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Persönlichkeiten der Pferdeszene: Ruth Klimke

Zwei Pferde, zwei Kopfhaltungen: links ein Pferd mit deutlicher Tendenz zum falschen Knick…

… rechts ein Pferd, bei dem das Genick der höchste Punkt ist. Fotos: S. Lafrentz

Ausbildungstipp von Christoph Hess: Anlehnung

Der falsche Knick

Der enge Hals mit einem falschen Knick tritt häufig bei Pferden auf, die einen langen, dünnen Hals haben. Dieses Phänomen ist nicht leicht zu korrigieren und erfordert vom Reiter viel Geduld. Zudem muss er ausbalanciert und losgelassen zum Sitzen kommen und darf sich auf keinen Fall „am Zügel festhalten“.

Frage: Meine sechsjährige Stute hat einen langen, dünnen Hals, sie ist ein Blütertyp. Die Anlehnung ist nicht immer stabil, sie neigt dazu, sich eng zu machen. Nun sagten mir meine Stallfreundinnen, dass die Stute einen „falschen Knick“ entwickelt habe, den ich schleunigst korrigieren müsse. Ich habe keine Idee, wie ich das machen soll und verstehe auch nicht wirklich, wie schlimm das ist und welche körperlichen Konsequenzen es hat, wenn der falsche Halswirbel der höchste Punkt des Genicks ist. Das sieht man doch im Dressursport gar nicht so selten. Wie ist Ihre Meinung?
Esther Mann

Die Zucht der Warmblut-Verbände hat sich in den letzten drei bis vier Jahrzehnten in großen Schritten weiterentwickelt. Die Pferde wurden von ihrem Exterieur her leichter, sie wurden rittiger und bedingt durch das Einkreuzen von Edelblut „blütiger“. Der Reiter muss sich körperlich auf diesen Pferden nicht mehr so anstrengen, das Reiten ist bequemer geworden.

Früher waren die Pferde eher mit kurzen, gedrungenen Hälsen ausgestattet. Es war eine Herausforderung, diese Pferde in korrekter Anlehnung zu reiten. Oftmals hatten sie zudem ausgeprägte Ganaschen, so dass die Beizäumung nur dann zu erreichen war, wenn es der Reiter verstand, mit seinen „durchhaltenden Zügelhilfen“ gegenzuhalten – und das solange, bis das Pferd nachgab. Bei diesem Pferdetypus musste also im Sattel mehr Kraft eingesetzt werden, als dies heute bei den modernen Reit- und Sportpferden der Fall ist.

Doch alles hat seine zwei Seiten. Konnte sich der Reiter in früheren Jahren noch ein wenig „am Zügel festhalten“, ohne dass das Pferd eng im Hals wurde bzw. einen „falschen Knick“ bekam, so benötigt das heutige Sportpferde einen Reiter, der über einen ausbalancierten Sitz verfügt. Sein Eingehen in die Bewegung des Pferdes muss handunabhängig sein. Er darf sich nicht am Zügel festhalten. Vielfach wird es der Reiter gar nicht spüren, wenn er sich latent am Zügel festhält, um auf diese Weise im Sattel sein Gleichgewicht zu finden. Dieses Phänomen tritt häufig dann auf, wenn der Reiter angehalten wird, mehr vorwärts zu reiten, um sein Pferd von hinten mehr zu engagieren. Damit wird er aus seiner „Komfortzone“ herausgebracht, ist doch das handunabhängige Reiten im ruhigen Tempo leichter zu erreichen als in einem höheren. Aus genau diesem Grund wählt der Reiter oftmals unbewusst das ruhigere Tempo, kann er doch dann bequemer im Sattel sitzen. Deshalb sollte der Ausbilder ihm das Leichttraben gestatten und ihn den Galopp im leichten Sitz reiten lassen.

Viele Reiter sind im Aussitzen überfordert, sich zügelunabhängig im Sattel zu balancieren. Hält sich der Reiter in dieser Situation unbewusst am Zügel fest, wird das Pferd eng im Hals und kann auf Dauer einen „falschen Knick“ entwickeln. Tritt dieses Problem auf, so muss dieses eher heute als morgen korrigiert werden. Ihren Stallfreundinnen kann ich deshalb nur zustimmen. Sie müssen das Problem jetzt an der Wurzel anpacken, um es nachhaltig korrigieren zu können.

Das Vorwärts- und Abwärts­stre-cken ist immens wichtig, um das Nackenband zu dehnen. Ausbilder-legende Paul Stecken hat dies immer von seinen Schülern verlangt. Foto: J. Toffi

Dehnen, dehnen, dehnen

Etwas Grundsätzliches vorweg: In der Ausbildung des jungen Pferdes muss sich der Reiter viel Zeit lassen, damit das Pferd lernt, sich nach vorne zu öffnen, um das Nackenband zu strecken und seine Hals- und Rückenmuskulatur zu dehnen. Der Prozess des Dehnens, in den ein häufiges Zügel-aus-der-Hand-kauen-lassen integriert werden muss, ist sehr wichtig. Nur dann kann das Pferd seinen Hals als „Balancierstange“ benutzen.

Ein maximal gedehnter Hals ist die Voraussetzung dafür, dass das Pferd ein optimales Bewegungsgefühl entwickeln kann. Auf dieser Basis kann es sein physisches und psychisches Gleichgewicht finden. Es gibt keine Ausbildung im Zeitraffer. Um körperlich und mental in der Ausbildung in richtiger Weise zu reifen, bedarf es bei jedem Pferd viel Zeit. Nimmt sich der Reiter nicht die erforderliche Zeit, wird er als „Produkt“ ein Pferd bekommen, das eng im Hals ist und oftmals zudem einen „falschen Knick“ hat.

 

Nackenband strecken

Was ist im Falle der sechsjährigen Stute zu tun? Der Ausbilder sollte sich im Halten vor das Pferd stellen und mit den Gebissringen leicht spielen. Das Pferd wird dadurch angehalten, seinen Hals vorwärts-abwärts zu dehnen, bis das Maul des Pferdes etwa in die Höhe der Vorderfußwurzelgelenke kommt. Dadurch wird das Nackenband in physiologisch richtiger Weise gestreckt. Das erzeugt bei der Stute ein Wohlbefinden. Da Pferde richtig gehen wollen (Zitat Paul Stecken), streben sie den Prozess des Wohlbefindens immer wieder an. Auf diese Weise lernen Pferde, dass das richtige an-die-Hand-heran-Dehnen etwas Angenehmes ist.

Gelingt das richtige Dehnen im Halten, so wird angeritten. Der Ausbilder sollte auf einem etwa 20 Meter großem Zirkel neben der Stute hergehen und die Reiterin anhalten, bewusst den inneren Schenkel vorwärts treibend einzusetzen. Dabei wird die Reiterin einen geringfügig stärkeren Druck am äußeren Zügel spüren. Im selben Augenblick spielt der Ausbilder ganz vorsichtig mit dem inneren Gebissring, um dadurch dem Pferd das sich nach vorwärts-abwärts Dehnen schmackhaft zu machen.

 

Innerer Schenkel

Gelingt dieser Prozess mit Hilfe des Ausbilders im Schritt, dann sollte die Reiterin versuchen, ihr Pferd am inneren Schenkel zu sensibilisieren. Dafür sollte sie Schenkelweichen auf der offenen Seite des Zirkels reiten, um den Einsatz ihres inneren Schenkels in die Richtung ihres äußeren Zügels zu optimieren. Nimmt das Pferd in dieser Situation den inneren Schenkel gefühlvoll an, so wird es sich gleichzeitig nach vorwärts-abwärts dehnen. Gelingt dies zunächst im Schritt und später im Trab, so wäre das Problem des engen Halses und des daraus resultierenden „falschen Knicks“ annähernd behoben.

Nun sollte die Reiterin ihr Pferd im Galopp im leichten Sitz zunächst auf dem Zirkel, später auf geraden Linien arbeiten. Dabei sollte die Reiterin immer wieder die Zügel-aus-der-Hand-kauen-lassen. Das ist die Voraussetzung dafür, damit ihre Stute lernt, ihren Hals in natürlicher Weise einzusetzen.

FN-Ausbildungsbotschafter Christoph Hess Foto: FN-Archiv

PM-Leserinnen und -Leser können sich bei Ausbildungsproble­men gerne an Christoph Hess wenden. Schildern Sie Ihre Schwie­rig­keiten kurz und bündig, die Redaktion wählt dann einen Beitrag für die Veröffentlichung aus. Wenn Sie ein gutes, druck­fähiges Foto haben, können Sie dies selbstverständlich mitschicken. Kontakt: ch@christoph-hess.info

Fazit

Jedes Pferd benötigt den gedehnten Hals, um sein natürliches Gleichgewicht unter dem Sattel zu finden. Ein enger Hals mit einem „falschen Knick“ kann zudem auf Dauer zu veterinärmedizinischen Problem führen, die sich nur schwer therapieren lassen. Vielfach sehen wir Pferde in Dressurprüfungen, die von ihren Reitern eng im Hals vorgestellt werden. Doch erhalten diese von den Richtern im Regelfall Punktabzüge.

Eines möchte ich zum Schluss festhalten:  Der enge Hals mit dem „falschen Knick“ ist nicht mit einer speziellen Ausbildungsmaßnahme ein für alle Male zu beheben. Es bleibt eine tägliche Herausforderung für den sorgfältig ausbildenden Reiter.

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