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Regenerative Therapien

Heilung aus dem Körper heraus

Bei der Behandlung von Lahmheiten spielen seit einigen Jahren die sogenannten „regenerativen Therapien“ zunehmend eine Rolle. Sie sollen nicht nur Schmerzen lindern, sondern auch die Ursache der Lahmheit bekämpfen. Das PM-Forum erklärt, was hinter den Therapien steckt.

Für die regenerativen Therapien verwenden Tierärzte nur bestimmte Bestandteile aus dem Blut, wie zum Beispiel das Plasma. Foto: Frank Sorge

„Bei Profifußballern, die Probleme mit den Gelenken haben, setzen Ärzte mittlerweile nur noch ganz wenig Cortison ein, weil man weiß, dass Cortison zwar sehr schnell hilft, aber dem Knorpel schaden kann und deshalb nicht nachhaltig ist“, erklärt Dr. Marc Koene, Mannschaftstierarzt der deutschen Dressurpferde, warum regenerative Therapien im Fußball schon lange eine große Rolle spielen. Für den Pferdesport sind sie auch deshalb interessant, weil Erkrankungen am Bewegungsapparat bei Pferden aller Disziplinen vorkommen können.

Biologische Verfahren

Unter der regenerativen Medizin sind biologische Verfahren zu verstehen, bei denen die Tierärzte körpereigene Stoffe der Pferde für die Therapie verwenden. Mit der „Eigenbluttherapie“ von Heilpraktikern haben sie laut Dr. Koene nichts zu tun: „Wir verwenden zwar zum Teil Eigenblut, aber aus dem Blut kommen nur bestimmte Bestandteile zum Einsatz, die entweder aus dem Serum oder aus dem Plasma gewonnen werden. Diese Grundsubstanzen werden „konditioniert“, das bedeutet, dass man zum Beispiel bestimmte erwünschte Proteine anreichert. Anschließend verabreichen wir sie dem Pferd in einer gereinigten und aufbereiteten Form.“ Die Therapien kommen oft bei Gelenkentzündungen, Problemen an Bändern und Sehnen und Schäden am Gelenkknorpel zum Einsatz.

Serum oder Plasma

Ein wichtiges regeneratives Verfahren ist die Behandlung mit Blutserum, sie verbirgt sich hinter den Bezeichnungen Autologes Conditioniertes Serum (ACS) oder IRAP. Das biologisch angereicherte Serum soll Heilungsprozesse im Körper anregen. Neben dem Serum kommt häufig Blutplasma zum Einsatz. Der Unterschied: Lässt man entnommenes Blut im Blutröhrchen eine Zeit lang stehen, setzen sich die Blutzellen und Gerinnungseiweiße unten im Röhrchen ab. Darüber wird eine gelbliche Flüssigkeit sichtbar, die als Serum bezeichnet wird. Im Blutplasma sind hingegen noch alle Gerinnungsfaktoren vorhanden, es lässt sich durch die Zentrifugation von mit Gerinnungshemmern versetztem Blut gewinnen. Therapien mit Plasma sind unter den Begriffen Autologes Conditioniertes Plasma (ACP) und Platelet Rich Plasma (PRP) bekannt. Sowohl IRAP als auch PRP werden seit Jahren vielfach bei der Behandlung orthopädischer Erkrankungen eingesetzt.

Dr. Mark Koene ist Mannschaftstierarzt der deutschen Dressurpferde. Foto: FN-Archiv

Gemeinsam haben alle Verfahren, dass sie die Entzündung hemmen und dabei helfen sollen, dass verletzte Strukturen besser heilen. Am Beispiel eines entzündeten Gelenks erklärt Dr. Koene das folgendermaßen: „Die Gelenkschmiere ist wie eine Suppe, die sich aus verschiedenen Stoffen zusammensetzt – guten und schlechten. Normalerweise sind die Stoffe in einer Waage balanciert. Kommt es zu einer Entzündung, nimmt die Gruppe der schlechten Entzündungsmediatoren zu.“ Die Folge: Durch das Ungleichgewicht verdickt und versteift sich die Gelenkkapsel. Dadurch transportiert sie die Gelenkschmiere nicht mehr so gut ab. Außerdem gleicht die Kapsel den Druck, der bei Belastung auf das Gelenk wirkt, schlechter aus. Es kommt zu einer Kettenreaktion: „Der Körper versucht vermehrt Gelenkschmiere zu produzieren und es entsteht ein Überdruck. Dieser Druck sorgt dann für die Schmerzen und die Lahmheit“, beschreibt Dr. Koene. An dieser Stelle setzen die regenerativen Therapien an: Sie können dabei unterstützen, die Balance der Stoffe in der Gelenkflüssigkeit wiederherzustellen.

Stammzellen

Ein weiteres Standbein der regenerativen Medizin ist die Verwendung von Stammzellen. Sie können sich unendlich teilen und bilden im erwachsenen Körper immer wieder neues Gewebe. Die Zellen können aus Blut, Knochenmark, Fett, Nabelschnur, Gelenkflüssigkeit oder Muskeln entnommen werden. Stammzellen stammen entweder von dem behandelten Pferd selbst (autologe Stammzellen) oder von einem Spenderpferd (allogene Stammzellen). Erst seit 2019 gibt es ein in Europa entwickeltes und zugelassenes Präparat mit allogenen Stammzellen: „Dafür werden aus einer geringen Menge Blut von Spenderpferden Stammzellen entnommen, aufbereitet und gefriergetrocknet. Diese Stammzellen sollen „vorinformiert“ sein, das heißt sie wurden im Labor bereits in eine bestimmte Richtung vordifferenziert, hier in Richtung Knorpel. 

Man hofft, dass sich nach der Injektion in ein erkranktes Gelenk durch die Anwesenheit der Stammzellen neuer Knorpel bildet“, sagt Dr. Koene. Häufig herrscht die Meinung vor, dass die injizierten Stammzellen sich selbst in Knorpel verwandeln. Dies ist jedoch ein Irrglaube. Ziel der Therapie ist vielmehr, dass die injizierten Stammzellen vor Ort den Entzündungsprozess stoppen und den vorhandenen Gelenkknorpel dazu anregen, sich zu erneuern und seine Widerstandsfähigkeit zurückzuerlangen.

Regenerative Verfahren wenden Tierärzte auch bei Pferden mit Arthrosen an. Foto: Christiane Slawik

Bekämpfung der Ursache

Während herkömmliche Mittel wie Cortison vor allem gegen den Schmerz wirken und die Bildung von Entzündungsmediatoren unterdrücken, also die Entzündung hemmen, haben die regenerativen Therapien eines gemeinsam: Sie können gegen die Ursache der Erkrankung helfen. Dr. Koene beschreibt sie darüber hinaus als besonders risikoarm: „Die regenerativen Therapien sind nachhaltig, kommen vom Pferd selbst und sind sehr sicher.“ Wer denkt, dass regenerative Verfahren nur etwas für Spitzensportler sind, irrt laut Dr. Koene: „Wir behandeln sehr viele Amateurpferde mit genau den gleichen Medikamenten und Therapien, wie die Top-Sportpferde.“ Die Verfahren seien zunächst zwar deutlich teurer, können langfristig aber Vorteile haben: „Bei Hyaluronsäure oder Cortison müssen Sie die Injektion oft mehrmals im Jahr wiederholen. Deshalb sind Sie bei einer wiederkehrenden Entzündung schnell auf dem gleichen Preis wie bei einer regenerativen Therapie.“

Bei wiederkehrenden Problemen

Grundsätzlich blieben Cortison oder Hyaluronsäure aber wichtige Medikamente, betont Dr. Koene: „Wenn ein Pferd noch nie etwas gehabt und plötzlich ein dickes, entzündetes Gelenk hat, geben die meisten Tierärzte Hyaluronsäure und einen Entzündungshemmer. Das ist zum Beispiel Cortison. 

Die Therapien bekämpfen die Ursachen der Lahmheit und können so dabei helfen, dass Pferde beine lange gesund und belastbar bleiben. Foto: Christiane Slawik

Dieses Vorgehen ist dann auch geeignet. Kortikosteroide sind an sich nichts Schlechtes. Problematisch sind sie nur dann, wenn sie wiederholt zum Einsatz kommen.“ Dr. Koene, der die regenerativen Verfahren täglich anwendet, empfiehlt sie deshalb beispielsweise bei wiederkehrenden Gelenksentzündungen: „Ich halte sie immer dann für die bessere Alternative, wenn bei einem Pferd die Erstbehandlung nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat.“

Gesamtpaket zählt

Für sich allein wirken die Verfahren jedoch keine Wunder. Dr. Koene betont, dass Verletzungen und Entzündungen vor allem immer ausreichend Zeit benötigen, um vollständig ausheilen zu können. Verkürzte Regenerationszeiten, zum Beispiel bei Lahmheiten am Fesselträgerursprung, seien heute in vielen Fällen auch aufgrund eines besseren Reha-Managements möglich: „Das Gesamtpaket zählt.“ Dazu gehört ein mit dem Tierarzt auf das jeweilige Pferd abgestimmter Therapie- und Bewegungsplan. Auch unterstützende manuelle Behandlungen zum Beispiel durch einen Pferde-Physiotherapeuten können einen Beitrag zur Heilung und Rehabilitation leisten.

Melanie Köster

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