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Persönlichkeiten der Pferdeszene: Rudolph Herzog von Croÿ
Der Herzog und die Wilden
Er nennt 400 Pferde sein eigen. Dabei ist nicht nur die Menge beeindruckend, sondern auch die Tatsache, dass sie wild sind. Rudolph Herzog von Croÿ führt das jahrhundertealte Erbe seiner Familie weiter: den Erhalt der Dülmener Wildpferde. Er spricht gerne über seine Liebe zu ganz speziellen Pferden.Foto: Jacques Toffi
Denkt man an Wildpferde, gehören fast unweigerlich Cowboys mit kariertem Flanellhemd, staubigen Stiefeln, Hut und Lasso dazu, die o-beinig durch den Wilden Westen schlurfen, wenn sie nicht gerade zu Pferde sitzen. Nicht im Ansatz entspricht Rudolph Herzog von Croÿ diesem Klischee. Ohne Krawatte kommt sich der galante 63-Jährige verkleidet vor, das Einstecktuch blitzt aus der Brusttasche seines Sakkos, der weiße Schnurrbart ist akkurat getrimmt. Es ist Sonntagvormittag. Dass er diesem Pressetermin zugestimmt hat, ist eine Ausnahme. Normalerweise geht er um diese Zeit zur Messe. Nun steht von Croÿ auf einer abgegrasten Wiese im Merfelder Bruch inmitten von 400 Wildpferden, seinen Wildpferden. Beheimatet in Dülmen in Nordrhein-Westfalen. Wobei „wild“ nur ihren Ursprung, am wenigsten aber ihr Gemüt umschreibt. Seelenruhig und friedlich grasen die Stuten neben ihren Fohlen. Einzig das unermüdliche Malmen ihrer Kiefer ist zu hören, ab und an wiehert eines der Fohlen hell, wenn es sich zu weit von seiner Mutter entfernt hat, hier und da ein Vogelzwitschern oder der Wind, der durch die Blätter der Bäume am Waldrand fährt – ansonsten hört man nichts.
Dunkler Aalstrich
Es riecht nach Pferden, nach Gras und Kräutern auf diesem weitläufigen Gebiet, zu dem Heideflächen, Moor, Nadelwälder und Eichen gehören. Sofort ist man geneigt, einen Atemzug tiefer zu nehmen. Die Dülmener Wildpferde fügen sich perfekt in dieses Landschaftsbild. Die Herde deckt die gesamte Farbpalette an Brauntönen ab: von creme- und sandfarben über beige hin zu ganz dunklem braun, das von weitem fast schwarz wirkt. Im Fachjargon wird von Graubzw. Gelbfalben gesprochen, wobei die Graufalben am häufigsten vorkommen. Über den Rücken jedes einzelnen Tieres, egal welchen Braunton das Fell hat, verläuft ein dunkler Aalstrich.Zaghaft streckt eines der Fohlen seinen Hals nach vorn, um mit den Nüstern etwas näher an den Besucher heranzukommen. Rudolph von Croÿ erwidert gelassen den Kontaktversuch. „Die Pferde haben nie schlechte Erfahrung gemacht mit Menschen, warum sollten sie Angst haben?“, so der Herzog, in seiner Art höflich zurückhaltend, doch stets souverän und weltmännisch. Den Wilden Westen und den Cowboy findet man woanders. „Wenn ich hier bin, fühle ich mich wohl. Ich liebe diese Pferde“, betont von Croÿ und verrät, wann die Stimmung im Merfelder Bruch besonders eindrucksvoll ist: „Ganz früh morgens im Frühjahr oder Herbst sieht man nur die Köpfe der Pferde, der Rest ist verschwunden im Nebel. Der steigt langsam nach oben und dann sieht man nur noch die Beine der Pferde – ein unvergessliches Bild.“
Französisches Geschlecht
Die Herde der Dülmener Wildpferde wurde 1316 erstmals urkundlich erwähnt, seit Mitte des 19. Jahrhunderts steht sie im Besitz der Croÿschen Familie, einem ursprünglich französischen Adelsgeschlecht, dem die Grafschaft Dülmen gegen Ende des Römischen Reiches überschrieben wurde. Rudolph von Croÿs Urururgroßvater Alfred Herzog von Croÿ schaffte irgendwann zwischen 1840 und 1850 ein eingezäuntes Areal für rund 40 verbliebene Wildpferde, die durch die Ausbreitung des Menschen und seiner Landwirtschaft mehr und mehr aus ihrem Lebensraum verdrängt worden waren. Das war die Rettung.400 Dülmener Wildpferde leben auf dem 400 Hektar großen Areal, das aus Heideflächen, Moor, Wiesen und Wäldchen besteht. Foto: Jacques Toffi
Mittlerweile ist die Herde um das Zehnfache gewachsen und lebt auf einem rund 400 Hektar großen Gebiet. Die Wildpferdebahn wurde zum Naturschutzgebiet erklärt, die Herde ist ein Naturdenkmal. Sie besteht aus vielen kleinen Familienverbänden, Mutterstuten und ihren Fohlen sowie einer Leitstute. Diese kleinen Familienverbände schließen sich zur gesamten Herde zusammen, die wiederum
von einer Leitstute angeführt wird. Die Pferde, die ein handliches Stockmaß zwischen 1,32 und 1,38 Meter haben, sind sich selbst überlassen, lediglich in den Wintermonaten bekommen sie Heu zugefüttert. Den Rest des Jahres greift kein Mensch in das Herdensystem ein. Die Pferde kennen weder Tierarzt noch Schmied, sie tragen keinen Namen und haben keinen Stall oder Unterstand.
Dem Nahrungsangebot haben sie sich über Jahrzehnte angepasst – kleine, kompakte und widerstandsfähige Pferde. „Es ist wichtig zu wissen, dass wir keine Pferde züchten, sondern eine Rasse erhalten. Unsere Wildpferde sind die einzigen naturselektierten Pferde, die es noch gibt. Die Mustangs in Amerika, die Camargue- Pferde in Frankreich oder die polnischen Koniks sind alle ursprünglich vom Menschen gezogene und dann ausgesetzte Pferde“, erklärt der Herzog. „Warum wir heute immer noch die Wildpferde haben? Weil ich Pferde mag und ich denke, sie sind es wert, erhalten zu werden. Es ist ein Gesamtkonzept aus Naturschutz, Tierschutz, Tradition und dem Erhalt von Kulturgut – davor habe ich Respekt.“
Dülmener Wildpferdefang
Am Wochenende und an Feiertagen ist die Wildpferdebahn geöffnet. Dann hält ein Zaun die Besucher auf Abstand, beziehungsweise den Drang vieler, die Pferde mit allem Möglichen füttern zu wollen. Führungen sind ebenfalls möglich. Es gibt einen Tag im Jahr, an dem die Ruhe in der Wildpferdebahn pausiert. Am letzten Samstag im Mai werden die einjährigen, geschlechtsreifen Hengste aus der Herde herausgeholt. Die Verletzungsgefahr bei Rangkämpfen wäre ansonsten zu hoch und das Reservat ist nicht groß genug, als dass sich die Tiere aus dem Weg gehen könnten, um eine eigene Herde zu gründen. Bekannt geworden ist das Spektakel unter dem Namen „Dülmener Wildpferdefang“, den es seit 1907 gibt. Eigens für diesen einen Tag wurde eine Natur-Arena für 15.000 Zuschauer errichtet. Die Karten sind jedes Jahr binnen kürzester Zeit ausverkauft. Die Familienverbände mit jungen Hengsten werden in die Arena getrieben, wo dann rund 30 Männer die Hengste mit bloßen Händen vom Rest der Herde separieren.Tierschützer kritisieren, dass den Tieren dadurch zu viel Stress zugemutet wird. „Es ist die einzige Möglichkeit, die Hengste aus der Herde zu holen“, macht Rudolph von Croÿ klar. „Und es ist ein einziger Tag im Jahr.“ Die Kritik der Tierschützer hat er dennoch nicht ignoriert. Die Fänger, die allesamt aus der Dülmener Umgebung stammen und diese Aufgabe schon seit Generationen ausüben, werden geschult von der Verhaltensbiologin Dr. Willa Bohnet von der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Sie üben Grifftechniken, um eigene Verletzungen und Stress für die Hengste zu vermeiden.
Anders als früher sollen die Hengste nicht mehr zu Fall gebracht werden, um ihnen ein Halfter anzulegen, und das Brandzeichen wurde durch einen Chip ersetzt. Familienverbände ohne Hengste werden nicht in die Arena getrieben. Rudolph von Croÿ hat sich nie selbst im Fangen probiert. „Man muss sich nicht selbst darstellen, das hat mir mein Vater beigebracht. Wir haben uns immer im Hintergrund gehalten.“
Kinder- und Kutschpferde
Die eingefangenen Hengste werden versteigert. Sie eignen sich als Kinderreit- oder Kutschpferde. Mit dem Erlös aus Eintrittskarten und Auktion wird teilweise der Unterhalt der Wildpferde finanziert. „Mit dem Wechsel von der Wildbahn in einen Stall haben die Tiere überhaupt keine Probleme“, weiß von Croÿ. „Sie sind sehr neugierige Tiere, das ist wichtig für das Überleben in der Natur. Und das hilft ihnen auch mit der neuen Umgebung zurecht zu kommen. Es gibt nur zwei Dinge, die man beachten sollte: Man muss etwas Geduld haben und sie auf sich zukommen lassen. Und man darf sie nicht überfüttern. Dann sind sie ganz tolle Reitpartner.“Sechs Kinder
Rudolph von Croÿ ist 1955 in Dülmen geboren und mit zwei Geschwistern aufgewachsen. Pferde waren in seiner Familie, für seine Eltern Carl Emanuel und Gabriele Prinzessin von Bayern, schon immer ein Thema. Als Kind ritt er bei den Bauern in der Nachbarschaft, auch hier und da auf Turnieren. Dann kam er auf ein Internat, ging zum Militär, studierte schließlich in der Schweiz Wirtschaft und Recht und arbeitete bei Banken und im Bereich Real Estate in Deutschland, den USA und in Kanada. 1983 kehrte er mit 28 Jahren in sein Elternhaus zurück, übernahm das Familienanwesen und die damit verbundenen Aufgaben und Pflichten. Zur Croÿ’schen Verwaltung gehören Ländereien sowie Forst-, Land- und Teichwirtschaft. Rudolph Herzog von Croÿ war 28 Jahre mit seiner Frau Alexandra verheiratet, sie verstarb im Herbst 2015 im Alter von 55 Jahren. Das Ehepaar von Croÿ hat sechs Kinder – zwei Töchter, Xenia und Anastasia, sowie vier Söhne, Carl Philipp, Marc, Heinrich und Alexander – die mittlerweile zwischen 20 und 28 Jahre alt sind und verteilt in ganz Europa leben. „Mit zehn Jahren sind sie ihre ersten Jagden geritten. Jedes Kind hatte ein Pferd und einen Hund“, erzählt Rudolph Herzog von Croÿ und fügt mit einem Lächeln hinzu: „Das war die beste Erziehung, die sie bekommen konnten.“ Ein Blick in die Augen des Herzogs, wenn er über seine Kinder spricht, verrät sofort: Sie sind der Mittelpunkt seines Lebens. „Meine Frau und ich haben den Kindern immer gesagt: Ihr könnt machen, was ihr wollt – aber ihr müsst es mit Liebe tun und ihr müsst die Verantwortung dafür übernehmen. Das Prinzip ist: Erst lieben, dann kann man fordern. Das ist wie beim Reiten. Die Zügel nicht zu lang und nicht zu kurz halten, eine weiche Verbindung.“ Nur die eigenen Enkelkinder fehlen von Croÿ noch. „Aber meine Kinder sind noch nicht verheiratet.“Gemälde und Antiquitäten
Das Anwesen der Familie von Croÿ stammt aus dem 15. Jahrhundert. Es gibt eine Kapelle, mehrere Wohngebäude und einen Stalltrakt mit Weiden für eine Handvoll Reit- und Rentnerpferde. Hinter von Croÿs Haus lebt eine Herde von Dülmener Wildpferdehengsten, aus denen der Herzog einmal im Jahr einen Deckhengst auswählt. In der imposanten Eingangshalle seines Wohnhauses springen zwei Labradore umher, ihre Krallen kratzen bei jedem Schritt über den Steinfußboden. Es ist angenehm kühl und fast hat man das Gefühl, als betrete man ein Museum. Jeder Zentimeter der Wände ist bedeckt mit Ölgemälden, Antiquitäten, Erbstücken und Ahnengalerien einer sehr großen, adligen Familie.Die unzähligen Zimmer sind nach Jahrhunderten dekoriert. Wo keine Gemälde hängen, sind Fotos platziert – sie zieren Wände, Kommoden und Regale – oder Geweihe in allen Größen. Die Möbel sind aus schwerem, dunklem Holz. Auf den ersten Blick wirkt das Innere des Hauses etwas steril. Doch auf den zweiten Blick entdeckt man in vielen Ecken Kinderzeichnungen, Kinderspiele und eine bunt bemalte Wand, auf der von Croÿs Söhne und Töchter Jahr für Jahr ihre Größe mit einem Strich verewigt haben. Das macht das Haus sehr lebendig.
Für alles interessiert
Im Wohnzimmer ist chinesischer Rauchtee in feinen Porzellantassen angerichtet. Labrador Trigger versucht, eine extra Portion Streicheleinheiten zu ergattern. Ein bestimmendes „Trigger, stop it“ seines Herrchens, der ins Englische wechselt, unterbricht ihn dabei. Auf das „Sit down“ gehorcht er mit Sitz und freut sich über ein Lob, „Good boy“. Hinter dem Sessel, auf dem Rudolph Herzog von Croÿ Platz genommen hat, sind die Wandregale bis unter die Decke gefüllt mit Büchern. Geschichte, Philosophie, Mathematik, Physik. Schnell kommt der Herzog vom eigentlichen Thema – sein Leben und seine Pferde – ab. Weimarer Republik, die aktuelle Lage in Syrien, Relativitätstheorie. „Die Welt, in der wir leben, ist faszinierend. Wenn Sie die Geschichte nicht kennen, wissen Sie nicht, warum die Gegenwart so ist wie sie ist. Und das, was wir jetzt tun, gestaltet die Zukunft. Wie kann man da nicht wissbegierig sein? Ich habe meinen Kindern immer beigebracht, dass sie nicht alles können müssen, aber sie müssen sich für alles interessieren.“ Man müsse sich verändern, ansonsten bliebe man stehen, so von Croÿ. Die Digitalisierung werde unser Leben komplett verändern. Aber: Wie passt dazu so etwas Traditionelles wie die jahrhundertealte Wildpferdebahn? „Tradition bedeutet nicht, stehenzubleiben und sich der Zeit unterzuordnen, sondern sich der Gegenwart anzupassen. Tradition heißt nicht einfrieren, sondern weiterentwickeln, modern sein.“Viele Ehrenämter
Nicht nur als Unternehmer, in der Politik und im Sozialen bringt sich von Croÿ ein, auch in der Pferdewelt ist er aktiv. Er ist Erster Vorsitzender des Vereins zur Förderung des Westfälischen Pferdemuseums, Präsident des Pferdesportverbandes Westfalen, Mitglied im Präsidium der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, zweiter Vorsitzender der Persönlichen Mitglieder und Teil des Vorstands der Westfälischen Reit- und Fahrschule. Früher ist Rudolph Herzog von Croÿ häufig Kutsche gefahren. Wenn es die Zeit zulässt, schwingt er sich auch heute noch in den Sattel. Doch am liebsten sitzt er nicht auf dem Pferd oder ist unter Menschen, sondern bei seinen Wildpferden im Merfelder Bruch. „Ich kenne die Herde mein ganzes Leben lang … Ich wünschte, ich könnte sie nochmal zum ersten Mal sehen.“ Laura BeckerPM-Exkursion zu den Dülmener Wildpferden
Eine PM-Exkursion zu den Dülmener Wildpferden findet am 17. September 2018 statt. Infos dazu und Tickets gibt es hier. Die PM-Exkursionen zu den Dülmener Wildpferden finden regelmäßig ein paar Mal im Jahr statt und sind dann im PM-Veranstaltungskalender zu finden.Vorheriger Artikel
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