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Ausbildungstipp Christoph Hess

Seitengänge: Früchte erfolgreicher Ausbildung

Die Qualität der Ausbildung lässt sich in den Seitengängen sehr gut überprüfen. Spätestens hier, bei den Vorwärts-Seitwärtsbewegungen mit gleichmäßiger Längsbiegung und entsprechender Versammlung, zeigt sich deutlich, ob die bisherige grundlegende Ausbildung solide war oder an der ein oder anderen Stelle etwas nachlässig gearbeitet wurde. Was also tun, wenn das Pferd nach der Arbeit an den Seitengängen plötzlich nur noch im Außengalopp anspringt? FN-Ausbildungsbotschafter Christoph Hess sagt: an der Geraderichtung arbeiten.

Die Traversale ist die Königsdisziplin der Seitengänge. Fotos (3): Stefan Lafrentz

Frage: Seitdem ich vermehrt an den Seitengängen wie Schulterherein, Travers und Renvers arbeite, passiert es mir häufiger, dass mein Pferd auf der rechten Hand im Außengalopp anspringt. Mein Pferd ist auch nach rechts hohl. Können Sie sich erklären, wie es dazu kommt und was ich dagegen tun kann?

Das Erarbeiten neuer Lektionen ist stets mit besonderen Herausforderungen verbunden. Es wird kaum eine Lektion geben, die dem Reiter und seinem Pferd beim Erlernen in den Schoß fällt. Stets gilt der Satz: „Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt.“ Diese Lebensweisheit beinhaltet das, was in der Ausbildung von Reitern und Pferden unabdingbar ist: Es muss über einen langen Zeitraum kontinuierlich und solide gearbeitet werden. Rückschläge sind einzukalkulieren und als Herausforderung anzunehmen. Sie sind sorgfältig zu analysieren, damit daraus die richtigen Schlüsse für das weitere Training abgeleitet werden. Hilfreich ist, sich regelmäßig den Rat von Ausbildern einzuholen.

Herausforderung Seitengang

Das Erarbeiten der Seitengänge ist eine Herausforderung, die dann gelingt, wenn systematisch in kleinen, aufeinander aufbauenden Schritten ausgebildet wird. Die Lektionen Schulterherein, die Traversalen sowie das Travers und das Renvers eignen sich, um beim Erlernen abzuprüfen, ob die Ausbildung bis dahin in richtiger Weise solide und vor allem sorgfältig erfolgte. Kam es zu grundlegenden Fehlern in der bisherigen Ausbildung, so holen diese den Reiter spätestens jetzt ein.

Das Pferd ist geradegerichtet (oben); das Pferd neigt dazu mit der Hinterhand in das Bahninnere zu drängen und der Reiter muss die Vorhand auf die Hinterhand einrichten (unten). Grafik: Cornelia Koller, Dierkshausen; mit freundlicher Genehmigung entnommen aus „Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 1: Ausbildung für Reiter und Pferd“, FNverlag, Warendorf 2019.

Das Phänomen des Angaloppierens im Außengalopp sollte dem Reiter verdeutlichen, dass in der Basisausbildung – insbesondere in der Geraderichtung – noch Mängel vorhanden sind. Das Pferd wird auf der hohlen Seite die diagonale Hilfe nicht sensibel genug annehmen. Dieser Mangel lässt sich durch geraderichtende Biegearbeit beheben und wird sich dann auch positiv auf die Erarbeitung der Seitengänge auswirken. In den „Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 2 – Ausbildung für Fortgeschrittene“ ist zur Herausforderung „hohle Seite“ Folgendes festgehalten: „Es gibt Pferde, die sehr beweglich in der Rippenpartie sind und sich, meistens aber nur zu einer Seite, übertrieben biegen wollen. Die ‚hohle Seite‘ ist dann besonders ausgeprägt. Solche Pferde müssen vermehrt ausbalanciert und in ihrer Geraderichtung gefestigt werden. Stellung und Biegung dürfen zunächst nur geringgradig verlangt werden“. Es empfiehlt sich, bei der Erarbeitung der Seitengänge auf der rechten Hand stets an Schultervor zu denken und die Vorhand sicher vor die Hinterhand zu bringen.

Natürliche Schiefe und Geraderichten

Jedes Pferd kommt mit einer natürlichen Schiefe zur Welt, in etwa vergleichbar mit der Rechts- oder Linkshändigkeit des Menschen. Die meisten Pferde sind nach rechts schief. Das rechte Hinterbein fußt außen an der Spur des rechten Vorderbeins vorbei. Die rechte Seite ist die hohle Seite, hier ist die Muskulatur verkürzt und weniger dehnfähig. Die linke Seite wird Zwangsseite genannt, da dem Pferd Stellung und Biegung hier schwerfallen. Durch diese Schiefe kommt es zu einer vermehrten Belastung des linken Vorderbeins. Der Prozess des Geraderichtens führt dazu, dass das Pferd sich hufschlagdeckend bewegt und dadurch beide Körperhälften gleichmäßig belastet.

Durch geraderichtende Biegearbeit auf beiden Händen wird das gesamte Pferd gymnastiziert. Das Schultervor gilt als Schlüssellektion für das Geraderichten: Hier wird die Vorhand auf die Hinterhand eingerichtet und damit Gleichgewicht und Lastaufnahme verbessert. Das Geraderichten trägt maßgeblich zur Gesunderhaltung bei – denn es beugt ungleicher Belastung und vorzeitigem Verschleiß vor.

Vorwärts und gerade

Mit diesen Hinweisen aus den Richtlinien ist die Marschrichtung vorgegeben, anhand derer Sie Ihr Pferd arbeiten sollten. Sie müssen die Geraderichtung verbessern und Ihr Pferd konsequent an die Hand herantreiben. „Reite Dein Pferd vorwärts und richte es gerade“. Dieser Merksatz fordert das, was wir in der Ausbildung unserer Pferde in jedem Augenblick anzustreben haben. Die Pferde müssen an die Hand „heranziehen“, sie müssen vor dem Reiter an dessen vortreibenden Hilfen sein.

Das gilt in besonderer Weise auch für das Erlernen der Seitengänge. Beim Erarbeiten der Seitengänge sind einige Grundsätze zu befolgen:

1. Seitengänge sollten zunächst in einem frischen Tempo geritten werden. Der Reiter sollte dabei eher an Arbeitstempo als versammelten Trab denken.

2. Vor Beginn des jeweiligen Seitengangs sollte an der kurzen Seite die Hinterhand deutlich aktiviert werden.

3. Dem aktiven Einsatz des inneren Schenkels bei gleichzeitigem Herantreiben an den äußeren Zügel ist besondere Beachtung zu schenken.

4. Das Schulterherein ist die „Mutter aller Seitengänge“. Ohne ein korrekt gerittenes Schulterherein werden sich keine Traversalen und kein Travers und Renvers entwickeln lassen.

5. Beim Reiten der Traversalen muss der Reiter stets das Gefühl haben, jederzeit in das Schulterherein übergehen zu können. Dieses Gefühl ist erforderlich, weil nur dann der innere Schenkel die für diese Lektion so wichtige vorwärtstreibende und biegende Funktion innehat.

Gut zu erkennen: Beim Travers bewegt sich das Pferd auf vier Hufschlaglinien.

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Gang zurück, Schritt vor

Werden die Seitengänge in dieser Weise geritten, wird der Reiter nach dem Beenden dieser Lektionen das Gefühl haben, dass er vermehrt in den Sattel hineingezogen wird. Das Pferd wird sich kadenzierter und ausdrucksstärker bewegen. Treten Probleme beim Erlernen der Seitengänge auf, so ist stets ein Gang zurückzuschalten. Probleme lassen sich im Regelfall nicht im Seitengang selbst lösen. Stets müssen also die Voraussetzungen für das Reiten der Seitengänge verbessert werden. Das heißt in diesem Falle: Erst kommt die Geraderichtung, dann das Üben der Seitengänge.

Seitengänge im Überblick

Schulterherein: Beim Schulterherein, das im versammelten Trab zu reiten ist, wird die Vorhand des Pferdes in die Bahn geführt. Die Hinterhand bleibt auf dem Hufschlag, das äußere Vorderbein bewegt sich auf einer Spur mit dem inneren Hinterbein. Dabei kreuzen nur die Vorderbeine, die Hinterbeine fußen nahezu geradeaus. Von vorne betrachtet ergeben sich also drei Hufschlaglinien.

Travers und Renvers: Beim Travers ist das Pferd in die Bewegungsrichtung gestellt und gebogen. Die Vorhand bleibt auf dem Hufschlag, während die Hinterhand in das Bahninnere geführt wird. Das Renvers ist die Konterlektion zum Travers. Hierbei bleibt die Hinterhand auf dem Hufschlag, die Vorhand wird in die Bahn hineingeführt. Die Abstellung zum Hufschlag beträgt etwa 30 Grad, ähnlich wie beim Schulterherein. Dabei bewegt sich das Pferd auf vier Hufschlaglinien, denn es kreuzen sich – anders als beim Schulterherein – die Vorderund die Hinterbeine.

Traversalen: In der Traversale bewegt sich das Pferd im versammelten Trab oder Galopp entlang einer gedachten Diagonalen möglichst parallel zur langen Seite vorwärts-seitwärts. Es werden halbe, doppelte halbe, ganze und doppelte ganze sowie Zick-Zack-Traversalen geritten.

Beim Renvers, der Konterlektion des Travers, bleibt die Hinterhand auf dem Hufschlag.

FN-Ausbildungsbotschafter Christoph Hess Foto: FN-Archiv

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Fazit:

Seitengänge sind weiterführende Lektionen, die Versammlung erfordern. Um aber vermehrt Last aufnehmen zu können, muss das Pferd geradegerichtet sein – also beide Körperhälften gleichmäßig belasten. Treten beim Erarbeiten der Seitengänge Schwierigkeiten auf, ist ein Schritt zurück angebracht. Das Angaloppieren im Außengalopp auf der hohlen Seite zeigt den Verlust des Gleichgewichts an. Daher gilt hier: Sichern Sie im Geradeaus Balance, Takt, Selbsthaltung und Schwung, richten Sie die Vorhand auf die Hinterhand aus und stellen Sie sicher, dass Ihr Pferd an die Hand heranzieht. Auf dieser Grundlage werden Sie korrekte Seitengänge entwickeln und den wertvollen Effekt für die Gymnastizierung Ihres Pferdes nutzen können.

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