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Olympische Disziplinen in Rio de Janeiro: Vielseitigkeit

Das Triple zum Greifen nah

Das deutsche Vielseitigkeitsteam steht vor seiner historischen Chance, dreimal in Folge olympisches Gold zu gewinnen. Das gelang bislang nur einer Nation: Australien von 1992 bis 2000.

Olympisches Doppelgold 2008 in Hongkong und 2012 in London, dazu Siege bei Welt- und Europameisterschaften und den CCI4* in Badminton, Burghley, Lexington und Luhmühlen – die deutschen Vielseitigkeitsreiter haben die Konkurrenz in den vergangenen knapp zehn Jahren wahrlich das Fürchten gelehrt und treten nun bei den Olympischen Spielen von Rio in der Favoritenrolle an. Sie könnten den Hattrick schaffen, zum dritten Mal in Folge zur Goldmedaille zu reiten.

Michael Jung; Alle Fotos: S. Lafrentz

Ingrid Klimke

Takinou fällt aus

Eine Woche vor Abflug nach Rio ereilte die Bundestrainer Hans Melzer und Chris Bartle allerdings eine schlechte Nachricht: Michael Jungs Angloaraber Takinou hat sich einen Infekt zugezogen. „Diesen Infekt wird er nicht rechtzeitig auskurieren und wenn doch, dann wollen wir ihm die Reise und den Wettkampf nicht zumuten“, erklärte Michael Jung. „Gold-Michi“ hatte sich schon frühzeitig auf den neunjährigen Fuchswallach festgelegt, weil er eine exzellente Dressurprüfung schafft. Und die ist bei Olympia umso wichtiger, als Experten mit Rücksicht auf die schwächeren Nationen von keinem zu schweren Geländekurs ausgehen, den auch die schwächeren Paare, wenn auch mit Zeitfehlern, gut absolvieren können. Wenn dann noch im abschließenden Parcoursspringen die Stangen liegen bleiben, entscheidet bei den Spitzenpaaren oft das Dressurergebnis.

Der Ausfall von Takinou ist zu verschmerzen, schließlich hat Michael Jung mehr als ein Ass im Ärmel. Allen voran Sam FBW. Der nun 16-jährige Einzel- und Mannschafts-Olympiasieger von London 2012 hat vor ein paar Wochen seine Topform unter Beweis gestellt und in Badminton über die versammelte Weltelite triumphiert. Auch beim CHIO in Aachen schlug sich der Braune aus der baden-württembergischen Zucht mit Platz sechs sehr gut. Und da ist auch noch Vizeweltmeisterin Rocana FST, mit der in diesem Jahr zum zweiten Mal die Vier-Sterne-Prüfung in Lexington gewinnen konnte.

Schon nach dem CCI4* und der Deutschen Meisterschaft in Luhmühlen hatten sich die beiden Bundestrainer und der Vielseitigkeitsausschuss auf das Team für Rio festgelegt: Neben Jung sollen die deutsche Vize-Meisterin Ingrid Klimke mit dem Oldenburger Hale Bob OLD, die Weltmeisterin und frisch gekürte deutsche Meisterin Sandra Auffarth mit ihrem französischen Championatspferd Opgun Louvo und der Sportsoldat Andreas Ostholt mit dem westfälischen Wallach So is et, im Mai Zweite in Badminton, die deutschen Farben am Zuckerhut vertreten. Als Reservistin wird außerdem die 27-jährige Julia Krajewski mit ihrem kleinen Franzosen Samourai du Thot die Reise nach Rio antreten.

Sandra Auffahrt

Zeitplan

 

30. Juli: Abflug der Vielseitigkeitspferde

 

05. August: Verfassungsprüfung

 

06. August: Teilprüfung Dressur Team/Einzel

 

07. August: Teilprüfung Dressur Team/Einzel

 

08. August: Teilprüfung Gelände Team/Einzel

 

09. August: Teilprüfung Springen Finale Team/Einzel

 

12. August: Rückflug der Pferde

 

Andreas Ostholt

Nur vier Teamreiter

Das olympische Reglement hat sich im Vergleich zu den vorangegangenen Spielen in London nicht geändert, wohl aber die Zahl der Reiter: In Rio gehen nicht mehr fünf, sondern nur noch vier Reiter pro Nation an den Start. Die Reduzierung musste die Vielseitigkeit schweren Herzens akzeptieren. Aber auch die Vierer-Regel könnte bald Geschichte sein, denn inzwischen zeichnet sich bei der FEI eine Mehrheit für drei Teammitglieder ab – ohne Streichergebnis. Da die Zahl der Pferde bei Olympia nicht erhöht wird, können nur dann mehr Nationen starten, wenn die Teams kleiner werden. So hoffen zumindest einige unbedeutendere Reitsportnationen, doch noch einen Fuß aufs olympische Parkett zu bekommen. „Eine trügerische Hoffnung“, wie Hans Melzer sagte, „denn bei Olympia wollen wir die besten Paare sehen. Mehr schwächere Reiter erhöhen nur das Risiko und schaden unserem Sport.“

Zwei Parcoursspringen

Der Weg zur Medaille führt über die Dressur, die Geländestrecke und das abschließende Springen. Da für dieselbe Leistung nicht zwei Medaillen vergeben können, messen sich die Aktiven zweimal im Parcours. Im ersten Springen werden die Mannschaftsmedaillen entschieden, im zweiten treten die besten 25 Reiter zum Kampf um Einzel-Gold an. Bei den Spielen in London war dies ein Krimi der Extraklasse. Sara Algotsson-Ostholt hatte Gold fast schon in der Tasche, als ihr Wega am letzten Hindernis die Stange berührte und diese fiel. Das hieß Gold für den bis dahin an zweiter Stelle rangierenden Michael Jung. Auch „Wolle“, wie Sandra Auffarth ihren Opgun Louvo nennt, blieb fehlerfrei – Bronze. Damit war das deutsche Traumergebnis von zweimal Gold und einmal Bronze perfekt.

Bundestrainer Chris Bartle vertrat England bei den Olympischen Spielen in der Dressur, sicherte sich 1997 mit dem britischen Team EM-Gold und gewann 1998 das CCI4* Badminton. Seit 2001 betreut er gemeinsam mit Hans Melzer die deutschen Viel­seitigkeitsreiter. Foto: FN-Archiv

Anders als in London, wo die Geländestrecke im engen Greenwich Park ein stetiges Auf- und Absteigen der Pferde forderte, erwartet die zwei- und vierbeinigen Athleten in Rio eine eher leicht hügelige Trasse, vergleichbar mit dem Gelände bei den Weltreiterspielen in Kentucky 2010. Die Bodenverhältnisse werden eher trocken und hart sein, sofern nicht vorher gewässert wird. Der Parcourschef, der Franzose Pierre Michelet, Kursdesigner des CCI4* Pau, aber auch der Europameisterschaften in Fontainebleau und der Weltreiterspiele in der Normandie, ist bekannt dafür, dass er „schwer, aber fair“ baut. Sein Hauptaugenmerk liegt auf technischen Anforderungen, die ein flüssiges Vorwärtsreiten in den Hinderniskomplexen, Gehorsam der Pferde und gutes Reiten erfordern.

Am Abend des 8. August, ein Montag, sind alle schlauer. Dann ist das Herzstück der Vielseitigkeit, die Geländeprüfung, beendet. Die PM drücken den deutschen „Buschis“ die Daumen.

Susanne Hennig

Drei Fragen an Chris Bartle

Die Vielseitigkeit hat sich in den letzten 20 Jahren enorm verändert. Was glauben Sie, hatte den größten Einfluss? 

Bartle: Die beiden wichtigsten Änderungen sind die Verkürzung der Prüfungen, also die Abschaffung von Rennbahn und Wegestrecke, und die gestiegenen Ansprüche in der Dressur und bezüglich der technischen Anforderungen im Gelände. Beides hat dazu geführt, dass sich Ausbildung und Training der Pferde den veränderten Aufgaben anpassen mussten. Die dressurmäßige Grundausbildung wird seither stärker betont, aber auch das Training spezieller Geländeaufgaben und die Fitness der Pferde wurden daran angepasst. Früher entsprach das Konditionstraining eher dem von Rennpferden, heute ist es speziell auf Vielseitigkeitspferde ausgerichtet.

 

Im Vergleich zu anderen Ländern: Was ist der Unterschied zwischen den deutschen und z.B. den britischen Reitern, die lange das Maß der Dinge waren? Was glauben Sie, ist das Erfolgsgeheimnis der deutschen Reiter? 

Bartle: Ich glaube, dass eines der „Geheimnisse” darin liegt, dass der Fokus auf die reiterliche Qualität gelegt wird, beginnend mit der Dressur und dann übertragen auch auf Springen und Geländereiten. Die meisten der deutschen Reiter, mit denen ich trainiere, haben einen guten Grundsitz und eine gute Hilfengebung, die sie bereits als Jugendliche gelernt haben und worauf in Deutschland mehr Wert gelegt wird als beispielsweise in den British Pony Clubs. Außerdem liegt der Fokus auf gezieltem Geländetraining und basiert nicht nur auf den in Prüfungen gewonnenen Erfahrungen.

 

Wie sehen Sie die Zukunft des Sport? Was sollte Ihrer Meinung nach unbedingt erhalten bleiben, was geändert werden? 

Bartle: Ich bin ganz stark der Meinung, dass das Format nicht noch weiter verkürzt werden sollte, außerdem sollte im CCI die klassische Reihenfolge mit dem Springen am Ende erhalten bleiben, einerseits zum Wohle der Pferde und zum anderen, damit der Sport eine klare Unterscheidung zu den zwei Spezialdisziplinen behält. Die Kurzform (CIC) ist vor allem für das Training und die Vorbereitung der Pferde nützlich. Außerdem sollten die Geländeanforderungen nicht noch technischer werden, vor allem auf unterem Niveau. Ich wünschte mir auch mehr ‚forgiving fences‘, wie Rennbahnsprünge mit Bürsten, durch die Reiter und Pferde das Anreiten von Sprüngen aus höherem Tempo lernen und auch sich dabei auszubalancieren. Darüber hinaus müssen wir die Entwicklung von Sicherheitshindernissen vorantreiben, einfach weil Pferde und Reiter auch einmal Fehler machen können. Allerdings dürfen die Hindernisse nicht zu klein und zu „freundlich” werden, damit Pferde und Reiter den Respekt davor nicht verlieren.

Das Gespräch führte Uta Helkenberg.

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