. Foto: B. Comtois

Auch wer den berühmten Samba kennenlernen möchte, kommt auf seine Kosten. In zahlreichen Samba-Clubs kann man sich auch außerhalb der Karnevalszeit von der Feurigkeit des Tanzes (und der Tänzerinnen) überzeugen. Natürlich bei einem Caipirinha, dem flüssigen Exportprodukt Brasiliens, das auch in Europa viele Freunde gefunden hat. Wer genug getanzt und getrunken hat, kann bei einer Fahrt durch den mitten in Rio gelegenen Nationalpark „da Tijuca“ die heimische Pflanzen- und Tierwelt kennenlernen. Auf einer einzigen, kurvenreichen Straße durchquert man das Tropenparadies und bewundert Wasserfälle, Baumriesen, Bambusdickichte, farbenprächtige Blüten und exotisch anmutende Vögel.

Und die Pferde?

Ein Pferdeland par excellence ist die Region um Rio de Janeiro sicher nicht. Zu begrenzt ist die kleine Landfläche zwischen hohem Gebirge und zerklüfteter Küstenlinie, zu extrem sind die Temperaturen, zu teuer ist die Haltung eines Pferdes, als dass die Reiterei zu einem Sport der breiten Masse werden könnte. Reiten ist eben nicht Fußball. Pferdesport wird aber intensiv betrieben von einer besser betuchten Bevölkerungsgruppe, die sich ihre Leidenschaft auch etwas kosten lässt. An den schönsten Stellen Rios findet man clubähnliche Anlagen – etwa nach dem Vorbild britischer „Country-Clubs“ – mit großzügigen Sportanlagen und vornehmen Lounges, in denen man Seinesgleichen trifft und vorzüglich speisen kann.

Ein solcher Club ist zum Beispiel die „Sociedade Hippica Brasileira“ direkt an dem sogenannten „Lagoa“ – ein Binnensee – gelegen mit mehreren Reitplätzen, einer lichtdurchfluteten Reithalle im Kolonialstil und Stallungen für Pferde. Frankreich hat rechtzeitig die Vorzüge und den Charme dieser außergewöhnlichen Anlage erkannt und sie zum „Französischen Haus“ während der Olympischen Spiele erkoren, wohlgemerkt für alle Sportarten, nicht nur für die Disziplinen des Pferdesports.

Favelas am Rande der Metropole Rio. Foto: B. Comtois

Gleich daneben liegt der „Jóquei Clube Rio de Janeiro“, der Jockey Club mit Rennbahn, eindrucksvollen Gebäuden und Tribünen aus der Kolonialzeit, aber auch schicken, modernen Restaurants und Nachtclubs. Auch hier gilt das Gesehenwerden als mindestens so wichtig wie das Zusehen. Während der Olympischen Spiele dient der Jockey Club als Eventlocation und Athletentreff. Überhaupt begeistert der Rennsport zahlreiche Brasilianer. Wöchentlich finden zwei Renntage statt, einmal im Jahr sogar ein hochdotiertes Gruppe-I Rennen. Im Jockey Club werden ständig bis zu 2.500 Pferde trainiert, die gleiche Anzahl Boxen findet sich auf dem weitverzweigten Gelände und bildet fast „ein Dorf in der Stadt“.

Weitere hochmoderne Trainingsstätten finden sich im gebirgigen Umland von Rio. In dem auf rund 1.000 Meter hoch gelegenem Berg- und Waldgebiet heben etliche wohlhabende Brasilianer ihre Anwesen errichtet, die zumeist am Wochenende aufgesucht werden. Trainingsställe für Springpferde, für Galopper und Reitanlagen, in denen sich die Anwohner zu kleinen Turnieren treffen, wechseln sich dort ab. Eine reizvolle, anders als die europäische Pferdewelt funktionierende Gemeinschaft kann man so kennenlernen.

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