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Deutschlands Haupt- und Landgestüte, Teil 5: Moritzburg und Graditz

Zwischen Märchenschloss und Fahrkultur

Es gibt sie im Norden, Süden, Osten, Westen: Haupt- und Landgestüte als kultur- und geschichtsträchtige Orte, die sich bis heute zum Erhalt einer vielfältigen Pferdezucht engagieren. Das Landgestüt Moritzburg gehört im Verbund mit dem Hauptgestüt Graditz zu den wohl schönsten in Deutschland. Neben der modernen Reitpferdezucht liegt ein besonderer Fokus auf der Zucht mit Schweren Warmblütern und der Pflege der Fahrsportkultur.

Erhaltung der existenzgefährdeten Rasse Rheinisch- Deutsches Kaltblut: Bundesprämienhengst Urmel von Udo vor dem winterlichen Schloss Moritzburg. Fotos (3): Anja Imke

Schloss Moritzburg, eines der schönsten Schlösser in Sachsen, erfährt vor allem im Winter rege Aufmerksamkeit: Spätestens dann, wenn rund um Weihnachten „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ über den Bildschirm flimmert und das Schloss sich in die zauberhafte Kulisse des legendären Märchenfilms verwandelt. Gleich gegenüber der Schlossinsel erwartet Pferdefreunde aus aller Welt aber noch etwas ganz Besonderes: das Landgestüt Moritzburg in den ehemaligen Jagdstallungen des Schlosses. Gemeinsam mit dem Hauptgestüt Graditz bei Torgau ist das Landgestüt unter dem Dach der Sächsischen Gestütsverwaltung (SGV) als Wirtschaftsbetrieb des Freistaates Sachsen vereint.

Von der Stutterey zum Hauptgestüt

Im Jahr 1828 wurden in den ehemaligen kurfürstlichen Jagdstallungen in Moritzburg (erbaut 1733) erstmalig 38 Hengste als Landbeschäler aufgestellt. Das Hauptgestüt Graditz kann auf eine noch weitaus längere Geschichte zurückblicken. Bereits 1630 wurde es erstmalig urkundlich als Stutterey Graditz erwähnt. 1694 ging das Anwesen in den Besitz August des Starken über, der die Gestütsanlage 1722 nach Plänen des Hofbaumeisters Pöppelmann ausbauen ließ. So entstanden das Schlossgebäude und der Gestütspark mit den drei Hauptalleen. Noch heute zählt Graditz zu den schönsten Gestütsanlagen Europas. Im Zuge des Wiener Kongresses und der Teilung Sachsens wurde Graditz 1815 zum königlich-preußischen Hauptgestüt ernannt und hoch im Blut stehende Pferde wurden zum Aushängeschild.

Erfolgreiche Vollblutzucht

Unter Oberlandstallmeister Hermann Georg Graf zu Lehndorff, Leiter der Preußischen Gestütsverwaltung und Direktor von Graditz von 1866 bis 1906, wurde die Vollblutzucht Preußens in Graditz vereint. Graditzer Rennpferde waren so erfolgreich, dass ihre Teilnahme an Galopprennen zum Teil limitiert wurde, um auch privaten Züchtern eine Chance zu lassen. Der völligen Auflösung der Gestütsherde mit Ende des zweiten Weltkrieges folgten 1948 die Gründung des volkseigenen Gestütes Graditz und der Wiederaufbau der Gestütsherde mit Englischen Vollblütern und Trakehnern. Bis 1990 gingen aus Graditzer Zucht 15 Derbysieger in der DDR und zahlreiche qualitätsvolle Trakehner Hengste hervor. 1992 fiel mit der Entstehung der Sächsischen Gestütsverwaltung die Entscheidung zur Umstrukturierung und Neuaufstellung der Stutenherde hin zur Reitpferdezucht – im Zusammenschluss mit dem Landgestüt Moritzburg. Heute besteht die Hauptgestütsherde aus 15 Reitpferde- und fünf Trakehner Stuten.

Dressurquadrille mit 25 modernen Reitpferdehengsten, geritten in historischen Uniformen zu den Moritzburger Hengstparaden. Foto: Brit Placzek

Fahrkultur im Landgestüt Moritzburg – der Schwere Warmbluthengst Edelstein v. Edano vor dem Hansom Cab im historische Innenhof.

Jagdstallung wird Landgestüt

Die historischen Stallanlagen in Moritzburg wurden im Jahr 1733 im Auftrag von August dem Starken als Kurfürstliche Jagdstallungen errichtet und beherbergten insgesamt 110 Pferde für den Einsatz zu Parforcejagden. 1828 entschied König Anton von Sachsen, Moritzburg fortan als Landstallamt zu nutzen. Seitdem wurden und werden hier ausgewählte Hengste zur Unterstützung der landeseigenen Pferdezucht gehalten. Bereits 1857 wurden 5.326 Stuten von 71 Moritzburger Hengsten gedeckt. Die einzuschlagende Zuchtrichtung war in diesem Zeitraum sehr modeabhängig und dementsprechend umstritten. Nach anfänglichem Einsatz von sehr leichten Hengsten fast aller europäischen Rassen wurde 1873 im Interesse der sächsischen Landwirte der Oldenburger als Zuchtziel verbindlich eingeführt. Erste Importe von Oldenburger Beschälern erfolgten bereits im Jahre 1871. Neben der Einführung eines Zuchtregisters (Stutbuches) im Jahre 1886 wurde die Durchführung von Stuten- und Fohlenschauen zur Beurteilung der Qualität und des Zuchtfortschrittes üblich.

Im Wandel der Zeit

Um neben dem Schweren Warmblut auch dem Bedarf an Kaltblütern für schwerste Zugarbeit im Zusammenhang mit der Intensivierung des Ackerbaus gerecht zu werden, wurden nach Norikern und Percherons Kaltbluthengste der belgisch-brabanter Zuchtrichtung eingeführt und ab 1911 zum verbindlichen Zuchtziel erklärt. Als das Pferd Ende der 1960er Jahre für die Landwirtschaft an Bedeutung verlor, erfolgte die zielgerichtete Umzüchtung der Schweren Warmblüter durch Anpaarung mit Englischen Vollbluthengsten und Trakehner Hengsten sowie die Entwicklung der bodenständigen Warmblüter hin zum modernen Reitpferd. Nach der Wiedervereinigung entschied der Freistaat Sachsen 1992, Moritzburg und Graditz unter dem Dach der Sächsischen Gestütsverwaltung zu vereinen. Die Übernahme in den Staatsbetrieb erfolgte 2004 unter Landstallmeister Dr. Matthias Görbert.

Ausbildung der Pferdewirte im Landgestüt Moritzburg: Erläuterung der Muskulatur in der Bewegung an Schulpferd Findus

Moritzburger Hengstparaden aus der Vogelperspektive, ebenfalls im Bild das wunderschöne Schloss. Foto: Matthias Ditscherlein

Vorzüge nutzen

Knapp 60 Kilometer Luftlinie trennen die Standorte der Sächsischen Gestütsverwaltung voneinander. Während in Moritzburg vor den Toren der sächsischen Landeshauptstadt Dresden der gestütseigene Hengstbestand sowie die Landesfachschule für Reiten und Fahren verortet sind, bietet das ländlich gelegene Graditz bei Torgau viel Raum für die Stutenherde der SGV und die Jungpferdeaufzucht. „Graditz bietet mit seinen weitläufigen Weideflächen und seiner Ruhe optimale Bedingungen für die Aufzucht und Grundausbildung der Pferde, Moritzburg hingegen liegt sehr zentral und steht damit im Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Mit dem modernisierten Hengstparadestadion gibt es hier gute Möglichkeiten, die Hengste zu trainieren und zu präsentieren, zum Beispiel zu den Hengstparaden im September“, erklärt Dr. Kati Schöpke, Landstallmeisterin der Sächsischen Gestütsverwaltung.

Getrennt und doch vereint

Moritzburg und Graditz sind grundsätzlich unabhängig voneinander strukturiert und organisiert. Es gibt jedoch viele Schnittstellen im Arbeitsalltag und auch bei Veranstaltungen wie den Hengstparaden oder Gestütsschauen. „In der Belegschaft ist diese Zusammengehörigkeit enorm wichtig. Deshalb möchten wir auch intern eine Einheit und Identifikation der Belegschaft mit beiden Betrieben erreichen – quasi Teambildung auf Distanz“, beschreibt Antje Kerber, Gestütsleiterin in Graditz, diese besondere Situation. Die Gestütsmitarbeiter haben prinzipiell einen festen Arbeitsort, aber ein zeitweiser Wechsel hat vor allem in der Ausbildung junger Pferdewirte einen großen Mehrwert. „Die Grundlagen in der Ausbildung sind zwar an beiden Standorten gleich, aber der praktische Aspekt weist doch große Unterschiede auf. Das beginnt schon beim Umgang mit den Hengsten hier und den Stuten und Fohlen dort. Aber auch hinsichtlich der landwirtschaftlichen Aspekte wie der Grünlandpflege sind die Aufgaben verschieden“, so Dr. Schöpke. Neben Moritzburg und Graditz betreut die SGV während der Decksaison insgesamt elf Deckund Besamungsstationen in Sachsen und Thüringen. Dort haben Auszubildende ebenfalls die Möglichkeit, weitere Aspekte der praktischen Arbeit im Zuchtgeschäft kennenzulernen.

Kindgerechte Gestütsführung zum Sächsischen Kindertag im Landgestüt: Gestütsoberwärter Gunter Paschke mit Hengst Veritas. Foto: Brit Placzek

Trakehner Champion aus Graditzer Zucht: Freiherr von Stein v. Millennium – Perechlest unter Gestütsoberwärterin Susann Göbel zu den Hengstparaden. Fotos (2): Anja Imke

Hengste für Moritzburg

In der Fohlensaison 2021 sind insgesamt 22 gestütseigene Fohlen im Hauptgestüt Graditz zur Welt gekommen. „Wir belegen unsere Stuten in erster Linie mit eigenen Hengsten. Damit können wir die Vererberqualitäten der jungen Hengste prüfen und im Idealfall für die Remontierung unseres eigenen Hengstbestandes sorgen“, erläutert Kati Schöpke. Eine Vielzahl erfolgreicher Zucht- und Sportpferde sind bereits aus der Hauptgestütsherde hervorgegangen, darunter der mehrfache Trakehner Bundesturniersieger und Erfolgsvererber Freiherr von Stein. Die nicht für den Zuchteinsatz vorgesehenen Pferde sind bei Reitern im Turnierund Freizeitsport überaus gefragt. Jedes Jahr im April bietet die SGV in Kooperation mit dem Pferdezuchtverband Sachsen-Thüringen e.V. ambitionierten Reitern eine Kollektion qualitätsvoller junger Reitpferde zum Kauf an. Auch private Züchter können im Rahmen dieser Verkaufswoche ihre Nachwuchspferde präsentieren und vermarkten.

Fahren hoch im Kurs

Fahrsport und Fahrkultur haben in Moritzburg Tradition. Der gesamte Hengstbestand des Landgestütes Moritzburg wurde vom Gründungsjahr an bis Ende der 1970er Jahre sowohl unter dem Reiter als auch vor dem Wagen ausgebildet. Die Schweren Warmbluthengste, die Kaltblüter und die Haflinger werden bis heute während der Marstallzeit einem Fahrtraining unterzogen. Nur für die Reitpferdehengste trifft das auf Grund der Spezialisierung der Zucht inzwischen nicht mehr zu. Landstallmeisterin Dr. Schöpke sagt: „Diese Tradition kommt auch in der Ausbildung zur Geltung: Alle Lehrlinge müssen zur Zwischenprüfung sowohl Fahren als auch Reiten, dadurch sind unsere Absolventen später oft besonders interessant für andere Betriebe.“ Der Erhalt und die Vermittlung der klassischen Reit- und Fahrkultur stehen im Zentrum der Sächsischen Landesfachschule für Reiten und Fahren, die seit 1991 in das Landgestüt integriert ist. Sie dient vor allen Dingen der Ausbildung von Reitern und Fahrern. Das ganze Jahr über können Reiter und Fahrer, aber auch Trainer und Richter an Aus- und Fortbildungskursen teilnehmen. Auszubildende Pferdewirte werden im Rahmen der überbetrieblichen Ausbildung auf ihre Zwischen- und Abschlussprüfungen vorbereitet. In Moritzburg stehen gut geschulte Pferde für die Reit- und Fahrausbildung zur Verfügung. Ein Teil der Kurse kann zudem mit dem eigenen Pferd besucht werden.

Hauptgestütsstute Holle v. Colestus mit Stutfohlen des Landbeschälers Lausitzer von Lahnstein.

Alte Rassen erhalten

Eine Aufgabe der Staatsgestüte ist der Erhalt von historisch bedeutsamen und existenzgefährdeten Rassen. Sie haben den Auftrag, Hengste dieser Rassen auszuwählen und den Züchtern zugänglich zu machen. Das erfolgt in der Regel in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Zuchtverbänden. Das Landgestüt Moritzburg stellt den Züchtern acht qualitätsvolle und genetisch wertvolle Hengste der Rasse Rheinisch-Deutsches Kaltblut zur Reproduktionssicherung des Stutenbestandes dieser existenzgefährdeten Pferderasse zur Verfügung. Neben den Kaltblütern gibt es in Moritzburg rund 45 Reitpferdehengste, 30 Schwere Warmbluthengste, zehn Haflinger- und zwei Reitponyhengste. „Es geht nicht darum, möglichst viele Rassen anzubieten, sondern die klassischen, in Thüringen und Sachsen angestammten Rassen im Sinne einer zukunftsorientierten Zuchtentwicklung fortzuführen. Darin haben wir Expertise und können erstklassige Genetik bieten“, resümiert Gestütsleiterin Antje Kerber. 

Besonders die Nachfrage nach dem Schweren Warmblut ist in den letzten Jahren spürbar gestiegen. „Wir erleben einen Aufschwung des Fahrsports, nicht nur auf Turnierebene. Diese Pferde sind vielseitig einsetzbar und machen inzwischen nicht nur vor dem Wagen, sondern auch im Viereck eine gute Figur. Ihre Nervenstärke und ihr freundlicher Charakter machen sie zu Verlasspferden im Gelände, sie sind genügsam und in der Regel von robuster Gesundheit – all das macht diese Rasse zu einem tollen und beliebten Sport- und Freizeitpferd“, erläutert Antje Kerber.

Artgerechte Pferdeaufzucht: Junghengstherde im Hauptgestüt Graditz. Foto: Anja Imke

Gestütsleiterin in Graditz: Antje Kerber mit Stute Linde v. Kubaner xx. Foto: Christina Bräuer

Touristisches Ziel

Moritzburg mit seinem Märchenschloss, seinen Himmelsteichen, dem Wildgehege und dem Landgestüt zieht jedes Jahr zahlreiche Gäste aus aller Welt in die kleine sächsische Gemeinde. „Wir haben ca. 1,2 Millionen Tagestouristen in Moritzburg. Wir liegen in bevorzugter Lage zum Schloss, distanzieren uns aber bewusst vom Massentourismus. Wir sind keine touristische Attraktion und auch kein Museum, sondern ein laufender Wirtschaftsbetrieb. Aber natürlich wollen wir im Rahmen von Führungen und Veranstaltungen einen Einblick darüber geben, was wir tun und warum. Wir möchten auch darüber informieren, welche Aufgaben die Staatsgestüte haben und welchen Beitrag die Pferde für unsere Gesellschaft leisten“, so Dr. Kati Schöpke. „Die im September stattfindenden Hengstparaden sind unser Veranstaltungshöhepunkt. Sie ziehen jedes Jahr ca. 20.000 Besucher nach Moritzburg.“ Im touristisch weniger erschlossenen Graditz entstehen gerade ein Besuchsleitsystem auf dem Gestütsgelände und ein Ausstellungsbereich zur Graditzer Pferdezucht. „Die Arbeit mit dem Pferd steht für uns natürlich immer im Fokus. Aber am Ende des Tages wollen wir auch die Menschen wieder näher zum Pferd bringen“, so Antje Kerber.

Das Pferd an erster Stelle

Die Zukunft der deutschen Staatsgestüte wird langfristig davon abhängen, welchen Stellenwert das Pferd zukünftig in der Gesellschaft hat. Darüber macht man sich auch im Landgestüt Gedanken. „Wir müssen uns jeden Tag aufs Neue fragen: Wie bleiben wir konkurrenzfähig? Wie bleiben wir attraktiver Arbeitgeber? Letztlich wollen wir das Verhältnis von Mensch und Pferd langfristig und auch unter modernen Gesichtspunkten stabilisieren – dafür müssen wir werben. Gesamtgesellschaftlich schwinden das Wissen und die Kultur rund um dieses faszinierende Tier. Das macht eine staatliche Institution wie unsere mit unserem großen Erfahrungsschatz und unseren fundierten Aus- und Weiterbildungsangeboten nur umso wichtiger“, sagt die Landstallmeisterin.

Lorella Joschko

Buchtipp

Wer mehr über die Geschichte der Landgestüte in Deutschland und deren Stempelhengste erfahren möchte, kann dies in unserem Buchtipp aus dem FNverlag. Michaela Weber-Herrmann, Stephan Kube Die Deutschen Landgestüte 1. Auflage 2018 240 x 280 mm, gb. Hardcover 232 Seiten mit vielen Fotos ISBN 978-3-88542-706-3 34,90 Euro

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