Vorheriger Artikel

Ausgabe 05/2020
Persönlichkeiten der Pferdeszene: Martin Plewa

Nächster Artikel

Ausgabe 05/2020
Hilfe in Corona-Zeiten: Zusammenhalten und Schulpferde retten

Lahmheiten beim Pferd

Aus dem Takt geraten

Früher oder später trifft es viele Pferde: „Lahmheiten machen einen großen Anteil unserer Arbeit aus. Es spielt auch keine Rolle, ob ein Pferd nur auf der Weide steht oder ein Sportpferd ist“, sagt Tierärztin Dr. Cosima von Saldern von der Tierärztlichen Praxis für Pferde in Warendorf. Sie erklärt, warum Lahmheiten manchmal schwer zu erkennen sind und wie sie behandelt werden können.

Beim Vortraben achtet der Tierarzt darauf, ob alle Beine gleichmäßig abfußen oder ein Taktfehler vorliegt. Fotos (2): Frank Sorge

Häufige Ursachen für Lahmheiten sind zum Beispiel akute Verletzungen, Hufgeschwüre oder Zerrungen. Während älteren Pferden oft Arthrosen in den Gelenken Probleme bereiten, liegen bei jungen Pferden eher Verletzungen an den Sehnen und Bändern vor. Die vorderen Gliedmaßen sind häufiger betroffen als die hinteren, da sie rund 55 Prozent der Körperlast tragen: „An den Vorderbeinen ist der Bereich vom Fesselgelenk bis zum Huf am anfälligsten. An den Hinterbeinen liegen die Ursachen oft an den Sprung- und Fesselgelenken und im Bereich dazwischen“, meint Dr. von Saldern. Schmerzen im Rücken haben ihre Ursache laut der Tierärztin häufig woanders: „Das ist wie bei uns Menschen. Wenn wir Knieprobleme haben, entwickeln wir dadurch oft eine Fehlhaltung im Rücken. Deshalb muss bei Rückenproblemen immer geklärt werden, ob primär zum Beispiel das Sprunggelenk Probleme macht.“

Lahmheiten erkennen

Stärkere Lahmheiten an den Vorderbeinen zeigen sich dadurch, dass das Pferd im Trab den Kopf hebt, wenn es mit dem schmerzenden Bein auftritt und ihn wieder senkt, wenn das andere Vorderbein auffußt. Somit entsteht eine nickende Kopfbewegung, das Pferd „fällt“ auf das gesunde Bein, um das betroffene Bein zu entlasten. Um Lahmheiten an den Hinterbeinen festzustellen, sollten Reiter schauen, ob sich die Kruppe gleichmäßig und symmetrisch bewegt. Dieses kann man am besten bewerten, wenn man das Pferd von hinten betrachtet. Laut Dr. von Saldern sind geringgradige Lahmheiten oft schwer zu sehen: „Man sollte auf eine Symmetrie in der Vorführphase der Beine achten, alle Phasen sollten gleichmäßig sein. Ein Anzeichen für eine Lahmheit ist immer ein Ungleichmaß, eine Taktunreinheit. Weitere Anzeichen können aber auch Unwilligkeiten oder Steifheiten beim Reiten sein. Dadurch ist es oft nicht einfach zu erkennen, ob ein Pferd im klassischen Sinne lahm ist oder ein Rittigkeitsproblem vorliegt.“

Lahmheiten vorbeugen

Vorbeugen ist besser als heilen: Damit es im Idealfall gar nicht erst zu einer Lahmheit kommt, hat das PM-Forum einige Tipps für den Alltag gesammelt.

Gründliches Aufwärmen
Das gründliche Aufwärmen zu Beginn des Trainings ist wichtig, damit sich die Muskulatur, Sehnen, Bänder und Gelenke an die Bewegung anpassen können. Vielseitigkeitsreiter Schäfer-Gehrau hat einen klaren Zeitplan: „Ich reite jedes Pferd 15 bis 20 Minuten im Schritt und fange dann mit der lösenden Arbeit im Trab und Galopp an.“

Sinnvolle Trainingsgestaltung
„Das Training sollte regelmäßig und gleichmäßig, aber auch vielseitig gestaltet werden“, sagt Dr. von Saldern. Schäfer-Gehrau macht jede Woche einen Trainingsplan für seine Pferde. Außerdem versucht er, einen guten Ausgleich zwischen Belastung und Regeneration sicherzustellen: „Nach einer sehr anstrengenden Trainingseinheit lege ich keine komplette Pause ein. Eine lockere Einheit am nächsten Tag wirkt Muskelkater entgegen.“

Vorsicht bei jungen Pferden
„Junge Pferde müssen langsam aufgebaut werden. Ein 5-jähriges Pferd reite ich beispielsweise nur vier- oder maximal fünfmal in der Woche. An den anderen Tagen bewege ich es anders“, sagt Schäfer-Gehrau. Denn: Die Knochenstrukturen und Sehnen der Pferde brauchen Zeit, um sich an die Belastung zu gewöhnen.

Viel ruhige Bewegung
Pferde brauchen so viel ruhige und gleichmäßige Bewegung wie möglich. Das beherzigt auch Schäfer-Gehrau: „Mir ist wichtig, dass meine Pferde dreimal am Tag bewegt werden. Neben dem Training gehen alle täglich für mehrere Stunden auf die Wiese oder im Winter auf den Paddock. Außerdem laufen sie in der Führmaschine.“

Tierarzt anrufen

Brandon Schäfer-Gehrau kennt Probleme mit Lahmheiten: „Leider habe ich schon einige Pferde gehabt, die wegen einer Lahmheit länger ausgefallen sind.“ Bei Rittigkeitsproblemen ruft er lieber einmal zu oft den Tierarzt: „Wenn ich das Gefühl habe, dass etwas nicht stimmt, frage ich zuerst meinen Trainer und rufe dann aber relativ schnell den Tierarzt.“ Der Vielseitigkeitsreiter ergänzt: „Auch wenn nur ein Wirbel blockiert ist, ist es wichtig, schnell zu handeln. Oft entstehen aus diesen kleinen Dingen größere Probleme. Deshalb arbeite ich zudem eng mit meinem Physiotherapeuten zusammen.“

Bei einer Lahmheitsuntersuchung fühlt der Tierarzt, ob das Bein zum Beispiel Schwellungen oder übermäßige Wärme aufweist.

 Ist das Pferd vom einen auf den anderen Tag plötzlich lahm, lassen viele Reiter nicht direkt den Tierarzt kommen. Das ist laut Dr. von Saldern unter bestimmten Voraussetzungen in Ordnung: „Wenn es keine Vorgeschichte gibt und man eine leichte Lahmheit zum ersten Mal fühlt, kann man ruhig zwei, drei Tage abwarten. Wenn sich die Lahmheit nach der Pause nicht verbessert hat oder sogar schlechter geworden ist, sollte man den Tierarzt rufen.“ Sie ergänzt: „Wichtig ist, dass man weiß, wie die Gliedmaßen des eigenen Pferdes normalerweise aussehen und wie sie sich anfühlen, um Veränderungen schnell zu erkennen.“

Diagnostik

Eine Lahmheitsuntersuchung läuft meist nach demselben Schema ab: „Typischerweise lasse ich mir das Pferd an der Hand vorführen, schaue mir die Gliedmaßen an, taste das entsprechende Bein ab und vergleiche es mit der Gegenseite. Danach gucke ich mir das Pferd in der Bewegung genauer an und anästhesiere das betroffene Bein von unten nach oben, um die Lahmheit zu lokalisieren“, erklärt Dr. von Saldern. Je nachdem, wie das Ergebnis der Untersuchungen ausfällt, kommen verschiedene bildgebende Verfahren zum Einsatz, einzeln oder oft auch in Kombination. Hier setzen Tierärzte oft das Röntgen oder den Ultraschall ein. Ein Röntgenbild zeigt, ob Veränderungen an den Strukturen der Knochen und Gelenke vorliegen: „Es lassen sich zum Beispiel Arthrosen oder Fissuren erkennen. Die Weichteilstrukturen sind auf dem Röntgenbild hingegen nur im Umriss zu sehen“, erklärt Dr. von Saldern.

Akute Entzündungen lassen sich über dieses Verfahren nicht feststellen. Die Strukturen der Weichteile zeigt eine Ultraschalluntersuchung. Zu den Weichteilen gehören das Bindegewebe, die Muskeln und das Fettgewebe. Allerdings hat der Ultraschall der Tierärztin zufolge Schwächen: „Durch andere Strukturen verdeckte Schichten, wie zum Beispiel die Bänder und Sehnen im Huf, sind über den Ultraschall nur schlecht zu erreichen.“ Hier kann eine Magnetresonanztomographie (MRT) oder eine Computertomographie (CT) helfen. Für Tierärzte ist es besonders dann schwierig eine Diagnose zu stellen, wenn sich eine Lahmheit über das stückweise Betäuben des Beines nicht lokalisieren lässt. In diesem Fall kann unter Umständen eine Szintigraphie helfen. Sie zeigt auf, ob der Stoffwechsel des Knochens gestört ist: „Durch sie erkennen wir akute Veränderungen im Bereich des Knochens. Dadurch bekommt man einen guten Überblick, hat aber nur wenig Informationen über die Weichteile“, sagt Dr. von Saldern. 

links: Über die Szintigraphie lassen sich akute Veränderungsprozesse in den Knochen erkennen. Foto: Christiane Slawik

rechts: Ein Röntgenbild ist oft das Mittel der Wahl, um mög liche Probleme an den Knochen zu entdecken. Foto: Stefan Lafrentz

Therapie

Je nach Diagnose schlage der Tierarzt dem Pferdebesitzer unterschiedliche Maßnahmen und Therapiepläne vor, erklärt Dr. von Saldern: „Jede Verletzung bedarf einer individuellen Therapie. Ein Weidepferd behandelt man unter Umständen anders als ein Sportpferd.“ Für Schäfer-Gehrau sind bei der Behandlung verschiedene Aspekte relevant: „Wichtig finde ich, dass man einen bestimmten Tierarzt hat, der vom Anfang bis zum Ende der Lahmheit dabei ist, dem man vertraut und der das Pferd kennt.“ Während bei muskulären Problemen oft Ruhe und ein schmerzstillendes Medikament (ggf. in Kombination mit einer entsprechenden Physiotherapie) ausreichen, kommen bei schwereren Verletzungen an den Gliedmaßen andere Verfahren zum Einsatz. „Gängige Therapien sind orthopädische Beschläge, Stoßwellentherapie oder Lasertherapie“, erklärt Dr. von Saldern.

Orthopädische Beschläge sind vor allem dann hilfreich, wenn die Ursache der Lahmheit nah am Huf – also im unteren Teil der Gliedmaße – liegt, etwa bei Problemen am Fesselträgerursprung. Bei ihnen kann zudem eine Stoßwellentherapie zum Einsatz kommen. Sie stellt die klassische Therapie bei Verletzungen am Übergang von Bändern und Knochen sowie Sehnenschäden dar. Stoßwellen sind präzise Druckwellen, die sich positiv auf die Heilung von Knochen oder Gewebe auswirken. Sie unterstützen zum Beispiel die Bildung von Blutgefäßen und lösen Verklebungen der Sehnenfasern.

Physiotherapie hilft bei muskulären Problemen und ist oft als ergänzende Therapie bei der Heilung von Verletzungen sinnvoll. Foto: Stefan Lafrentz

 „Bei Sehnenschäden greifen Tierärzte zudem gerne auf die Lasertherapie zurück“, ergänzt Dr. von Saldern. Der Laser bestrahlt die betroffene Region mit Licht auf einer bestimmten Wellenlänge. Die Therapie wirkt schmerzlindernd und entzündungshemmend und hilft dabei, dass sich das Gewebe erneuert. Tierärzte setzen bei Entzündungen zudem häufig Kortison und Hyaluronsäure ein. Kortison wirkt schmerzstillend und entzündungshemmend. Hyaluronsäure ist ein wichtiger Bestandteil der Gelenkschmiere und unterstützt zusätzlich den Gelenkstoffwechsel. Insbesondere Kortison ist jedoch – vor allem bei wiederholter Verabreichung – nicht unumstritten. Deshalb sind seit einigen Jahren auch sogenannte regenerative Therapien vermehrt im Einsatz. Bei ihnen werden körpereigene Substanzen zur Therapie verwendet. Mit den Möglichkeiten dieser regenerativen Medizin setzt sich das PM-Forum in der nächsten Ausgabe auseinander.

Melanie Köster

Vorheriger Artikel

Ausgabe 05/2020
Persönlichkeiten der Pferdeszene: Martin Plewa

Nächster Artikel

Ausgabe 05/2020
Hilfe in Corona-Zeiten: Zusammenhalten und Schulpferde retten