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Je häufiger und ausgiebiger die Pferde Weidegang genießen, desto geringer wird das Verletzungsrisiko. Viel wahrschein­licher sind gesundheitliche Schäden, die durch mangeln­de freie Bewegung in Boxenhaft entstehen. Foto: Frank Sorge

Gesundheitsvorsorge: Erste Hilfe beim Pferd

Für den Fall des (Un)Falles

Wie verhalte ich mich richtig, wenn mein Pferd sich verletzt hat? Was sind Notfälle, die vom Tierarzt versorgt werden müssen? Was tun bei einer Kolik? Oder bei Fieber? Dr. Peter Richterich, Tierarzt und Pferdezüchter aus dem Landkreis Warendorf, gibt Antworten.

Erste Hilfe-Maßnahmen können im Ernstfall Leben retten. Nicht umsonst muss jeder zukünftige Autofahrer vor seiner Führerscheinprüfung die erfolgreiche Teilnahme an einem Erste Hilfe-Kurs nachweisen können. Um Pferdebesitzer zu werden, braucht man weder das eine noch das andere. Umso wichtiger, sich freiwillig mit diesem Thema auseinander zu setzen. Erste Hilfe-Maßnahmen können bei Verletzungen notwendig werden, aber auch bei allergischen Reaktionen, Koliken und Ähnlichem. Manche kleineren gesundheitlichen Probleme des Pferdes kann man als Pferde-besitzer auch selbst in den Griff bekommen, ohne den Tierarzt zu rufen. Wichtig ist es aber zu erkennen, wo die Grenzen des eigenen Könnens liegen. Ein Überblick.

Eine kleine Schürfwunde sollte man mit klarem Leitungs­wasser auswaschen und mit einem Desinfektionsmittel behandeln. Das reicht in der Regel aus. Foto: Arnd Bronkhorst

Kleine Stallapotheke

Hilfreiche Utensilien für die Erstversorgung des Pferdes:

  • Mehrere frisch gewaschene Handtücher, egal ob aus Leinen oder Frottee
  • Saubere Bandagen
  • Betaisodona-Lösung oder ein anderes mildes Desinfektionsmittel
  • Wundspray für Abschürfungen
  • Ein funktionierendes Fieberthermometer, am besten speziell für Großtiere

Verletzungen

Die Faustregel bei Verletzungen ist laut Dr. Peter Richterich diese: Wenn die Verletzung so tief ist, dass man die Muskelschicht sehen kann (die Hautschicht also komplett durchtrennt ist) und/oder sie deutlich blutet und auch nach dem Säubern immer wieder nachblutet, sollte auf jeden Fall ein Tierarzt gerufen werden. Denn in so einem Fall besteht die Gefahr, dass sich eine Tasche bildet, die sich unter Umständen entzündet. Auch sollte ein Fachmann zu Rate gezogen werden, wenn die Wunde in der Nähe eines Gelenks liegt, denn wenn dieses sich infiziert, hat man ein großes Problem. Dasselbe gilt für Verletzungen am Kopf, die mehr sind als nur eine Hautabschürfung. Auch hier muss unbedingt ein Tierarzt her, da am Kopf viele Nervenbahnen verlaufen und abgeklärt werden muss, ob auch der Knochen betroffen ist. Schürfwunden sind üblicherweise kein Notfall. Man kann sie gut mit einem handelsüblichen Desinfektionsspray (beispielsweise jodhaltig) behandeln. So wird die Wunde ausgetrocknet und die Granulation, also die Bildung von neuem Gewebe, gefördert und damit die Heilung begünstigt.

 

Saubere Umgebung

Die Vorgehensweise wäre daher wie folgt: Schritt eins beim Entdecken einer Wunde wäre es, das Pferd in eine saubere, ruhige Umgebung zu bringen und Aufregung fernzuhalten. Schritt zwei ist die Entscheidung, ob ein Tierarzt her muss oder nicht, siehe oben. Fällt die Entscheidung, dass der Veterinär die Wunde behandeln soll, gilt es, zuerst zu telefonieren und dann sicherzustellen, dass er für die Versorgung der Wunde sauberes Wasser zur Verfügung hat.

Das klingt banal, ist aber von großer Bedeutung, betont Dr. Richterich: „Ich erlebe es häufig, dass ich ein verletztes Pferd auf der Weide behandeln soll und bei der Frage nach Wasser auf das unter Umständen schon mit Algen bewachsenen Tränkebecken verwiesen werde. Um eine Wunde zu reinigen, braucht man aber sauberes Wasser, entweder direkt aus der Leitung, oder wenn das eben aufgrund der Ortslage nicht geht, tut es auch eine Flasche Wasser von der Tankstelle. Die sollte besorgt werden, ehe der Tierarzt eintrifft. Sonst geht wertvolle Zeit ins Land.“

Wenn möglich, empfiehlt Dr. Richterich die Wunde, bis der Tierarzt eintrifft, mit einem sanften Wasserstrahl zu reinigen (unbedingt darauf achten, dass das Wasser dabei aus der Leitung und nicht aus einem Brunnen kommt – Keimgefahr!) und anschließend mit einem frisch gewaschenen Handtuch (siehe Kasten „Kleine Stallapotheke“) abzutupfen. Man kann beim ersten Spülvorgang die Wunde auch mit einem jodhaltigen Desinfektionsmittel wie beispielsweise Betaisodona auswaschen (es sei denn, es besteht die Gefahr, dass der Knochen betroffen ist), sollte danach aber auf jeden Fall mit klarem Wasser nachspülen, damit man beurteilen kann, ob die Blutung zum Stillstand kommt. Da Betaisodona eine bräunliche Färbung hat, kann es sonst zu Fehlinterpretationen kommen. Liegt die Wunde an den Gliedmaßen, kann auch ein Druckverband gemacht werden. Auch hierfür eignet sich am besten ein sauberes Handtuch aus Frottee oder Leinen, das man beispielsweise mit einer Transportgamasche befestigen kann. Man kann aber auch eine gewöhnliche Stallbandage nehmen. Zu beachten ist dabei, dass Handtuch und „Verpackungsmaterial“ in dieselbe Richtung ums Pferdebein gewickelt werden. Dann hält der Verband besser und es gibt keine Falten. Dr. Peter Richterich ist übrigens der Ansicht, dass es wenig Sinn macht, als Laie mit Mullbinden etc. einen wirklichen Wundverband anlegen zu wollen: „Das muss man gelernt haben! Wenn die Wunde so schlimm ist, dass ein solcher Verband notwendig ist, muss ohnehin der Tierarzt kommen und sie versorgen. Und bis dieser eintrifft, tut es auch der oben beschriebene leicht anzulegende Notverband.“

Bei Stichverletzungen, beispielsweise durch einen Ast, den das Pferd sich in den Körper gerammt hat, sollte man sofort den Tierarzt rufen, das Pferd möglichst ruhig halten und die Wunde in Ruhe lassen. Nur der Tierarzt kann entscheiden, ob der Gegenstand mit einem chirurgischen Eingriff stationär in der Klinik entfernt werden muss. Bei Nageltritten am Huf gilt es abzuwägen – hängt das Eisen schief am Huf, sollte man vorsichtig versuchen, es zu entfernen. Hat das Pferd sich hingegen einen spitzen Gegenstand in den Huf gerammt, sollte man den Tierarzt rufen und ihm die Behandlung überlassen. Denn er muss wissen, in welchem Winkel und wie tief der Gegenstand ins Gewebe eingedrungen ist, um adäquat weiterbehandeln zu können.

Keine Frage, bei einer so stark bluten­den Verletzung muss der Tierarzt her! Foto: Frank Sorge

Eine solche Phlegmone ist ein Fall für den Tierarzt! Foto: Arnd Bronkhorst

„Dickes Bein“

Es kann schon mal passieren, dass man eine kleine Wunde übersieht und das Pferd einen sogenannten Einschuss bekommt, also ein massiv angelaufenes Bein. In der Fachsprache nennt man das Phlegmone. Wenn die Schwellung über zwei Gelenke hinausreicht, also beispielsweise über das Fessel- und das Karpalgelenk, dann sollte sich ein Tierarzt die Sache ansehen. Ansonsten hilft es, das betroffene Bein rund 10 bis 20 Minuten mit fließendem kalten Wasser zu kühlen und das Pferd dreimal täglich 20 bis 30 Minuten zu führen, damit die angestaute Lymphflüssigkeit abtransportiert wird. Auch ein Rivanol-Angussverband (nur bei Nicht-Schlachtpferden!) tut hier gute Dienste. Das Anlegen eines korrekten Verbandes sollte aber auch hier gekonnt sein. Lahmt das Pferd jedoch zusätzlich und bleibt das Bein länger als zwei Tage so dick, sollte man sich ebenfalls Rat beim Fachmann holen. Dasselbe gilt, wenn das Pferd zusätzlich Fieber hat.

 

Lahmheiten

Manchmal haben Pferde sich tatsächlich einfach vertreten und gehen deshalb unklar. Das Problem hat sich üblicherweise nach spätestens zwei Tagen von selbst erledigt. In dieser Zeit sollte das Pferd Boxenruhe haben. Ist die Lahmheit nach zwei Tagen immer noch sichtbar, sollte der Tierarzt zu Rate gezogen werden. Das gilt auch für den Fall, dass die Lahmheit beispielsweise in der direkten Folge eines Sturzes auftritt. In diesem Fall muss überprüft werden, ob nicht etwa die Knochen betroffen sind. Hat man es mit einer Schwellung in Verbindung mit einer Lahmheit zu tun, gilt es zuerst auszuschließen, dass eine Verletzung die Ursache ist, siehe oben. Ist das nicht der Fall kann es sich um eine Weichteilverletzung handeln, die sich der Tierarzt ansehen und gegebenenfalls mit einem Ultraschallgerät untersuchen sollte. Erste Hilfe-Maßnahmen wären hier kühlen mit einem Wasserschlauch (da darf es dann auch Brunnenwasser sein!), Auftragen von Heparin-haltigen Gels wie beispielsweise Tensolvet oder – bei Nicht-Schlachtpferden – beispielsweise auch ein Rivanolverband. Auch in diesem Fall gilt: Boxenruhe!

Dass Pferde beim Freilaufen ausrutschen, kann passieren. Wenn sie danach lahmen, sollten sie vom Tierarzt untersucht werden. Foto: Frank Sorge

Sich selbst gegen den Bauch zu treten, ist ein typisches Kolikanzeichen für Pferde. Bis der Tierarzt eintrifft, sollten sie geführt werden. Foto: Frank Sorge

Hilfe, ein Hufgeschwür!

Wenn das Pferd von einem Tag auf den anderen massiv lahm geht, ohne dass eine offensichtliche Ursache wie etwa ein Sturz auszumachen ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Pferd ein Hufgeschwür hat. Häufig kann auch vom Laien ein deutliches Pulsieren der Gefäße am Fesselkopf gefühlt werden. Wenn man z.B. aus dem Büro in den Stall kommt und entdeckt dieses am Abend, reicht es auch noch, den Tierarzt für den nächsten Tag zu bestellen. Ein feuchter Hufverband, z.B. mit einer Windel, kann die Reifung des Geschwürs deutlich beschleunigen.

 

Koliken

Koliken, also krampfartige Bauchschmerzen, kommen beim Pferd recht häufig vor und sind eine potenzielle Todesgefahr. Sie sollten daher nie auf die leichte Schulter genommen werden und wenn man sich als Pferdebesitzer unsicher ist, gilt: Im Zweifelsfall den Tierarzt lieber einmal zu viel als zu wenig rufen! Bei heftigen Anzeichen einer Kolik – Schwitzen, Unruhe, Aufstampfen, hektisches Wälzen etc. – gilt es keine Zeit zu verlieren! Hier muss der Doc sofort kommen!

Bei milden Symptomen, die auf leichte Schmerzen hindeuten – mangelnder Appe-tit, Teilnahmslosigkeit, vielleicht gelegentliches Umdrehen zum Bauch –, rät Dr. Richterich, die Pferde 30 bis 45 Minuten zu führen und sie dann wieder in der Box zu beobachten. Zeigen sie weiterhin Anzeichen von Unwohlsein, muss ein Tierarzt kommen.

Richterich wird häufig die Frage gestellt, ob man die Pferde wälzen lassen soll oder nicht. Tatsächlich wird eine gefürchtete Darmverschlingung aber nicht durch das Wälzen verursacht. Wenn, bestand die Darmverschlingung schon vorher und das ist der Grund, weswegen das Pferd sich hinwirft. Daher sollte man dem Pferd gestatten, diejenige Position einzunehmen, in der es die Schmerzen am besten erträgt. Wenn die Pferde sehr starke Schmerzen haben, bringt man sie am besten in die Reithalle, wo sie Platz haben und sich wälzen können, ohne die Gefahr, sich dabei zu verletzen. Apropos verletzen, Richterich betont: „Die Gesundheit des Menschen geht vor!“ Gerade bei Pferden, die vor Schmerzen – verständlicherweise – ganz außer sich sind, muss man vorsichtig sein. Auch, wenn man ihnen noch so gerne helfen möchte.

Der Tierarzt rät übrigens davon ab, als Pferdebesitzer auf eigene Faust das sehr beliebte Mittel Colosan zu geben. „Bei sehr leichten Koliken kann es helfen. Dennoch sollte man bis zum Eintreffen des Tierarztes als Pferdebesitzer keine Selbstmedika-tion betreiben!“

Auch bei der Schlundverstopfung hilft es, das Pferd zu führen und sogar anzutraben, bestenfalls löst sich die Futteransammlung in der Speiseröhre dann von selbst. Zusätzlich sollte die Speiseröhre (unterer Teil des Halses) massiert werden. Das kann man im Wechsel machen, also führen, massieren, führen, massieren.

Ein typisches Bild bei Nesselfieber. Wenn das Pferd zudem appetitlos ist und erhöhte Temperatur hat, sollte man den Tierarzt rufen. Ansonsten hilft erst einmal kaltes Wasser. Foto: Arnd Bronkhorst

Richtig Fieber messen

Das Fieberthermometer muss unbedingt weit genug in den  Anus des Pferdes eingeführt werden. Hält man das Thermometer dann noch vorsichtig etwas schräg an die Wand der Schleimhaut, erhält man realistische Messwerte. Direkt nachdem das Pferd geäppelt hat, sollte kein Fieber gemessen werden. Luft im Rektum führt zur Verfälschung der Temperatur.

Mattigkeit kann, muss aber nicht auf eine beginnende Erkrankung hindeuten. Hat das Pferd allerdings zudem erhöhte Temperatur und frisst schlecht, muss der Tierarzt gerufen werden. Foto: Frank Sorge

Allergische Reaktionen

Manchmal reagieren die Pferde auf Insektenstiche allergisch. Oder sie wälzen sich auf der Weide in Pflanzen, auf die sie reagieren. Dann kann es zu allergischen Reaktionen kommen, beispielsweise Nesselfieber. So lange das Pferd weiterhin frisst und kein richtiges Fieber (zum korrekten Fieber messen beim Pferd: siehe Kasten), also erhöhte Temperatur hat, ist Nesselfieber kein Notfall. Man sollte die betroffenen Stellen unter fließendem Wasser kühlen. Hat das Pferd allerdings Fieber und/oder frisst nicht mehr, sollte man sicherheitshalber den Tierarzt rufen.

 

Nur eine Erkältung?

Wenn Pferde Fieber haben, aber weiterhin mit Appetit fressen, sollte man die Entwicklung zunächst einmal beobachten. Ist das Fieber nach zwei bis drei Stunden noch nicht gesunken, sollte der Tierarzt kommen. Sofort zum Hörer greifen muss man hingegen, wenn das Pferd erhöhte Temperatur hat, abgeschlagen ist und schlecht oder gar nicht frisst. Schlimmstenfalls kann eine Druse- oder Herpesinfektion dahinter stecken. Dann muss schnell gehandelt werden. Aber: Nicht jedes Pferd, das Nasenausfluss und ein wenig Fieber hat, hat Druse! Also keine Panik! Die ist ohnehin in jedem Fall ein schlechter Ratgeber. Bis zur Abklärung der Situation sollte das Pferd aber keinen Kontakt zu Artgenossen haben, um eine Ansteckung zu vermeiden. Auch die Menschen müssen dementsprechende Hygiene walten lassen.

Dominique Wehrmann

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