Serie: Wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt bleibt dumm, Teil 3

Wozu Anlehnung und wie viel?

Wenn es ums Thema Anlehnung geht, scheiden sich wie so oft in der Reiterei häufig die Geister. Während sie für die einen zu den fundamental wichtigen Forderungen der Ausbildungsskala gehören, lehnen andere sie völlig ab und lassen ihre Zügel meist durchhängen. Doch was ist Anlehnung eigentlich? Im dritten Teil der PM-Lehrserie „Wieso, weshalb, warum“ erklärt Dr. Britta Schöffmann, warum Anlehnung häufig missverstanden wird.  

Anlehnung entsteht nur durch das richtige Zusammenspiel von Kreuz-, Zügel- und Schenkelhilfen des Reiters. Das Foto zeigt Isabel Bache mit Van Vivaldi.

Korrekte Anlehnung geht immer einher mit einer gewissen Dehnungsbereitschaft des Pferdes, was bedeutet, dass sich das Pferd in allen Kopf-Hals-Einstellungen vertrauensvoll an die Hand des Reiters Richtung vorwärts-abwärts heran dehnen möchte. Die meisten Pferde bringen diese Dehnungsbereitschaft von Natur aus mit, allerdings können ein überschäumendes Temperament oder auch grobe Exterieurmängel wie eine ungünstige Halsform, ein extremer Senkrücken oder eine von Natur aus hinten heraus gewinkelte Hinterhand, aber auch medizinische Befunde oder fehlerhafte Ausrüstung dies erschweren. Den größten negativen Einfluss auf Dehnungsbereitschaft und damit auch auf Anlehnung hat allerdings falsche reiterliche Einwirkung.

 

Stete Verbindung

Eine zu feste, harte Hand, eine unruhige Zügelführung, ein unausbalancierter oder steifer Sitz, ein schlechtes Timing von Annehmen, Durchhalten, Nachgeben und Treiben – all das kann die Anlehnung eines Pferdes stören oder gar unmöglich machen. Anlehnungsfehler wie über oder hinter dem Zügel, gegen die Hand, Kopfschlagen, fest im Genick, lose oder wechselnde Anlehnung, offenes Maul und noch vieles mehr sind die Folge. Was aber ist Anlehnung überhaupt? In den FN-Richtlinien ist es nachzulesen: Anlehnung ist die stete, weich federnde Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul. Die Betonung liegt dabei auf „stet“, also dauerhaft, und „weich federnd“, also nicht fest und stramm. Das Erreichen und Sichern dieser feinen Verbindung gehört zur Grundausbildung eines jeden Pferdes. Die Forderung danach macht aus biomechanischer und sportphysiologischer Sicht durchaus Sinn, denn sie bringt das Pferd in einen gewissen Rahmen. Den benötigt es, um möglichst verschleißfrei die Aufgabe als Tragtier bewältigen zu können.

Am leichtesten fällt ihm dies, wenn es seine Oberlinie ähnlich einer Brückenkonstruktion leicht aufwölbt und damit stabilisiert. Um dies zu erreichen muss sich die Hinterhand der Vorhand – quasi also der hintere dem vorderen Brückenpfeiler – ein wenig nähern, was wiederum nur über eine mehr oder weniger ausgeprägte Verkürzung des Rahmens geht. Fehlt hier eine sichere Anlehnung, wird der vordere Teil des Rahmens und damit die ganze Brückenkonstruktion instabil – das Gleiche gilt für Probleme im Bereich der Hinterhand. Je schlechter diese nach vorn bzw. je stärker sie nach hinten heraus arbeitet, desto mehr hängt der Pferderücken/die Brücke durch, das Reitergewicht wird nicht mehr leicht nach oben abgefedert, sondern wirkt schwer Richtung Boden. Die erforderliche Anlehnung wird dabei aber immer von hinten nach vorn, also von der Hinterhand ausgehend über den Rücken in die Verbindung hinein erarbeitet, nicht umgekehrt! Erst über die Anlehnung ist es auch möglich, (Kraft)Impulse aus der Hinterhand auf den gesamten Pferdekörper zu übertragen und (eine entsprechende reiterliche Einwirkung vorausgesetzt) wellenförmig in Schwingung umzuwandeln – ähnlich der Schwingung bei einer Gitarrensaite. Ein dauerhaft durchhängender oder aber zu stark anstehender Zügel verhindert diesen Effekt genauso, wie aus einer durchhängenden oder nicht befestigten Gitarrensaite kein Ton (da keine Schwingung möglich) herauskäme oder eine zu stark gespannte Saite zerreißen statt schwingen würde. Letztlich funktioniert auch jeder Muskel im Bewegungsapparat eines Lebewesens nach dem gleichen Prinzip. Hängt er schlapp durch, kann er keine Kraft übertragen, wird er zu stark beansprucht, kann es zum Faser- oder gar Muskelriss kommen.

 

Selbsthaltung

Und jeder Muskel hat auch, um funktionieren zu können, an beiden Seiten eine Befestigung (Ansatz und Ursprung), denn nur so kann er zwischen Spannung und Entspannung wechseln und eine positive Spannung, die einen Körper auch unter Belastung stabil hält, aufbauen. Diese positive (Körper)Spannung gilt es, auch unter dem Reiter aufzubauen und entsprechend der Anforderungen zu optimieren. Die Anlehnung/Verbindung stellt dabei die eine Seite dar, die andere wird durch die aktiv nach vorn unter den Schwerpunkt von Pferd und Reiter vorfußende Hinterhand gebildet. Zwischen diesen beiden Polen entwickelt sich das Mehr an Trag- und Federkraft sowie Ausdruck und, ganz wichtig, die Selbsthaltung des Pferdes. Selbsthaltung, übrigens in allen Kopf-Hals-Einstellungen eine wichtige Forderung, heißt nichts anderes, als dass ein Pferd bei leicht gewölbter Oberlinie seinen Kopf „selbst hält“ (trägt).

Die Fähigkeit zur Selbsthaltung auch in Aufrichtung wächst übrigens bei gut gerittenen Pferden. Denn erst bei korrekter und möglichst feiner Anlehnung hat die Oberhalsmuskulatur (vor allem im Bereich Übergang Wider­rist/Schulter/Hals) des Pferdes die Möglichkeit, sich zu entwickeln und Trage- bzw. Halteaufgaben zu übernehmen. Wie ausgeprägt soll sie denn nun aber sein, die Anlehnung? Manche Bilder, leider auch im Sport, vermitteln den Eindruck, dass mehr Verbindung zwischen Reiterhand und Gebiss besser ist als wenig. Dabei sollte immer das Prinzip gelten: soviel wie nötig, so wenig wie möglich. Anlehnung soll im eigentlichen Sprachsinn ja eher Orientierung oder Ausrichtung sein als Stütze oder eisernes Korsett. Sie soll wie ein zarter Lufthauch sein – gerade soweit ausgeprägt, dass sich damit etwas beeinflussen lässt (nämlich der Rahmen des Pferdes und sein Ausdruck), auf der anderen Seite aber auch so fein, dass kein negativer Druck entsteht, weder von der Reiterhand aufs Pferdemaul noch vom Pferdekopf auf die Zügel. Trotzdem soll sie dauerhaft vorhanden sein, damit sich der Reiter über möglichst feine, unsichtbare Zügelhilfen mitteilen kann statt mit einem durchhängenden Zügel dauernd zupfend und damit deutlich aufwändiger einzuwirken.

 

Zusammenspiel der Hilfen

Erreicht wird Anlehnung/Kontakt im Verlauf der gymnastizierenden und aufbauenden Arbeit mit dem Pferd. Das Zusammenspiel von Kreuz, Hand und Schenkel des Reiters spielt dabei die wesentliche Rolle. Zuviel Hand – und der Reiter wirkt rückwärts, blockiert die Aktivität der Hinterbeine und schadet damit dem Ursprung der Anlehnung. Zu wenig Hand (dauerhaft durchhängender Zügel) – und das Pferd kann keine Anlehnung finden und keinen stabilen Rahmen erreichen, es fällt auseinander, mit allen negativen Auswirkungen auf seinen Trageapparat. Zu viel Hand und zu viel Bein (vorne halten und hinten quetschen) – und schon ist eine feine Anlehnung und damit das Erreichen von Selbsthaltung nicht mehr möglich. Wie leicht oder stramm die Anlehnung ist, hängt auch von der Lektion, dem gefragten Tempo, der Tagesform und natürlich auch individuell vom Pferd ab. Im Mittelschritt oder in einer gut getragenen Piaffe zum Beispiel ist die Verbindung sicher feiner als im Moment eines Übergangs vom starken zum versammelten Galopp. Je nach Pferd und Anforderung kann Anlehnung vielleicht nicht immer perfekt sein – sie sollte aber immer nach Leichtigkeit streben, um sich der Perfektion zu nähern.

Hier gibt die  Reiterin jede  Anlehnung auf –  in der Hoffnung, dass sich das  Pferd nach vorwärts-abwärts dehnt.

Vorheriger Artikel

Ausgabe 05/2015
So wünschen sich Reiter ihr Turnier

Nächster Artikel

Ausgabe 05/2015
Mit dem Pulverfass ins Gelände