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Alternative Heilmethoden, Teil 1

Hand anlegen zahlt sich aus

Während in der Humanmedizin die Schulmedizin schon lange durch Physiotherapie, Chiropraktik und Osteopathie ergänzt wird, hat sich die Alternativmedizin im Reitsport erst in den letzten Jahren maßgeblich etabliert. Das PM-Forum stellt die bedeutendsten Vorzüge, aber auch die Grenzen alternativer Heilmethoden vor.

Bitte entspannen: Auch Massagen bilden einen Teil der Alternativmedizin und ergänzen die schulmedizinische Betreuung. Foto: Stefan Lafrentz

Die Gesunderhaltung des Reitpferdes steht im Einklang mit der Gesunderhaltung des Bewegungsapparats, dem Verständnis der Biomechanik und dem allgemeinen Wohlbefinden. Alternative Heilmethoden sollen dazu beitragen. Doch was bedeutet überhaupt „alternativ“? Alternativmedizin definiert als Sammelbegriff Behandlungsmethoden und diagnostische Konzepte, die sich als Ergänzung zur Schulmedizin verstehen. Der Bedarf an alternativen Therapien im Reitsport ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Dies erklärt sich zum einen durch das wachsende Bewusstsein für solche Behandlungsmöglichkeiten, zum anderen durch einen Blick in die Vergangenheit: Während Pferde früher weitestgehend als Kriegs- oder Arbeitstiere eingesetzt wurden, sind sie heute Freizeit- und Sportpartner geworden, was sich auch auf ihre Zucht und Haltung ausgewirkt hat. „Es ist eben wesentlich einfacher, ein Pferd auszubilden, das sich durch sein Bewegungsvermögen bereits in der gewünschten Richtung anbietet, als ein Pferd entgegen seiner Neigung zu trainieren“, sagt Physiotherapeutin Helle Katrine Kleven.

Der Erfolg liegt im Miteinander. Um die ganzheitliche Betreuung, Pflege und Behandlung des Pferdes bestmöglich zu gewährleisten, sollten alle agierenden Personen zusammenarbeiten.

Aber nicht nur die Zucht hat sich verändert, sondern auch die Haltung der Pferde. Aus evolutionsbiologischer Sicht sind der Bewegungsapparat sowie der Verdauungstrakt eines Pferdes auf ca. 15 Stunden tägliche Schrittbewegung bei stetiger Futteraufnahme ausgelegt. So können nicht nur falsches Training und eine unpassende Ausrüstung zu Verspannungen, Blockaden und anderen Bewegungseinschränkungen führen, sondern auch eine nicht artgerechte Pferdehaltung.

Alternativ- vs. Schulmedizin

Zwischen der Schulmedizin und der Alternativmedizin müssen nicht zwangsläufig Widersprüche liegen. „Die Stärken liegen ganz klar im Miteinander“, sagt Dr. Henrike Lagershausen, Leiterin der FN-Abteilung Veterinärmedizin. „Nur in Zusammenarbeit und bei offener Kommunikation kann man die Gesundheit des Pferdes bestmöglich unterstützen.“ Im akuten Krankheitsfall hingegen sollte das Pferd zunächst durch einen Tierarzt untersucht und behandelt werden. „Leider erlebe ich es oft, dass zum Beispiel akut stützbeinlahme Pferde zur chiropraktischen Behandlung vorgestellt werden, bevor ein Tierarzt zur Lahmheitsuntersuchung einbestellt wird“, beschreibt Dr. Lagershausen. Sie fährt fort: „ Das ist aus meiner Sicht die falsche Reihenfolge. Nach Absprache mit dem behandelnden Tierarzt macht es dann aber durchaus Sinn, einen Therapeuten hinzuzuziehen, der alternative Heilmethoden einsetzt. Der Heilungsprozess kann unterstützt und die Therapie begleitet werden.“ Die Stärken der alternativen Medizin werden vor allem in Bereichen der Prophylaxe und Rehabilitation gesehen.

Eine therapeutische Behandlung beginnt meist mit der Begutachtung des Exterieurs im Stand und in der Bewegung und des Allgemeinzustands des Pferdes. Foto: Stefan Lafrentz

Erste Symptome bei körperlichen Einschränkungen:

  • unnatürliche Schweifhaltung
  • Verwerfen im Genick
  • Widersetzlichkeit beim Satteln und Putzen
  • Probleme bei der Stellung und Biegung
  • erkennbare Unterschiede in den Muskelproportionen auf beiden Seiten
  • Herausdrücken des Unterhalses
  • Knirschen mit den Zähnen
  • ungeklärte Lahmheiten und Taktfehler

Der Ursache auf den Grund gehen

Körperliche Einschränkungen können verschiedene Ursachen haben. Neben Unfällen können auch reiterliche Defizite, unpassende Ausrüstung, falsche Fütterung und falscher Hufbeschlag, Überforderungen und Stress mögliche Auslöser sein. Neben der Behandlung spielen also auch die Suche nach der Problemursache und die damit einhergehende Prophylaxe eine entscheidende Rolle. Die ersten Anzeichen von Unwohlsein kann der Pferdehalter selbst erkennen. Etwa, ob sich das Verhalten des Pferdes beim Putzen, Satteln oder Reiten verändert. Auch ein genauer Blick auf das Exterieur kann Aufschluss über die physische Gesundheit geben.

Wissenswertes: Blockade

Blockade beschreibt eine funktionelle Bewegungseinschränkung eines Gelenkes in mindestens eine Bewegungsrichtung.

Idealerweise sollten die Gesäßmuskeln den höchsten Punkt der Kruppe bilden. Bei diesem Pferd sind die Darmbeinhöcker der höchste Punkt, was auf eine Störung im Kreuzdarmbeingelenk hinweisen kann. Foto: Lorella Joschko

Wie der Reiter, so das Pferd

Wenn das Pferd behandelt wird, lohnt sich meistens auch ein Blick auf den Reiter. „Insbesondere chronische Probleme in Form von Muskelverkürzungen sollten dem Reiter bewusst sein und gegebenenfalls auch therapeutisch begleitet werden“, sagt Frauke Wartenberg, Physiotherapeutin der Bundeskaderpferde. Darum empfiehlt es sich, auch als Reiter auf seine Mobilität zu achten und sich vor dem Reiten mit Dehnübungen entsprechend aufzuwärmen.

Die Qual der Wahl

Leidet ein Pferd unter körperlichen Einschränkungen, steht der Pferdehalter vor einem weiteren Problem: Welcher Therapeut kümmert sich um was? Während die Behandlungsspektren in der Humanmedizin relativ klar definiert sind, sind die Grenzen und Einsatzgebiete im pferdetherapeutischen Bereich eher verwaschen. „Letztlich können Probleme und Symptome auch nicht isoliert betrachtet und behandelt werden“, sagt Frauke Wartenberg. Sie fährt fort: „Es geht um die ganzheitliche Betreuung der Patienten. Funktionsstörungen betreffen immer den gesamten Bewegungsapparat. Die Kunst ist herauszufinden, von welcher Struktur die Störung ausgeht, um sie dann mit den entsprechenden Techniken zu behandeln.“ So lassen sich die therapeutischen Zweige weniger nach Art des Problems unterteilen, sondern vielmehr nach den Techniken, die bei bestimmten Problemen angewendet werden. Eine gute Behandlung versteht sich deswegen immer als Teil der ganzheitlichen Pflege und Betreuung eines Pferdes.

Dehnübungen eignen sich als Aufwärmprogramm vor dem Reiten oder auch zur Mobilisation nach verletzungsbedingten Pausen. Foto: Lorella Joschko

Vorsicht vor schwarzen Schafen!

Bei der Wahl eines geeigneten Alternativmediziners ist Vorsicht geboten, da hinsichtlich der Ausbildungen keine einheitlichen Grundlagen definiert sind. Einige Akademien, darunter die FN, das DIPO und die Internationale Akademie für Veterinär Chiropraktik (IAVC), bieten bereits qualitativ hochwertige Aus- und Weiterbildungen an, die die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten sicherstellen sollen. Bei der Suche nach einem qualifizierten Therapeuten bietet es sich deswegen an, seinen Tierarzt um Rat zu fragen oder auf geprüften Seiten im Internet nach entsprechenden Kontaktdaten zu suchen. Dafür bieten sich unter anderem die Seite des DIPO oder die Seite der FN an, die online eine Therapeutenliste führen.

Osteopathie in der Praxis

Die Osteopathie ist ein ganzheitliches Behandlungskonzept, welches neben dem parietalen System, zusammengesetzt aus dem aktiven Bewegungsapparat (Muskeln, Sehnen und Faszien) und dem passiven Bewegungsapparat (Skelettstruktur, Gelenke, Bandscheiben und Bänder), auch das viszerale System (die Organe und ihre Aufhängungen) und das kranio-sakrale System (Schädel, Kreuzbein und die dazwischenliegenden Leitungsbahnen des Nervensystems) umfasst. „Die Zusammenarbeit von allen agierenden Personen rund um das Pferd bestimmen das Wesen der Osteopathie“, erklärt Beatrix Schulte Wien vom Deutschen Institut für Pferdeosteopathie (DIPO).

Neben dem Erkennen und Lösen von Gelenksblockaden durch manuelle Anwendungen (oft fälschlicherweise als „Einrenken“ bezeichnet), ist der Osteotherapeut auch in der Lage, Störungen des Nervensystems zu lokalisieren und zu beheben. „Neben der aktiven Behandlung setzen wir vom DIPO aber auch auf Aufklärung“, sagt Schulte Wien. Sie fährt fort: „Entscheidend ist, dass auch im Reitunterricht grundlegendes hippologisches Wissen vermittelt wird, denn dort setzt die Gesunderhaltung bereits an.“

Häufigste Problemursachen seien schlecht sitzende Ausrüstung, falsche Hufbearbeitung und ein fehlerhaftes Fütterungsmanagement. „Wenn sich solche Fehlerketten erst mal manifestieren, leidet das Pferd meist bereits unter Blockaden und anderen Beeinträchtigungen“, resümiert Schulte Wien. Die Osteopathie zeichnet besonders die Kenntnis über die Verbindung von Wirbelsäule, Nervensystem und inneren Organen aus, was eine umfassende Begutachtung und Therapie des Pferdes ermöglicht. So können zum Beispiel Spannungen in bestimmten Gewebestrukturen auf organische Dysfunktionen hinweisen. Mit der ganzheitlichen Behandlung wird versucht, die Selbstheilungskräfte zu aktivieren und das Gleichgewicht des Körpers wieder in Einklang bringen.

Physiotherapie in der Praxis

Die Physiotherapie befasst sich in erster Linie mit dem parietalen System (Knochen, Muskeln, Gelenke, Sehnen und Bänder). Sie versteht sich deswegen als Teilgebiet der Osteopathie. Mittelpunkt der Behandlung bildet die „Palpation“, die Untersuchung des Körpers mittels Abtasten.

Wie der Reiter, so das Pferd: Schiefstellungen und Sitzfehler können sich leicht auf das Pferd übertragen und sollten gegebenenfalls auch therapeutisch begleitet werden. Foto:FN-Archiv/Thoms Lehmann

Hierbei werden bestimmte Druckpunkte und Muskelstränge auf eventuelle Verspannungen, Verklebungen, Geschwülste, Temperaturunterschiede und Schmerzempfindlichkeiten abgetastet. Physiotherapie eignet sich besonders zur Regeneration nach Verletzungen oder Stehpausen, fördert durch Massagen die Durchblutung und Genesung und kann den Bewegungsapparat gezielt kräftigen. Die physiotherapeutische Behandlung bietet verschiedene Ansätze:

Massagen regulieren die Muskelspannung, fördern die Durchblutung, können Gewebeverklebungen lösen, den Abtransport von Flüssigkeitsansammlungen begünstigen und das Vertrauen stärken, was in Stresssituationen besonders nützlich sein kann. Mobilisations- und Dehnübungen können vom Reiter auch gut als Vor- und Nachbereitung einer Trainingseinheit genutzt werden, um Bänder, Sehnen und andere Weichteile aufzuwärmen. Darüber hinaus wird durch diese Techniken die Beweglichkeit der Gelenke begünstigt und die Elastizität der Muskulatur verbessert.

Verspannungen der Kruppe können durch direkten Druck gelöst werden. Foto: Stefan Lafrentz

Übungen zur Stabilisierung und Kräftigung eignen sich für alle Pferde im Training, als Rehabilitation nach Verletzungen und zur allgemeinen Kräftigung des Körpers. Faszien, Muskeln und die grundsätzliche Körperspannung werden gestärkt. Diese ist zum Beispiel für Lektionen wie die Piaffe unerlässlich.

Physikalische Therapien bilden den letzten Zweig der physiotherapeutischen Behandlung. Hierbei wird neben der Hand auch auf andere Behandlungsgeräte, wie den Laser, die Eistherapie, den Ultraschall oder das Klebetape zurückgegriffen.

Chiropraktik in der Praxis

Während der Fokus von Physiotherapie und Osteopathie auf der Mobilisation des Bewegungsapparates liegt, arbeitet die Chiropraktik mit gezielter Manipulation, um funktionelle Störungen der Wirbelsäule und Gliedmaßen zu behandeln. Die Chiropraktik „erfasst die Beziehung zwischen der Struktur des Körpers und seiner Funktion“ erläutert Dr. Sybil Moffatt von der International Academy of Veterinary Chiropractic (IAVC). Funktionsstörungen der Wirbelsäule können verschiedene Ursachen haben: Zum einen können Traumata, zum Beispiel ausgelöst durch Unfälle, akute Problematiken hervorrufen, zum anderen können diese aber auch die Folge von Überoder Fehlbelastung, nicht korrekter Reiterei, falscher Haltung und nicht passender Ausrüstung sowie falscher Hufbearbeitung sein.

„Funktionelle Störungen können auch mit Problemen des neuromuskulären Systems einhergehen“, erklärt Dr. Moffatt. Der Körper muss als zusammenhängendes Konstrukt verstanden und behandelt werden. So kann sich eine Gelenksblockade der Wirbelsäule negativ auf die Reizweiterleitung auswirken, was wiederum zu Dysfunktionen und Schmerzsymptomen führen kann. Deswegen erfordert „das erfolgreiche Management von Pferden mit Rückenproblemen die ganzheitliche Betrachtung des Pferdes und seines Umfeldes“, resümiert die Tierärztin.

Viel freie Bewegung und artgerechte Haltung tragen einen entscheidenden Teil zur Gesunderhaltung des Pferdes bei. Foto: Christiane Slawik

Mobilisation von Kopf, Genick und Hals. Hierbei gilt: Die Längsbiegung muss durch den Körper erfolgen und das Pferd darf sich im Genick nicht verwerfen. Foto: Christiane Slawik

Die Untersuchung erfolgt mittels Palpation und Begutachtung des Pferdes im Stand und der Bewegung. Funktionsstörungen werden im nächsten Schritt durch Justierungen behoben. Unter einer Justierung wird ein spezifischer, kontrollierter Stoß mit kurzem Hebel, niedriger Amplitude und hoher Geschwindigkeit verstanden. Im Mittelpunkt der chiropraktischen Behandlung stehen immer das Ziel der Schmerzreduktion, der Erhalt der Mobilität und die Wiederherstellung der Gelenkbeweglichkeit und die damit einhergehende Steigerung der Lebensqualität.

Gute Prophylaxe schützt das Pferd

Alternative Therapien ermöglichen zusammen mit der Schulmedizin eine umfassende gesundheitliche Betreuung der Pferde. Begleitend, aber auch nach Beendigung der schulmedizinischen Behandlung, eignen sich Muskel-, Gelenks- oder physikalische Anwendungen für eine schnellere Genesung, zur Mobilisation und Gesunderhaltung. Die Alternativmedizin stellt keinen Ersatz für die Schulmedizin dar, sondern ergänzt diese in vielen Belangen sehr erfolgsversprechend.

Reiten ist auch Physiotherapie: Korrektes, gymnastizierendes Reiten trägt einen erheblichen Teil zur Gesunderhaltung des Pferdes bei und kann nicht ersetzt werden. Foto: Stefan Lafrentz

Nach wie vor ist aber die Prophylaxe das beste Mittel, um das Pferd lange fit und gesund zu erhalten. „Gutes, gymnastizierendes Reiten ist auch Physiotherapie und trägt einen großen Teil zur Gesunderhaltung bei“, erklärt Dr. Lagershausen. Eine solide und korrekte Grundausbildung fördert die Elastizität, die Beweglichkeit und das Wohlbefinden des Pferdes, dabei ist eine entsprechende Aufwärmphase unerlässlich.

Lorella Joschko

Buchtipp:

Selbst Hand anlegen – die Grundlagen der Physiotherapie und Übungen zum Nachmachen gibt es in „Biomechanik und Physiotherapie“ von Helle Katrine Kleven. Erschienen im FNverlag unter der ISBN 978- 3-88542-709-4.

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