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Die Arbeit mit Holzrückepferden: Hobby und Beruf

Ein PS für den Wald

Maschinen und Motoren haben die Arbeitspferde verdrängt. Wirklich? Nicht überall – in manchen Wäldern stemmen sich Kaltblutpferde wie früher in das Kummet und ziehen meterlange Holzstämme hinter sich her. Und das nicht nur im Wald, sondern sogar auf der Europameisterschaft der Holzrückepferde.
Lärm- und emissionsfrei rücken Pferde Stämme aus dem Wald bis zum Wegrand, wo Maschinen sie weiterverarbeiten können. Foto: Peter Tender
Was für ein Hingucker! Das Fell im satten Bronzeton, muskulöser Körper, der Schopf liegt cremeweiß mit kecker Welle über dem Stirnband aus Leder. Ein Pferd wie aus dem Bilderbuch. Der Schwarzwälder-Fuchs-hengst Wälderprinz würde jeden Schönheitswettbewerb gewinnen. Nur geht es hier nicht um Äußerlichkeiten, sondern um die inneren Werte: um Leistungswillen, um brachiale Kraft und zentimetergenaue Präzision. Mächtige Kaltblutpferde legen sich mit ihrem gesamten Körpergewicht in das Kummet, um einen langen Baumstamm zwischen verschiedene Hindernisse zu bugsieren. Etwa durch Gassen, auf Pfählen liegen Bälle wie beim Kegelfahren der Kutschpferde. Rumpelt der Stamm an den Pfahl und der Ball fällt runter, gibt es Strafpunkte. Den Parcours meistern die Pferde erst alleine im Geschirr, später im Zweispänner: So wird jeweils der Titel des Europameisters im Holzrücken ausgetragen.

Wälderprinz & Co.

Das Championat der etwas anderen Art findet alle zwei Jahre im Rahmen der Veranstaltung „Pferde Stark“ im ostwestfälischen Dörentrup statt. Vor der Kulisse des Schlosses Wendlinghausen treten Profi- und Amateur- Holzrücker gemeinsam mit ihren Pferden an. Ein buntes Starterfeld: Mario Kaufmann hat in Brandenburg einen professionellen Holzrückebetrieb mit mehreren Angestellten. Er lebt von und mit seinen Arbeitspferden. Der Österreicher Bruno Nigsch ist im echten Leben Tierarzt, für ihn ist Holzrücken das Hobby. Er liebt es, auf Augenhöhe mit dem Pferd zu sein. „Holzrücken ist die beste Form von Bodenarbeit und setzt eine gute Ausbildung des Pferdes voraus.“
Schönling Wälderprinz. Foto: Cornelia Höchstetter
Neben Wälderprinz steht sein Besitzer und Fuhrmann Matthias Buchmann aus Braunschwede in Sachsen-Anhalt und wartet auf seinen Start. „Die Schwarzwälder haben einen sehr guten Charakter, sind arbeitswillig und brauchen weniger Futter als die schweren Kaltblüter“, erklärt er seine Vorliebe für die kompakten Füchse mit dem hellen Langhaar. Es sind also die Energiesparmodelle unter den Arbeitspferden. Seinen Wälderprinz hat Matthias Buchmann als Absetzer aus dem Schwarzwald gekauft, aufgezogen und zum Holzrückepferd ausgebildet. Die Ausbildung der Pferde ist so individuell wie die anwesenden Kaltblutrassen und die Fuhrleute. Da gibt es welche wie Matthias Buchmann, die schon immer und von klein an mit Pferden arbeiten. Manche sind Autodidakten, die den erfahrenen Holzrückern über die Schulter schauen. Die einen gehen regelmäßig in den Wald, beauftragt von Förstern oder privaten Waldbesitzern. Die anderen haben sich zuhause einen Übungsplatz gebaut, analog zum Springparcours lotsen sie ihre Pferde beim Schleppen des Holzstammes durch. Einfach so zum Spaß. Oder: Bodenarbeit für echte Kerle. Frauen sind unter den Holzrückern in der Minderzahl.
Es gibt auch ein modulares Ausbildungsprogramm der Interessensgemeinschaft Zugpferde e.V. (IGZ). Der Verein hat eine eigene „APRI“, eine Ausbildungs- und Prüfungsrichtlinie, nach der Fuhrleute sich zertifizieren lassen können. Zu Anfang lernt man mit einem tausendprozentig erfahrenen Rückepferd der Ausbilder. Es werden Kurse im Holzrücken, im „Gewerblichen Fahren“ und der „Landwirtschaft“ angeboten. Dass Holzrücken nicht ungefährlich ist, kann sich jeder vorstellen. Die Stämme mit einem halben Meter Durchmesser wiegen mehrere hundert Kilo, die Pferde sind und bleiben Pferde. Ganz schnell könnten Finger, Hand oder ein ganzer Mensch zwischen Tier, Baum und Ketten geraten. Deshalb sind gut erzogene Pferde und besonnene Fuhrleute sowie fundierte Kenntnisse wichtig.

Interessensgemeinschaft Zugpferde e.V.

Innerhalb der IGZ gibt es den Arbeitskreis Forstwirtschaft, der die Deutschen Meisterschaften ausrichtet, aber auch zum Beispiel den Heinrich-Cotta-Preis verleiht: Den erhält alle vier Jahre ein forstwirtschaftlicher Entscheidungsträger für den Einsatz von Pferden. www.igz.de
Zwischen den tonnenschweren Percherons und Comtois-Pferden ist Wälderprinz eher der athletische Schmalhans mit einem Stockmaß von 1,60 Metern, mit Hufeisengröße 6 und einem Körpergewicht von 700 Kilogramm. Foto: Cornelia Höchstetter
Gelassenheit ist unverzichtbar für ein gutes Holzrückepferd. Foto: Cornelia Höchstetter
Buchmann selbst ist in der DDR aufgewachsen und hat als 13-jähriger Bub für Kleinbauern die Kartoffeln gesteckt. Natürlich mit Pferd auf dem Acker. Arbeitspferde sind seitdem seine Passion, auch wenn er dazwischen bis 1995 im Sattel unterwegs war. Bis zur Klasse L ist er Springen geritten. Dann begleitete er immer mal einen Bekannten zum Holzrücken in den Wald, bis er selber mit eigenen Pferden anfing. Erst mit Rheinisch-Deutschen Kaltblütern, die ihm aber zu groß, zu futterintensiv und zu aufwändig waren. Es folgte eine Reise in den Schwarzwald nach St. Märgen, wo er inzwischen schon fünf Schwarzwälder direkt beim Züchter kaufte.

„Dressur“ des Holzrückens

Heute findet die Arbeit am Baumstamm nicht im stillen Wald statt, sondern vor tausenden Zuschauern, die nach Dörentrup gekommen sind. In diesem Jahr stehen zwölf Starter im Finale der Ein- und 15 im Finale der Zweispänner. Die Teilnehmer kommen aus Deutschland, der Schweiz, aus Österreich, Tschechien, Dänemark und den Niederlanden. Die elf Hindernisse in der Bahn vor der Kulisse von Schloss Wendlinghausen geben realistische Situationen im Wald wieder und müssen in elf Minuten bewältigt werden: Die Pferde müssen den Stamm durch einen Wassergraben ziehen, über eine Brücke, rückwärts schieben, ruhig neben einer kreischenden Motorsäge stehen. Einmal muss das Holzrückepferd den etwa acht Meter langen Stamm über einen anderen ziehen, exakt so weit, dass er in der Schwebe in der Waage liegt. „Das ist die Dressur der Holzrückepferde“, sagt Reinhard Hundsdorfer aus dem bayerischen Denkendorf, ein anderer Teilnehmer. Er ist amtierender Deutscher Meister im Zweispänner und Bayerischer Meister im Holzrücken. Als junger Bursche ist Hundsdorfer noch mit einem Vollblutaraber Distanz geritten. Hundsdorfer erklärt den schwierigsten Teil des EM-Parcours der Holzrücker. Die Aufgabe ist freiwillig, denn jetzt dirigiert der Pferdeführer sein Pferd ohne Leinen, nur mit Stimme über eine Teilstrecke des Parcours. Hier hat jeder seine Kommandos. Ein Bayer wie Hundsdorfer nuschelt „Wiast“ für Links und ein scharfes „Hott“ für Rechts. Nur vor so vielen Zuschauern driftet doch so mancher Kaltblüter ab und helfende Hände packen ans Halfter, bevor das Holzrückepferd zum Fluchttier wird.
Die Zuschauer in Dörentrup sind begeistert von der Zusammenarbeit Pferd-Mensch, am Zaun in der ersten Reihe ist kein Platz mehr frei. Matthias Buchmann ist endlich an der Reihe, Wälderprinz steht nun auf dem Prüfungsplatz. Die Kette um den Baumstamm und los geht es. Ziemlich am Anfang muss der Hengst den Stamm über eine natürliche Stufe in den Wald hineinziehen. Das ist jetzt Sache des Fuhrmanns, einen geschickten Winkel zu finden, damit der Stamm mit möglichst wenig Ruckeln über die Schwelle gleitet. Wälderprinz verschwindet zwischen den Bäumen. Als er wieder auftaucht, lacht das Publikum: Im Maul des Hengstes steckt schon mal ein grüner Zweig. Zwischenmahlzeit fürs Pferd, oder Vorschuss-Lorbeeren? Der Schwarzwälder dreht die Öhrchen zu Matthias Buchmann und hört auf ihn. Einmal muss Buchmann das Pferd umspannen, kniet fast an den Hinterbeinen seines Pferdes, das stoisch wartet. Geduld und gute Nerven gehören auf jeden Fall zu den Eigenschaften von Holzrückepferden. Auch im Wald müssen sie zwischen den Rückevorgängen immer wieder lange Zeit an Ort und Stelle warten.
Verschmuster Koloss: Ein Belgisches Kaltblut wiegt bis zu 1.000 Kilogramm! Foto: Cornelia Höchstetter

Der Weg zum vierbeinigen Profi

Wie sieht der Ausbildungsweg der Holzrückepferde aus? Auch hier – individuell. Am Anfang steht das Longieren, manchmal auch schon mit dem Geschirr am Pferd. Viele fahren erst vom Boden aus, hängen das Ortscheit an die Zugstränge, damit das Pferd sich an die Geräusche und an die Berührung der Stränge an den Hinterbeinen gewöhnt. Dann ziehen sie leichte Gummireifen über den Platz. Andere spannen ihre Pferde vor die Kutsche, neben ein erfahrenes Pferd. Irgendwann kommt der erste leichtere Holzstamm ins Spiel. Die Pferde lernen, in Ruhe anzuziehen, im gleichmäßigen Schritt zu gehen. Takt ist auch hier die Basis der Ausbildung. Sie lernen auch, wenn sie Widerstand spüren, die Spannung aus den Strängen zu nehmen, sie gehen also einen Schritt zurück, damit die Stränge wieder durchhängen.
Vizeeuropameister: Wälderprinz weiß auch im Team mit Kumpel Vino zu begeistern. Foto: Cornelia Höchstetter
„Wichtig ist nur, dass man ihnen anfangs nicht zu Schweres zumutet“, sagt Buchmann. Auch Holzrückepferde kann man sauer machen. So gilt: langsames Steigern, die schweren Stämme sollten die Kaltblüter erst anpacken, wenn sie fünf oder sechs Jahre alt sind. Die Motivation zu erhalten, ist die größte Herausforderung des Fuhrmanns. Nach schwerer Arbeit ist es schlau, das Pferd mal vor der leichten Kutsche zu fahren. „Wenn die im Wald zu zweit eingespannt sind, dann motivieren die sich gegenseitig“, findet Matthias Buchmann. Abwechslung haben die Holzrückepferde naturgemäß im Jahresverlauf, weil Rückezeit nur zwischen Oktober und Mai ist.

Nostalgie oder Zukunft?

Macht Holzrücken mit Pferden wirklich Sinn oder ist es Nostalgie? In der Forstwirtschaft gibt es verschiedene Möglichkeiten für einen Pferdeeinsatz. Eine ist das sogenannte Kölner Verfahren, eine Kombination zwischen Mensch-, Pferde- und Maschineneinsatz. Der Mensch fällt den Baum mit der Motorsäge. Das Pferd rückt die Stämme an die Gasse, wo – je nach Wetter – maschinelle Tragschlepper die Stämme gesammelt abholen. Der Vorteil des Pferdeeinsatzes: lärm- und emissionsfrei, ohne bodenschädigende Verdichtung, der Einsatz erhält alte Nutztierrassen – und viele Kaltblutrassen stehen auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Nutztierrassen. „Wohllebens Waldakademie“, ein Projekt von Förster und Buchautor Peter Wohlleben aus Wershofen in der Eifel, befürwortet den Einsatz mit Pferden. Josef Eichler ist dort Förster und sagt: „Pferde brauchen weniger Befahrungsgassen im Wald. Für Maschinen muss man Schneisen frei räumen, manchmal auch gesunde Bäume fällen, die im Weg stehen. Ein Pferd ist manövrierfähig und kann um die Bäume herum die Stämme zum Weg schleppen. Der Schaden an lebenden Bäumen ist mit Pferden definitiv kleiner.“
Manovrierfähig: Das Pferd schleppt die Stämme um die Bäume herum und ist dabei wesentlich flexibler, als eine Maschine es wäre. Foto: Peter Tender
Konzentriert bei der Arbeit. Pferd und Mensch sind ein eingespieltes Team. Foto: Antje Jandke
Das größte Problem der schweren Maschinen: „Sie vibrieren und das verdichtet den Boden unter der Maschine“, erklärt Josef Eichler. Einen hohen Druck wirken die Hufe auch auf den Boden aus. Aber sie vibrieren nicht. Bis zu zwei Meter tief wird der Waldboden damit erschüttert. „Luftporen entweichen, die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens leidet oder geht verloren und das Bodenleben erlischt“, erläutert Eichler. Weniger Wasser im Boden, heißt weniger Wasser für die Bäume, und das in Zeiten der akuten extremen Trockenheit. Die Schlussfolgerung: Pferde stabilisieren das Ökosystem des Waldes und auch dessen Wirtschaftlichkeit. „Zumindest langfristig, kurzfristig ist der Pferdeeinsatz teurer als die Maschinen. Aber langfristig dank der Erhaltung des Bodens ist der Pferdeeinsatz wirtschaftlich günstiger. Im gesunden Boden wachsen Bäume besser“, erklärt Josef Eichler. Momentan wird in der Waldarbeit das Pferd nur zu einem kleinen Bruchteil eingesetzt. „Deshalb möchten wir die Arbeit mit dem Pferd im Wald mit solchen Wettbewerben der Bevölkerung wieder näher bringen“, sagt Ines Bruchhold, Buchmanns Lebensgefährtin, die selbst Holzrückerin ist. „Obwohl für uns ausreichend Arbeit da wäre, werden wir immer noch zu wenig eingesetzt. Politisch und in der Bevölkerung muss ein Umdenken stattfinden! Dafür kämpfen wir.“
Trittsicher durchs Unterholz. Viele Kaltblutrassen stehen auf der „roten Liste“ bedrohter Nutztierrassen. Foto: Antje Jandke
Das Pferd wartet geduldig, während der Mensch den Stamm ankettet. Foto: Antje Jandke

Zahlen bitte!

Immerhin gibt es staatliche Fördergelder für den Pferdeeinsatz. Der schwankt von Bundesland zu Bundesland. Vorreiter ist Thüringen: Dort zahlte das Land in den Jahren 2017/2018 insgesamt 80.000 Euro, die zu hundert Prozent in die Waldarbeit mit Pferden eingeflossen sind. Für 2019/2020 stellt das Land Thüringen erstmals 120.000 Euro zur Förderung der Pferderückung zu Verfügung. Auftraggeber sind meist Forstämter oder Privatwaldbesitzer. Sie engagieren Holzfäller, der wiederum arbeitet dann mit pferdebespannten Fuhrleuten den Auftrag gemeinsam ab. Wer einen Holzrücker mit Pferd sucht, wendet sich an die Interessensgemeinschaft Zugpferde (IGZ). Die pflegt eine Holzrückerliste, auf der derzeit 53 Pferdeleute ihre Dienste anbieten, manchmal sogar mit Angestellten und mehreren Gespannen. Der Preis wird persönlich verhandelt, er richtet sich nach Menge und Art des Holzes, nach Geländegegebenheit und mehr. Unabhängig von der IGZ gibt es gerade in Bayern und Baden-Württemberg viele selbstständige Rücker.
Mit Leinen und Stimme dirigiert der Holzrücker sein Pferd. Von Oktober bis Mai dauert die Saison. Foto: Antje Jandke.
Mehrere hundert Kilo kann ein Baumstamm wiegen. Das Pferd zieht ihn sanft aus dem Wald. Foto: Antje Jandke
Dass ausgerechnet im Süden des Landes viel Holz gemacht wird, kommt nicht von ungefähr. Dort leben die meisten Kaltblutpferde. 17 Kaltblutrassen sind bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) registriert, 4.322 eingetragene Stuten gibt es insgesamt. Die größte Gruppe machen die Süddeutschen Kaltblüter mit 1.844 eingetragenen Zuchtstuten aus, gefolgt von den Rheinisch-Deutschen Kaltblütern mit 1.094 Stuten. Die dritte Gruppe sind die Schwarzwälder Füchse mit 1.000 Stuten. Wälderprinz, der gekörte Hengst, gibt in Dörentrup nochmal eine Empfehlung für die schönen Schwarzwälder ab: In der zweiten Prüfung zieht er mit Wallach-Kumpel Vino den Stamm über den Platz, es gelingt eigentlich alles prima. Der Fuhrmann freut sich, die Zuschauer klatschen begeistert. Eine Stunde später findet die Siegerehrung vor dem Schloss statt. Ohne Pferde. Aber mit einem großen Jubel: Matthias Buchmann und seine beiden Schwarzwälder werden bei den Zweispännern Vizeeuropameister! Cornelia Höchstetter

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