Vorheriger Artikel
Ausgabe 06/2020
Rückengesundheit fürs Pferd: Auf das Zusammenspiel kommt’s an
Nächster Artikel
Ausgabe 06/2020
Bodenarbeit: Dr. Claudia Münch im Interview – Mit feinen Signalen zum Erfolg
Spitzenpferdesport in Corona-Zeiten
„Diese Zeit hat etwas mit mir gemacht“
Ein Buch lesen, Fahrradtouren mit der Familie, ausschlafen – was für viele Menschen ganz normal klingt, ist für viele Pferdesportler eine fast außergewöhnliche, teilweise sogar neue Erfahrung. Was tun die deutschen Spitzenreiter in Zeiten von Corona? Oder anders: Für welche neuen Erfahrungen sorgt die Corona-Pause?
Corona zwingt Isabell Werth zu Schulaufgaben mit ihrem Sohn. Aber es gab auch etwas zu feiern, denn im Mai wurde ihr Rentner und Star der FN-Filmreihe „Alte Helden“ Satchmo 26 Jahre alt! Foto: Monika Kaup/FN-Archiv
„Für mich sind diese Wochen ohne Turniere wie eine Winterpause im Frühling“, erklärt beispielsweise der dreimalige Olympiasieger in der Vielseitigkeit, Michael Jung. „Ich gönne mir auch mal ausschlafen und ein gemütliches Frühstück, gehe joggen oder sitze gemütlich auf dem Sofa und gucke einen Film.“
Im Januar noch mit fischerChelsea beim Weltcupspringen in Leipzig am Start, hat Michael Jung nun viel Zeit, sich um seine jungen Pferde zu kümmern. Foto: Stefan Lafrentz
Als er seine sportlichen Aktivitäten noch total der Vielseitigkeit verschrieben hatte, hat er diese Freiheiten in den Winterpausen ohne Vielseitigkeitsturniere genutzt. In den vergangenen Jahren hat sich der 37-Jährige auch immer mehr im Springsport engagiert. In der vergangenen Wintersaison war er nahezu jedes Wochenende unterwegs und ist von Weltcupturnier zu Weltcupturnier gereist. „Das Beste an dieser Winterpause im Frühling ist, dass man wirklich Zeit hat, sich intensiv um die jüngeren Pferde und die Pferde im Aufbau zu kümmern.“
Neuer Alltag
Das ist etwas, was Spitzenreiter aller drei olympischen Disziplinen in diesen Tagen verbindet: Alle begrüßen es, sich intensiv mit ihren Nachwuchs pferden zu beschäftigen. „In ‚normalen‘ Zeiten ist man durch die Turniere und die Arbeit viel stärker durchgeplant und es fehlt einem manchmal die Muße, häufiger mal nach rechts und links zu schauen“, erklärt auch die Mannschafts-Olympiasiegerin der Dressur, Dorothee Schneider.„Ich genieße sehr, dass ich einerseits im Betrieb noch bewusster vor Ort bin und vor allen Dingen noch intensivere, oder sagen wir konstantere Zeiten gerade mit den Youngstern erlebe. Ich bin die ganze Woche da, kann sie konstant reiten und sie intensiv fühlen. Das ist sehr schön.“ Direkt vor ihrer Haustür seien zudem die Außenboxen, an denen sie im Moment sehr häufig vorbeikomme. „Da genieße ich dann eine zusätzliche Schmuseeinheit mit den Pferden.“
Schickt seine Spitzenpferde auf die Weide, kümmert sich um den vierbeinigen Nachwuchs und organisierte ein Pilot-Turnier unter Einhaltung aller Corona-Auflagen: Holger Wulschner. Foto: Stefan Lafrentz
Das vorerst letzte Turnier: Mitte März war Dorothee Schneider mit Faustus noch Dritte im Grand Prix beim Signal Iduna Cup in Dortmund. Das Turnier fand da schon unter Auflagen und ohne Zuschauer statt. Foto: Stefan Lafrentz
Eisen ab und auf die Weide
Während die Vielseitigkeits- und Dressurreiter auch ihre Spitzenpferde weiter locker reiten und gymnastizieren, wählen einige Springprofis einen anderen Weg. „Das haben die Engländer schon immer so gemacht und ich zwischendurch auch und das hat den älteren, den erfahrenen Pferden immer gut getan“, betont Holger Wulschner.
Sonst viel unterwegs, wie hier bei Horses & Dreams in Hagen 2019, haben DressurBundestrainerin Monica Theodores cu und ihr Co-Trainer Jonny Hilberath nun Zeit für andere Dinge. Foto: Stefan Lafrentz
„Ich habe die Älteren angeweidet, bei einigen sogar die Eisen abgemacht und jetzt stehen sie mit einem schönen Unterstand Tag und Nacht auf der Weide und machen mal eine richtige Pause.“ Auch Wulschner stellt die Bedeutung für die Ausbildung der jüngeren Pferde in den Mittelpunkt: „Ich habe im Moment eine ganze Reihe jüngerer und neuer Pferde. Für die ist es optimal, dass ich viel zu Hause bin und mich mit ihnen befassen kann.“ Wer Wulschner kennt, wundert sich nicht: Der 56-Jährige ging noch einen Schritt weiter und hat am zweiten Mai-Wochenende ein Pilot-Turnier in erster Linie für junge Pferde und Berufsreiter auf die Beine gestellt – unter Einhaltung aller Corona-Auflagen.
„Es hat uns viel Energie gekostet, die Genehmigung für dieses Turnier zu bekommen – alles in Absprache mit dem Bürgermeister, dem Ordnungsamt und dem Landrat. Aber wir haben es geschafft. Wir hatten insgesamt 16 Prüfungen ausgeschrieben, die meisten für jüngere Pferde bis acht Jahre. So lange wir Corona im Nacken haben, wollen wir gerne unsere Anlage zur Verfügung stellen, damit wir ein bisschen weiterkommen in der Ausbildung der jungen Pferde und auch unseren Kollegen diese Möglichkeit bieten.“
Frühjahrsputz
Das Trainieren – jetzt, da es wieder erlaubt ist – das intensive Reiten und Ausbilden der Youngster ist für die meisten Profireiter im Moment das Wichtigste. Und dann gibt es da noch einen Punkt, der sie verbindet: Aufräumen! „Eine Reitanlage braucht viel Pflege“, unterstreicht Wulschner, Jung ergänzt: „Frühjahrsputz im Stall, Garage aufräumen, Hindernisse reparieren, Geländesprünge streichen – es gibt immer viel zu tun.“ Und Dorothee Schneider grinst und gibt zu: „Es kostet eine Riesenüberwindung, zum Beispiel den Keller oder den Dachboden aufzuräumen, aber wenn man es dann gemacht hat, ist man umso zufriedener.“ Schneiders Mann Jobst Krumhoff ist nicht nur im Sport meistens an ihrer Seite, er packt auch bei Keller und Dach mit an – und danach freuen sich die beiden auf ihr gemeinsames Abendessen. „Ich genieße sehr, jeden Tag mit meinem Mann zu Hause zusammen Abend zu essen. Normalerweise ist er während der Woche unterwegs und ich bin allein hier oder wir sind zusammen auf den Turnieren.“
Lesen und Familienzeit
Langeweile kommt bei keinem der deutschen Spitzenpferdesportler auf. Das erklärt auch die Cheftrainerin der Dressurreiter, Monica Theodorescu: „Ich langweile mich nicht zu Hause, im Gegenteil. Es ist auch eine Zeit, um sich zu besinnen und vielleicht ein paar Dinge zu ordnen – nicht nur, was das Haus oder den Garten betrifft, sondern auch sich selbst. Und ich nutze die Gelegenheit, mal wieder ein Fachbuch zu lesen. Ich kann nur sagen: Das empfiehlt sich.“
Ihr Kollege bei den Springreitern, Otto Becker, ist Vater von drei Töchtern und erzählt: „Die ganze Familie ist ja im Moment zu Hause. So hatte man auch zusammen Zeit und hat mal eine Fahrradtour gemacht, ist spazieren gegangen – Dinge, die normale Familien auch machen.“ Viele Pferdesportler sind in Corona-Zeiten nicht nur Väter und Mütter, sondern schlüpfen zusätzlich auch zeitweilig in die Lehrerrolle. „Ich habe zwischendurch Schularbeiten mit meinem Sohn zu Hause gemacht, das hat mir ziemlich viel Zeit genommen“, lacht Isabell Werth und spricht damit stellvertretend für Tausende von Eltern, „weil mein Sohn allein natürlich keine Lust dazu hatte.“ Aber Werth hat sich auch für ihre Mitarbeiter etwas Besonderes in den Corona-Zeiten ausgedacht: „Ich habe schon mal ‚angedroht‘, dass wir ein kleines internes ‚Late-Entry‘ bei uns im Stall mit meinen Bereitern machen. Das hat erstmal unterschiedliche Begeisterung hervorgerufen, weil ich angedroht habe, ich würde mich als Richterin an den Richtertisch setzen (lacht herzhaft). Aber Spaß beiseite: Wir sind ja insgesamt sehr froh, dass wir das alles weiter so durchziehen können. Man bekommt fast ein schlechtes Gewissen, weil viele andere definitiv in einer viel schlechteren Lage sind.“
Spring-Bundestrainer Otto Becker genießt die Familien zeit mit Frau und seinen drei Töchtern. Foto: Monika Kaup/ FN-Archiv
Auf anderen Pfaden
Corona sorgt bei den Spitzenpferdesportlern für gut aufgeräumte Reitanlagen, für frisch gestrichene Hindernisse, für Zeit mit jungen Pferden, um die sich noch intensiver als sonst gekümmert wird, für die ein oder andere Mußestunde – oder für vorgezogene Buchprojekte, wie bei Ingrid Klimke. Die Reitmeisterin ist als einzige Reiterin in zwei Olympiakadern gleichzeitig, Dressur und Vielseitigkeit. Klimke ist aber auch medial seit vielen Jahren sehr gefragt, etliche DVDs hat sie schon veröffentlicht und zahlreiche Bücher geschrieben.
Bei ihr kommt keine Langeweile auf! Ingrid Klimke hat Zeit für ihre zahlreichen Projekte, so auch für ihr Magazin, das aus dem Hause der ReiterRevue kommt und dessen Abonnement Persönliche Mitglieder zum Vorzugspreis bestellen können.
„Im kommenden Jahr wollte ich eigentlich ein neues Buch über Geländereiten schreiben“, erzählt sie, „vielleicht ziehe ich das jetzt einfach vor.“ Fast philosophisch wird es, wenn man mit dem Co-Bundestrainer der Dressurreiter, Jonny Hilberath, über seine Erfahrungen in Zeiten von Corona spricht. „Ich merke, dass diese Zeit etwas mit mir gemacht hat“, beginnt Hilberath. Für die meisten Menschen bedeute diese Pandemie Angst, Unsicherheit und Schmerz. Unter diesen Umständen sei es sehr schwer, davon zu sprechen, dass man für sich selbst auch positive Veränderungen erlebe. „Das, was ich zu normalen Zeiten tue, die Turniere, das Trainieren, die Erfolge, ist für mich höchst erfüllend. So sieht es mein Kopf, mein Körper sieht das manchmal etwas anders. Jetzt in dieser Phase habe ich mehr Zeit für meinen Körper, ich bin viel in der Natur, ich laufe, walke, fahre Fahrrad – man hat jetzt ein Leben neben dem Pferdesport. Ich hoffe, dass ich aus dieser Phase mitnehme, dass ich mein Zeitmanagement verbessere und mir selbst auch weiterhin mehr Zeit einräume. Das ist nichts, was mit dem Alter zu tun hat. Ich glaube, eine gute Balance im Leben ist für jeden wichtig.“
Kim Kreling
Vorheriger Artikel
Ausgabe 06/2020
Rückengesundheit fürs Pferd: Auf das Zusammenspiel kommt’s an
Nächster Artikel
Ausgabe 06/2020
Bodenarbeit: Dr. Claudia Münch im Interview – Mit feinen Signalen zum Erfolg