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Serie: Wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt bleibt dumm, Teil 9

Von Händen und Fäusten

Weich und gefühlvoll soll sie sein, die Zügelverbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul. Warum das so ist und wie man Fehlhaltungen korrigieren kann, erklärt Dr. Britta Schöffmann im neunten Teil ihrer Lehrserie.

Perfekt: Ob Trense- oder Kandaren­zügel –  so sieht die perfekte Handhaltung aus.

„Die Hände sind unverkrampft zur Faust geschlossen. Sie werden aufrecht getragen, weil nur aus dieser Haltung heraus feine Zügelhilfen aus dem Handgelenk möglich sind. Die mäßig gekrümmten Daumen liegen dachförmig auf dem Zügel-enden und verhindern ein unkontrolliertes Durchrutschen der Zügel.“ Diese Sätze auf Seite 52 im aktuellen Band 1 der FN-Richtlinien für Reiten und Fahren beschreiben eigentlich ausreichend, wie und warum die Reiterfäuste so und nicht anders getragen werden sollen. Und auf Seite 76 und 77 ist noch allerhand Wichtiges nachzulesen über Verlauf der Zügel, ungebrochene Linie Zügel-Faust-Unterarm, Abstand der Fäuste zueinander und mögliche Fehler.

 

Kontakt zum Pferdemaul

Über die Zügelfäuste hat ein Reiter in jeder Reitweise oder Disziplin einen direkten Kontakt zum empfindlichen Pferdemaul bzw. -schädel. Alles, was über diesen Kontakt geschieht ist ein Teil der Sprache zwischen Pferd und Reiter. Die Umsetzung der Richtlinien bezüglich korrekt getragener Hände ist also keine Frage von „weil es so im Buch steht“, sondern eine Frage von „Voraussetzung für gelungene Kommunikation“. Dabei lassen sich drei Gruppen von Zügelfaust-Fehlern unterscheiden: die unbewussten Fehlhaltungen, die absichtlichen und die aus unausbalanciertem Sitz. Unbewusste Fehlhaltungen, z.B. beidseitig oder einseitig verdeckte Fäuste, sind eine dumme Angewohnheit. Eine, die jedoch negative Folgen hat. Wer einmal versucht hat, eine verdeckte Faust sanft annehmend oder stellend einzudrehen oder mit ihr nachzugeben wird merken, dass dies kaum bis gar nicht geht. Stattdessen wird mit dem ganzen Unterarm agiert, um den gewünschten Effekt ansatzweise hervorrufen zu können. Feine Hilfen sind so nicht mehr möglich.

Das Abstellen solch unbewusster Handfehler ist gar nicht so einfach. Das menschliche Hirn funktioniert auf eine ganz eigene Art. So werden körperliche Veränderungen, wie in diesem Fall die falsche Handhaltung, irgendwann im Unterbewusstsein als ,normal‘ abgespeichert und vom Reiter auch nicht mehr als ,falsch‘ gefühlt. Im Gegenteil, gibt man ihm die Anweisung „Hände aufstellen“ wird sich die richtige Haltung für ihn total komisch und falsch anfühlen. Hier hilft eigentlich nur, mit absoluten Gegenbewegungen zu arbeiten (zum Beispiel Daumen übertrieben nach außen kippen, Handgelenke hin und her kippen u.ä.), um eine neue, und nun richtige Position der Hände zunächst wieder ins Bewusstsein zu holen um diese dann neu im Unterbewusstsein verankern zu können.

Fehlerhaft: nach unten gedrückte Hand mit „offenen“ Fingern.

Ebenso fehlerhaft: die zu hohe Zügelführung.

Position der Hände

Mehr oder weniger absichtliche Fehlhaltungen gibt es diverse, die häufigsten sind zu hohe oder zu niedrige (drückende), riegelnde oder auch offene Fäuste. Die Position der Hände soll so sein, dass die Verbindung zwischen Pferdemaul/Gebiss über Faust, Unterarm bis zum Ellenbogen des Reiters eine ungebrochene Gerade bildet. Um sie beibehalten zu können, ändert sich auch der Winkelgrad des Ellenbogengelenkes: Je höher die Aufrichtung des Pferdes, desto mehr nähert sich der gewinkelte Reiterarm der 90 Grad-Marke, je weniger Aufrichtung desto größer der Winkel, in der Vorwärts-Abwärts-Dehnung senken sich entsprechend auch die Reiterhände, der Ellenbogenwinkel öffnet sich noch ein wenig mehr.

Der Sinn der korrekten Handposi-tion liegt in der ungestörten Übertragungsmöglichkeit der Bewegungsimpulse des Pferdes von hinten nach vorn ans Gebiss heran, ähnlich einer Schallwelle, die ja auch nicht verlustfrei um Ecken herum verläuft. Dauerhaft zu hoch getragene Hände verhindern deshalb auch das Schwingen des Pferderückens. Die Folge: Die Pferde gehen ‚ohne Rücken‘ entweder künstlich nach oben gezuppelt oder sie entziehen sich durch Aufrollen. Lediglich vorübergehendes leichtes Anheben eines Zügels oder beider Zügel kann in speziellen Situationen Sinn machen. Nach unten gedrückte Hände, wie man sie häufig sieht, stören ebenfalls die ungehinderte Energieübertragung, außerdem drücken sie das Gebiss im Maul vermehrt auf die empfindlichen Laden des Pferdes. Vorübergehend senken dabei manche Pferde sogar den Kopf, um dem schmerzhaften Druck zu entgehen. Auf lange Sicht gesehen werden sie sich aber gegen die drückende Reiterhand wehren. Korrekt in Höhe und Abstand zueinander (etwa Halsbreite des Pferdes oder etwa eine quer gestellte Faust breit) geführt agieren Zügelfäuste dagegen wie in alle Richtungen leicht bewegliche Gelenke, die ein Feintuning innerhalb dieser ungebrochenen Verbindung ermöglichen. Besonders schön ist diese feine Zügelführung übrigens bei Ingrid Klimke zu beobachten.

In alle Richtungen beweglich heißt aber nicht, dass die Hände dauernd in alle Richtungen bewegt werden. Sie sollen vielmehr so wenig wie möglich und so viel wie nötig ‚arbeiten‘, sollen mehr atmen als agieren. Unaufhörliches Hin- und Herbewegen, also Riegeln, ist eine grobe Einwirkung, mit dem der Reiter dem Pferd Schmerzen im Maul zufügt und ihm durch den wechselnden Dauerdruck auch die Rückmeldung durch Aussetzen der Zügeleinwirkung Hilfe und damit das Verstehen der Hilfe versagt. Wer riegelt hat niemals Recht!

Aber auch offene Finger, als falsch verstandene Rücksichtnahme aufs empfindliche Pferdemaul, übrigens gern bei Reiterinnen zu beobachten, sind nicht richtig. Denn gerade wegen der offenen Zügelfäuste ist ein richtiges Nachgeben gar nicht mehr möglich. Wer‘s nicht glaubt, kann es mal ausprobieren: Zügel mit offener Faust aufnehmen, Ellenbogen bewusst etwas fixieren und ausschließlich aus der Faust nachgeben. Geht nicht? Kein Wunder, denn das vielzitierte Annehmen-Nachgeben ist letztlich nichts als ein Anspannen (Annehmen) und Entspannen (Nachgeben) der in der Neutralposition locker geschlossenen Faust. Eine offene Faust lässt sich aber nicht mehr so entspannen, dass eine nachgebende Wirkung auf den Zügel entsteht.

 

Der unausbalancierte Sitz

Der dritte große Handfehler-Typ ist der aus einem unausbalancierten Sitz und zeigt sich häufig in unruhiger Zügelführung. Wackelnd, mal oben, mal unten und ohne Stabilität. Da die Hände über die Arme mit dem ganzen Körper in Verbindung stehen, haben Balanceprobleme des Rumpfes direkten Einfluss auf das Gelingen oder Nichtgelingen einer ruhigen Zügelführung. Deshalb bringt es dem Reiter auch nichts, wenn er krampfhaft versucht, seine wackelnden Hände in den Griff zu bekommen. Sinnvoller ist es, die Ursache wie feste Mittelpositur, fehlende Körperspannung, hochgezogene Schultern, klemmende Beine oder durchgedrückte Arme zu erkennen durch entsprechende Sitzübungen oder auch mal durch einhändige Zügelführung abzustellen. Wer ausbalanciert und damit unabhängig von seinen Händen sitzen kann, der kann sie auch ruhig halten und ganz gezielte, eindeutige und feine Zügelhilfen geben. Und erst dann kann ein Pferd überhaupt erst verstehen, was ihm sein Reiter mit der Zügelfaust sagen will.

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