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Serie Persönlichkeiten der Pferdeszene: Olaf Petersen

Der Chef der Stangen

Olaf Petersens Zuhause ist der Springsport. Er ist der bekannteste Parcoursdesigner weltweit und es gibt keinen Kurs, dem er nicht schon seine Visitenkarte verliehen hat. Doch selbst nach vier Jahrzehnten Parcoursaufbau ist seine Faszination ungebrochen.

Olaf Petersen, ein Mann von Welt zuhause am Ammersee. Alle Fotos: Jacques Toffi

Einen Termin mit Olaf Petersen zu finden, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Das liegt zum einen an der großen Entfernung zwischen Hamburg und Petersens Wohnort in der Nähe von München, zum anderen aber vielmehr daran, dass der 82-Jährige das ganze Jahr über auf der ganzen Welt unterwegs ist. Olaf Petersen ist der Mann für die Stangen, genauer gesagt für die Hindernisstangen. Er ist auf den Springturnieren dieser Welt daheim, von Skandinavien bis Südafrika, den USA über Südamerika bis nach Asien und Australien. Parcoursbauer, charmanter gesagt Designer, seit über 40 Jahren. Ein Termin ergab sich dann aber doch. Beim Turnier der Sieger in Münster. Da hatte Jacques Toffi zwar schon alle Bilder im Kasten, weil er Olaf Petersen zu einem früheren Zeitpunkt in Bayern erwischt hatte, aber passender hätte der Ort für ein Gespräch trotz alledem nicht sein können. Denn Münster ist die Stadt, von der Olaf Petersen heute noch sagt, dass sie seine Heimat ist. „Ich fühle mich als Münsteraner, mich zieht es immer wieder hierher.“ 

Auf dem Turnier der Sieger war er erst jahrzehntelang Parcourschef, mittlerweile kommt er jedes Jahr als Ehrengast, ein Pflichttermin in seinem Kalender. Während der Unterhaltung am Stadion vor dem Schloss Münster beobachtet er das Treiben auf dem Springplatz. Der 82-Jährige mit den markanten Augenbrauen scheint alles regelrecht aufzusaugen, während seine volle Aufmerksamkeit beim Gespräch über sein Leben ist. Er erzählt seine Geschichte mit der Gelassenheit eines Profis, charmant, unterhaltsam und humorvoll. 

Seinen ersten Kurs baute der Träger des Deutschen Reiterkreuzes in Gold 1974. In den folgenden Jahrzehnten zeichnete er sich zwei Mal bei Olympischen Spielen für den Aufbau verantwortlich und war darüber hinaus bei den ersten Weltreiterspielen 1990 in Stockholm, bei fünf Europameisterschaften, fünf Weltcupfinals sowie über 100 Nationenpreisen und internationalen Großveranstaltungen als Chef des Parcours im Einsatz. Petersen ist der weltbekannteste Parcoursdesigner, der mit seiner Art des Aufbaus wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung im Springsport genommen hat.

Parcoursbauer und damit bisweilen auch Dirigent im Stangenwald: Olaf Petersen in jüngeren Jahren.

Von Münster in die Welt

Geboren ist Olaf Petersen in Berlin als eines von zwei Kindern. Es folgten ein Umzug in den Harz und schließlich nach Münster. „Ich war eine schüchterne, introvertierte Leseratte“, erinnert sich der Senior. „So dass meine Mutter irgendwann sagte, es muss was passieren, und mit mir in die Westfälische Reit- und Fahrschule fuhr. Dort fing ich erst einmal mit Voltigieren an. Mit zwölf Jahren bin ich das erste Mal auf einem Schulpferd gesessen – von dem Zeitpunkt an war ich fasziniert vom Reiten.“ Mit dem Fahrrad fuhr er jahrelang zur Reitschule, deren Leiter damals Paul Stecken war. Die Familie lebte im Haus der Großeltern, ein Haus mit Koksheizung. Olaf Petersen verdiente sich sein Taschengeld, indem er Tag für Tag Kohle in die Heizung schaufelte, er war sozusagen der Heizer fürs Haus. Nach dem Abitur in Münster war irgendwann aber klar, dass der junge Olaf etwas Vernünftiges lernen musste. „Ich konnte ja nicht Heizer bleiben!“, gibt er mit einem Schmunzeln zu bedenken. Er fing an, sich in die Firma seines Vaters einzubringen, die Briefumschläge produzierte.

Olaf Petersen ging zunächst für ein Jahr nach Schweden, um dort Erfahrungen zu sammeln, und schließlich in die USA. Als er zurückkam, war er Anfang 20. Zu dieser Zeit kaufte er sich sein erstes eigenes Pferd, Whisky, einen Westfalen und er lernte Bernd Schulze-Brüning kennen, der sein bester Freund werden sollte. „Damals fing ich an, Springen zu reiten“, so Petersen. „Und Bernd hat mir gezeigt, wie ich schnell reiten kann. Wir wurden freundschaftlich verbundene Konkurrenten. Wobei ich immer in erster Linie Kaufmann war, die Firma war das Wichtigste. Aber ein bisschen international bin ich auch geritten. Im Übrigen war ich einer der größten Meckerköpfe im Sattel, wenn es um den Parcoursaufbau ging.“

Wolfgang Feld (rechts) erkannte Petersens Talent fürs Parcoursbauen.

Expertengespräch: Olaf Petersen (links) zeigt Wolfgang Brinkmann, Olympia sieger 1988 mit dem deutschen Team, wo es langgeht im Parcours.

 In den Kursen damals führte der Weg immer nur außen herum und über die Diagonale, erzählt er. Er selbst fing mit dem Parcoursaufbau in Hendrik Snoeks Reitverein an. Dort konnte er jeden Donnerstag in der Springstunde seine Ideen umsetzen. Schließlich war es Wolfgang Feld, Parcoursaufbauer bei den Vielseitigkeitsreitern, der Olaf Petersens Händchen fürs Aufbauen erkannte und ihn mit in die Halle Münsterland nahm. „Dort fragte ich dann, ob wir es nicht ein bisschen anders machen könnten als sonst. Und als der Chef einmal nicht da war, habe ich die Start- und Ziellinie einfach verlegt. Die war nämlich seit Jahren immer an der kurzen Seite vor den Richtern. Durch diese kleine Änderung ergaben sich ganz neue Wege im Parcours. Der Chef war nicht so ,amused‘, aber alle Reiter fanden es super“, beschreibt Olaf Petersen seinen offiziellen Start in die Welt des Parcoursdesigns.

Eigene Handschrift

Er brachte frischen Wind in die Szene. Sein erster Schritt: Er baute die Hindernisse weg von der Bande, der Hufschlag blieb frei zum Galoppieren. So entwickelte Petersen in den 1970er-Jahren Schritt für Schritt einen völlig neuen Stil. „Die Hindernisse waren damals vollgepackt mit Stangen, die Linien waren langweilig und es ging immer nur darum, die Sprünge höher und breiter zu bauen. Ich hatte das Gefühl, nur das Springvermögen des Pferdes wird getestet. Aber mein Ziel war, dass auch der Reiter geprüft wird, die Rittigkeit des Pferdes, das Gerittensein des Pferdes zwischen den Sprüngen und das Geschick von Reiter und Pferd. Ich baute die Hindernisse luftiger und filigraner, verwendete statt neun Stangen nur vier oder fünf und ließ die Büsche weg. Und ich veränderte die Linien.“

Highlight Olympische Spiele. Olaf Petersen durfte sich gleich zweimal verewigen, 1988 in Seoul und hier im Bild 2004 mit Ehefrau Dani in Athen.

Wolfgang Feld (rechts) erkannte Petersens Talent fürs Parcoursbauen.

Der Durchbruch

1974 durfte Olaf Petersen als Assistent von Wolfgang Feld mit nach Donaueschingen. Ein Jahr später hatte er das Glück, dass Feld als Technischer Delegierter für die FEI in die USA reisen musste und die Veranstalter aus Donaueschingen ihn engagierten wegen des guten Eindrucks, den er ein Jahr zuvor hinterlassen hatte. Olaf Petersen übernahm die Verantwortung für den Großen Preis, auf Rasen vor 20.000 Zuschauern. Auf der Starterliste standen klangvolle Namen wie Hartwig Steenken, Hans Günter Winkler, Paul Schockemöhle, Fritz Ligges und Gert Wiltfang. „Ich hatte den Kurs so gebaut, dass die Distanzen nicht immer genau passend gestellt waren, die Reiter mussten was tun, sie mussten die Galoppsprünge verlängern oder verkürzen, das Gerittensein der Pferde wurde überprüft. Der Weg war schwieriger und über die Linien und Distanzen und die Konstruktion der Hindernisse habe ich versucht, sowohl die Pferde als auch die Reiter zu testen“, erzählt Olaf Petersen. „Aber nach dem Parcours abgehen kamen Fritz Ligges und Gert Wiltfang zu mir und sagten, der Kurs sei viel zu leicht. Da hatte ich schon Muffensausen.“

Doch Petersens Plan ging auf, von 50 Startern blieben nur fünf ohne Fehler – Ziel erreicht. Und noch viel mehr. Mit seiner neuen Art zu bauen, sorgte der damals 37-Jährige für eine Revolution im nationalen Sport. „Die Zeit muss reif sein für neue Ideen“, sagt er rückblickend. Die Einladungen kamen aus ganz Deutschland, Olaf Petersen wurde als Parcourschef heißbegehrt. Dem Turnier in Donaueschingen verlieh er 31 Jahre lang seine Handschrift, er baute 21 Mal nacheinander die Deutschen Meisterschaften und war auf allen internationalen Turnieren in Deutschland im Einsatz. Der internationale Startschuss über Deutschlands Grenzen hinaus fiel 1981. Damals bekam Olaf Petersen einen Anruf im Auftrag von Colonel Gaddafi, Libyens damaligem Staatsoberhaupt. Petersen nahm die Einladung an und flog nach Tripolis, wo er in einem Stadion mitten in der Wüste einen Springparcours aufbaute. Statt Beifall zu klatschen, schossen rund 5.000 Männer mit Flinten in die Luft, wenn ein Reiter eine
Nullrunde hatte. Die Pferde scheuten anfangs, doch später gewöhnten sie sich daran.

Im Dienste Olympias

„Die FEI hat mich gefördert, weil die Reiter mich haben wollten“, so Olaf Petersen. „Ich bekam viele Anfragen. Mein Wunsch damals war, dass ich gerne bei einem ganz großen Turnier bauen wollte – einem, bei dem ich die Sprünge selbst designen konnte.“ Dazu hatte er 1985 Gelegenheit, beim Weltcupfinale in Berlin. „Ich entwarf eine vierfache Kombina tion, die das Charlottenburger Schloss darstellte. Es sollte ein Parcours sein, der extraordinary, außergewöhnlich ist.“ 

Charakterstark: Olaf Petersen hat den modernen Springparcours dieser Welt seine Handschrift verpasst.

Danach bewarb er sich bei der FEI um die Position des Parcoursdesigners für die Olympischen Spiele in Seoul (Korea), die 1988 stattfinden sollten. Und Olaf Petersen erhielt den Zuschlag. „Ich flog nach Korea und sprach mit den Verantwortlichen vor Ort, denn ich wollte der Welt zeigen, wie Korea aussieht. Und dazu brauchte ich ein Budget, das ich dann auch erhielt.“ Insgesamt flog er sieben Mal nach Korea auf der Suche nach Motiven und um sich über die Geschichte und Kultur des asiatischen Landes zu informieren. „In Braunschweig fand ich einen Koreaner, der in Deutschland Kunst studierte. Mit ihm habe ich ein Jahr lang die Olympia-Hindernisse gezeichnet und entworfen. So entstanden mythische Drachen, Rikschas, Tempel, Totempfähle aus alten Dörfern und Motive aus dem Kaiserpalast. Eine ganze Klasse koreanischer Kunststudenten hat in Seoul geschnitzt und gemalt und uns geholfen, so dass wir am Ende 25 landestypische Hindernisse gebaut hatten.“ Das wurden Olaf Petersens erste Olympische Spiele. Die zweiten folgten im Jahr 2004: Athen. Für einen Parcourschef sind die Olympischen Spiele, wie für einen Reiter auch, etwas Einzigartiges, der Höhepunkt der Karriere. Olaf Petersen ist der einzige Parcoursdesigner in der Geschichte der Olympischen Spiele, der sich gleich zweimal olympisch verewigen durfte. Nach Athen wurde das FEI-Reglement geändert. Seitdem darf ein Parcourschef nur ein einziges Mal bei Olympia eingesetzt werden.

Familiensache

Olaf Petersen, der in den 1990er-Jahren ins bayerische Pähl am Ammersee gezogen ist, sagt: „Ich war mein Leben lang unterwegs – wahrscheinlich zu viel – und hatte eigentlich immer ein schlechtes Gewissen gegenüber meiner Firma und meiner Familie.“ Er ist in zweiter Ehe mit Daniela Petersen verheiratet. Das Paar hat eine erfolgreich reitende Tochter, Louisa. Aus Petersens erster Ehe stammen zwei Söhne, von denen der mittlerweile 53-jährige Olaf Petersen jr. in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist. Während des Gesprächs in Münster sieht man Olaf Petersen jr., wie er konzentriert durch den Parcours marschiert und letzte Hand anlegt an dem Kurs für den Großen Preis. Auch er ist internationaler Parcourschef geworden. Vater Petersen blickt zu seinem Sohn und lächelt. Er ist stolz. „Bei der FEI sind wir die einzige Familie weltweit, in der es zwei Parcoursbauer auf olympischem Level gibt.“ 

Stangen in allen Farben – auch die Optik spielt eine große Rolle beim Parcoursbau. Nächste Station: Tokio 2020, dann ist Petersen Chef der Stangen im Modernen Fünfkampf.

Über das Pferd sei Stabilität in die Familie gekommen, sagt Olaf Petersen auf die Frage, was das Pferd und der Reitsport für ihn bedeuten. „Wir waren jeden Tag über das Pferd verbunden und das hat die Familie so zusammengehalten. Für mich ist dies das Schönste an diesem Sport.“ Olaf Petersen selbst ist mit 60 Jahren sein letztes M-Springen geritten, – „Ich habe aufgehört, bevor ich zur Lachnummer werde.“ – und mit 61 Jahren verkaufte er seine Firma. Nach dem Verkauf begann er, Hindernisse zu entwerfen und zu produzieren, und mittlerweile liefert er in über 70 Länder dieser Welt. 

Vor kurzem hat er außerdem die im Reitsport bekannte Marke CARO übernommen. In Sachen Parcoursbau ist er als Referent fast genauso viel unterwegs wie als weltweit aktiver Parcoursdesigner. Er bildet aus, hält FEI-Fortbildungen für internationale Parcourschefs und gibt seine Ideen weiter. Vor allem in Asien, wo der Reitsport im Kommen ist. Zwischen 1993 und 2005 war er zwölf Jahre lang Mitglied des FEI-Springkomitees und acht Jahre lang Vorsitzender.

Faszination lebt

Olaf Petersen hat alles erreicht, was ein Parcoursdesigner erreichen kann. Er umschreibt es kurz und knapp: „Ich habe in meinem Leben alles aufgebaut.“ Trotzdem ist und bleibt seine Faszination für den Parcoursaufbau ungebrochen. „Ich will nicht sagen, dass es die Herausforderung ist, die mich reizt – das klingt so abgegriffen. Parcoursaufbau ist immer wieder etwas Neues, es fordert Kreativität. Es ist voller versteckter Details, es geht um Linienführung, um die Gestaltung von Hindernissen, deren Farben und Formen, um das Erkennen des Bodens, auf dem geritten wird und dessen Einfluss auf die Hindernishöhe. Das ist auch für mich immer wieder spannend. Ich möchte den Zuschauer unterhalten, ihn in positive Spannung bringen. Mein Anspruch ist, dass die Zuschauer während der Prüfung „mitreiten“ und mitleiden, wenn eine Stange fällt, oder begeistert bei einem fehlerfreien Ritt applaudieren. Springreiten wäre todlangweilig, wenn alle Reiter ohne Fehler blieben. Sport needs drama – der Sport braucht Dramatik. Und dafür ist der Parcoursdesigner verantwortlich.“ Olaf Petersens nächstes Projekt: Tokio 2020. Seine dritten Olympischen Spiele als Parcoursdesigner. Alles regelkonform, denn dieses Mal ist er der Chef der Stangen im Modernen Fünfkampf.

Laura Becker

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