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Mentaltraining

Mut zur Angst

Welcher Reiter träumt nicht davon, eins zu werden mit seinem Pferd, Harmonie, Freiheit und Naturverbundenheit zu spüren – sei es beim fröhlichen Ritt über Stock und Stein, beim kontrollierten Tanz im Dressurviereck oder in der Gischt eines menschenleeren Sandstrandes. Für viele Menschen werden diese Träume Wirklichkeit, für andere nicht. Denn ihnen steht eines im Weg: Angst. Sportwissenschaftlerin und Ausbilderin Dr. Britta Schöffmann hat sich mit diesem Thema beschäftigt.

Der Ritt am menschenleeren Strand ist ein Traum vieler Reiter – oft schwingt bei dieser Vorstellung aber auch Angst vor Kontrollverlust mit. Foto: Stefan Lafrentz

Angst vor etwas zu haben ist keine Schande, im Gegenteil. Angst kann ein gesundes Empfinden sein, das auf Gefahren hinweist, zur Vorsicht mahnt und hilft einer Gefahr zu entkommen. Angst kann aber auch so stark ausgeprägt sein, dass sie ein Lebewesen förmlich erstarren lässt und schnell ist man – zumindest in Urzeiten – schon gefressen. Eine genaue und klare Definition für Angst zu finden, ist schwierig. Mal wird Angst als ein Grundgefühl bezeichnet, dass sich in als bedrohlich empfundenen Situationen als Besorgnis darstellt, mal als ein Gefühl von Unheimlichkeit und Ausgesetztsein in der Welt, mal als ein unangenehmer, unlustbetonter emotionaler Zustand. Beim Blick auf die Herkunft des Wortes Angst kommen die alten Griechen ins Spiel, die von αγχω sprachen, was so viel bedeutet wie drosseln, würgen. Und auch das lateinische angustia, Enge, geht in diese Richtung.

Vielschichtiges Phänomen

Drosseln, würgen, Enge (spüren) beschreibt auf jeden Fall schon recht gut, was Menschen in Angstsituationen spüren. Die einen mehr, die anderen weniger. Die Ursachen für Angst und ihre Ausprägung sind enorm vielfältig, so vielfältig, dass sich ganze Wissenschaftszweige mit dem Phänomen beschäftigen. Die körperlichen Reaktionen wie Herzrasen, Blutdruckanstieg, Atemnot, Muskelverkrampfung oder Übelkeit sind mehr was für Internisten und Kardiologen, die Abläufe im Gehirn während kleinerer oder größerer Angstphasen rufen die Neurowissenschaftler auf den Plan, während sich die Psychologen mit den psychischen, die Soziologen mit den gesellschaftlichen und die Pädagogen mit den erzieherischen Hintergründen beschäftigen. Angesichts solch geballter Fachkompetenz, die die Vielschichtigkeit des Phänomens Angst erahnen lassen, klingen von Eltern, Lehrern oder Trainern gern genutzte Sätze wie ‚Du brauchst keine Angst zu haben‘ ziemlich dünn.

Den Ursprung kennen

Außerdem ist Angst etwas sehr Individuelles. Es gibt ängstliche Menschen, die ‚von Natur aus‘ ängstlicher erscheinen als andere. Vererbt? Oder haben sie im Laufe ihres bisherigen Lebens viele, möglicherweise sogar nur kleine Angstsituationen erlebt, die nie wirklich positiv gelöst wurden. Oder wurden sie vielleicht von übervorsichtigen Eltern erzogen, den heute weit verbreiteten Helikopter-Eltern, die versuchen, jede noch so winzige (vermeintliche) Gefahr von ihren Sprösslingen fernzuhalten. Mit dem Nachteil, dass ihre Kinder immer mehr Angst vor auch ungefährlichen Situationen entwickeln und auch keine Chance haben, zu lernen, mit kniffligen Situationen selbstständig und lösungsorientiert umzugehen.

Daneben gibt es Erlebnisse, die einen Menschen dazu bringen, Angst vor etwas zu bekommen, sei es ein Hundebiss in Kindertagen, ein Sportunfall mit schmerzhaften Folgen, ein Kontrollverlust oder ähnliches. Während manche Menschen solche Dinge schnell wegwischen oder zumindest gut verarbeiten, bleibt bei Anderen Verunsicherung, die sich dann immer mehr zu Angst in ähnlichen Situationen verstärkt. Bei manchen Menschen entwickelt sich sogar eine krankhafte Angststörung, also eine exzessive Angstreaktion auch in nicht wirklich bedrohlichen Situationen.

Die Angst vor dem Überwinden von Hindernissen ist unter Reitern weit verbreitet – die Ursachen dafür können vielseitig sein. Foto: Stefan Lafrentz/ FN-Archiv

Angst aus Reitersicht

Die Vielschichtigkeit des Phänomens Angst betrifft auch Reiter oder solche, die es werden wollen. Dabei hat der Umgang mit dem Thema zwei Seiten – die aus der Sicht des Reiters selbst und die aus der Sicht des Ausbilders. Wer als Pferdeliebhaber Angst hat, entweder vor speziellen Situationen im Sattel, vor schwierigen Herausforderungen oder aber bereits im Umgang, muss sich nicht schämen. Angst zu haben ist nichts Verwerfliches und kein Zeichen von Schwäche. Sich seine Angst einzugestehen und auch Dritten gegenüber zu kommunizieren, erfordert im Gegenteil Mut und ist der erste Schritt, Angst zu überwinden. Einige Menschen schaffen das allein, andere brauchen Unterstützung von außen, manche sogar Hilfe von Ärzten. Wer sich mit seinen reiterlichen Angstgefühlen auseinandersetzt muss zunächst in sich hineinlauschen, Ursachenforschung betreiben und eigene Strategien entwickeln. Was hat meine Angst verursacht? Ein Sturz vom Pferd zum Beispiel? Was genau hat dazu geführt? Scheuen? Buckeln? Steigen? Ein missglückter Sprung über ein Hindernis? Ein plötzliches „Parken” vor einem Hindernis? Ein totaler Kontrollverlust auf einem durchgehenden Pferd? 

Ein Sturz vom Pferd kann dem besten Reiter passieren – wie hier André Thieme. Im Nachhinein sollte man ergründen, wie es zu dem Sturz kam. Foto: Stefan Lafrentz

Abhängig davon, was das auslösende Ereignis war, lässt sich – durchaus selbst – herausfinden, ob es wirklich Grund für künftige Angst gibt. So kann zum Beispiel ein einmaliges Scheuen, bei dem man unfreiwillig vom Pferd gestürzt ist, eine eher seltene Aktion des Vierbeines gewesen sein. Aus der zeitlichen Ferne betrachtet und mit entsprechendem emotionalem Abstand erkennt der Betroffene vielleicht, dass das Risiko, dass so etwas wieder passiert, auf diesem ansonsten ruhigentspannten Pferd wohl eher klein ist. Eine Erkenntnis, die wieder selbstbewusster macht und ängstliche Gedanken verdrängt.

Realistische Betrachtung

Sitzt man dagegen beispielsweise auf einem Pferd, das bei jedem kleinen Geräusch wild buckelnd davon stürmt und seinen Reiter immer wieder in Raumnot bringt, ist die Besorgnis eines erneuten Sturzes und die Angst davor durchaus real. Hier hilft ein wenig Selbstkritik und die Frage: Bin ich reiterlich in der Lage, das Buckelproblem selbst zu lösen? Oder brauche ich, wenn auch nur vorübergehend, Hilfe? Und zwar von einem erfahrenen und sattelfesten Reiter, damit sich aus dem Übermut des Pferdes nicht eine Unart entwickelt und ich mich irgendwann überhaupt nicht mehr auf mein Pferd traue. Auch Angst vor dem Reiten im Gelände oder dem Überwinden kleinerer oder größerer Hindernisse ist weit verbreitet. Schon jugendliche Reitanfänger bezeichnen sich heute gern als ‚Dressurreiter‘, die Springstunde im Reitverein – falls es sie dort gibt und der Reiter überhaupt in einem Verein seine ersten Stunden nimmt – wird gern gemieden. Und ein Ausritt wäre zwar ein Traum, ist aber in den ängstlichen Gedanken mancher Reiter offenbar viel zu riskant. Dabei wäre gerade eine vielseitige Grundausbildung so immens wichtig, denn hierbei geht es unter anderem um Sattelfestigkeit und die Entwicklung von Selbstbewusstsein.

Gelerntes gibt Sicherheit

Je besser ein Reitanfänger, egal welchen Alters, die unterschiedlichen Sitzformen erlernt, je mehr unterschiedlichen Balance- und Geländeanforderungen er sich gegenübersieht und damit vertraut wird, desto sicherer wird er im Sattel. Man spricht unter Fachleuten hier von Bewegungssicherheit, die entsteht, wenn eine Bewegung gut erklärt, oft geübt und verinnerlicht wurde. Bewegungssicherheit beugt Angst beim Reiten vor. Ein kleinschrittiger Unterricht, der vielfältige Bewegungen erlernen und viel Zeit für Wiederholungen lässt, sorgt für Vertrauen und Sicherheit – und lässt damit Angst gar nicht erst entstehen. 

Die vielseitige Grundausbildung ist also auch gegen Angst im Sattel das Mittel der Wahl. Apropos Grundausbildung beziehungsweise Ausbildung. Hier liegt ein wichtiger Schlüssel, der darüber entscheidet, ob ein Reiter in seiner reiterlichen Laufbahn mutig ist, bleibt oder wird oder ob er sich in speziellen Situationen oder auch ganz allgemein im Umgang mit dem Pferd in immer mehr Ängste verstrickt. Eine entscheidende Rolle nehmen hier nämlich die Reitausbilder ein. Sie können Angst verhindern, nehmen oder schüren, je nach pädagogisch-psychologischem Geschick oder entsprechendem Ungeschick.

Angst zu haben, ist keine Schande – sich diese einzugestehen und an Dritte zu kommunizieren, erfordert Mut und ist der erste Schritt, sie zu überwinden. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Unsere Autorin Britta Schöffmann outet sich selbst als eher nicht besonders mutige Reiterin, die in ihrer reiterlichen Vergangenheit eigene Erfahrungen mit Angstbewältigung gemacht hat. „Ich hatte vor vielen Jahren einen besonders schwierigen Fuchs, der von Menschen in unserem Umfeld nur ‚Psycho‘ genannt wurde. Er war guckig bis hin zu panikartig und auf Turnieren brauchte ich mindestens eine Einlaufprüfung, um überhaupt im Viereck ohne Zwischenfall rum zu kommen. Abwechslung durch Ausreiten wäre eine gute Option gewesen, aber im Gelände war er noch unberechenbarer. Der Weg vom Viereck in den Wald führte über einen langen, schmalen Feldweg, auf dem er meist schon nach wenigen Metern knapp vor der Selbstverletzung panisch kreiselte. Irgendwann habe ich mich bzw. meine Angst selber ausgetrickst und mir vorgestellt, ich käme vom Vorbereitungsplatz und am Ende dieses langen Weges läge das Prüfungsviereck auf dem ich starten wolle. Mit dem Gedanken ‚ich will zu diesem Prüfungsviereck‘ bin ich los und habe den Weg geschafft – und von da an viele wunderbare Ausritte mit meinem „Psycho” genossen und begriffen, wie entscheidend die eigenen Gedanken sind.“

Angst ist keine Entscheidung 

Was aber macht ein Ausbilder, der bemerkt oder von seinem Reitschüler sogar hört, dass Angst das Problem ist? Auf jeden Fall darf er das nicht einfach ignorieren nach dem Motto ‚Stell dich nicht so an‘, sondern sollte versuchen, sich in den Schüler hineinzuversetzen. Für jemanden, der in ähnlichen Situationen keine Angst hat, ist das gar nicht so einfach. Denn wie sollte zum Beispiel ein Springtrainer, der selbstbewusst, technisch souverän und völlig angstfrei einen 1,50 Meter hohen Oxer überwindet, nachfühlen können, wie sich jemand fühlt, der beim Anreiten eines kleinen Kreuzsprungs schon Schweiß auf der Stirn hat. Wie gesagt, auch der gut gemeinte Satz ‚Du brauchst keine Angst zu haben‘ wird dem Reitschüler in dem Moment nicht helfen, denn er hat sich ja nicht für seine Angst entschieden. Sie ist einfach da, in Kopf und Körper. Der Kopf flüstert ‚Vorsicht, du könntest stürzen und dir wehtun‘, der Körper reagiert mit Herzrasen, die Muskulatur verkrampft sich, der Reiter wird entweder kurzatmig oder er hält die Luft ganz an. Alles an ihm signalisiert ‚Gefahr!‘ und auch das Pferd spürt dies und reagiert als Herdentier ebenfalls mit mehr oder weniger – je nach Typ – Anspannung. Die anfangs vielleicht gar nicht besonders schwierige Aufgabe, das Überwinden des kleinen Kreuzsprungs, misslingt dann möglicherweise tatsächlich, was wiederum die Angst des Reiters und die Verunsicherung des Pferdes weiter verstärkt. Ein Teufelskreis.

 

Empathie ist der Schlüssel

Wer sich als Ausbilder nicht in die spezielle Situation, hier das Springen eines Mini-Hindernisses hineinversetzen kann und stattdessen versucht, Pferd und Reiter laut brüllend mit Hilfe der Longierpeitsche über den Sprung zu treiben, darf sich nicht wundern, wenn er langfristig nur eines fördert: noch mehr Angst. Stattdessen sollte er sich eingestehen, dass es für ihn vermutlich auch in anderen Lebensbereichen Situationen gibt, die Besorgnis oder gar Angst hervorrufen. Vielleicht der geschenkte Bungeesprung, die fette, schwarze Spinne in den Haaren, das Gefühl des Ausgeliefertseins bei schweren Turbulenzen im Flugzeug, ein Kontrollverlust im Auto auf eisiger Fahrbahn – irgendetwas gibt es sicher auch beim Ausbilder, was Angst gemacht hat oder machen würde. Dieses Gefühl sollte er sich vorstellen und seinem Reitschüler ebenfalls zugestehen, auch wenn man es bezogen auf die Reiterei vielleicht nicht ganz nachvollziehen kann. Verständnis für die Angst eines anderen heißt aber nun auch nicht, dass die Angst weiterhin im Raum bleiben sollte. Wege aus der Angst gibt es viele, welcher für den jeweiligen Reiter der passende ist, muss ausprobiert werden. Ein verständnisvoller Ausbilder, der nicht auslacht oder zwingt, sondern souverän führt, kleinteilig bei den Anforderungen vorgeht, Vertrauen vermittelt, bei dem sich der Reiter sicher fühlt und so mehr Selbstbewusstsein aufbauen kann, ist einer davon. Auch Atemübungen, Entspannungsübungen, spezielle Sitzübungen, Falltraining oder die Teilnahme an entsprechenden Coaching-Seminaren können dem Reiter helfen.

Die Macht der Gedanken

Gerade in solchen Seminaren lernt man, mit den eigenen Gedanken umzugehen und sie zu beeinflussen. Wer sich zum Beispiel immer wieder selbst einredet (oder eingeredet bekommt), dass man etwas nicht kann, dass die Situation schwierig ist, dass alles schief gehen wird oder dass man sich etwas nicht zutraut, dann wird es auch nicht klappen. Sich selbsterfüllende Prophezeiung nennt man das in der Psychologie. Gerade im Umgang mit Pferden ist dies oft ein Thema, denn als Herdentiere sind Pferde sehr soziale und auch sehr empfindsame Wesen, was Ausstrahlung, Körperhaltung, Atmung und ähnliches eines Herdenmitglieds angeht. Spannt sich ein anderes Pferd an und signalisiert damit Gefahr, verhalten sich auch die übrigen Pferde alarm- und damit fluchtbereit. Ein Mensch, der sich, egal ob im Umgang oder beim Reiten, von seinen negativen Angst-Gedanken leiten und verspannen lässt, kann so Angst- und Fluchtreaktionen beim Pferd hervorrufen. Wer sich aber selbst sagt ‚ich schaffe das, ich bin gut vorbereitet, ich vertraue meinem Pferd und mein Pferd kann mir vertrauen‘ geht mit einer ganz anderen Ausstrahlung an die Sache heran. Ein wichtiges Hilfsmittel kann hier die Bodenarbeit mit dem Pferd sein, denn auch hier agieren und reagieren Pferde sehr sensibel auf den Partner Mensch. Ohne die zusätzliche Sorge vor einem möglichen Sturz vom Pferd kann sich der Reiter ganz auf sich, seine Körperhaltung, seine Aktionen und die Reaktionen des Pferdes konzentrieren und sie dann nicht nur fühlen (wie vom Sattel aus), sondern auch sehen. 

Empathie als Schlüssel: Der Ausbilder sollte die Angst des Reitschülers ernst nehmen, souverän führen und damit Vertrauen vermitteln. Foto: Stefan Lafrentz/ FN-Archiv

Auch hierbei ist die Anleitung durch einen fachkundigen Ausbilder empfehlenswert und führt nachhaltiger zum Ziel. Aber Vorsicht: Liegt eine übertriebene Angst vor, eine Angststörung, sollte ein Arzt zu Rate gezogen werden. Mit ein bisschen ‚Küchenpsychologie’ ist es dann nicht getan, denn die kann mehr schaden als nutzen. Menschen mit Angststörungen leiden und brauchen professionelle Hilfe, um raus aus ihrer Erkrankung zu kommen. Infos für Betroffene gibt es beispielsweise hier: angstselbsthilfe.de oder stiftung-gesundheitswissen. de/wissen/agoraphobie- panikstoerung/leben-mit-angststoerungen

 

Dr. Britta Schöffmann

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