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„Unser Stall soll besser werden 2021“: Wohnträume für Pferde

Fohlen absetzen ohne Stress?

Trennungsschmerz

Der Grundstein für ein gesundes und langes Pferdeleben wird bereits im Fohlenalter gelegt. Und genau in dieser Zeit liegt eine der ersten prägendsten Erfahrungen für Pferde: das Absetzen. Die Pferdezucht ist über die Zeit immer wieder an Ansprüche, Zuchtziele, Einsatz und Erkenntnisse innerhalb der Zucht und Medizin angepasst worden. Auch zum Thema Absetzen gibt es verschiedene Meinungen und Methoden. Aber welche Art des Absetzens bringt am wenigsten Stress für die Fohlen mit sich?

Das Absetzten stellt größere wie kleinere Züchter vor Herausforderungen. Zu viel Stress und falsches Management können die Fohlenentwicklung beeinträchtigen.

Das Absetzen des Fohlens von der Stute im Alter von etwa sechs Monaten, meistens im Herbst, ist in der Pferdezucht gelebte Praxis. Es bezeichnet eine vom Menschen induzierte Trennung von Fohlen und Stute – dies ist der Zeitpunkt, an dem das Fohlen komplett auf feste Nahrung umgestellt wird. Je nach Konstitution von Stute und Fohlen sollte allerdings nicht zu starr an diesen sechs Monaten festgehalten werden. In freier Wildbahn kann das gleiche Phänomen beobachtet werden, allerdings mit acht bis zehn Monaten. Im natürlichen Verhalten wird aber zwischen Absetzen und Trennen unterschieden. Unter naturnahen Bedingungen setzen die wieder trächtigen Stuten ihre Fohlen vom Säugen ab, um ausreichend Reserven für das neue Fohlen aufbauen zu können. Unter naturnahen Bedingungen setzen die wieder trächtigen Stuten ihre Fohlen vom Säugen ab, um ausreichend Reserven für das neue Fohlen aufbauen zu können.

Zusammen mit dem Hauptund Landgestüt Neustadt/ Dosse haben die Tierärzte des Graf-Lehndorff-Instituts drei Probandengruppen aufgestellt und die Fohlen jeder Gruppe auf unterschiedliche Arten abgesetzt. Fotos (7): Christiane Slawik

Dennoch bleiben die Jungtiere bis zur Pubertät, die meist im Alter von etwa 15 Monaten beginnt, Stutfohlen auch deutlich länger, bei der Mutterstute. Das Absetzen erfolgt allmählich und nicht, wie häufig gehandhabt, abrupt von einem Tag auf den anderen. Für große Zuchtbetriebe und Gestüte ist aufgrund der Vielzahl der Fohlen ein terminiertes Absetzen unumgänglich. Forschungen des Graf- Lehndorff-Instituts für Pferdewissenschaften setzen an diesem Punkt an und haben ermittelt, wie der Absetz- Stress für Fohlen erheblich minimiert werden kann. In Zusammenarbeit mit der Stiftung Brandenburgisches Haupt- und Landgestüt Neustadt/ Dosse und der Veterinärmedizinischen Universität Wien forschen die Wissenschaftler des Graf-Lehndorff- Instituts hauptsächlich zu den Bereichen Zucht, Reproduktionsmedizin, Haltung, Training, Tierschutz und Gesundheit. „Besonders interessant sind für uns auch Forschungen zu menscheninduzierten Stressfaktoren wie dem Absetzen von Fohlen“, erklärt die Leiterin des Instituts, Prof. Dr. Christine Aurich von der Veterinärmedizinischen Universität Wien.

Nicht nur die Milch fehlt

Mit der Sechs-Monats-Regel herrscht Einigkeit in der Mehrzahl der Pferdezuchtstätten. „Grundsätzlich kann man Fohlen ab einem Alter von vier Monaten absetzen, das sollte aber immer individuell betrachtet werden“, erklärt Prof. Dr. Christine Aurich. „Sechs Monate haben sich hinsichtlich der Entwicklung des Fohlens bewährt. Aber nicht nur das Fohlen muss geschützt werden, sondern auch die Stute. Die Konstitution ist besonders wichtig, nicht nur, wenn die Stute im kommenden Jahr erneut fohlen wird. 

Vor allem Stuten, die ihre Fohlen mit der Zeit nicht von selbst vom Euter abschlagen, werden oftmals regelrecht ausgesaugt“, so Aurich weiter. Fohlen knabbern schon ab den ersten Lebenstagen an Gräsern und versuchen sich bereits sehr früh am Futter der Stute. Studien haben gezeigt, dass die Mineralstoff- und Energieversorgung über die Muttermilch ab dem vierten Lebensmonat auch nicht mehr gedeckt wird. Entscheidend sei also gar nicht die Muttermilch an sich, von der die Fohlen abgesetzt werden. „Viel schwerer wiegt die Tatsache, dass das Saugen für die Fohlen nicht nur zur Nahrungsaufnahme dient, sondern auch als Trost, Beruhigung und Sicherheit. 

In der Natur schlagen die Stuten ihre Fohlen beim Säugen immer öfter ab. Das induziert das allmähliche Absetzen von der Muttermilch.

Ein Verhalten, dass häufig beobachtet wird: Nach einem aufregenden Erlebnis, einer Angst- oder Stresssituation werden die Fohlen umgehend bei der Stute saugen“, erklärt Prof. Dr. Aurich. Mit dem Absetzen entfällt also nicht nur die Nahrungsquelle Muttermilch, sondern der Hauptbezugspunkt des Fohlens. „Der Mensch kann den Sozialkontakt eines Pferdes nicht ausgleichen“, stellt die Expertin klar. Ziel der Forschungen waren entsprechend der vorausgegangenen Studien nicht der optimale Zeitpunkt des Absetzens, sondern die Art und Weise, wie Fohlen abgesetzt werden.

Verschiedene Absetzmethoden

Das klassische Absetzen (simultanes Absetzen) ist die am weitesten verbreitete Methode. Hier werden die Fohlen, bestenfalls mehrere zeitgleich, abrupt von der Mutter getrennt. Dabei gehen Stuten und Fohlen beispielsweise gemeinsam auf die Weide, werden beim Reinholen aber direkt getrennt. Und zwar idealerweise so, dass sie sich außer Hörund Sichtweite voneinander befinden. 

Die Fohlengruppe, der zwei Altstuten als „Nannys” an die Seite gestellt wurden, zeigte die geringsten Stressanzeichen.

Problematisch auf größeren Betrieben kann diese Vorgehensweise vor allem für Nachzügler-Fohlen sein, deren Mütter vielleicht erst gegen Ende der Decksaison aufgenommen haben. Neben diesem klassischen Absetzen werden auch modifizierte Verfahren in der Praxis umgesetzt: Zum Beispiel werden die Fohlen in Intervallen abgesetzt, die im Laufe einiger Tage immer weiter gedehnt werden, bis sie schließlich gänzlich von der Mutter entwöhnt sind. Fraglich ist hierbei aber der immer wiederkehrende Stressfaktor bei jeder erneuten Trennung.

Altstuten ersparen Stress

Die Ergebnisse der Studie waren signifikant. Während das simultane Absetzen der Gruppe 1 für ein sehr hohes Stresslevel bei den Fohlen und sogar zu Entwicklungsrückständen und einem erheblichen Gewichtsverlust führte, stresste das konsekutive Absetzen der Gruppe 2 die Fohlen ebenfalls erheblich, dabei allerdings über einen deutlich längeren Zeitraum, weil sich die Fohlen tagtäglich erneut gegenseitig aufregten, Angst machten und Unruhe in die Herde brachten. Die geringsten Ausschläge der Stressoren wurden bei Gruppe 3 mit den verbliebenden adulten Stuten erzielt. Auch hier waren die Fohlen gestresst, allerdings haben die bekannten Altstuten die Fohlen schnell beruhigt und ihr Sicherheitsund Anlehnungsbedürfnis befriedigt. Die Fohlen dieser Gruppe blieben im Vergleich deutlich ruhiger, fraßen annähernd normal und riefen seltener nach den Müttern.

Gewichtsdifferenz (kg) der Fohlen der verschiedenen Versuchsgruppen (n= 5 bis 6) jeweils zum Tag des Absetzens an 7 Tagen nach dem Absetzen sowie 2 und 8 Wochen später. Grafik: Graf-Lehndorff- Institut

Fohlen und Jungpferde profitieren stark voneinander, dennoch orientieren sie sich häufig an älteren Tieren, die ihnen Sicherheit geben.

„Menscheninduziertes Absetzen erzeugt immer Stress, entscheidende Ergebnisse der Untersuchung zielen allerdings darauf ab, die verträglichste Absetzmethode zu bestimmen – und die haben wir gefunden. Besonders erfreulich war die Tatsache, dass das Absetzen mit zwei Altstuten die geringsten Stressausschläge zeigten. Diese Methode kann im Prinzip in jedem Betrieb, egal welcher Größe, gut und kostengünstig umgesetzt werden“, resümiert die Leiterin des Graf- Lehndorff-Instituts. Jungpferde profitieren natürlich stark voneinander: Sie können sich austoben, rangeln und erste eigenständige Sozialkontakte knüpfen. Dennoch orientieren sich Fohlen und Jungpferde häufig an älteren Tieren, die ihnen die nötige Sicherheit geben können. Das wirkt sich letztlich auch auf das Unfallrisiko aus. In brenzligen Situationen laufen die unsicheren Jungpferde nicht panisch los, sondern lassen sich durch ruhige, erfahrene Pferde schnell beruhigen.

Sie lernen und schauen sich das Verhalten ab, von dem letztlich auch der Reiter profitiert. „Auch die Risiken des Absetzens dürfen nicht unterschätzt werden“, appelliert Prof. Dr. Aurich. „Beim simultanen und konsekutiven Absetzen konnte ein regelrechter Entwicklungsstopp von knapp zwei Wochen bei den Fohlen beobachtet werden. Das hohe Stresslevel führt auch zu Immundepressionen, die Fohlen sind folglich anfälliger für Krankheiten. Auch psychosomatische Folgen können ausgemacht werden: Die Fohlen können im späteren Leben stressanfälliger sein. Vor allem Ersatzhandlungen zum Saugreflex können sich manifestieren. Dazu zählt das Saugen an der eigenen Zunge oder das Koppen. „Zucht erfordert von den Züchtern im Vorfeld gutes Management. Nicht nur in der Haltung der trächtigen Stute, der Prozedur des Absetzens, sondern auch dem weiteren Aufwachsen des Jungpferdes“, resümiert Prof. Dr. Aurich.

Rechtzeitiges Zufüttern

Das Absetzen ist der erste große Schritt in Sachen Selbstständigkeit. Damit sich die Jungpferde nach dem stressigen und einschneidenden Erlebnis schnell wieder fangen und weiter Aufbauen, ist das Haltungsmanagement nach dem Absetzen ebenso wichtig. Zumal sich der Züchter und Halter bewusst sein sollte, dass schon einige Vorarbeit in der Zeit davor stattfinden sollte. „Noch während die Fohlen bei Fuß laufen sollten sie an Mineralfutter und Fohlenstarter gewöhnt werden. Das ist sogar nötig, weil die Stutenmilch ab etwa vier Monate nicht mehr ausreichend mineralisiert ist“, sagt Frank Welzel, der sich mit seinem Bruder auf die Aufzucht von Jungpferden spezialisiert hat. Der Aufzuchthof Welzel hat eine lange Tradition als Milchvieh- und Landwirtschaftsbetrieb, bis die Betriebsleiter ihren Schwerpunkt 1990 allein auf die Haltung und Aufzucht von Pferden verlegt haben. Bis 2016 haben die beiden Brüder unter anderem die Hengstaufzucht der Jungpferde des Landgestüt Dillenburg übernommen. Das vorzeitige Füttern mit zusätzlichem Futter erleichtert den Jungpferden die Umgewöhnungsphase nach dem Absetzen und beugt einem zu langen Entwicklungsstop vor.

Je früher die Fohlen an das Halfter, das Führen, den Schmied und Tierarzt gewöhnt werden, desto einfach fällt auch das Absetzen. Müssen diese Dinge jetzt erst neu geübt werden, macht das zusätzlichen Stress.

Frank Welzel, Leiter des Aufzuchthofs Welzel, schickt seine Fohlen gerne ins hohe Gras, damit sie keinen Ausfallschritt machen müssen, um zu fressen.

Ins lange Gras

„Entscheidend ist auch das Weidemanagement. Bei Fohlen, die gänzlich auf der Wiese gehalten wurden, beobachten wir manchmal eine Fehlstellung an einem der Vorderhufe. Das kann an den Weiden liegen, auf denen das Gras zu niedrig steht. Der Hals ist bei Fohlen proportional gesehen noch kürzer. Sie müssen also einen größeren Ausfallschritt machen. Durch die unterschiedliche Gewichtsbelastung der Vorderhufe können sich Bockhufe entwickeln. Die Hufentwicklung muss regelmäßig kontrolliert werden, damit der Schmied ggf. noch rechtzeitig korrigieren kann“, erklärt der Leiter des Aufzuchthof Welzel von seinen Erfahrungen. Der Besuch von Schmied und Tierarzt sollte ebenfalls rechtzeitig geübt werden. Zumal die Gabe von Wurmmitteln und Impfungen in den meisten Aufzuchthöfen verpflichtend ist. „Wir haben auch schon Fohlen erlebt, die gar nicht wirklich an Menschen gewöhnt waren. Die mussten dann für eine simple Impfung sediert werden.

Das ist einfach ein Trugschluss, dass Jungpferde nicht viel Arbeit machen. Wenn ich später ein ausgeglichenes Reitpferd haben möchte, dann sollten doch solche Basics schon im jungen Alter sitzen“, appelliert Frank Welzel. Ausreichend Bewegung, Luft, Licht und das Vorbeugen von Ernährungsdefiziten sind nicht nur die Eckpfeiler eines langen, gesunden Pferdelebens, sondern beugen zum Beispiel auch der sogenannten Chip-Bildung vor, für deren Entstehung neben weiteren Faktoren auch nicht ausreichende Bewegung und unangepasste Ernährung verantwortlich gemacht werden. Im Winter werden die Jungpferde auf dem Hof Welzel in großen trockenen Laufställen gehalten und kommen tagsüber raus. In der Weidesaison stehen die Pferde dauerhaft auf den Koppeln der Anlage. „Wir rationieren bei den Fohlen und Jungpferden das Heu grundsätzlich nicht. Pferde fressen eigentlich instinktiv, deshalb bieten wir auch auf den Weiden zusätzlich Heu an. Unterstände oder Bäume sorgen für den nötigen Witterungsschutz und grundsätzlich werden die Herden natürlich tagtäglich kontrolliert“, erklärt der gelernte Forstwirt und Reitwart.

Hengste im gleichen Alter

Die Jungpferde wachsen geschlechtergetrennt auf. Dabei werden die Hengste auch nach Alter sortiert. Das beuge Verletzungen vor, erklärt Frank Welzel. Die Hengste haben eine ganz andere Spielmanier und springen sich gegenseitig auch auf den Rücken, dabei könnten erhebliche Verletzungen auftreten, wenn ein gut gebauter Zweijähriger auf einen zarten Absetzer trifft. „Die Jungstuten hingegen stehen bei uns in sehr großen gemischten Herden mit Wallachen und Stuten jeden Alters zusammen. Das merkt man auch am Wesen und der Sozialisation der Tiere“, sagt Frank Welzer. Er resümiert: „Entscheidend ist, dass ich an die Jungpferdeaufzucht nicht unbedarft herangehe. Ich muss mir vor Augen führen, dass die Fohlen nach dem Absetzen unglaublichem Stress ausgesetzt sind und Angst haben, dafür darf ich sie keinesfalls strafen, sondern muss mit Sachverstand und Einfühlungsvermögen an die Pferde herantreten.“

Lorella Joschko

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