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Ausbildungstipp von Christoph Hess

Vom Drei- zum Viertakt? Galopp in der Pirouette

Der Galopp ist ein Dreitakt. Das lernt jeder Reitanfänger in seinen ersten Theoriestunden. Beobachtet man jedoch ein Pferd auf höchstem Niveau in der Pirouette, so scheint es – obgleich im Galopp unterwegs – in einen Viertakt zu kommen. FN-Ausbildungsbotschafter Christoph Hess klärt auf.

Das konzentrierte Ohrenspiel zeigt die Anstrengung: Die Pirouette gehört zu den schwierigsten Dressurlektionen und kostet Kraft. Doch ist der Galopp dabei ein Drei- oder ein Viertakt? Foto: Arnd Bronkhorst

Frage: Jeder, der sich mit Pferden beschäftigt, lernt sehr früh, dass der Galopp ein Dreitakt ist. So steht es in den Lehrbüchern, insbesondere in den Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 1. Üblicherweise kann man dies auch sehen bzw. auf dem Pferd fühlen. Wenn man jedoch ein Grand Prix-Pferd in einer Pirouette beobachtet, verliert dieses den Dreitakt, je mehr es sich „setzt“. Und nicht nur in der hohen Versammlung einer Pirouette, sondern auch dann, wenn ein Pferd in schnellem Tempo galoppiert, erfolgt die Fußfolge sehr oft im Viertakt. Wie erklären Sie diesen potenziellen Widerspruch?

Der Galopp ist ein Dreitakt mit sechs Phasen. So ist es in den FN-Richtlinien, in zahlreichen Lehrbüchern und anderen Publikationen nachzulesen. In Filmen, besonders dann, wenn sie in „Slow Motion“ wiedergegeben werden, ist dies im Arbeits-, Mittel- und im starken Galopp gut zu sehen. Je ausgeprägter der Moment der freien Schwebe in diesen Galopp-Tempi ist, desto klarer ist der Dreitakt. Erforderlich ist dabei, dass das Pferd sicher vor dem Reiter an dessen treibender Hilfe steht und gut nach vorne zieht.

Lastaufnahme und Aufrichtung stehen in engem Zusammenhang – im Trab genauso wie im Galopp. Foto: Mit freundl. Genehmigung entnommen aus „Grundausbildung für Reiter und Pferd, Richtlinien für Reiten und Fahren„, Band 1, Deutsche Reiterliche Vereinigung e.V. (FN), 2018

Vom Drei- zum Viertakt

Anders verhält es sich mit den Extremen des Galopps, also mit dem versammelten Galopp vor und während der Pirouette auf der einen Seite und mit dem Renngalopp auf der anderen. In diesen Galopp-Tempi können wir fast schon mit dem bloßen Auge erkennen, dass hier der klare Dreitakt einem Viertakt weicht. In der Vorbereitung der Pirouetten, nämlich dann, wenn der Versammlungsgrad des Galopps für die Vorbereitung der Pirouette erhöht wird, galoppiert das Pferd fast auf der Stelle. Wir sprechen in diesem Fall vom sogenannten „Pirouetten-Galopp“. Ein Bodengewinn ist dann kaum noch gegeben. Dadurch wird das gleichzeitige Auffußen des inneren Hinterbeines und des äußeren Vorderbeines unterbrochen. Das Pferd setzt das innere Hinterbein einen Bruchteil einer Sekunde eher auf als das äußere Vorderbein. Das hat zur Folge, dass der Galopp von einem Drei- in einen Viertakt transformiert wird.

Der Reiter benötigt das Gefühl fast auf der Stelle zu galoppieren, bevor er in der Lage ist, eine Pirouette auf engstem Raum mit gesenkter Hinterhand auszuführen. Das Auf-der-Stelle-Galoppieren ist die Voraussetzung für eine wertvolle Pirouette. Das Becken des Pferdes wird in der Pirouette seitlich gekippt und die Hanke des inneren Hinterbeins vermehrt gebeugt.

Lehrbuch vs. Slow Motion

In den „Anforderungen an das Reiten in Dressurprüfungen, gem. Paragraph 405 LPO“ ist die Pirouette wie folgt definiert: „Das Pferd beschreibt in gleichbleibendem Bewegungsfluss mit der Vorhand eine kreisförmige Bewegung um die Hinterhand. (….) Der innere Hinterfuß bewegt sich auf einem möglichst kleinen Kreis. Die Hinterhand senkt sich durch den höheren Grad der Versammlung und nimmt vermehrt Last auf. Der Bewegungsablauf muss als Galoppsprung klar erkennbar sein.“ Über die Definition der Pirouette haben wir bei jeder der Neuauflagen des Aufgabenhefts und der Richtlinien lange nachgedacht und oft kontrovers diskutiert.

Warum?

Die Filmtechnik ist im Laufe der Jahre weiter verbessert worden. Glaubte man in früheren Jahren, dass der Dreitakt im Galopp in der Pirouette erhalten bliebe, wurden die Fachleute durch die weiter entwickelte Filmtechnik eines Besseren belehrt. In „Slow Motion“ ist der Viertakt unschwer zu erkennen.

Klarer Galoppsprung

Auch wenn der einzelne Galoppsprung noch so versammelt ist, muss er dennoch als klarer Galoppsprung zu erkennen sein. Konkret heißt dies: Das Pferd darf nicht mit den Hinterbeinen nach dem Moment der freien Schwebe gleichzeitig auffußen. Zunächst muss das äußere Hinterbein aufsetzen und für einen Bruchteil einer Sekunde die ganze Last „stemmen“. Danach setzt das innere Hinterbein und danach zeitversetzt das äußere Vorderbein auf. In der letzten Phase des Galopps wird das innere Vorderbein des Pferdes „aktiv“. Über das innere Vorderbein rollt der einzelne Galoppsprung ab, in den Moment der freien Schwebe hinein. Insofern haben sowohl das äußere Hinterbein als auch das innere Vorderbein für jeden einzelnen Galopp eine besonders wichtige Funktion.

Damit Pferde mit einem besonders hohen Versammlungsgrad im Galopp geritten werden können, müssen sie speziell gymnastiziert und gekräftigt werden. Wird dieser Prozess nicht sorgfältig durchgeführt, dann werden die Pferde im versammelten Galopp mit den Hinterbeinen nach dem Moment der freien Schwebe gleichzeitig auffußen. Bei dieser Art des Galoppierens, das in der Pirouette besonders deutlich auffällt, ist ein klarer Galoppsprung nicht mehr zu erkennen. Derartige Pirouetten werden von den Richtern zurecht negativ bewertet, weil sie vor dem Hintergrund der Biomechanik inkorrekt sind.

Frisch nach vorne – der Galopp ist ein klarer Dreitakt. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Dreitakt wiederherstellen

Damit der klare Galoppsprung in der Pirouette und bei der Einleitung in diese erhalten bleibt, ist es wichtig, in der Ausbildung und im Training von Pferden immer wieder Tempounterschiede zu verlangen. Der in hohem Maße versammelte Galopp muss aus Galoppsprüngen mit einem jeweils möglichst ausgeprägten Moment der freien Schwebe entwickelt werden. Dabei gilt die Maxime: von einem großen Galoppsprung zu einem kleineren – und damit zu einem versammelten – zu kommen. Der Reiter muss das Gefühl haben, im versammelten Galopp das mittlere Tempo zu spüren. Er muss die Vorstellung haben, die Hinterbeine „überholen“ die Vorderbeine.

Auch im Renngalopp wird der Dreitakt des Galopps aufgehoben, um maximalen Bodengewinn zu ermöglichen. Foto: Sarah Bauer/galoppfoto.de

Das Versammeln darf auf keinen Fall zu einem Verlangsamen des Galopps führen. Die Aktivität des einzelnen Galoppsprungs muss im Hand- und im Außengalopp erhalten bleiben. Sollte sie dennoch nachlassen, so ist energisches Vorwärts-Reiten, also ein erneutes Zulegen, das Mittel der Wahl. Empfehlenswert ist es sogar, dabei den leichten Sitz einzunehmen, um den Rücken des Pferdes zu entlasten und den vermehrten Durchsprung der Hinterbeine unter den Schwerpunkt im klaren Dreitakt zu erhalten bzw. wiederherzustellen.

Fazit:

Grundsätzlich ist und bleibt der Galopp ein Dreitakt mit sechs Phasen. Lediglich in Momenten höchster Versammlung – im Dressursport in der Pirouette – weicht der Dreitakt einem Viertakt. Um die erhöhte Lastaufnahme zu ermöglichen, setzt das innere Hinterbein vor dem äußeren Vorderbein auf. In allen anderen Lektionen und Übungen ist dieser Vierschlag fehlerhaft und ein Zeichen von falsch entwickelter Versammlung. Ein zu starkes Versammeln ohne entsprechende Kräftigung der Hinterhand und des Pferderückens führt zu einem Erlahmen des Bewegungsablaufs und zu dem gefürchteten „Vier-Schlag“. In diesem Fall bleibt die erforderliche Aktivität des Galopps nicht erhalten. Stattdessen wird der Galopp verlangsamt, was für die Ausführung einer qualitätsvollen Pirouette abträglich ist. Das Entwickeln des versammelten Galopps vor und während einer Pirouette muss sorgfältig erarbeitet und gefühlvoll dosiert werden.

FN-Ausbildungsbotschafter Christoph Hess Foto: FN-Archiv

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