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Lernen vom Reitmeister: Dorothee Schneider

In jeder Hinsicht meisterlich

„Ich bin ein etwas stillerer, aber lebenslustiger Mensch, der sehr pflichtbewusst und selbstkritisch durch die Welt geht.“ Fast meint man, all das spiegelt sich auch in Dorothee Schneiders Reiterei wider: die ruhige konzentrierte Art, die durchgymnastizierten Pferde, denen die Arbeit sichtlich Spaß macht, die immer wieder kritischen Selbstbetrachtungen nach den Ritten.

Das zeichnet eine wahre Reitmeisterin aus: Dorothee Schneider bringt immer wieder auch junge Pferde in den Sport, wie hier Borghese MT, mit dem sie beim Pfingsturnier in Wiesbaden die Finalprüfung für sechsjährige Dressurpferde gewann. Alle Fotos: Stefan Lafrentz

Dorothee Schneider ist in Wiesbaden aufgewachsen. Ihre Eltern Hans-Eberhard und Susanne Schneider leiteten die Staatsdomäne Mechtildshausen. „So lange ich denken kann, hatten wir Pferde zu Hause und ich durfte mit ihnen meine Kindheit und Jugend verbringen“, erklärt Dorothee Schneider. Anfang der Achtziger wollte Hessens neue Landesregierung die Domäne für neue Zwecke nutzen und Schneiders suchten eine neue Bleibe, im rheinland- pfälzischen Framersheim fanden sie sie. Heute leitet Dorothee Schneider das Gestüt St. Stephan mit etwa 55 Pferden, seit 2000 ist sie alleinige Inhaberin.

„Genau der richtige Weg“

Eigentlich wollte „Doro“, wie sie überall genannt wird, Tiermedizin studieren, aber just als es so weit gewesen wäre, stand der Neubeginn in Framersheim an. „Also habe ich auf das Studium verzichtet und erst einmal eine Banklehre gemacht“, erzählt Doro Schneider. „Das Wissen kann ich auch heute noch gut gebrauchen und anwenden.“ Den Pferdewirt Zucht und Haltung hat sie im elterlichen Betrieb absolviert, die Meisterprüfung folgte. Die Prüfung zum Bereiter hat sie über den Seiteneinstieg geschafft – mit Auszeichnung – und auch in diesem Bereich hat sie noch eine Meisterprüfung abgelegt. Fast nebenher hat sie noch den Besamungswart gemacht. Profi durch und durch. Ob sie heute manchmal mit Bedauern daran denkt, dass das mit dem Tiermedizinstudium nicht geklappt hat? „Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust“, gesteht sie. „Einerseits bedauere ich es, weil das mein Wunschberuf in Kombination mit Reiten gewesen wäre. Andererseits wäre ich reiterlich dann wahrscheinlich nie so weit gekommen. Insofern war das für mich so genau der richtige Weg.“

Dreimal schon war Dorothee Schneider bei Olympischen Spielen am Start, zweimal davon mit Showtime FRH, so wie hier zuletzt in Tokio 2021.

Ein Moment zum Genießen: die ersten Olympischen Spiele für Dorothee Schneider, 2012 in London mit der Stute Diva Royal

Von Gondola bis Van Deyk

Das erste Pferd, mit dem sie ihre reiterliche Laufbahn begann, war eine klein gebliebene Zwillingsstute mit Namen Gondola v. Ibikus – selbstgezogen von Vater Schneider. „Auf ihr saß ich dann anfangs immer in meinen roten Straßenstiefeln mit Reißverschluss, bis die ersten Gummireitstiefel unter dem Weihnachtsbaum lagen – daran kann ich mich genau erinnern“, lacht Schneider. Ihre Ausbildung hat Doro Schneider lange Jahre von ihrem Vater bekommen, aber nur sporadisch und „erkämpft“. „Meine Eltern haben viel gearbeitet und mir nie Druck gemacht, eher im Gegenteil. Ich habe immer viel alleine gemacht, nach dem Motto ‚Learning by doing’, und musste mir den gelegentlichen Unterricht bei meinem Vater wirklich erkämpfen.“ Nach Gondola kam Protegé, ein Trakehner. Protegé hatte sich ein Bein gebrochen, Vater Schneider hat ihn wieder aufgepäppelt, dann kam er zu Doro. Mit ihm ist sie achtjährig in ihrer ersten Reiterprüfung an den Start gegangen, bis zur Klasse M haben sich die beiden hochgearbeitet. Danach kam Katapult von dem Trakehner Kastilio, wieder ein eigenes Zuchtprodukt der Familie „Ich habe eigentlich immer Selbstgezogene geritten“, erklärt Schneider. „Wenn man dann Erfolg hat, ist das natürlich noch toller.“ Van Deyk – mit dem Trakehnerhengst gelang Doro Schneider der erste Durchbruch. Mit ihm ritt sie ihren ersten Grand Prix. „Van Deyk hatte viel Blut. Auf ihm habe ich Erfahrung gesammelt, wie man mit sensiblen Pferden umgeht.“

Verdiente Meisterin

Erfahrung, Akribie, Passion, Gefühl und sehr viel Fleiß – so ist die Reitmeisterin inzwischen mit vier verschiedenen Pferden bei Championaten dabei gewesen, bei drei Olympischen Spielen, Weltreiterspielen und Europameisterschaften. Sechsmal kam sie mit Teamgold nach Hause, zweimal Einzelsilber gab es bei der Euro 2019 in Rotterdam mit Showtime FRH. Im selben Jahr wurde Dorothee Schneider der Titel „Reitmeisterin“ verliehen. Die damaligen Worte von FN-Vizepräsident Dr. Harald Hohmann treffen es auf den Punkt: „Sie lebt uns die klassische Dressurausbildung vor und ist eine wahre Meisterin der Reiterei.“

 

Kim Kreling

Mit Faustus ist Dorothee Schneider Reservepaar für das deutsche Dressurteam bei der WM in Herning.

Dorothee Schneiders Ausbildungstipp: Schulterherein

„Schulterherein ist für mich eine sehr komplexe Basisübung, die für vieles, was später noch kommt, unglaublich wichtig ist. Ich beginne sowohl bei der Ausbildung junger Pferde als auch beim Unterrichten meiner Schüler ziemlich früh mit der Übung Schulterherein oder genauer gesagt zunächst mit der Vorstufe, dem Schultervor. Bei den Pferden fange ich meist vierjährig an, wenn sie sich schon sicher im Geradeaus bewegen, das Schulterherein in entsprechender ‚Dosierung‘ vorsichtig anzufragen und bei den Schülern, sobald sie in der Lage sind zu fühlen, wo die hohle und wo die feste Seite ihres Pferdes ist. Wichtig ist, dass man diese Übung mit der richtigen Vorstellung im Kopf reitet. Es geht darum, die äußere Schulter vor das innere Hinterbein zu wenden. Deshalb spreche ich auch gerne nicht von ‚Schulterherein‘, sondern von ‚Äußere Schulter herein‘. Sehr oft werden die Pferde beim Schulterherein zu viel im Hals gestellt. Die Versuchung ist groß, zu stark am inneren Zügel einzuwirken. Habe ich aber im Kopf das Bild, die äußere Schulter vor das innere Hinterbein zu führen, werde ich automatisch mehr am äußeren Zügel führen und die Versuchung des zu starken Einwirkens am inneren Zügel ist viel geringer.

Gerade auf beiden Seiten

Das Hauptthema des Schulterherein ist die Geraderichtung des Pferdes. Das Ziel ist, den Körper des Pferdes so auszurichten, dass das Pferd nicht ‚an sich selbst vorbeiläuft’. Jedes Pferd hat eine hohle und eine feste Seite. Auf der hohlen Seite ist die Gefahr groß, dass das Pferd mit dem inneren Hinterbein innen an der Spur der Vorderbeine vorbeifußt und die äußere Schulter etwas nach außen abdriftet. Also richte ich das Genick des Pferdes zuerst zwischen beiden Zügeln gerade vor mir aus und ‚fange’ damit die äußere Schulter ein. Wende ich beide Schultern des Pferdes genau so weit nach innen, dass ich die äußere Schulter vor das innere Hinterbein bringe, dann kann das innere Hinterbein wirklich effektiv unter den Körper des Pferdes fußen. Der innere Schenkel treibt natürlich in diesem Moment das innere Hinterbein zum äußeren Zügel hin, der die äußere Schulter führt. Der äußere Schenkel begrenzt das äußere Hinterbein bzw. verhindert das Ausweichen nach außen. Achtung: Dabei auf der hohlen Seite diese Übung mit weniger Abstellung reiten als auf der festen, damit das Pferd nicht beginnt über die äußere Schulter auszuweichen.

Weg zur sicheren Spur

Wie erarbeite ich das Schulterherein? Zu Beginn am besten aus der Ecke heraus. In der Ecke sollte das Pferd gut vor dem inneren treibenden Schenkel sein und sich am äußeren Zügel führen lassen – Stichwort diagonale Hilfengebung. Genau das nehme ich mit ins Schulterherein. Am äußeren Zügel führe ich das Pferd mit der äußeren Schulter aus der Ecke heraus und bringe die Schulter vor das innere Hinterbein. Dabei unbedingt darauf achten, dass der Hals immer nur so viel gestellt wie das Pferd gebogen ist. Stelle ich den Hals zu viel ab, störe ich seine Aufgabe als Balancierstange und das Pferd weicht über die äußere Schulter aus. Führe ich das Pferd sicher am äußeren Zügel aus der Ecke, kann ich es mit dem inneren Schenkel gut nach innen-oben herantreiben und von hinten nach vorne in beide Zügel hinein. Das ist das Ziel: Beim Schulterherein soll sich die Längsbiegung und die daraus folgende Stellung bis nach vorne in die gleichmäßige Verbindung an beiden Zügeln durchs Pferd bis ins Pferdemal ‚ziehen’. Merke: Die gleichmäßige Anlehnung kommt von hinten nach vorne in beide Zügel. Fast bekommt man das Gefühl, das Pferd bewege sich auf Schienen, wenn es im Laufe der Zeit immer sicherer in der Spur bzw. auf der angelegten Linie ist, immer korrekter in Balance und Geraderichtung bleibt.

Schlüssel zur Balance

Tipp: Gerne das Schulterherein auf dem zweiten Hufschlag oder auf der Viertellinie reiten, also ohne Anlehnung an die Bande. So kann man als Reiter noch besser fühlen, ob sich das Pferd wirklich in der Spur befindet. Schulterherein braucht man vor nahezu jeder Lektion, vor der Pirouette, der Traversale, dem starken Galopp, immer, wenn es um Geraderichtung geht, also tatsächlich fast immer. Deshalb ist für mich das ‚Äußere Schulter herein‘ so wichtig: Es ist der Schlüssel zu Balance und Geraderichtung.“

Pferdemädchen durch und durch und Spaß am Job: Für Dorothee Schneider ist das Schulterherein eine wichtige Basisübung und Schlüssel zu Balance und Geraderichtung.

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