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Lahmheiten beim Pferd – Aus dem Takt geraten

Persönlichkeiten der Pferdeszene: Martin Plewa

100 Prozent Ausbilder

Martin Plewa hat in seiner Laufbahn jede erdenkliche Funktion im Reitsport innegehabt, er hat von alten Meistern gelernt und sich fortgebildet zu dem, was er heute ist: ein Ausbilder mit Leib und Seele. Ein Besuch zu seinem 70. Geburtstag.

Alle Fotos: Jacques Toffi

Für einen Moment hört man nur das rhythmische Atmen des Pferdes und die Hufe, die im Dreitakt des Galopps auf dem Sandboden landen. Dann donnert es völlig unerwartet durch die ganze Reithalle: „Das Maul ist das Heiligtum des Pferdes!“ Kurzes Zusammenzucken, man ist hellwach und verinnerlicht sofort, was Martin Plewa deutlich machen will, bevor er – in moderater Lautstärke – mit seinem Springlehrgang fortfährt. Er holt einen ab. Egal, ob als Reiter oder Zuhörer. Seine Begeisterung steckt an. Er erklärt, er stellt Fragen, er spricht mal laut, mal leise, mal eindringlich, mal spaßig, mal sachlich, mal überspitzt, aber immer: für das Pferd. Es geht in seinen Lehrgängen vor allem um Grundlagen, darum, Grundlegendes herauszuarbeiten und Pferd und Reiter so fundiert wie möglich und fachlich korrekt zu fördern. Dafür ist der Reitmeister das ganze Jahr über in der ganzen Welt unterwegs, er ist ein gefragter Mann.

Viele Rollen, viele Lehrmeister

Szenenwechsel. Martin Plewa hat am Esstisch in seinem Warendorfer Wohnhaus Platz genommen. Er erzählt aus seinem Leben. Seine Expertise hat sich der 70-Jährige mit schlohweißem Haar über Jahrzehnte angeeignet. In seinem Leben hat er alle Facetten des Reitsports durchlaufen – als Reiter, Ausbilder, Gelände- und Parcourschef, Technischer Delegierter, Bundestrainer, Landestrainer, Dozent an der Deutschen Reitschule und an der Hochschule in Nürtingen, Funktionär, Richter und Mitglied in diversen Gremien, Komitees, Vereinen und Verbänden. „Ich habe hunderte Fachbücher gelesen und mein Ziel war es immer, mich so kenntnisreich wie möglich zu machen“, erläutert Martin Plewa. Er ist konzentriert, ernsthaft. Das Thema Ausbildung ist ihm eine Herzensangelegenheit.

„Ich hatte super Ausbilder und habe die Schnittstellen der Generäle und Offiziere mitbekommen. Hans Winkel, Hans Heinrich Brinkmann, die Generäle Graf Rothkirch und Viebig, Paul und Albert Stecken, Max Habel sowie die „Zivilisten“ Willi Schultheis, Siegfried Peilicke, Hans Günter Winkler, Dr. Reiner Klimke, Rosemarie Springer und viele mehr – dass ich solche Leute kennenlernen dufte… Wer hat heute noch das Glück? Ich habe ihren Unterricht genossen, den Aktiven der damaligen Zeit zugeguckt und versucht, nicht zu viel falsch zu machen. Man hat automatisch viel Wissen mitbekommen über Haltung, Ausbildung, alles. Es wurde – so hat Major a. D. Paul Stecken mir von seiner Zeit im Reiterregiment berichtet – jeden Tag, wirklich jeden Tag (!), in der Mittagspause über Reitlehre diskutiert. Das macht heute niemand mehr. Und man kann nicht alles ins Regelwerk oder Lehrbuch stecken, man lernt ganz besonders aus Erfahrung.“

Seit fast einem halben Jahrhundert ein Paar: Seine Frau Gabriele lernte Martin Plewa über die Reiterei kennen. Gemeinsam haben sie vier Kinder.

Martin Plewa sitzt schon als kleiner Junge im Alter von sechs Jahren sicher im Sattel.

Der Weg zum Pferd

Den Grundstein für Martin Plewas von Pferden geprägten Lebensweg legte sein Vater Major a. D. Wilhelm Plewa. Der gebürtige Ostpreuße war im Zweiten Weltkrieg bei der berittenen Artillerie. „Er kannte sich sehr gut aus mit Pferden“, so Martin Plewa. Er wuchs auf in Vreden im Münsterland an der holländischen Grenze mit vier Geschwistern – zwei Brüder und zwei Schwestern. Die Brüder, Martin und Dietrich, fingen an zu reiten. Martin Plewa war damals sechs Jahre alt. Die beiden lernten bei ihrem Vater, „Unterrichten konnte er gut – laut und deutlich“, erzählt Martin Plewa und muss schmunzeln.

Er bewies Talent im Sattel und entwickelte sich kontinuierlich weiter. „Wir sind früher zu den Turnieren geritten. Die Vierecke waren auf Gras und Jugendreiterprüfungen immer mit Pferdewechsel und ohne Ausbinder.“ Er kam in Kontakt mit der Westfälischen Reitschule in Münster und Paul Stecken. Zwischen 1964 und 1968 startete er bei den Deutschen Juniorenmeisterschaften in allen Disziplinen und gewann Bronze in Dressur und Springen. Mit 17 Jahren stieg er vermehrt in die Vielseitigkeit ein, mit Pergola, einer westfälischen Stute des Vollblüters Pluchino xx. Paul Stecken war es, der ihm die Stute zugewiesen hatte. Die Vielseitigkeit sollte dann auch zu seiner Paradedisziplin werden.

Nach dem Abitur 1968 zog Martin Plewa nach Warendorf um. Er studierte in Münster Mineralogie, Chemie, Geographie und Pädagogik. Seinen Wehrdienst leistete er erst bei der Bundeswehr Münster-Handorf ab und wechselte dann Ende 1969 nach Warendorf.  „Ich war vormittags im Büro und nachmittags konnte ich reiten, nach Eröffnung der Bundeswehrsportschule dann sogar ganztägig.” Martin Plewa beendete sein Studium und war acht Jahre lang am Gymnasium in Versmold als Lehrer und im Verwaltungsbereich tätig. Seinen Beruf konnte Plewa gut mit der Reiterei verbinden, es blieb genügend Zeit für das tägliche Training. Seine Frau Gabriele lernte Plewa 1971 in Warendorf über die Reiterei kennen. Bis heute ist das Paar, das vier Kinder hat – drei Mädchen und einen Jungen zwischen 30 und 44 Jahren – der Reiterstadt treu geblieben. Nach dem Abitur 1968 zog Martin Plewa nach Warendorf um. Er studierte in Münster Mineralogie, Chemie, Geographie und Pädagogik. Seinen Wehrdienst leistete er erst bei der Bundeswehr Münster-Handorf ab und wechselte dann Ende 1969 nach Warendorf. 

Martin Plewa (rechts) im fachlichen Austausch mit Paul Stecken (Mitte) und Hans Melzer (links).

Herzenspferde und Schicksal

Martin Plewa nahm zwischen 1969 und 1984 an mehreren Deutschen Meisterschaften (Silber), zwei Europa- und zwei Weltmeisterschaften teil (WM-Teambronze). „Bei der EM in Kiew erwartete uns Reiter ein sehr hügeliges Gelände. Die Bodenverhältnisse waren schlecht, bei Sprung zwei ging es einen Berg herunter auf einen riesigen Graben zu mit einem Oxer überbaut, zwei Drittel der Teilnehmer sind dort gestürzt. Davon hat man damals auf dem Abreiteplatz glücklicherweise nichts mitbekommen. Virginia und ich sind losgeritten und ohne Fehler ins Ziel gekommen. Die Stute hatte nie einen Geländefehler.“ Plewa wurde am Ende Sechster in der Einzelwertung. Virginia war eine Hannoveraner Stute v. Velten mit überschaubaren 1,60 Meter Stockmaß. Sie gehört zu den Pferden, die für Martin Plewa die größte Bedeutung haben. „Virginia ließ keinen Fremden an sich heran, auch keinen Tierarzt, meine Frau und ich mussten alles selbst machen, auch sie behandeln.

Als Bundes trainer betreute Martin Plewa 16 Jahre lang die Buschreiter, darunter auch Bettina Hoy, damals noch Overesch.

Wir haben direkt am Stall gewohnt, hatten derzeit keine Pfleger. Rückblickend betrachtet, ist es ein schönes Gefühl, dass die Pferde uns so vertraut haben und dass wir zu einer Einheit geworden waren.“ Dabei denkt er ebenso an den Trakehner Habicht v. Burnus. Der Rappe war sehr hengstig und als schwierig im Umgang verrufen, als er zu Familie Plewa kam. Aber sein Vertrauen konnten Plewas ebenfalls gewinnen und der Hengst war es auch, der Martin Plewa durch eine schwierige Zeit begleitete. Denn mit 27 Jahren erlebte Plewa einen schweren Schicksalsschlag. Er brach sich bei einem Reitunfall das Genick.

„Ich hatte einen irischen Vollblüter, auf dem man ganz still und gerade sitzen musste, weil er ansonsten Panik bekam. Selbst beim Grüßen musste ich den Helm nach vorne vor meine Brust nehmen. In einer Geländeprüfung verlor ich über einem Gatter etwas die Balance und rutschte ein wenig zur Seite – mein Pferd wurde panisch und rannte los. Ich stürzte und fiel mit dem Kopf auf einen Baumstumpf. Es dauerte ein halbes Jahr mit Gipskorsett und Halskrause, bis ich wieder in den Sattel steigen konnte.“ Habicht war das erste Pferd, auf dem Martin Plewa nach seinem Unfall saß. Die beiden starteten in Achselschwang – und gewannen. „Habicht war in fast jeder Dressur vorn, er sprang super, hatte ein tolles Galoppiervermögen und vor allem ein hervorragendes Interieur mit toller Leistungsbereitschaft.“

Breiter Horizont

2001 gab Plewa, dem das Reiterkreuz in Gold verliehen wurde, seinen Trainerposten ab und wurde Leiter der Westfälischen Reit- und Fahrschule in Münster. „Für meine Tätigkeit dort war es sehr positiv, dass ich Meister war, pädagogisch ausgebildet worden bin und verwaltungstechnisch geübt war. Die Arbeit an der westfälischen Reitschule hat mir viel gebracht. Wir hatten alle Sparten des Reitsports: einen Schulbetrieb, Meister- und Trainerlehrgänge, Voltigieren, therapeutisches Reiten, Fahren, viele Lehrlinge und über 60 Schulpferde. Das alles hat meinen Horizont unheimlich erweitert“, beschreibt er und betont: „Ich habe wahnsinniges Glück gehabt in meinem Leben im Pferdesport.“ Seit 2009 ist er Dozent an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt, Fachbereich Pferdewirtschaft in Nürtingen, er war vertreten in verschiedenen Gremien des Deutschen Sportbundes (DSB), des Nationalen Olympischen Komitees, der FN und des Landesverbandes sowie engagiert im Fachausschuss Vielseitigkeit der Deutschen Richtervereinigung. Er ist Mitglied im Aufsichtsrat bei Xenophon, Stützpunkttrainer Westfalen, im Vorstand des Westfälischen Pferdemuseums und Mitautor der FN-Richtlinien.

Worte eines Reitmeisters: „Ich habe hunderte Fachbücher gelesen.“

 Außerdem war er beteiligt an der Entwicklung der Ethischen Grundsätze, Teil 1 für die Pferde und Teil 2 für das Verhalten unter Pferdeleuten. „Die Ausbildung von Pferd und Reiter für die Vielseitigkeit hat mir immer am meisten Spaß gemacht. Es ist ein sehr abwechslungsreiches Training, im Vielseitigkeitslager herrscht immer eine lockere, freundschaftliche Atmosphäre. Alle sind hilfsbereit. Ich lobe heute auch immer die Eltern und bin dankbar für ihr Engagement, weil ich weiß, was meine Eltern mir alles ermöglicht haben.“

Philosophie

Sein letztes Turnier ist Plewa 1985 geritten, sein letztes von ihm ausgebildetes Pferd gab er an Ingrid Klimke weiter, den Trakehner Grand Prix, der Ingrid Klimke zum Einstieg in die große Vielseitigkeit verhalf, mit ihr bei der Deutschen Meisterschaft ging und in der Auswahl für die Olympischen Spiele in Barcelona war. Wenn auch nicht auf das eigene Pferd, steigt Martin Plewa bis heute gerne ab und zu in den Sattel. Abseits der Pferde ist er in der Natur zu finden und er interessiert sich für Kultur. Von seinen Reisen hat er aus fast jedem Land eine landestypische Pferdeskulptur mit gebracht. Die bunte Sammlung ziert sein Arbeitszimmer nebst Vitrinen mit Medaillen und Ehrungen, Kunstwerken an der Wand, einem großen Schreibtisch aus schwerem Holz und Regalmetern voll mit Büchern. Nach wie vor ist Martin Plewa viel unterwegs. Und mehr denn je ist ihm wichtig, eine Botschaft zu vermitteln: Ohne pferdegerechte Ausbildung geht nichts.

„Heute lassen sich Ausbilder zu wenig Zeit zu erklären, wie man zum Beispiel ein Pferd richtig an die Hilfen stellt, wie korrektes Reiten funktioniert. Früher musste man es lernen, die Pferde waren vielleicht schwieriger, aber nie widersetzlich. Für mich ist total wichtig, nicht zu vergessen, dass ein Reitpferd eigentlich gar nicht fürs Reiten geschaffen ist. Viele Reiter sind technisch nicht schlecht, sie haben aber verlernt, sich in das Pferd hineinzuversetzen. Aber das ist das Wichtige: Man muss in das Pferd hineinhorchen, wie Max Habel immer sagte. Dabei ist es doch so, dass Pferde oft vermenschlicht werden – ‚Der Bock hat keine Lust, veräppelt mich…‘ – aber der Mensch muss sich quasi ‚verpferdlichen.‘ Heißt: Das Pferd darf nicht bestraft werden, wenn es einen Fehler macht, sondern ich muss mich selbst hinterfragen. Das Verständnis des Pferdes ist Voraussetzung für das Verständnis der Reitlehre. Ich muss das Pferd so ausbilden, dass es alles freiwillig und selbstverständlich macht.“

Aus aller Welt ins Arbeitszimmer: Martin Plewa hat von seinen Reisen viele Pferde-Skulpturen mitgebracht.

Ob als aktiver Reiter oder als Trainer: Martin Plewa hat viel gewonnen in seiner Karriere.

Mit Herz und Seele

Am Ende des Besuchs ist es Zeit für Fotos. Die Wahl der Location fällt Fotograf Jacques Toffi nicht schwer. Der Wasserkomplex des Geländeplatzes beim DOKR in Warendorf – quasi Martin Plewas zweites Zuhause. Während der Reitmeister im wadenhohen Wasser steht und sich auf Toffis Anweisungen konzentriert, kommt ein Reiter mit seinem Pferd von einer Schrittrunde im Gelände vorbei. „Kopf hoch, Absatz tief und Daumen dachförmig, Reihenfolge ist beliebig“, ruft Martin Plewa ihm mit einem Grinsen entgegen. Ausbilder? Jederzeit! 100 Prozent!

Laura Becker

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