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Lernen vom Reitmeister: Karl-Heinz Streng

„Die Reitlehre muss gelebt werden“

Im Dezember feiert Reitmeister Karl-Heinz „Kalli” Streng seinen 80. Geburtstag. Ein Grund zu feiern. Aber Kalli Streng hat 2021 noch einen ganz anderen Grund, sich zu freuen: 65 Jahre Profi im Pferdesport. Und noch immer kann er mit Nachdruck und voller Überzeugung erklären: „Ich habe den schönsten Beruf der Welt!”

Reitmeister Karl-Heinz Streng: „Ich habe den schönsten Beruf der Welt.” Foto: Jacques Toffi

„Laissez Faire – das ist nicht meins. Talent braucht man, aber sicher auch Fleiß.” Karl-Heinz Streng

Am liebsten setzt Streng die erste Reitstunde morgens um 6 Uhr an. „Dann ist er spätestens um 5.45 Uhr da und liest noch ein paar Minuten seine Zeitung im Auto”, erzählt eine seiner prominentesten Schülerinnen, Ann-Kathrin Lindner, die erst kürzlich bei der EM in Hagen mit dem U25-Dressurteam Mannschaftsgold gewonnen hat. „Zu spät kommen – das gibt’s bei Kalli nicht.” Und ,ja‘, er heiße nicht nur streng, er sei es auch, aber… „ich bin total froh, dass ich Kalli habe. Ein strenger Reitlehrer hilft mir weiter und wir verstehen uns dabei total gut.” Karl-Heinz Streng – Ausbilder und Trainer mit Passion, aus Passion und mit Strenge. „Ich mache es gerne etwas anders. Es ist ja bekannt, dass ich mehr aus dem Springsport komme, aber es hat sich im Lauf der Jahre einfach ausgezahlt, Elemente aus dem Springtraining auch mit in das Dressurtraining einzubeziehen.“ So verbessert er beispielsweise die Galoppade von Dressurpferden mit Stangenreihen. Seine Anweisungen sind dabei immer kurz, klar und auf den Punkt. „Ich hatte gute Ausbilder und die haben das mit mir auf den richtigen Weg gebracht. 

Mit dem Team Baden-Württemberg mit Hans- Dieter Dreher, Tobias Schwarz und Tina Deuerer gewinnt Karl-Heinz Streng als Trainer die Deutsche Meisterschaft der Landeverbände 2019 in Braunschweig. Fotos (3): Stefan Lafrentz

Und der Linie bin ich treu geblieben.” Mit 15 Jahren begann er seine Ausbildung bei Udo Nesch in Dortmund und war gleichzeitig Turnierpfleger beim einstigen Bundestrainer der deutschen Dressurreiter Harry Boldt. Reiter, die ihn prägten. In den 70er Jahren zog es den gebürtigen Westfalen ins nordbadische Mosbach. Er war als Bereiter tätig, ritt Dressur und Springen bis zur schweren Klasse, ist Träger des Goldenen Reitabzeichens und machte sich Mitte der 80er Jahre als Ausbilder selbstständig. „Ich habe früh erkannt, dass ich im Sattel nicht der große Star werde. Dazu braucht man Pferde und Sponsoren – oder umgedreht. In der Ausbildung von jungen Leuten und Pferden habe ich mein Potenzial eher gesehen als im großen Sport.”

Geprüfter Reitmeister

1989 hat er seine Prüfung zum Reitmeister abgelegt und ist damit der letzte „geprüfte Reitmeister”. Seitdem wird der Titel nur noch verliehen, nicht mehr geprüft. Und dass er ein Meister seines Faches ist – daran zweifelt keiner. Mehr als 50 Pferdewirte hat der Pferdewirtschaftsmeister ausgebildet, war von 1990 bis 2007 Landestrainer der Springreiter in Baden-Württemberg und hat etliche Schüler, die Erfolge bei Deutschen und Europa-Meisterschaften gefeiert haben. Sein Erfolgsrezept: „Ich bin ein großer Verfechter der vielseitigen Ausbildung. Wenn heute jemand eine E-Dressur reitet, dann heißt es schon: ,Er ist Dressurreiter‘. An der vielseitigen Ausbildung hakt es heute, auch in der Berufsreiterei. Udo Nesch war nicht nur mein Ausbilder, sondern auch Vorbild. Er ist beim großen Turnier in Dortmund im selben Jahr Dritter im Großen Preis der Bundesrepublik geworden und war im Grand Prix der Dressurreiter vorne platziert.” Außerdem, so Streng weiter, vertrete er vehement die deutsche Reitlehre. „Ich versuche, so gut ich das kann, dafür zu sorgen, dass diese Reitlehre weiter geritten und auch gelebt wird.”

Karl-Heinz Streng ist ein gefragter Trainer. Hier mit Lara Weber und Bien-Aimee De La Lionne NRW beim diesjährigen Maimarkt- Turnier in Mannheim.

Karl-Heinz Streng hat viele Jobs: Mal ist er als Trainer, mal als Steward oder Richter auf dem Turnier im Einsatz.

Equipe-Chef, Steward und Richter

Fast 30 Mal hat er als Equipe-Chef der Springreiter bei Nationenpreisen fungiert, war in Prüfungsausschüssen für Pferdewirte und -meister und im Vorstand der Bundesvereinigung der Berufsreiter (BBR), wo er heute Ehrenmitglied ist. Er war viele Jahre als Richter und Steward auf den Turnierplätzen unterwegs, war selbst Turnierveranstalter und hat sich immer auch ehrenamtlich für den Pferdesport engagiert. „Aber ich habe immer darauf geachtet, dass ich nie in einen Zwiespalt komme. Ich habe beispielsweise nie meine eigenen Schüler gerichtet.” 2007 erhielt er das Deutsche Reiterkreuz in Silber, 2014 verlieh ihm die BBR die Felix- Bürkner-Ehrenmedaille, 2017 folgte das Deutsche Reiterkreuz in Gold, die höchste Auszeichnung, die die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) zu vergeben hat. „Kalli” Streng fährt tausende von Kilometern quer durch Deutschland in bedeutende Dressur- und Springställe, um zu trainieren. Und weil aufhören für ihn keine Option ist, betreut er seit März diesen Jahres auch noch als DOKR-Honorartrainer die Springreiter der Bundeswehrsportschule in Warendorf. Sein Beruf ist ihm Berufung.

Kim Kreling

Der Ausbildungstipp von Karl-Heinz Streng: Stangen- und Cavaletti-Arbeit

„Pferde müssen durchlässig sein, egal, welcher Disziplin man sich verschrieben hat. Man kann die Durchlässigkeit durch reine dressurmäßige Arbeit erreichen, aber ich bin der Meinung, dann stumpfen die Pferde schneller ab als bei vielseitigem Training. Vieles fällt den Pferden durch den Einsatz von Stangen- oder Cavaletti-Arbeit leichter, macht das Training entspannter. Ich kann damit die Konzentration, das Mitdenken, die Losgelassenheit und die Durchlässigkeit eines Pferdes verbessern. Aber eins ist wichtig: Die Arbeit muss immer mit Ruhe durchgeführt werden. Wenn Hektik aufkommt, muss ich aufhören.

Stangen nicht auf den Hufschlag

Eins noch vorab: Wenn ich von Stangen spreche, meine ich immer tief gestellte Cavaletti. Stangen können wegrollen, das kann gefährlich sein. Deshalb nehme ich immer tief gestellte Cavaletti, zumal die etwas höher und somit effektiver sind, weil die Pferde dann mehr über den Rücken arbeiten. Ein paar Beispiele: Ich lege zwei Stangen im Abstand von drei Galoppsprüngen an die lange Seite. (Ich gebe hier bewusst keine Abmessungen an, weil die Galoppsprünge von Pferden sehr variieren. Die Abmessungen muss man individuell für das Pferd ausrichten.) Ich lege die Stangen niemals direkt an den Hufschlag, immer zwei bis drei Meter davon entfernt. So kann sich das Pferd nicht an die Bande anlehnen und ich schule besser die Geraderichtung. Dann lasse ich ein-, zweimal über die beiden Stangen mit drei Galoppsprüngen galoppieren, das nächste Mal werden vier Galoppsprünge dazwischen geritten, wieder zweimal, dann wieder drei. Das schult die Durchlässigkeit und das kann man auch wunderbar mit Grand Prix-Dressurpferden reiten. Dieselbe Aufgabe kann ich auch auf der Zirkellinie stellen. Ich kann mit der Linie, den Abständen und der Höhe der Cavaletti ,spielen‘.

In einer Galoppreihe kann ich die Cavaletti auch mal hoch stellen. Der Vielfalt sind keine Grenzen gesetzt. Oder ich lege vier Stangen hintereinander. Den ersten Abstand mit einem Galoppsprung, den zweiten mit zwei, den dritten mit drei. Auch das ist beliebig variabel. Ich biete diese Arbeit auch im Trab an und lasse sehr häufig zwischen den Gangarten wechseln: mal im Trab anreiten, mal im Galopp. Das erhöht die Konzentration. Mit Schrittstangen kann ich außerdem die Schulterfreiheit eines Pferdes verbessern, wenn ich die Abstände der Stangen im Vergleich zum Schrittmaß des Pferdes minimal erweitere. Auch hier gilt: die Abmessungen muss ich dem Pferd anpassen.

Karl-Heinz Streng nimmt immer tief gestellte Cavaletti, denn Stangen können wegrollen – das kann gefährlich sein. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

„Ich kann mit der Linie, den Abständen und der Höhe der Cavaletti ,spielen‘. Der Vielfalt sind keine Grenzen gesetzt“, sagt der Reitmeister zu seiner Übung. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Für alle Pferde geeignet

Heftigere Pferde pariere ich vor den Stangen zum Halten durch, lasse sie abkauen, richte ggf. rückwärts – diese wertvolle Übung scheint mir heutzutage etwas auf der Strecke zu bleiben – und reite erneut an. Wichtig: Immer gerade an die Stangen reiten und sie auch so beenden. Nach der Stangenreihe kann ich variabel mal durchparieren oder in eine höhere Gangart wechseln. Auch wichtig: Bitte immer auf beiden Händen gleichmäßig arbeiten. Deshalb lege ich nie die Stangen auf die Diagonale, denn dann kann man sie nur von einer Seite anreiten. Zirkellinien und Parallelen zur langen Seite eignen sich besser. Mein Tipp: Diese Art der Arbeit ist für alle Pferde – unabhängig von der Disziplin – ein wunderbar abwechslungsreiches Training.”

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