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Fit fürs Pferd: Übungen für ein ruhiges Reiterbein
Die Grundschule des Pferdes, Teil 2
Erste Schritte unterm Sattel
Wenn ein Pferd drei Jahre alt wird, ist es allmählich Zeit für die Grundschule, also die Ausbildung unter dem Sattel. Wann und wie genau man startet, ist von Pferd zu Pferd unterschiedlich und hängt ab vom Ex- und Interieur und davon, wie die weitere Planung aussieht.
Der Reiter legt sich vorsichtig über den Sattel und wird von einem Helfer geführt. Foto: Stefan Lafrentz
Ein guter Zeitpunkt, ein Pferd in Arbeit zu nehmen ist, wenn die körperliche Verfassung stimmt – also wenn ein junges Pferd nicht übermäßig überbaut ist, die Proportionen stimmen, es gut bemuskelt ist und eine breite Brust hat“, erklärt Jungpferdeausbilder Hendrik Baune. „Es gibt frühreife Pferde und solche, bei denen man mental merkt, dass sie etwas zu tun brauchen, die etwas arbeiten wollen. Genauso gibt es aber auch Pferde, die ein bisschen mehr Zeit brauchen, vom Kopf her noch nicht so weit oder hinten höher und insgesamt schmal gebaut sind.“ Wenn ein Pferd nicht auf eine Körung oder eine wichtige Prüfung vorbereitet werden soll, kann man die Anreitephase auf mehrere Monate ausdehnen und längere Pausen einbauen. „Ich würde ein dreijähriges Pferd im Frühjahr anlongieren und anreiten und dann ab Mai bis zum Herbst noch einmal auf die Weide stellen. Das ist der allerschönste Weg“, betont Hendrik Baune.
Die Experten
Hendrik Baune betreibt einen Aufzucht- und Ausbildungsbetrieb im Münsterland. Die Schwerpunkte des Betriebs liegen auf der Hengstaufzucht sowie der Ausbildung von Stuten und Hengsten und deren Vorbereitung auf Leistungsschauen und Körungen.
Martin Plewa hat als Vielseitigkeitsreiter an Deutschen Meisterschaften, Europa- und Weltmeisterschaften teilgenommen. Der Reitmeister war Vielseitigkeitsbundestrainer und Leiter der westfälischen Reitschule. Er ist Experte in Sachen Pferde- und Reiterausbildung und ein sehr gefragter Referent.
Ausrüstung kennenlernen
Möchte man das Pferd vor dem Anreiten anlongieren, kann man eine Trense oder einen Kappzaum verwenden und mit oder ohne Longiergurt starten. Bei allen neuen Ausrüstungsgegenständen, an die man ein Pferd gewöhnen möchte, gilt: Erst einmal begutachten lassen und in aller Ruhe an das Pferd bringen. Ein Kappzaum muss fachgerecht verschnallt werden, er darf nicht drücken oder rutschen und muss gut gepolstert sein. Den Longiergurt legt man zunächst vorsichtig auf den Pferderücken. Am besten verwendet man eine so gut gepolsterte Variante, dass man keine Unterlage braucht. Der Gurt wird erst einmal mit einer Handbreit Luft verschnallt. Dabei muss man immer die Reaktion des Pferdes beobachten.
Gurtet man zu schnell und zu fest, riskiert man, dass das Pferd Sattelzwang entwickelt. Am besten ein paar Runden gehen und dann noch einmal nachgurten. Bei empfindlichen Pferden kann es helfen, in der Bewegung (mit einem Helfer) zu gurten. Das Auftrensen erfolgt in gewohnter Umgebung, vorzugsweise in der Box. Dabei geht man vor wie bei einem erfahrenen Reitpferd. Wichtig ist, dass die Bewegungen ruhig und vorsichtig ausgeführt werden, damit das Pferd keine schlechten Erfahrungen macht. Man steht seitlich am Kopf, öffnet vorsichtig das Maul des Pferdes und schiebt das Gebiss – am besten eine einfach oder doppelt gebrochene Wassertrense – hinein. Ein Leckerlie kann anfangs das junge Pferd motivieren, sein Maul zu öffnen. Dann streift man das Genickstück über die Ohren. Kehl- und Nasenriemen werden locker verschnallt. Einen Kinnriemen braucht es anfangs nicht. Schließlich wird über der Trense ein Halfter angelegt, damit man das Pferd nicht am Gebiss führen muss.
„In der Gewöhnungsphase legt man den Grundstein für die gesamte weitere Ausbildung. Hektik, Unbeherrschtheit oder Ungeduld sind Eigenschaften, die ein Jungpferdeausbilder nicht haben darf“, betont Reitmeister Martin Plewa. „Alles muss dem Pferd spielerisch, aber konsequent beigebracht werden. Pferde haben ein exzellentes Erinnerungsvermögen – hat man erst einmal etwas falsch gemacht und ein ‚Pro blempferd‘ produziert, wird es schwierig, dies dauerhaft und verlässlich zu korrigieren.“ Generell arbeitet Plewa nur mit jungen Pferden, die zuvor einige Stunden Weidegang hatten und damit ausgeglichener sind.
Das erste Auftrensen findet in gewohnter Umgebung statt, beispielsweise in der Box. Fotos (2): Stefan Lafrentz
„Das Maul ist das Heiligtum des Pferdes.“ Daher sollte die Longe zu Beginn immer an einem Kappzaum oder Halfter befestigt werden, nicht jedoch direkt am Gebiss.
An der Longe
Die ersten Longiereinheiten sollte man in einer Longierhalle, auf einem Longierzirkel oder in der Reithalle auf einem mit Fangständern abgeteilten Zirkel absolvieren, damit das Pferd eine Begrenzung hat. Die Longe ist am Kappzaum oder an einem Halfter über der Trense eingehakt. Zu Beginn begleitet ein Helfer das Pferd auf der äußeren Linie. Dann führt einer die Longe und einer die Peitsche. Zunächst longiert man ohne Hilfszügel, damit sich das Pferd besser orientieren und ins Gleichgewicht kommen kann und sich an die Einwirkung über die Longe gewöhnt. Wenn es gelernt hat, auf Kommandos zu reagieren und sich entspannt bewegt, können einfache Ausbinder verschnallt werden. In der Gewöhnungsphase müssen die Ausbinder so lang sein, dass das Pferd seinen Kopf deutlich vor die Senkrechte nehmen kann.
Freizeit mit Auslauf- oder Weidegang ist für alle Pferde wichtig – für Youngster ganz besonders. Foto: Christiane Slawiks (2)
Die ersten Reitversuche finden idealerweise drinnen statt, so gibt es weniger Ablenkung. Eine mittellange Gerte kann bei Bedarf die treibenden Hilfen am Schenkel unterstützen oder an der Schulter die Richtung weisen.
Der Sattel kommt
Wenn das Pferd an die Trense gewöhnt ist, kommt der Sattel (zunächst ohne Steigbügel und Satteldecke) hinzu. Die Vorgehensweise ist wie beim Longiergurt: Man lässt das Pferd am besten in der Box an dem Sattel schnuppern, dann streicht man mit der Hand über die Sattellage und legt den Sattel vorsichtig auf. Ein Helfer kann das Pferd währenddessen mit Futter etwas ablenken. Dann geht man auf die rechte Seite des Pferdes, um den Sattelgurt herunterzulassen. Auf keinen Fall sollte man den Gurt von links einfach hinunterrutschen lassen – zu groß ist die Gefahr, dass die Schnallen gegen das Pferdebein schlagen und sich das Pferd erschrickt. Von links wird vorsichtig angegurtet, so dass noch etwa eine Handbreit zwischen Gurt und Pferdebauch passt. Loben!
Schritt für Schritt wird nachgegurtet. Wenn man verhindern will, dass die Sattelblätter später in der Bewegung klappern und dem Pferd eventuell Angst machen, kann man zum Beispiel einen elastischen Deckengurt zusätzlich über dem Sattel anbringen. Legt man später eine Satteldecke getrennt vom Sattel aufs Pferd, sollte man das erst vorsichtig und später auch mal mit Schwung tun, damit sich das Pferd an die Bewegungen gewöhnt. Bei empfindlichen Pferden kann der Sattel auch in der Reithalle aufgelegt werden, dort hat man mehr Platz und die Verletzungsgefahr für Reiter und Pferd ist geringer. Zu jeder Zeit ist wichtig, dass der Mensch dem Pferd Sicherheit vermittelt, mit Ruhe vorgeht und das Pferd immer wieder lobt. Ist das Pferd aufgetrenst und gesattelt, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, weiter vorzugehen. Manche Ausbilder führen das Pferd (Aber Achtung: nie am Gebiss!), damit es sich an die neue Ausrüstung gewöhnen kann, manche longieren und wiederum andere wollen erst nach dem Anreiten mit dem Longieren beginnen und lassen den Youngster mit Sattel und Trense freilaufen.
Das erste Mal
Für das Anreiten braucht es einen sattelfesten Reiter mit Feingefühl und ausbalanciertem Sitz. Am besten ist man zu dritt und die Helfer haben Erfahrung und ein gutes Gespür für das Pferd und die Situation, um jederzeit richtig reagieren zu können. Ein Helfer hält das Pferd am Kopf fest, hat eine Longe eingeschnallt und lenkt es eventuell mit Futter ab. Der Reiter stellt sich an den Sattel, klopft das Pferd an Hals, Schulter und Kruppe ab und wird dann von einem zweiten Helfer hochgehoben. Er legt sich leicht auf den Sattel, so dass das Pferd den Druck im Rücken spürt. Dann sollte man beobachten, wie ruhig oder nervös sich das Pferd verhält. Je nach Temperament kann es sein, dass der Reiter sich zunächst nur über den Sattel legt und dann wieder hinuntergleitet.
Das Trainingspensum wird nur langsam gesteigert, ein junges Pferd nicht jeden Tag geritten. Und ganz wichtig: Loben nicht vergessen! Foto: Christiane Slawik
Im nächsten Schritt hebt der Reiter sein rechtes Bein mit tiefem Oberkörper langsam über die Kruppe des Pferdes, nimmt beide Steigbügel auf und richtet sich vorsichtig und weiterhin entlastend auf. Klappt das, wird das Pferd in einem kleinen Kreis angeführt. Praktischer Tipp: Manche Pferde können das Reitergewicht anfangs nicht gut in die Bewegung mit „hineinnehmen“, diesen Kandidaten kann es helfen, wenn der Reiter in der Bewegung in den Sattel gehoben wird. Sollte das Pferd beim Aufsitzen deutlichen Widerstand oder Angst zeigen, ist grundsätzlich etwas verkehrt gelaufen. Dann muss man in der Ausbildung zurückgehen und wieder Vertrauen aufbauen.
Bleibt das Pferd weiterhin entspannt, werden Pferd und Reiter auf einem großen Zirkel longiert oder besser an der Longe geführt. Die Zügel sind am Kappzaum oder Halfter verschnallt, nicht am Gebiss. „Das Maul ist das Heiligtum des Pferdes!“, ist einer von Martins Plewas Grundsätzen der gesamten Ausbildung.
Martin Plewa findet es am besten, wenn der Reiter nach dem Aufsitzen die Zügel zunächst gar nicht aufnimmt, sondern stattdessen in einen Halsring greift. Richtung und Tempo bestimmt der Helfer, der das Pferd an einer Longe führt. Es eignen sich möglichst gerade, lange Linien und wenig Wendungen, da sich das Pferd anfangs noch nicht optimal unter dem Reitergewicht ausbalancieren kann. Der Reiter bleibt ganz passiv. Beim Führen werden viele Schritt-Halten-Übergänge eingebaut, um immer wieder Ruhe in die Situation zu bringen. Nach ein paar Tagen wird die Longe entfernt, die Zügel werden behutsam aufgenommen und der Youngster folgt beispielsweise einem Führpferd. Nun wird der Trab hinzugenommen, große Linien und Richtungswechsel werden geübt, alles im Remontesitz. Wenn das gelingt, kommt der Galopp dazu. Nach und nach gewöhnt der Reiter das Pferd vorsichtig an die Hilfen, indem er sie immer ergänzend zur Stimme und zur Situation einsetzt (wenn das Pferd zum Beispiel von allein vom Trab zum Schritt durchpariert, sofort etwas aufrechter hinsetzen, „brrr“ sagen – so dass das Pferd Stimme und Körpersprache des Reiters mit dem Durchparieren verbindet), allmählich wird vorsichtig Kontakt zum Gebiss aufgenommen. Auf das Begleitpferd wird innerhalb von ein paar Tagen verzichtet.
Langsam aufbauen
Sowohl an der Longe als auch auf der ganzen Bahn kann der Peitschenführer vorsichtig nachtreiben und so Reiter und Pferd in der Anfangsphase unterstützen. Auf großen Linien lässt der Reiter das Pferd im frischen Tempo vorwärtsgehen und hilft ihm durch entlastendes Sitzen ins Gleichgewicht zu kommen. Bei schüchternen Pferden kann ein ruhiges Führpferd helfen und den Weg zeigen. Im weiteren Verlauf der Ausbildung nimmt der Reiter mehr und mehr Kontakt zum Pferdemaul auf und testet, wie er einwirken kann. Der Peitschenführer hält sich immer mehr zurück. Der Reiter beginnt, ohne Hilfe aufzusitzen.
Nach und nach werden die drei Grundgangarten auf der ganzen Bahn abgefragt. Der Reiter trägt eine mittellange Gerte, die er bei Bedarf am Schenkel einsetzt, um die treibenden Hilfen zu unterstützen, oder an die Schulter legt, um die Richtung zu weisen. Die Hilfen müssen deutlich gegeben werden, um dem Pferd verständlich zu machen, was man möchte. Mit der Zeit werden sie immer mehr verfeinert. Die seitwärtsweisende Zügelhilfe kann unterstützen, wenn die ersten großen Zirkel eingebaut werden. Geht das Pferd in allen drei Grundgangarten geradeaus, werden Handwechsel durch die Bahn, Zirkel und Tempiwechsel geübt, so dass das Pferd „in Arbeit“ kommt. Die Dauer einer Trainingseinheit wird allmählich auf bis zu 30 Minuten gesteigert.
Abwechslungsreiches Training ist gerade in jungen Jahren wichtig. So kann schon bald damit begonnen werden, Stangen in die Arbeit zu integrieren. Ein Führpferd gibt Sicherheit.
Mit Begleitpferd geht es zum ersten Mal auf den Außenplatz und später dann auch ins Gelände. Fotos (2): Stefan Lafrentz
Vielseitig ist Trumpf
Wenn das eigenständige Vorwärtsreiten und Durchparieren funktionieren und man allein in allen drei Grundgangarten geradeaus und auf dem Zirkel reiten kann, geht’s mit einem Führpferd auf den Außenplatz. Im Schritt wird dem Youngster der Platz gezeigt, außen herum geritten und später auch getrabt und galoppiert. Genauso kann man mit einem jungen Pferd regelmäßig nach dem Training mit Führpferd eine Runde ins Gelände gehen. Je selbstverständlicher ein Youngster unterschiedliche Gegebenheiten und Umgebungen kennenlernt, umso besser kann er lernen, souverän damit umzugehen. Dasselbe gilt für die Arbeit mit Cavaletti. Egal, ob das Pferd einmal schwerpunktmäßig in Dressur, Springen oder Vielseitigkeit trainiert werden soll.
Ein abwechslungsreiches Training hilft jedem Pferd in jedem Alter und auf jedem Ausbildungslevel. Viele Pferde kennen die Cavaletti schon vom Freispringen. Unter dem Sattel reitet man erst über ein Cavaletti im Schritt, dann im Trab. Dann kommen zwei bis drei Cavaletti hinzu. Es gibt bodenscheue Pferde, die sich erst einmal daran gewöhnen müssen, dass etwas am Boden liegt. Den ganz großen Skeptikern kann am Anfang ein Führpferd helfen. Abwechslung im Training ist wichtig, genauso wie Pausen, damit das Pferd nicht mental oder körperlich überfordert wird. „Ein junges Pferd sollte nicht jeden Tag geritten werden. Paddock, Weide, Laufen lassen und Freispringen gehören auch zum Training dazu“, so Hendrik Baune. „Training, Abwechslung, Freizeit und immer alles mit Vertrauen – das ist eine gesunde Mischung.“
Laura Becker
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