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Serie: Wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt, bleibt dumm, Teil 5
Missverständnis Treiben
„Treiben, mehr treiben“ hallt es durch manche Reithalle, und bemühte Reiter quetschten und wühlen, was das Zeug hält. Wie richtiges Treiben aussieht und warum Treiben so wichtig ist, erklärt Dr. Britta Schöffmann im fünften Teil ihrer Lehr-Serie.
Sie ist die Meisterin des richtigen, also effektiven Treibens: Isabell Werth, hier auf ihrer wunderbaren Stute Bella Rose. Foto: J. Toffi
Zunächst einmal: Beim (Dressur)Reiten wird, zumindest mit den Schenkeln, nicht ohne Unterlass getrieben, sondern bei Bedarf und auch immer nur punktuell. Eine treibende Schenkelhilfe einsetzen heißt zunächst einmal, sein Pferd mittels eines kurzen, möglichst leichten Schenkelimpulses etwa in Höhe des Gurtes zu einem Mehr an Vorwärts aufzufordern.
Dieses Vorwärts kann den gesamten Pferdekörper betreffen und in ein Anreiten beziehungsweise eine allgemeine Erhöhung von Tempo oder Gangart führen oder, bei einseitig leicht zurückgelegtem Schenkel, in ein Vorwärts-Seitwärts. Oder aber es betrifft nur ein Hinterbein und führt zu einer eher punktuellen Aktivitätserhöhung der Hintergliedmaße(n).
Richtig aufhören
Ganz wichtig bei jeder reiterlicher Einwirkung ist dabei das Beenden, also das Aussetzen der Hilfe im richtigen Moment. Denn nur dies signalisiert dem Pferd, dass es zuvor richtig reagiert hat. In der Praxis heißt das: Sobald das Pferd die gewünschte Reaktion zeigt, wird die Hilfe, also der Druck, wieder entfernt. Auf diese Weise versteht das Pferd: ‚Aha, wenn ich so und so reagiere, ist der (lästige) Druck wieder weg.‘ Denn Schenkelhilfen (wie auch die meisten Zügelhilfen) funktionieren nach dem Prinzip dieser vorübergehenden Druckerhöhung, wobei „Druck“ hier nicht mit „Drücken“ verwechselt werden darf und auch nicht mit einem Kraftakt verbunden sein soll.
Im Gegenteil: Das Ziel ist es, dem Pferd den Zusammenhang zwischen minimaler Druckerhöhung (hier Schenkelimpuls) und seiner Reaktion (mehr Aktivität, mehr Fleiß, mehr seitwärts) zu „erklären“, um später mit feinsten Hilfen auszukommen. Da dies aber nicht verbal geht und das Pferd auch nicht in Büchern nachlesen kann, wie es zu reagieren hat, muss dieses „Erklären“ eben über die beschriebene reiterliche Einwirkung geschehen. „Negative Verstärkung“ heißt das wissenschaftlich, wobei negativ hier nicht wertend gemeint ist, sondern lediglich heißt, das etwas – in diesem Fall der Druck – „weggenommen“ wird. Und verstärkt wird auch nicht der Druck bzw. die Hilfe, sondern die erwünschte Reaktion des Pferdes.
Zwei entscheidende Fehler
Wenn es um treibende Schenkelhilfen geht, machen viele Reiter nun aber zwei Fehler:
1.) Sie halten starken Druck dauerhaft aufrecht oder:
2.) Sie wiederholen ihn unablässig in kleinen Häppchen.
Via Dauerquetschen mit den Unterschenkeln verhindert der Reiter jedoch, dass das Pferd versteht, was es tun soll. Es wird sich zwar anfangs vielleicht noch vorwärts (oder seitwärts) bewegen, wird aber, wenn es keine Bestätigung für seine zunächst richtige Reaktion erhält, irgendwann auf dieses Quetschen angewiesen sein. Sobald der Reiter dann nicht mehr quetscht, wird das Pferd bremsen. Die fatale Folge: ein vermeintlich immer „fauler“ werdendes Pferd und ein immer stärker quetschender Reiter, der vermutlich irgendwann längere und schärfere Sporen einsetzt, um sein Pferd überhaupt noch nach vorn reiten zu können.
Aber auch die zweite Fehler-Variante ist nicht viel weniger schädlich und führt früher oder später zum gleichen Ergebnis. Viele kleine, immer wieder gegebene Schenkelhilfen, die zu keiner erkennbaren Reaktion des Pferdes führen, tun nämlich nur eines: sie desensibilisieren. Dies gilt übrigens auch für einen unruhigen, klopfenden Schenkel, der, wenn auch ungewollt, das Pferd ebenfalls gegenüber Schenkelhilfen abstumpft. Aus Sicht des Pferdes gehört ‚das Geklopfe‘ des Reiterschenkels dann wohl einfach dazu. Es gewöhnt sich daran, darauf nicht zu reagieren.
….wie ein abgespreizter Schenkel. Das Pferd kann nicht verstehen, was der Reiter von ihm will. Fotos: A. Bronkhorst
Ein klopfender oder pressender Schenkel unterstützt das Pferd ebenso wenig…
Zauberwort Sensibilisierung
Während Gewöhnung bei vielen Dingen rund ums Pferd erwünscht ist, zum Beispiel bei der Gewöhnung an Sattel und Trense, ans Reitergewicht oder an Umweltreize, so ist bezogen auf Hilfengebung jedoch Sensibilisierung das Zauberwort. Das Pferd soll sensibel auf reiterliche Hilfen bleiben oder werden. Nur so ist nämlich eine immer weitere Verfeinerung der Einwirkung und damit eine immer harmonischere Kommunikation mit dem Pferd möglich.
Aus diesem Grund müssen auch die treibenden Schenkelhilfen also nicht nur im Moment der gewünschten Reaktion ausgesetzt werden, sie müssen auch für das Pferd klar und eindeutig sein. Statt also zum Beispiel zum Anreiten nach einer ersten „normalen” treibenden Schenkelhilfe, auf die das Pferd nicht oder nur zögerlich reagiert hat, noch eine, und dann noch eine und noch eine und so fort zu geben (und damit zu desensibilisieren), sollte die zweite, spätestens die dritte Hilfe kurz, energisch und prägnant sein. Wichtig dabei ist, dass der Reiter nicht im selben Moment vorn festhält, sondern dem Pferd auch die Möglichkeit gibt, sich vorwärts zu bewegen.
Je nach Korrektur-Situation ist es dabei vollkommen egal, ob das Pferd in dem Augenblick am Zügel ist oder nicht. An erster Stelle steht das Vorwärts! Also weder durchs Genick halten wollen noch zu früh wieder parieren.
Eine solche Korrektur darf allerdings niemals in wildem Sporenboxen in den Pferdebauch ausarten. Erstens wäre eine derart grobe Einwirkung aus Tierschutzgründen absolut abzulehnen, zweitens bringt sie auch nichts. Eine leichte Einwirkung mit Absatz oder Sporn an der richtigen Stelle wirkt als Hilfe, führt über eine leichte Anspannung der Bauchmuskulatur zu einem Heben des Rumpfes oder zu einem seitlichen Weichen (beim seitwärtstreibenden Schenkel). Eine plötzliches und unangemessen festes Zustechen mit dem Sporn dagegen hat nur eines zur Folge: Das Pferd verkrampft seine Bauchmuskulatur, um seinen Bauch zu schützen, und hält die Luft an statt nach vorn zu gehen.
Das Gleiche würden wir Menschen übrigens auch tun, wenn uns plötzlich jemand in den Bauch schlagen/treten würde… Grober Schenkeleinsatz ist also nicht nur brutal, er ist auch noch dumm.
Warum überhaupt treiben?
Wenn aber das Pferd vorwärts geht, warum soll der Reiter dann überhaupt noch treiben? Weil er, zumindest in der Dressurarbeit, sein Pferd von hinten nach vorn mehr schließen möchte, um es tragfähiger zu machen und ins verschleißärmere Vorwärts-Aufwärts zu reiten. Um dies erreichen zu können, muss das Pferd verstanden haben, dass es auf eine treibende Hilfe mit einem vermehrten Vorfußen seiner Hinterbeine unter seinen Schwerpunkt reagieren soll. Tut es dies, ohne Bruchteile von Sekunden später durch entsprechende Zügelhilfen pariert zu werden, wird es dabei mehr schieben und sein Tempo erhöhen. In Verbindung mit verhaltenden Zügelhilfen wird es ebenfalls unter den Schwerpunkt fußen, dabei aber wegen des verkürzten Rahmens seine Hanken vermehrt beugen müssen und mehr tragen. „Zum Treiben kommen“ ist also immer Teil der gesundheitsfördernden Gymnastizierung eines Pferdes – aber eben nur ein wohldosierter Teil.
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