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Ausbildungstipp von Christoph Hess
Das unkonzentrierte Pferd
Pferde, die sehr auf ihre Umwelt fokussiert sind und ständig unter Spannung stehen, machen ein konzentriertes Training unmöglich. Hier heißt es: Ein paar Schritte zurück, dazu vorerst auch mal
absitzen und grundlegend am Vertrauen zwischen Reiter und Pferd arbeiten.
Ist das Pferd sehr auf seine Umwelt fokussiert, ist an entspanntes Reiten nicht mehr zu denken. Foto: Stefan Lafrentz
Frage: Mein nun sechsjähriger Wallach ist ein sehr unkonzentriertes und „guckiges“ Pferd. Er ist beim Reiten sehr leicht abgelenkt, wiehert nach den anderen Pferden und regt sich in der Halle oder auf dem Platz sehr auf, wenn er alleine ist. An entspanntes Reiten ist dann kaum noch zu denken. Haben Sie Tipps für mich, wie ich das Training gestalten kann, damit sich mein Pferd mehr entspannt und besser auf mich konzentriert?
Mit sechs Jahren befindet sich Ihr Wallach noch in der physischen und vor allem mentalen Entwicklung. Daher sollten Sie versuchen, sich einmal in die Lage Ihres Pferdes zu versetzen. Mein erster Tipp: Beobachten Sie Ihr Pferd in unterschiedlichen Situationen! Wie verhält es sich, wenn es alleine auf der Weide, im Paddock oder im Stall ist? Wiehert es häufig? Ist es aufgeregt und unruhig? Sind die Verhaltensweisen Ihres Pferdes ähnlich wie unter dem Sattel, dann müssen Sie sich darauf einstellen.
Ihr Pferd muss im Stall, im Auslauf und auf der Weide Situationen vorfinden, die ihm Sicherheit vermitteln. Dazu gehört, dass es möglichst niemals alleine sein sollte, weder im Stall, noch auf der Weide oder auf dem Reitplatz. Pferde sind Herdentiere, die die Gemeinschaft brauchen wie die Luft zum Atmen. Akzeptieren Sie diese Tatsache und üben Sie in kleinen Schritten das Alleinsein. Ist ihr Pferd mal kurz alleine, lenken Sie es durch Putzen, Füttern oder Führen ab.
Konsequenz als Schlüssel
Dem Führen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu: Wenn Sie durch konsequente und bestimmte Signale die Rolle des Leitenden einnehmen, wird sich Ihr Pferd darauf einstellen und vermehrt vertrauensvoll von Ihnen führen lassen. Es liegt in der Natur des Pferdes, einem souveränen Chef zu folgen, der Sicherheit und Übersicht vermittelt. Mein zweiter Tipp: Bauen Sie in das Führen Elemente aus der Bodenarbeit ein. Durch Stangentraining, Desensibilisierung und Übergänge fordern und fördern Sie die Konzentration Ihres Pferdes und lenken seine Aufmerksamkeit auf die Aufgaben.
Für das Reiten gilt dann der Grundsatz: Es muss für Ihr Pferd interessanter sein als die Umwelt. Das heißt, dass Sie Ihr Pferd so arbeiten müssen, dass es sich auf Sie konzentriert. Daraus resultiert auch mein dritter Tipp: Jeder Reiter, der ein unkonzentriertes und „guckiges“ Pferd reitet, muss sich selbst und damit seine eigenen Emotionen unter Kontrolle haben. Wir Reiter sollten uns deshalb stets um eine heitere Gelassenheit bemühen.
Niemals dürfen wir unsere Pferde in den von Ihnen beschriebenen Situationen strafen. Wir Reiter müssen uns verdeutlichen, dass dieses Verhalten eines Pferdes instinktgesteuert ist und keine „böse“ Absicht dahintersteckt. Zu berechnendem oder gar hinterhältigem Verhalten sind Pferde nicht in der Lage. Eine Bestrafung würde die Situation also nur noch verschlimmern, das Pferd sich nur noch mehr verkrampfen und noch unsicherer werden.
Daher mein vierter Tipp: Nur ein souveräner, ja mutiger Umgang mit dieser Situation wird hilfreich und zielführend sein. Als Grundsatz ist zu berücksichtigen, dass das Pferd sich auf den Reiter konzentrieren und sicher an dessen treibenden Hilfen sein muss. Dazu ist es wichtig, dass Sie Ihr Pferd ganz bewusst aus der Körpermitte heraus mit vor- und seitwärtstreibenden Schenkelhilfen reiten und stets unabhängig von der Hand sitzen. Das ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Ihr Pferd Sie als leitend akzeptiert.
Wundermittel Übergänge
Als konkrete Übungen empfehle ich das Reiten von Übergängen, wobei darauf zu achten ist, dass der Übergang von einer höheren in eine niedrige Gangart stets mit den treibenden Einwirkungen zu erfolgen hat. Es muss in jeder Situation sichergestellt sein, dass das Pferd nach vorne an die Hand heranzieht und vor dem Reiter, an dessen treibender Hilfe ist. Um den Schenkelgehorsam zu verbessern, eignet sich das Schenkelweichen. Dieses muss sich – zunächst im Schritt, später auch im Arbeitstrab – auf allen nur denkbaren Linien reiten lassen: an der langen Seite, aber auch als Viereck verkleinern und vergrößern. Auch auf dem Außenplatz und im Gelände empfehle ich Ihnen das Reiten dieser Übungen, damit sich das Pferd auf den Reiter und nicht auf die Umwelt konzentriert. Im Schenkelweichen werden Sie dann auch in der Lage sein, an Dingen vorbeizureiten, die Ihrem Pferd noch gruselig erscheinen.
Schenkelgehorsam
Daraus resultiert mein fünfter Tipp: Stärken Sie das Annehmen Ihres inneren Schenkels. Dann werden Sie in der Lage sein, Ihr Pferd insbesondere durch das Reiten von Wendungen und gebogenen Linien vermehrt auf sich zu konzentrieren und insgesamt durchlässiger zu bekommen. Klappt all dies problemlos mit anderen Pferden in der Nähe und haben Sie Ihren reiterlichen Einfluss gestärkt, dann sollten Sie die anderen Reiter in ihr Training einbeziehen und Sie bitten, mit ihren Pferden nach und nach die Halle bzw. den Reitplatz verlassen.
Sie selbst setzen derweilen Ihre Arbeit in konzentrierter Weise fort. Zunächst sollten sie das reiten, was Ihrem Pferd leicht fällt. Ihr primäres Ziel sollte es sein, Ihr Pferd weiter auf sich zu konzentrieren. Gelingt Ihnen dies, dann wird Ihr Pferd gar nicht registrieren, dass es mit Ihnen alleine in der Halle bzw. auf dem Reitplatz ist.
Ihre Frage an Christoph Hess
Sie haben ein Ausbildungsproblem und möchten professionellen Rat? Dann schicken Sie uns Ihre Frage an FN-Ausbildungsbotschafter Christoph Hess. Schildern Sie Ihre Schwierigkeiten beim Reiten kurz und bündig, die Redaktion wählt die Beiträge für die Veröffentlichung aus. Wenn Sie ein gutes, druckfähiges Foto haben, können Sie dies selbstverständlich mitschicken. Zuschriften bitte per E-Mail an pm-forum@fn-dokr.de.
Fazit
Ein entspanntes Pferd, das sich auf seinen Reiter konzentriert, ist die Voraussetzung dafür, um in der Ausbildung unter dem Sattel voranzukommen. Ein Patenrezept, wie man dies erreicht, gibt es nicht. Doch je mehr sich der Reiter mit seinem Pferd beschäftigt, je besser er es versteht, desto mehr wird das Pferd ihm vertrauen – und Vertrauen ist die Voraussetzung für Gelassenheit und Konzentration.
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