Vorheriger Artikel
Ausgabe 03/2021
Namen und Nachrichten
Nächster Artikel
Ausgabe 03/2021
Jungpferdeausbildung: Interview mit Susanne Miesner
Deutschlands Landgestüte, Teil 1: Marbach
Das Pferd muss bleiben
Es gibt sie im Norden, Süden, Osten, Westen: Haupt- und Landgestüte als kultur- und geschichtsträchtige Orte, die sich bis heute zum Erhalt einer vielfältigen Pferdezucht engagieren. Dabei müssen sie sich immer wieder neu erfinden, um für die Zukunft gewappnet zu sein. Das PM-Forum stellt sie in einer neuen Serie vor. Den Auftakt macht das Baden-Württembergische Haupt- und Landgestüt Marbach.
Das Haupt- und Landgestüt Marbach lädt ein, das lebendige Kulturgut zu entdecken, so z. B. bei den alljährlichen Hengstparaden, bei denen auch die Araberstutenherde dem Publikum präsentiert wird. Foto: Oliver Seitz
Vor ungefähr 6.000 Jahren begann die einzigartige Verbindung zwischen Pferd und Mensch, die die Welt seit jeher verändert hat: Nahrungsquelle, Haustier, Lastentier, Transport- oder Kriegsmittel – die Geschichte des Pferdes hat auch die unsere geprägt. Die Landesherren waren stets bemüht, die Entwicklung der Pferdezucht voranzutreiben und somit die Wirtschaftlichkeit und Truppenstärke des Landes zu stärken. Die ersten Haupt- und Landgestüte wurden geschaffen und standen unter dem Motto: Hilfe zur Selbsthilfe. Durch die Bereitstellung der Deckhengste auf den Gestüten wurden die Landwirte entlastet und es konnten einheitlichere Pferdetypen gezüchtet werden. Der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Landespferdezucht durch Bereitstellung qualitätsvoller Hengste sowie die Erhaltung gefährdeter Rassen stellen nach wie vor die wichtigsten Aufgaben der deutschen Landgestüte dar.
Dr. Astrid von Velsen-Zerweck war eine der ersten Frauen in leitender Position eines deutschen Landgestüts, hier im Bild mal nicht mit Pferd, sondern mit Eule. Foto: Oliver Seitz
Aber auch die Ausbildung von Reitern, Fahrern und Pferdewirten nach klassischen Grundsätzen wird an den Haupt- und Landgestüten großgeschrieben – immer mit Blick auf das Wohlergehen der Pferde. Gemeinsam mit den jährlich stattfindenden Hengstparaden, den Veranstaltungen und Fortbildungsangeboten rund um die Themen Pferdehaltung, Zucht und Ausbildung sowie der Aufrechterhaltung klassischer Prinzipien stellen die Staatsgestüte nicht nur das Fortbestehen der deutschen Pferdezucht sicher, sondern stehen vielmehr als Bewahrer des Kulturgutes im Fokus, als Bewahrer dieser einzigartigen Geschichte von Mensch und Pferd.
Geschichtsträchtiges Marbach
Das Haupt- und Landgestüt Baden-Württembergs mit seiner über 500-jährigen Tradition ist das älteste der deutschen Staatsgestüte. Die erste urkundliche Erwähnung Marbachs als Zuchtstätte stammt von 1514, das genaue Gründungsdatum ist allerdings bis heute nicht bekannt. Die frühe Geschichte Marbachs ist geprägt durch Zerstörung und stetigen Wiederaufbau. Wilhelm I. reformierte 1818 schließlich die Pferdezucht in Württemberg: Marbach mit seinen Gestütshöfen und Vorwerken wurde zum Haupt- und Landgestüt, und im königlichen Hofgestüt in Scharnhausen-Weil und Kleinhohenheim baute der weitsichtige Monarch eine Vollblutaraberzucht auf, die bis heute weltweit von Bedeutung ist. Die Industrialisierung, der Mobilitätsfortschritt sowie die beiden Weltkriege gingen auch am Staatsgestüt nicht ungesehen vorbei. Die Pferdezucht wurde auf ein Neues auf die damaligen Bedürfnisse hin ausgerichtet. Dr. Georg Wenzler, Landoberstallmeister ab 1949, war gezwungen, den Marbacher Zuchtpferdebestand auf einen qualitätsvollen Kern zu reduzieren, um die Existenz zu sichern.
Der Stutenbrunnen ist das Wahrzeichen des Hauptund Landesgestüts Marbach. Ursprünglich wurde dieser errichtet, um die Stuten zu tränken, die sich im Innenhof frei bewegen konnten. Foto: Archiv Marbach
Auch heute noch wird der Stutenbrunnen gerne für repräsentative Fotos genutzt. Foto: Oliver Seitz
Schritt in die Moderne
Nach dem Zusammenschluss der Länder wurde Marbach 1952 das neue Zentrum der Pferdezucht des Bundeslandes Baden-Württembergs. Unter dem Motto „Das Pferd muss bleiben“ wurde die Zucht erneut reformiert und richtete sich vermehrt auf Sport- und Freizeitpferde aus. Mit Eröffnung der ersten Besamungsstation, einer reformierten Zuchtausrichtung und dem Zugang für die Öffentlichkeit avancierte das Gestüt zum größten Ausbildungsbetrieb für Pferdewirte in ganz Deutschland. „Mehr als 500 Jahre lang werden hier auf den Gestütshöfen und Vorwerken Pferde gezüchtet und gehalten, auf der Basis eines großen landwirtschaftlichen Betriebs. Diese Kontinuität ist einzigartig“, sagt Dr. Astrid von Velsen-Zerweck, Landoberstallmeisterin im Haupt- und Landgestüt Marbach. Marbachs Geschichte ist ohne Frage turbulent, aber genau diese Geschichte und Erfahrung macht das Gestüt auch so zukunftssicher.
Beeindruckende Zahlen
Die historischen Gestütshöfe Marbach, Offenhausen und St. Johann bilden zusammen mit den Vorwerken Hau, Fohlenhof, Schafhaus und Güterstein das Haupt- und Landgestüt Marbach. Die Gestütshöfe und Vorwerke liegen auf der Schwäbischen Alb, zum Teil bis zu 20 Kilometern auseinander. „Die Gestütsflächen liegen alle im UNESCO-Biosphärenreservat Schwäbische Alb, dadurch haben wir als Gestüt eine besondere Verantwortung, was die nachhaltige Bewirtschaftung angeht, der wir aus Überzeugung nachkommen. Vielfalt wird hier großgeschrieben“, erklärt von Velsen-Zerweck.
Der Gestütsbetrieb umfasst ca. 960 Hektar, auf denen das Futter für die Pferde größtenteils selbst angebaut wird. Zwei Drittel davon bestehen aus Wiesen und Weiden und auf einem Drittel wird Ackerbau betrieben. Die wirtschaftliche Leistung eines so großen Betriebes ist enorm. Von den rund neun Millionen Euro Jahresetat erwirtschaftet das Gestüt rund 50 Prozent selbst durch Deckgelder, Aufzucht, Ausbildung und Verkauf von Jungpferden, durch die Landwirtschaft und natürlich auch durch Tourismus und Veranstaltungen. „Wir haben verschiedene Standbeine. Das erfordert natürlich eine entsprechende Koordination, macht uns aber auch relativ krisensicher“, resümiert von Velsen-Zerweck.
Die Population der Schwarzwälder Füchse wird durch das Zuchterhaltungsprogramm stabilisiert. Zum Tiefpunkt in den 1970er-Jahren waren nur noch einige Dutzend Pferde dieser Rasse registriert. Foto: Archiv Boiselle
Bildung rund ums Pferd
Vor allem die Bildung wird auf dem Haupt- und Landgestüt großgeschrieben. So wird nicht nur in den klassischen Berufen rund um das Pferd ausgebildet, sondern es gibt auch Kooperationen mit Hochschulen, außerschulische Lernangebote und Erwachsenenbildung des in Marbach angesiedelten Kompetenzzentrums Pferd Baden-Württemberg. „Der Mensch entfernt sich immer weiter von der Natur. Wir versuchen, für verschiedene Zielgruppen möglichst viele Berührungspunkte zum Pferd und zur Natur zu schaffen“, erklärt die Landoberstallmeisterin. Seit den 1970er Jahren ist das Gestüt offen für Besucher und lädt ein, das lebendige Kulturgut zu entdecken. Seit seiner Gründung gibt es nicht nur entscheidende Impulse für die Landespferdezucht, sondern setzt auch Zeichen hinsichtlich Ausbildung von Pferd und Mensch, vorbildlicher Haltungssysteme und dem Umgang mit dem Partner Pferd.
Marbach ist Vorreiter hinsichtlich der Ausbildung von Reiter und Pferd. Die Bildung rund um das Kulturgut Pferd steht auch bei den touristischen Angeboten im Mittelpunkt. Foto: Oliver Seitz
Ein Bild wie es beim Namen „Marbach“ vielen direkt in den Kopf kommt: die Stutenherde auf der Weide. Foto: Oliver Seitz
Berühmte Araberzucht
Neben der erfolgreichen Sportpferdezucht verdankt Marbach seinen Wiedererkennungswert auch der Weil-Marbacher Vollblutaraberzucht, die auf eine über 200-jährige Geschichte zurückblickt. Das arabische Vollblut gilt als älteste reingezogene Pferderasse der Welt. Zu den ersten Zuchten außerhalb der arabischen Wüste gehörte das von König Wilhelm I. von Württemberg gegründete Privatgestüt Weil, das mit importierten Reinzuchtarabern aufgebaut wurde. Diese Zucht war weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt und prägte die Zuchten Osteuropas und die deutschen Landespferdezuchten nachhaltig. Nach König Wilhelms Tod wurde die Zucht stets weitergeführt, bis Fürstin Pauline Wied, die Tochter des letzten Königs von Württemberg, die Araberherde 1932 aus finanziellen Nöten an das Haupt- und Landgestüt Marbach übergab – mit der Bedingung, die Zucht niemals aufzugeben.
Die Weil-Marbacher Vollblutaraberzucht gilt als älteste ununterbrochen fortgeführte Zucht der Welt. Besonders zwei Stempelhengste haben die Zucht maßgeblich geprägt: zum einen Bairactar, der Stammvater der Weil-Marbacher Araber und Stempelhengst der arabischen Vollblüter weltweit, und Hadban Enzahi, der 1955 aus Ägypten importiert und zum Linienbegründer in Marbach wurde.
Nach seinem Tod wurde ihm ein Denkmal gesetzt: Hadban Enzahi, einst aus Ägypten importiert, wurde in Marbach zum Linienbegründer. Foto: Oliver Seitz
Eine gleicht der anderen: Töchter von Hadban Enzahi. Foto: Klauenberg
Von Silber zu Blond
Noch heute ist die Stuten- und Fohlenherde der Vollblutaraber einer der Höhepunkte des Haupt- und Landgestüts. Jährlich erblicken 10 bis 15 Fohlen das Licht der Welt und tummeln sich den Großteil des Jahres auf der sogenannten Paulinenhöhe, einer sich weit erstreckende Bergweide. Von deren höchstem Punkt aus blickte Fürstin Pauline Erzählungen zu Folge früher über ihre Araberherde, die nun auf Rufen der stellvertretenden Stutenmeisterin den Berghang hinabgaloppiert kommt und dessen Anblick einem zum Träumen nach weit entfernten Wüsten verleitet. „Die Vollblutaraber sind ganz besondere Pferde. Sie besitzen ein angeborenes Urvertrauen, sind äußerst sensibel und menschenbezogen“, erklärt Dr. Velsen-Zerweck.
Neben Marbachs „silberner Herde“ sind es aber die Blondinen, die die Besucher besonders verzaubern. Zu den Hauptaufgaben eines Staatsgestütes zählen nicht nur die Bereitstellung von gefragter Genetik und Veredlern für die Warmblutzucht, sondern auch die Bewahrung und Entwicklung der Vielfalt an Blutlinien und Rassen im Rahmen von Erhaltungszuchtprogrammen, zu denen auch das Schwarzwälder Kaltblut zählt. So trägt die Bereitstellung entsprechender Hengste maßgeblich zum Erhalt der biologischen Vielfalt des Pferdes im Allgemeinen und vom Aussterben bedrohter Rassen im Speziellen bei.
Ein Hingucker: die Marbacher Schwarzwälder vor der Kutsche. Foto: Oliver Seitz
Füchse aus dem Schwarzwald
Die Schwarzwälder Füchse gingen aus den Zuchten der Klöster St. Märgen, St. Peter und St. Blasien hervor. Das Hochzuchtgebiet befindet sich, dem Namen entsprechend, in den Bergen und Tälern des südlich gelegenen Schwarzwaldes. Die Zucht dieser Rasse lässt sich bis in das Mittelalter zurückverfolgen und steht unter dem Schutz des Ministeriums für Ländlichen Raum. „Die Schwarzwälder Füchse sind quasi lebendiges Kulturgut. Sie zeichnen sich vor allem durch Genügsamkeit, Adel, ein tolles Interieur und dennoch ausreichend Leistungsbereitschaft aus. Außerdem sind sie in ihrer Erscheinung einfach wunderschön“, schwärmt Dr. Carolin Eiberger, stellvertretende Gestütsleiterin. Die Hengsthaltung der „Blondinen“ in Marbach ergab sich aus dem Bedarf, gutmütige und leistungsstarke Pferde für die Landwirtschaft, Fuhrunternehmen und das Militär zu züchten, was letztlich Aufgabe der Staatsgestüte war. Durch zunehmende Motorisierung und den Rückgang der Pferdehaltung in Gänze verblasste auch die Rasse der Schwarzwälder Füchse bis zum Tiefstand in den 1970er Jahren, in denen es nur noch vier eingetragene Deckhengste gab.
Erhalt sichern
Das Erhaltungszuchtprogramm hat die Rasse mittlerweile wieder stabilisiert: Rund 700 Stuten und mehr als 30 eingetragene Hengste sichern das Fortbestehen. „Durch das Erhaltungszuchtprogramm werden die Stutenbesitzer finanziell unterstützt. Wir stellen diesen Hengste aller sieben Linien zur Verfügung – die Zucht an sich liegt aber in den Händen der Privaten“, erklärt Dr. Eiberger. Die Hengsthaltung obliegt Marbach. Jährlich steht Frischsamen von zwei Hengsten über die EU-Besamungsstation in Offenhausen zur Verfügung, der mittlerweile auch international versendet wird.
Artgerechte Haltung wird in Marbach das ganze Jahr über großgeschrieben. Foto: Oliver Seitz
Trotz der Erhaltungsverpflichtung dieser Rasse sind die Leistungsprüfungen für Stuten und Hengste anspruchsvoll. Jährlich werden ca. sieben Hengstanwärter dazugekauft. „Es ist immer wieder spannend zu sehen, wie sich die Pferde bei uns entwickeln. Letztlich werden von sieben Anwärtern im Schnitt vier gekört – das macht uns besonders stolz“, resümiert die stellvertretende Gestütsleiterin. Sie fährt fort: „Ziel muss es aber dennoch sein, dass die Rasse wieder auf eigene Füße kommt. Die Strukturen müssen funktionieren, die Linien müssen beachtet werden, es müssen sich private Hengsthalter herauskristallisieren. Es kann nicht dauerhaft Aufgabe des Staates sein, die Zuchten maßgeblich aufrechtzuerhalten.“
Schweres Warmblut
Auch für die Rasse des Altwürttembergers wird in Zusammenarbeit mit den Züchtern und dem Pferdezuchtverband ein Erhaltungszuchtprogramm verfolgt. Sein Zuchtziel „Herr und Bauer“ hatte bis in die 1960er Jahre Bestand, wurde dann aber durch die vermehrte Ausrichtung auf Reitpferderassen beinahe bis zum Verschwinden verdrängt. „Für die Altwürttemberger setzen wir uns mit viel Herzblut und Engagement ein. In Baden-Württemberg gibt es nur noch ca. 50 eingetragene Zuchtstuten. In Marbach halten wir fünf Hengste verschiedener Blutlinien für die Züchter vor“, sagt Dr. Velsen-Zerweck.
Das könnte Sie auch interessieren:
Der Altwürttemberger: Herr und Bauer zugleich
Zeiten des Umbruchs
Die Staatsgestüte befinden sich in stetigem Zwiespalt zwischen dem Erhalt von Kultur und der Notwendigkeit, sich weiterzuentwickeln. Diese Herausforderung hat Dr. Astrid von Velsen-Zerweck 2007 als erste weibliche Landoberstallmeisterin mit Bravour angenommen: „Marbach ist für mich mein Lebensmittelpunkt und meine Heimat geworden. So ein Gestüt, das immer noch komplett besteht, gibt es nicht zweimal und ich empfinde es als großes Privileg, hier leben und es gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gestalten zu dürfen.“ Das Haupt- und Landgestüt Marbach atmet seine mehr als 500-jährige Geschichte, das wird dem Besucher beim Durchschreiten der Gestütshöfe und Vorwerke bewusst. Das Wahrzeichen Marbachs, der Stutenbrunnen mit dem Porträt Wilhelms I., erinnert an wichtige Reformen innerhalb der staatlichen Pferdezucht. In so einer Zeit des Umbruchs befinden sich die Staatsgestüte auch heute wieder. „Die Staatsgestüte zu erhalten, bedeutet zukunftsorientiert zu denken und zu handeln“, resümiert die Landoberstallmeisterin.
Lorella Joschko
Buchtipp
Wer mehr über die Geschichte der Landgestüte in Deutschland und deren Stempelhengste erfahren möchte, kann dies in unserem Buchtipp aus dem FNverlag.
Michaela Weber-Herrmann, Stephan Kube
Die Deutschen Landgestüte
1. Auflage 2018
240 x 280 mm, gb. Hardcover
232 Seiten mit vielen Fotos
ISBN 978-3-88542-706-3
34,90 Euro
Vorheriger Artikel
Ausgabe 03/2021
Namen und Nachrichten
Nächster Artikel
Ausgabe 03/2021
Jungpferdeausbildung: Interview mit Susanne Miesner