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Lernen vom Reitmeister: Johann Hinnemann
„Wollte wissen, wie man Pferde ausbildet“
Johann Hinnemann war 16 Jahre jung als er ein Dressur-Schaubild in Düsseldorf beobachtete. Piaffen, Passagen und Ein-Tempi-Wechsel bekam man damals nicht alle Tage zu sehen. Der junge Johann war fasziniert und fasste einen Entschluss: „Ich wollte wissen, wie das geht!“ So wurde Johann Hinnemann Dressurausbilder.
Aufmerksamer Beobachter und Ausbilder aus Leidenschaft: Johann Hinnemann. Foto: Arnd Bronkhorst
Von 1968 bis 1972 hat Johann Hinnemann seine Ausbildung im Stall von Dr. Reiner Klimke in Münster genossen. „Ihn als Vorbild zu haben, das war etwas ganz Besonderes“, betont Hinnemann noch 50 Jahre später. Am meisten geprägt wurde der Reitmeister in der Zeit danach von Albert Stecken. „Er hat bei mir die Genauigkeit und das Wissen um die theoretischen Zusammenhänge eingepflanzt.“ 1972 aber meldete sich Großvater Hinnemann bei seinem Enkel und meinte, es wäre an der Zeit nach Hause zu kommen und etwas Eigenes aufzubauen. Das tat er. Der Pferdebegeisterte übernahm den Krüsterhof in Voerde und baute dort einen internationalen Dressur-Ausbildungsstall auf. Von Beginn an war Johann Hinnemann auch der Pferdezucht verschrieben, hat lange Zeit die Hengste des Nordrhein-Westfälischen Landgestüts betreut und 2010 eine eigene Hengststation auf dem Krüsterhof integriert. Inzwischen genießt er sein Pendeln zwischen den Kontinenten – zwischen Voerde in Deutschland und der Hinnemann Farm in Kalifornien. „Ich bin gerne, wo es warm ist“, schmunzelt er. „Ich bin immer viel in den USA gewesen und war fünf Jahre lang Nationaltrainer in Kanada. Ich habe viele Kunden hier, die ich schon sehr lange kenne und mit denen es viel Spaß macht.“
Zwischen Voerde und Kalifornien
Das Management auf dem Krüsterhof liegt inzwischen in den Händen von Steffi Wolf, die sich um den sportlichen Teil kümmert, und von Hinnemanns Tochter Tina. Die Tierärztin hat sich auf den Bereich Hengst- und Stutenmanagement spezialisiert. Die Anlage in Kalifornien sei von der Fläche her etwa genauso groß wie in Voerde, erklärt Hinnemann. „Wir haben dort etwa 30 Boxen mit Verkaufs- und Ausbildungspferden.“
Der Krüsterhof in Voerde am Niederrhein ist das deutsche Zuhause von Johann Hinnemann. Foto: Stefan Lafrentz
Hinnemanns Sohn und Schwiegertochter übernehmen das Management der Hinnemann Farm, wenn der Reitmeister in Voerde weilt. Zwei Pferde reitet Hinnemann pro Tag noch selbst. „Wenn es sein muss, auch mal drei“, lacht er. „Die Reiterei macht mir Spaß und gehört einfach für mich dazu.“
Stolzer Titelträger
1996 wurde Johann Hinnemann der Reitmeistertitel verliehen. Darauf ist er auch 25 Jahre später noch stolz. „In der Zeit, in der ich Berufsreiter geworden bin, ist man mit Bewusstsein Ausbilder geworden. Heute sind die meisten Turnier-Berufsreiter, aber ich wollte wissen, wie man Pferde ausbildet!“ Dass er längst nicht nur Pferde, sondern ebenso gut Schüler ausbilden kann, hat er zigfach bewiesen. Er selbst hat mit Ideaal WM-Teamgold und Einzelbronze 1986 im kanadischen Cedar Valley gefeiert und ein Jahr später noch einmal EM-Teamgold und Einzelbronze hinzugefügt. Lange hatte Hinnemann für diese Erfolge gekämpft: „Anfang der 1980er Jahre war es Berufsreitern noch nicht erlaubt, international zu starten“, erinnert er sich. „Die FEI-Regeln ließen zwar Profi-Springreiter bei internationalen Turnieren zu, aber nicht Dressurreiter.“ 1984 fing Hinnemann an, für die internationalen Startrechte der Dressurreiter zu kämpfen – mit Erfolg. „Ich war der erste, der Bereiter und Reitausbilder war und zugleich international starten durfte. Die FEI musste ihre Regeln ändern.“
Hinnemann hoch zu Ross: Ein Bild aus früheren Tagen, als das mit dem Tragen eines Reithelms noch nicht so genau genommen wurde. Foto: Arnd Bronkhorst
Eine besondere Familie
Johann Hinnemann hat schon zahlreiche Equipen und Nationen trainiert: Von 1981 bis 1986 war er bereits Nationaltrainer der kanadischen Dressur-Equipe, 1993 bis 1996 war er Honorartrainer am Deutschen Olympiade Komitee für Reiterei (DOKR), 1997 bis 1998 Bundestrainer der deutschen Dressurreiter zusammen mit Klaus Balkenhol, 2003 bis 2004 Nationaltrainer der holländischen Dressurreiter zusammen mit Sjef Janssen und seit 2019 ist er „High Performance Director Dressage“ in Irland. Hinzu kommen etliche Junioren, Junge Reiter und Senioren im internationalen Dressursport, die Hinnemann bis zur Championatsklasse fördert und betreut. Unter all seinen Schülern und Championatsreitern gibt es eine Familie, auf die er besonders stolz ist: Familie van Baalen. „Coby kam mit einem bis St. Georg ausgebildeten Pferd zu mir, ich habe sie trainiert und gefördert, wir haben Ferro zusammen weiterentwickelt und 2000 war sie mit ihm bei den Olympischen Spielen in Sydney Teil des holländischen Silberteams.“
Tochter Marlies van Baalen startete ihre Reitkarriere auf einem Pony aus dem Hause Hinnemann und hat auf dem Krüsterhof ihre Bereiterlehre absolviert. „2004 war dann Marlies mit Idocus in Athen dabei. Zwei aus einer Familie bei Olympischen Spielen – das ist schon was Besonderes.“
Ab aufs Fahrrad
Auch heute noch trainiert der 73-Jährige zahlreiche internationale Reiter und gibt jede Menge Lehrgänge. „Wenn ich von Kalifornien zurück nach Deutschland fliege, mache ich das meistens mit zwei bis drei Zwischenaufenthalten und gebe dort Lehrgänge“, erzählt er. „Dann mache ich beispielsweise einen Stopp in Texas und gebe dort einen Lehrgang, einen in Boston und dann noch einen in Dublin.“ Weil er während der Lehrgänge aber nicht zum Reiten kommt, hat er sich selbst ein spezielles Après-Lehrgang-Programm verschrieben: „Dann steige ich erstmal aufs Fahrrad oder in die Rudermaschine, damit man sportlich fit bleibt.“
Kim Kreling
Johann Hinnemanns Ausbildungstipp: Das Angaloppieren
Das Angaloppieren ist für mich so wichtig, weil es sich durch die gesamte Ausbildung zieht – vom Dreijährigen bis hin zum Grand-Prix-Pferd. Wenn ein dreijähriges Pferd nach ungefähr einem halben Jahr einigermaßen sicher an den Hilfen steht, kann es lernen, sicher anzugaloppieren. Ich übe das Angaloppieren immer an derselben Stelle, immer auf der Zirkellinie zur geschlossenen Zirkelseite hin, und natürlich zuerst aus dem Trab. Dadurch, dass ich immer an derselben Stelle angaloppiere, lernt das Pferd fast von allein, die Galopphilfe anzunehmen.
Julia Kohl. Foto: privat
Gerade nach vorne fußen
Angaloppieren aus dem Trab ist eine der besten lösenden Übungen, Angaloppieren aus dem Schritt gehört zu den besten versammelnden Übungen. Das Angaloppieren aus dem Schritt verbessert den Grundgalopp und die Durchlässigkeit, die Pferde kommen immer mehr ins Gleichgewicht und fangen vermehrt an, sich auf dem Hinterbein zu tragen. Wenn das Angaloppieren aus dem Schritt sicher funktioniert, sind in der Regel auch der einfache Galoppwechsel und der Außengalopp kein Problem mehr.
Beim Angaloppieren – egal aus welcher Gangart – sollte man immer darauf achten, dass das Pferd im Schultervor ausgerichtet ist, damit das innere Hinterbein wirklich nach vorne unter das Gewicht fußt und nicht seitlich daran vorbei. Nur so kann ich beim Angaloppieren aus dem Schritt auch wirklich die beginnende Versammlung fördern, denn Versammlung hat immer etwas mit Geraderichtung zu tun und die wiederum kann ich nur gewährleisten, wenn das Pferd gerade unter den Schwerpunkt fußt.
Fliegender Wechsel
Der nächste Knackpunkt in der Ausbildung eines Pferdes ist der fliegende Galoppwechsel. Wenn ich aus dem Trab und aus dem Schritt links angaloppieren kann, dann kann ich auch aus dem Rechtsgalopp links angaloppieren. Bildlich erklärt ist das genau die Hilfengebung für den fliegenden Wechsel, der fliegende Wechsel ist wie ein neues Angaloppieren. Ich erkläre den fliegenden Wechsel immer so, weil ich davon ausgehe, dass man nur Lektionen reiten kann, die man sich auch bildlich vorstellen kann. Beim fliegenden gilt wie beim einfachen Galoppwechsel: Das sichere Angaloppieren ist die absolute Grundlage.
Weg zur Pirouette
Die allerhöchste Lektion, die die Pferde aus dem Angaloppieren erlernen, ist die Galopp-Pirouette. Für jeden Sprung in der Pirouette gebe ich eine neue Galopphilfe. Schon in der Vorbereitung ist die Hilfe zum Angaloppieren extrem wichtig. Ich muss den Galopp so sehr versammeln, dass das Pferd praktisch auf der Stelle galoppiert – das ist der erste Teil der Pirouette.
Für diese extreme Versammlung des Galopps muss ich den Galoppsprung fleißiger und kürzer machen und genau das erreiche ich durch immer neue Hilfen zum Angaloppieren. Der zweite Teil der Pirouette ist die Wendung. Jedes gut gerittene Angaloppieren im Schultervor ist wie eine Wendung, aber man lässt die Wendung nicht zu. In der Pirouette lasse ich die Wendung nicht nur zu, ich unterstütze sie. Und das bei jedem Galoppsprung wieder neu. Und immer gilt: Je feiner die Pferde auf die Galopphilfe reagieren, desto feiner kann ich die damit zusammenhängende Lektion reiten.
Der Galopp bzw. das Angalopppieren – ein Ausbildungsthema, das Johann Hinnemann besonders am Herzen liegt. Hier im Training mit Marlies van Baalen und Miciano 2009.
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