Vorheriger Artikel

Ausgabe 04/2023
Dülmener Wildpferde: Expedition ins Münsterland

Nächster Artikel

Ausgabe 04/2023
Fairer Sport: Risiko unbewusstes Doping

Lernen vom Reitmeister: Jean Bemelmans

Hartnäckig bis an die Spitze

Die Silbermedaille mit dem spanischen Team bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen – das war ein Highlight in der Karriere des Ausnahmetrainers Jean Bemelmans. 16 Jahre lang hat der Reitmeister die spanischen Reiter betreut, hat mit ihnen drei Silber- und fünf Bronzemedaillen bei internationalen Championaten gewonnen und den Dressursport in Spanien geprägt.

Seinen Erfolg hat sich Jean Bemelmans hartnäckig erarbeitet – hier startet er 1989 in Aachen. Alle Fotos: Jacques Toffi

Nach den Spaniern übernahm Jean Bemelmans das Training der Franzosen und begleitete sie bis Anfang 2022. Insgesamt war der gebürtige Belgier bei acht Olympischen Spielen als Trainer im Einsatz. Eine Ausnahmebilanz! Und er war der letzte Ausbilder, der den Titel „Reitmeister“ am 8. Dezember 1989 in Warendorf noch durch eine Prüfung inklusive Diplomarbeit verdient hat.

Start mit Hürden

Mit 17 entschied der pferdepassionierte Junge mit dem vollen Namen Jean-Emile Charles Bemelmans, sein Leben den Pferden zu widmen. Das erklärte er auch dem Direktor seiner Schule im belgischen Hasselt und seinem Vater. Die Herren verstanden. Jean Bemelmans wiederum hatte längst verstanden, dass sich der Dressursport nicht in Belgien, sondern in Deutschland abspielt. Er wollte ins „Dressursportland“. So wandte er sich an die FN in Warendorf, die verwies ihn an die Reitschule in Wülfrath, die wiederum schickte ihn zurück nach Belgien. Aber Jean blieb hartnäckig und nahm eine Stellung als Pferdepfleger in der Nähe von Düsseldorf an.

Eine entscheidende Wendung nahm seine Laufbahn, als er an den Ausbilder Robert Schmidtke, später ebenfalls ein Reitmeister, vermittelt wurde. Schmidtke wollte den jungen Belgier nicht als Auszubildenden, aber ein Angebot von Vater Bemelmans überzeugte: Er solle dem Jungen ein halbes Jahr eine Chance geben – ohne Bezahlung. Nach diesen sechs Monaten bekam Jean Bemelmans seinen Ausbildungsvertrag. Die Ausbildung bei Schmidtke war kein Zuckerschlecken, einige von Bemelmans Kollegen hielten nicht bis zum Ende durch, er schon – und er hängte sogar noch zwei Jahre dran.

16 Jahre lang hat Jean Bemelmans die spanischen Reiter als Nationaltrainer betreut – auch bei den Olympischen Spielen in Sydney. Am Ende wurde es Platz 5 mit dem Team. Das Highlight folgte vier Jahre später mit der Silbermedaille in Athen.

Schick im Anzug – Jean Bemelmans hat auch schon in einer Herren-Boutique gearbeitet.

Kim Kreling

Selbstständig zum Erfolg

1978 machte sich Bemelmans im Rheinland selbstständig. Er hatte turbulente Jahre hinter sich, war in einem Privatstall engagiert, absolvierte einen Reitlehrer-Lehrgang in Warendorf, hatte zwischendurch in einer Herren-Boutique als Verkäufer gearbeitet und war in einer Baufirma beschäftigt. Aber Jean Bemelmans wollte nur eins: Pferde ausbilden. Nach sechs Jahren Selbstständigkeit nahm er die deutsche Staatsangehörigkeit an, war fortan „Jan“ Bemelmans und wurde im selben Jahr Deutscher Meister der Berufsreiter Dressur. Dreimal belegte er den Bronzeplatz bei den Deutschen Meisterschaften der Dressurreiter, sechs Jahre gehörte er mit seinen Spitzenpferden Angelino, Amazonas und Americo dem deutschen A-Kader, heute Olympiakader, an. Von 1993 bis 1995 und von 1999 bis 2002 war Bemelmans außerdem als Honorar- und Disziplintrainer Dressur für das Deutsche Olympiade-Komitee für Reiterei (DOKR) tätig. Jean Bemelmans ist fraglos einer der bekanntesten und anerkanntesten Dressurtrainer weltweit, aber den Boden unter den Füßen hat er nie verloren. „Wenn du oben bist, vergiss nicht, die unten zu grüßen, denn du bist oft schneller wieder dort als du denkst.“ Ein Bemelmans-Zitat, das typischer nicht sein könnte.

Nicht seine Erfolge als Reiter und Trainer machten Jean Bemelmans zum Reitermeister, sondern bereits vor diesen eine Prüfung inklusive Diplomarbeit – heute ist das nicht mehr möglich.

Auf Körperkontrolle über den eigenen und den Körper des Pferdes achtet Jean Bemelmans im Training besonders – hier hätte er in früheren Jahren besser auch auf einen Reithelm achten sollen.

Jean Bemelmans Ausbildungstipp: Vier Dinge müssen funktionieren

„Eine kleine ‚Geschichte‘ zum Verständnis vorneweg: Ich beobachte Pferde sehr gerne. Wie gehen sie miteinander um? In Spanien habe ich dabei mal etwas sehr Interessantes erlebt. Da war eine Weide voller Stuten und eine voller Hengste. Einer der Hengste ging zum Zaun, die anderen haben gegrast. Der Hengsthalter erzählte mir, dass die Hengste einmal untereinander geregelt hatten, wer der Chef ist, und seitdem war Ruhe. Der Chef durfte zum Zaun, die anderen nicht. Sobald andere Hengste in die Nähe des Zauns kamen, hat der Chef nur den Kopf gehoben und schon sind die anderen zurückgewichen. In dem Moment habe ich gedacht: ‚Guck mal, wie fein Pferde miteinander kommunizieren.‘ Das muss auch unser Ziel beim Reiten sein: Das feine Kommunizieren, in dem man sein Pferd überzeugt. Denken wir an Olympische Spiele. Alle Pferde, die dort antreten, können einen Grand Prix gehen. Und wer gewinnt? Der, der die Kontrolle hat. Das muss nicht immer der mit dem besten Pferd sein, aber der, der regelmäßig und gleichmäßig das abrufen kann, was sein Pferd kann, das ist meistens der Sieger. Deswegen ist die gute Verständigung und Kontrolle von Anfang an so wichtig.

Grundlinie als Basis
Ich habe es sehr gerne, wenn die Pferde auf der Grundlinie funktionieren. Die Grundlinie bedeutet, dass die Pferde mal in relativer Aufrichtung, mal in Dehnungshaltung, mal nach rechts, mal nach links gebogen sind, sodass ich sie in allen Positionen reiten kann, bevor ich an Lektionen denke. Der häufigste Fehler liegt darin, dass viele Reiter zu wenig eigene Körperkontrolle haben und in sich zu steif sind. Es ist klar: Wenn ich meinen eigenen Körper nicht wirklich gut kontrollieren kann, dann ist es sehr schwierig, es richtig aufs Pferd zu übertragen. Da fehlt dann häufig die Geschmeidigkeit – auch im Pferd, das ‚Über-den-Rückenzur- Hand-hin‘, das losgelassene Durchbewegen durch den ganzen Körper. Ich habe selbst bei einem Reitmeister gelernt und wir haben die Pferde sehr viel in Dehnungshaltung geritten, aber immer so, dass sie nicht auf der Vorhand gelaufen sind. Die Pferde müssen sich im Vorwärts-Abwärts tragen. Und sie müssen dabei losgelassen bleiben, egal, ob ich vermehrt vorwärts reite oder sie etwas mehr zurücknehme. Eine positive Anspannung sollen sie dabeihaben – wie ich als Reiter in meinem Körper – aber immer in Kombination mit Losgelassenheit.

In der Spur bleiben
Ich denke, ich habe im Lauf der Jahre einen ganz guten Blick dafür bekommen, in welcher Haltung sich das Pferd wohlfühlt, und das versuche ich immer wieder mit meinen Schülern zu erarbeiten. Ich lasse sie sehr viel auf geraden und gebogenen Linien reiten, aber sie müssen dabei immer darauf achten, dass die Pferde in der Spur bleiben, in der Geraderichtung. Das ist manchmal vielleicht ein bisschen langweilig, aber später hilft das sehr gut, wenn es vermehrt um Lektionen geht. Bei dieser Arbeit lasse ich die Reiter sehr viel Übergänge in den Gangarten reiten – mal etwas vor, wieder zurück, dann mal in Dehnungshaltung und mal wieder etwas mehr in der Aufrichtung. So arbeiten wir immer wieder an der erwähnten Grundlinie – und wieder in Kombination mit Losgelassenheit. Im Grunde ist es ganz einfach. Vier Dinge müssen gut funktionieren: Das Pferd muss vorwärts gehen, es muss zurückkommen, es muss nach rechts gehen und nach links. Das muss ich in meiner täglichen Arbeit üben, und zwar in allen Grundgangarten kontrolliert und trotzdem entspannt. Wenn ein Pferd nicht reagiert, wenn ich beispielsweise rechts treibe, dann muss ich mich durchsetzen. Dann muss ich das ein paar Mal wiederholen, bis ich das Pferd überzeugt habe. In diesen grundlegenden Sachen bin ich sehr pingelig. Pferde können in Lektionen Fehler machen, das kann mal passieren, aber in der Grundrittigkeit gibt es keine Kompromisse. Ich gehe immer von folgendem Gedanken aus: Ein Pferd ist ein Tier und jedes Tier hat einen Spieltrieb. Also sollte man bei allem, was man als Reiter macht, immer das Spiel im Kopf haben. Aber der Reiter muss der Chef des Spiels bleiben. Er muss sein Pferd überzeugen.“

Vorheriger Artikel

Ausgabe 04/2023
Dülmener Wildpferde: Expedition ins Münsterland

Nächster Artikel

Ausgabe 04/2023
Fairer Sport: Risiko unbewusstes Doping