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Gewinnspiel-Serie: Neue Aktion für Schulpferdereiter

Vom Wert des Abteilungsreitens

Teamwork oder Soloauftritt

Wird das Herdentier Pferd langsam zum Einzelschüler? Alleine auf weiter Flur und alleine auf dem Reitplatz – solche Bilder sind normal geworden. Reiten in Gruppen oder gar in der Abteilung gelten oft als gestrig. Dabei profitieren Reiter und Pferd vom Gemeinschaftserlebnis – wenn es richtig gemacht wird.

Auch beim PMSchulpferdecup wird das Reiten in der Abteilung verlangt. Foto: Holger Schupp/FN-Archiv

Reiter sind oft eher Einzelkämpfer und Pferde Herdentiere. Wie ist das für das Pferd, wenn heute immer mehr Reiter am liebsten alleine auf dem Reitplatz sein wollen? Beim Reitunterricht geht der Trend zur Einzelstunde und selbst der Geländeritt ist im Vergleich zu früher eher eine Sache für zwei als für zehn Reiter.

Entwicklung zur Einzelstunde

„Es liegt doch im Wesen des Pferdes, sich in einer Gruppe zu bewegen“, erzählte Toni Wiedemann vom Schleppjagdverein von Bayern für den Artikel „Faszination Jagdreiten“ im PM Forum im September 2020. Der Jagdreiter plädiert für das Gemeinschaftserlebnis für Reiter und Pferde. Doch längst kennt es nicht mehr jedes Pferd, wie es ist, in einer Gruppe zu gehen. Noch in den 1980er und 1990er Jahren war es in Reitvereinen üblich, sich Sonntagmorgen zum Musikreiten in der Abteilung zu treffen. Quadrillen standen zu Geburtstagen und Weihnachtsfeiern auf dem Programm und der Reitunterricht verlief streng der Reihe nach: nämlich hintereinander in der Abteilung. Es hat sich seitdem in der Reiterei und in der Pferdehaltung viel verändert. „Artgerecht“ ist die Richtung. Aber ob die Entwicklung, dass viele Reiter lieber alleine reiten, „artgerecht“ ist, ist hier die Frage. Welches sind die positiven Effekte vom Reiten in einer Gruppe? Und wirkt sich das Einzeltraining negativ auf das Pferd aus?

In einer Abteilung lernen auch schwächere Reiter korrekte Hufschlagfiguren kennen. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

In der Gruppe fühlt sich das Herdentier Pferd sicher und wartet gelassen auf seinen Einsatz. Fotos (3): Stefan Lafrentz/FN-Archiv

Abteilungsreiten im Militär

Der Reitsport in Deutschland hat sich aus der Militärreiterei entwickelt. „Die gesamte militärische Reiterei basiert – mit Ausnahmen der Spähtrupps – auf das Reiten in der Gruppe. Ob das das Exerzieren war oder das Reiten im Verband – all das diente dem militärischen Zweck – ich vermute sogar, das stand noch über der Intention, die Pferde besser erziehen zu können“, erklärt Martin Plewa, Reitmeister aus Warendorf, Mitautor der Richtlinien für Reiten und Fahren und ehemaliger Leiter der Westfälischen Reit- und Fahrschule. Ob beim Abteilungsreiten nun der militärische Gedanke oder der erzieherische Aspekt für Pferd und Reiter stand – Fakt ist, dass die ländlichen Reitvereine das Abteilungsreiten aus der Kavallerie übernommen haben – in Deutschland genau wie auch in Frankreich oder den Niederlanden. Martin Plewa erinnert sich an seine Jugendzeit: „Wir haben nahe der niederländischen Grenze gewohnt und in den Niederlanden gab es damals viele Turnierprüfungen für vier, sechs oder acht Pferde in einer Quadrille. Diese Prüfungen sind inzwischen völlig verloren gegangen“, erzählt der Reitmeister. Auch im Rest der Welt – ob England, Australien, USA – sind Martin Plewa keine Abteilungs- oder Mannschaftsprüfungen mehr bekannt. In Deutschland haben sich einzelne Quadrillenchampionate oder Mannschaftswettbewerbe gehalten, sind aber Ausnahmen.

Der Geist des Mannschaftsreitens

Nur zu gerne erzählt Martin Plewa von einem Beispiel in seiner westfälischen Heimat: „In Münster gibt es seit 1928 die sogenannte Bauernolympiade.“ Vereine stellen Mannschaften vor, die im Rahmen des Reitturniers in der Halle Münsterland auf A-Niveau eine Abteilungsdressur, Springprüfung und als Höhepunkt eine Mannschaftskür zu vier Reitern vorführen. Der Abend, an dem die Kür auf dem Programm steht, ist Monate vorher ausverkauft, die Stimmung auf den Zuschauertribünen gewaltig gut. Martin Plewa, schon als Kommentator am Mikrofon dabei, schätzt die Prüfung auch deswegen, weil das Vereinsleben davon profitiert. Alle fiebern mit und unterstützen ihre Reiter. „Beim Mannschaftsreiten üben Reiter Rücksicht und für die Pferde ist es eine Ausbildungsüberprüfung: Der Rittigkeitsgrad des Pferdes muss dafür auf dem jeweiligen Ausbildungsniveau sehr viel höher sein.“ Sogar für den Reitersitz beobachtet Plewa positive Effekte: „Bei den Quadrillereitern guckt keiner runter, weil sie immer Augenkontakt halten oder den nächsten Weg mit dem Blick suchen. Das äußert sich in einem gestreckten Sitz.“

Intensiv und individuell – Einzelunterricht hat gerade für fortgeschrittene Reiter einige Vorteile.

In der Gruppe meistern auch Reitanfänger die ersten Ausritte. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Quadrillen als Gestütstradition

Zu den Institutionen, in denen Abteilungs- und Quadrillenreiten noch präsent sind, gehören die großen staatlichen Gestüte mit ihren alljährlichen Paraden. So wie im Hauptgestüt Graditz. Oberstutenmeisterin Antje Kleinschmidt berichtet vom alltäglichen Unterricht der Auszubildenden, der meistens in der Gruppe stattfindet: „Die Auszubildenden beobachten sich gegenseitig, schauen sich von den besseren Reitern einiges ab und spornen sich an.“ Mit Erfolg, erzählt Antje Kleinschmidt: „Beim Bundesberufswettkampf ‚Haltung und Service‘ reiten die Mannschaften in der Abteilung. Unsere Lehrlinge aus der Sächsischen Gestütsverwaltung Moritzburg und Graditz haben sich dabei schon einen guten Ruf erritten, weil wir das oft üben“, erzählt Antje Kleinschmidt. „Wenn jeder in der Mannschaft auf den anderen Rücksicht nimmt, sieht das auch harmonisch aus.“ Die Ausbilderin tut das ihre, indem sie die Gruppen geschickt zusammenstellt. Sie achtet darauf, dass die Pferde vom Grundtempo her zusammenpassen, dass der Schwächste die Anforderungen bestimmt, was für Antje Kleinschmidt praktizierter Unfallschutz sei.

Alleine reiten hat auch Vorteile

Stressig wird Abteilungsreiten dann, wenn die Pferde das nicht gewohnt sind. „Gerade in der Klasse A werden Reiter und Pferd oft unpassend zusammengewürfelt: Wenn beispielsweise ein M-Pferd mit einem jungen Reiter und ein Jungpferd mit schwächerem Reiter in einer Gruppe sind, dann passt das Tempo nicht und sie behindern sich gegenseitig“, das hat Antje Kleinschmidt schon oft erlebt. So entstehen unschöne Bilder, die Stimmung kippt und der Stresspegel steigt. Dass sich dann Reiter vom Abteilungsreiten abwenden, kann man ihnen nicht einmal verübeln. Dazu kommt, dass sich die Gesellschaft wandelt. Beruf und Alltag lassen nur bestimmte Zeitfenster für das Hobby Pferd zu. „Da bleibt es nicht aus, dass die Reiter oft alleine reiten“, sagt Martin Plewa. „Ich empfinde die Entwicklung weg vom Gruppen- hin zum alleine Reiten als nicht zu sehr tragisch.“ Plewa ist zwar Quadrillen- Freund, schätzt aber auch die Vorteile beim alleine reiten: Das Pferd sei weniger abgelenkt und könne sich besser auf den Reiter konzentrieren. Umgekehrt habe der Reiter die Chance, ungestört eine Kommunikationsebene zum Pferd aufzubauen.

Im Finale des PM-Schulpferdecups werden die besten Teams mit einem Auftritt vor großer Kulisse belohnt – hier bei der Equitana. Foto: Brigitte Arends

Was hilft dem Jungpferd?

Das Pferd ist ein Herdentier – ist es artgerecht, sie aus der Herde zu holen und sie alleine in einer Halle zu arbeiten? „Ich mache das vom jeweiligen Pferd abhängig. Manchmal ist es besser, das junge Pferd alleine zu arbeiten, weil es sich besser auf mich konzentrieren kann“, erzählt Anne Krüger-Degener, Schäferin, Showreiterin und Pferdeausbilderin aus Melle in Niedersachsen. „Wenn das Pferd gut an den Hilfen steht, es den Dialog versteht und mir traut, dann hole ich bewusst ein zweites Pferd dazu, und übe die Situationen Vorbei-, Nebenher oder Hintereinanderreiten. Es gibt aber auch Pferde, die ruhiger sind, wenn zum Beispiel beim Anlongieren der beste Freund mit in der Halle ist.“

Vorteil Führpferd

Im Hauptgestüt Graditz baut Oberstutenmeisterin Antje Kleinschmidt auf die Hilfe erfahrener Führpferde: „So kann man bei manchem jungen Pferd den Herdentrieb nutzen, um wenn nötig – seinen Vorwärtsdrang zu unterstützen. Oder im Gelände, durch Wasser oder über Hindernisse – wenn ein erfahrenes Pferd voraus geht, überträgt es die Selbstverständlichkeit gern aufs junge Pferd“, findet Antje Kleinschmidt. Pferde schauen sich nämlich Verhalten voneinander ab. Das erklärt Professor Dr. Konstanze Krüger. Sie ist seit 2012 Professorin für Pferdehaltung an der Fachhochschule Nürtingen und kennt viele Untersuchungen. Ein Experiment zeigte zum Beispiel, dass junge Pferde älteren Pferden bei einem „Join Up“ zuschauten, wie ein Mensch in einem Roundpen das Pferd weggetrieben hat und sich dann vom Pferd abwandte – je nachdem, ob die älteren Pferde erfolgreich oder nicht erfolgreich nach dem „Join Up“ dem Menschen gefolgt sind, haben das die beobachtenden jungen Pferde in ihrem Join-Up nachgeahmt. „Ganz klar: Sie haben das durch das Zuschauen gelernt“, sagt Professor Konstanze Krüger. Die Wissenschaftler haben weitere Experimente gemacht und kamen zum Ergebnis: Pferde kopieren nicht nur ihre Artgenossen, sondern auch menschliches Verhalten. Professor Krüger erzählt von einem Futterexperiment, bei dem die Pferde Menschen beobachtet haben, die einen Lichtschalter drückten und eine Futtergabe auslösten. Auch dieses Verhalten haben die Pferde nachgeahmt.

Die Schlussfolgerung der Wissenschaftler: Der Mensch am Boden scheint für das Pferd einen genügend großen Stellenwert zu haben, dass sich Pferde an ihm orientieren. Professor Krüger erklärt: „Dem Pferd macht es nichts aus, allein mit dem Menschen zu trainieren – also ohne andere Artgenossen. Wichtig ist natürlich, dass die Pferde hinterher zu ihren Artgenossen zurückkehren, also in einer artgerechten Haltung im Herdenverband leben.“ Ähnlich drückt es Martin Plewa aus, der sich auch in bestimmten Situationen für ein Führpferd ausspricht. Aber: „Irgendwann muss der Mensch das Führpferd sein.“ Wichtig ist dann, dass der Reiter genügend Souveränität hat, um eindeutige Signale zu geben. Sonst kann es sein, dass das alleine Reiten Probleme macht. „Oft hapert es an der Konsequenz des Reiters und an der Schnelligkeit seiner Reaktion“, beobachtet Konstanze Krüger. Das verunsichert das Pferd. Damit liegt es weniger an der Frage, ob man besser alleine oder in der Gruppe reiten soll, sondern viel mehr an der Qualifikation des Reiters.

Gemeinsam ist Erfolg auf dem Turnier doch am schönsten! Foto: Holger Schupp/FN-Archiv

Beim korrekten Reiten in der Abteilung sind die Abstände vorgeschrieben – das fördert die Orientierungsfähigkeit und die präzise reiterliche Einwirkung. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Die Mischung macht‘s

Damit der Reiter genau wie das Pferd mit beiden Situationen – also in der Gruppe und beim alleine reiten – zurechtkommt, braucht es eine gute Mischung in der Ausbildung und im Alltag. Die Tradition des Gruppenunterrichts pflegt der Münsteraner Reit- und Fahrverein Handorf-Sudmühle. Seit mehr als 20 Jahren erteilt die Ausbilderin Susanne Remkamp freitags Dressurstunden für die Vereinsmitglieder – da treffen sich Jugendliche mit Vielseitigkeitsponys, Dressurreiter bis zur Klasse M genauso wie Freizeitreiter, denen die Rittigkeit ihrer Pferde wichtig ist. Mit ihren Gruppen wechselt Susanne Remkamp immer mal wieder zwischen dem Training in der Gruppe, aber jeder für sich, und zwischen Abteilungsreiten. Es gibt viele Vorteile, die Susanne Remkamp für derartige Gruppenstunden aufzählen kann: das soziale Miteinander der Reiter, der Austausch untereinander, Motivation, Rücksicht und auch ein wenig der kontinuierliche Blick auf die Pferdegesundheit: „Als Ausbilderin habe ich Hufpflege, passendes Sattelzeug, die Bewegungen und so weiter im Auge.“ Die Pferde gewöhnen sich in der Gruppe an den großen Platz, an ankommende wie gehende Pferde zum Stundenwechsel, und sie lernen, alleine von den anderen wegzugehen: Ab und zu bekommt jeder Reiter mal das Kommando, den Dressurplatz zu verlassen und eine Runde auf der Rennbahn zu drehen. „Für mich ist das die höhere Leistung, wenn die Reiter sowohl in der Abteilung als auch alleine reiten können“ – das ist die Philosophie von Susanne Remkamp und gibt zugleich das Fazit: Alleine Reiten hat genau wie in der Gruppe und in der Abteilung seine Berechtigung. Pferd und Reiter profitieren am meisten vom gesunden Mix.

Cornelia Höchstetter

Abteilung – Marsch: 7 Tipps von Martin Plewa

„Heißes Pferd“: Wenn sich das Pferd in der Abteilung aufheizt, hilft nur üben, üben, üben – aber das mit Geduld!“.

Abstand dosieren: „Um das Abteilungsreiten zu üben, ist es sinnvoll, zunächst einen größeren Abstand einzuhalten und sich langsam an den üblicherweise geforderten Abstand von einer Pferdelänge heranzutasten.“ Langsam gewöhnen: „In der täglichen Arbeit kann man immer wieder versuchen, für eine Weile hinter einem anderen Pferd herzureiten.“

Nach und nach: „Man sollte versuchen, sein eigenes Pferd auch dann noch im Stand zu halten, wenn das andere Pferd bereits angeritten wird – oder weiterzutraben, wenn der Vordermann angaloppiert. Bleibt ein Pferd gelassen und sicher an den Hilfen, auch wenn sich das Vorderpferd von ihm entfernt, hat man eine gute Grundlage dafür geschaffen, dass das Pferd auch bei gleichbleibenden Abständen sicher an den Hilfen bleibt.“

Fairness in der Prüfung: „Stört ein Reiter wegen mangelnder Rittigkeit seines Pferdes die Abteilung nachhaltig – zum Beispiel durch andauerndes Bocken, Aufreiten oder Überholen – sollte der Reiter aus Fairness gegenüber den Anderen aufgeben – und zwar bevor das Glockenklingeln vom Richtertisch ertönt.“

Der richtige Abstand: „Zur Orientierung hilft, dass man etwa eine Pferdelänge Abstand hat, wenn man über die Ohren seines Pferdes schaut und gerade noch die Sprunggelenke des Vorderpferdes sieht.“

Raumeinteilung: „Man kann durch stärkeres Ausreiten der Ecken oder etwas größer gerittene gebogene Linien etwas mehr Abstand gewinnen, aber auch dadurch, dass man alle Übergänge aus dem Halten oder zu höheren Gangarten etwas später reitet und umgekehrt alle Rückführungen etwas früher einleitet. Bei Pferden mit etwas knapperem Gangmaß sollte man die Ecken etwas abflachen, Zirkel geringfügiger kleiner reiten, und bei den Übergängen auch exakt umgekehrt vorgehen wie bei Pferden mit größerer Übersetzung beziehungsweise Gehfreude.“

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