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Deutschlands Haupt- und Landgestüte, Teil 4: Redefin

Tourismus als Zugpferd

Es gibt sie im Norden, im Süden, Osten, Westen: Haupt- und Landgestüte als kultur- und geschichtsträchtige Orte, die sich bis heute zum Erhalt einer vielfältigen Pferdezucht engagieren. Das Landgestüt Redefin gehört mit 29 Hengsten zu den kleinsten in ganz Deutschland. In Redefin steht das Pferd nach wie vor im Mittelpunkt – aber vor wechselnden Kulissen, denn Sport- und Kulturveranstaltungen werden immer wichtiger.

16 Pferde und 186 Meter Leinen vor einer Kutsche sind das Ergebnis langjähriger Ausbildung und Erfahrung. Foto: Boiselle

Aufbrausende Zeiten

Das Landgestüt Redefin blickt auf eine Jahrhunderte alte Tradition zurück. Das Gründungsjahr liegt zwar erst im 19. Jahrhundert – genauer 1812 – Pferde wurden auf den Gestütsanlagen aber bereits 1710 gezüchtet. Die ursprüngliche Stuterei – veraltet für Gestüt – wurde 1795 allerdings aufgelöst. Herzog Franz Friedrich I. bekundete im selben Jahr den Wunsch, ein Landgestüt in der Gegend aufzubauen. Erste Pläne zu diesem Vorhaben gehen auf Johann Georg Christoph Koch zurück, den damaligen Leiter des Landgestüts Celle. Standort des Marstalls war noch Ludwigslust, an den Redefin nach den Wirren der französischen Revolution allerdings angeschlossen wurde. Erste Zuchtbestimmungen stammen von 1828: Stuten mussten vor der Belegung beurteilt und eingetragen werden, nur so erhielten sie eine gültige Deckbescheinigung. Nach einem ersten Aufschwung der Pferdezucht in Mecklenburg wurde das Hauptgestüt 1847 geschlossen, auch der Versuch, Kaltbluthengste mit Halb- und Vollblutstuten zu kreuzen, scheiterte. Um dem geschwächten Ansinnen der Zucht wieder zu neuem Glanz zu verhelfen, importierte man ab 1873 Hannoveraner Hengste, die ursprünglich aus den Mecklenburgern hervorgegangen waren.

Bis 1937 waren knapp 70 Prozent der Landbeschäler Hannoveraner. Die Kooperationen zwischen Celle und Redefin waren so tief verwurzelt, dass die beiden Zuchten in Abstammung, Typ und Leistung beinahe übereinstimmten. Der Mecklenburger Warmblutzuchtverband gründete sich bereits 1913 und hielt Zuchtbestimmungen und Ziele fest. Einen großen Aufschwung für die Pferdezucht brachte der erste Weltkrieg mit sich, in erster Linie aber deshalb, weil die Verluste enorm hoch waren. Knapp 2,5 Millionen Pferde sollen in den Kriegsjahren in Lazaretten behandelt worden seien. 1920 deckten in Redefin 176 Hengste beinahe 10.000 Stuten, im Vergleich zu 1930 – nach der Weltwirtschaftskrise – lediglich noch rund 2.330 Stuten. Landbeschäler wurden reduziert und Personal drastisch abgebaut. Ab 1934 wurden schließlich auch erste Bestimmungen für Stuten erlassen: Ab sofort galt der Stutenstamm als ebenso wichtig, was Kreuzungen edler Hengste mit Kaltblutstuten Einhalt gebot. Nach dem zweiten Weltkrieg fielen die Hengste den russischen Soldaten zum Opfer und wurden beschlagnahmt. Lediglich 13 Hengste blieben in Redefin zurück. Um die Bevölkerung zu ernähren und die Landwirtschaft anzukurbeln, wurden schließlich alle deckfähigen Hengste und zuchttauglichen Stuten erfasst und aufgepäppelt.

Das klassizistische Reithallenportal ist einmalig und das Aushängeschild des Landgestüts Redefin.

Das umfangreiche Gelände ist prädestiniert für Veranstaltungen und lockt Besucher aus aller Welt. Fotos (3): Lorella Joschko

Belegungszwang für Stuten

Nach Beendigung der sowjetischen Besatzung wurde Redefin 1949 in das Volkseigentum überführt. Es galt ein Belegungszwang für alle gesunden Stuten – der Bedarf an Wirtschaftspferden stand über dem Anspruch nach qualitätsvoller Pferdezucht. Mitte der 50er-Jahre wurde das Zuchtziel letztlich angepasst und Trakehner und Araber hielten Einzug in die Mecklenburger Pferdezucht. 1993 erfolgte schließlich die Übernahme Redefins durch das Land Mecklenburg-Vorpommern. Es folgten umfassende Sanierungs- und Renovierungsarbeiten sowie eine Neuausrichtung des Hengstbestands.

Klein, aber oho

Das Landgestüt Redefin zählt zu den kleinsten Landgestüten der Bundesrepublik. Im Zuchtjahr 2021 sind 29 Hengste aufgestellt, die eine große Rassevielfalt sowie vielseitiges Vermögen mit sich bringen: darunter Reitpferdehengste, Lewitzer, Kaltblüter und ein Vollblüter. „Neben zwei Deck- und Besamungsstationen haben wir zu Beginn des Jahres einen Außendienst unter der Leitung von Doreen Buck etabliert“, erklärt Gestütsleiter Christoph Seite, der das Amt auch erst seit 2020 innehat. Nicht nur die Größe des Landgestüts macht der Wirtschaftsleistung zu schaffen, besonders die sich verändernde Wettbewerbssituation der vergangenen Jahre birgt große Herausforderungen.

„Das Züchterklientel hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt: Es mehren sich Züchter mit weniger Erfahrung und anderen Ansichten, die nicht in der Zeit der traditionellen Landgestüte ins Zuchtgeschehen eingestiegen sind. Gerade zu diesen Züchtern müssen wir einen guten Kontakt aufbauen. Wir können uns nicht auf unserer Stammklientel ausruhen, die im Laufe der Zeit weniger geworden ist“, resümiert der zukunftsorientierte Gestütsleiter. Mit gerade mal drei dressurbetonten Hengsten im Katalog ist das Landgestüt Redefin eher springlastig aufgestellt. Die qualitative Auswahl an Vererbern hält die Bedeckungszahlen in einem guten Bereich mit steigender Tendenz. Zugpferd des Jahres ist Go for Romance, der die Züchter mit seiner sehr guten Genetik überzeugt hat. „Pferdezucht ist immer noch ein B to C Geschäft. Wir müssen mit den Züchtern in Kontakt treten und unsere Stärken auf diesem Gebiet aufzeigen“, sagt Seite, der vorher Geschäftsführer der Paul Schockemöhle Pferdehaltung GmbH war.

2012 feierte das Landgestüt Redefin sein 200. Jubiläum – aber schon gut 100 Jahre vorher wurden auf dem historischen Gelände Pferde gezüchtet.

Gästehaus, Hotel und Café laden Touristen und Lehrgangsteilnehmer zum Verweilen ein. Foto: Archiv Redefin

Ausbildung als Schwerpunkt

Die Landesreit- und Fahrschule ist für seine herausragende Qualtität weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt und stellt darüber hinaus mit seinen elf Auszubildenden Mecklenburg- Vorpommerns größte Ausbildungsstätte zum Pferdewirt dar. „Wir können hier natürlich nicht die Vielzahl an Personen ausbilden und sind personell grundsätzlich effizient und im Vergleich zu anderen Staatsgestüten kleiner aufgestellt, aber dafür können wir gerade durch das kleine Team eine hervorragende und individuelle Ausbildung gewährleisten“, erklärt Heiko Strohbehn, Verantwortlicher für die Landesreit- und Fahrschule sowie Landestrainer Mecklenburg- Vorpommerns. Tradition wird auf dem historischen Gelände nach wie vor gepflegt: Das Personal tritt den Dienst ganz klassisch in der traditionellen Uniform des Landgestüts an und trägt damit wortwörtlich zur Weiterführung des Kulturguts bei. „Wir vereinen Kultur und Moderne, das macht die Arbeit in Redefin so spannend“, resümiert der Pferdewirtschaftsmeister. Neben der klassischen Ausbildung zum Pferdewirt stellt Redefin aber auch Fortund Weiterbildungen im Bereich des Reit- und Fahrsports dar: Trainer- und Richterausbildungen sowie klassische Reitlehrgänge runden das Programm in Redefin ab.

Erstklassige Pferde

„Gerade wenn man auch eine etablierte Reit- und Fahrschule angeschlossen hat, muss man natürlich auch für die Qualität der Reit- und Fahrpferde sorgen. Darum sind wir unfassbar stolz, unseren Lehrgangsteilnehmer erstklassige Pferde zur Verfügung stellen zu können“, erklärt Gestütsleiter Seite. Gerade auch die frisch renovierten und sanierten Wirtschaftsgebäude und Unterkünfte laden zum Verweilen ein. Für Lehrgangsteilnehmer gibt es ein direkt angeschlossenes Gästehaus sowie für die Pferde großzüge Gastboxen und Auslaufmöglichkeiten. „Durch unsere große Nutzfläche und die dagegen geringen Personalzahlen müssen aber eben auch alle mit anpacken, um das Gelände in Schuss zu halten – es gibt genug zu tun und langweilig wird es sicher nicht“, sagt Seite. Neben der reiterlichen Ausbildung steht auch die Ausbildung des Reitund Fahrpferdes im Fokus. „Wir streben eine qualitative und schonende Ausbildung der Pferde an. Gerade durch unsere kleine Aufstellung was Personal und Landbeschäler betrifft, können wir uns die Zeit nehmen, die die Pferde in ihrer Ausbildung benötigen“, erklärt Strohbehn.

Die Landesreit- und Fahrschule genießt Bekanntheit weit über die Landesgrenzen hinaus. Foto: Gabriele Boiselle

In Redfin gibt es keine klassische Hengstparade mehr. Zusätzlich zur Präsentation der Landbeschäler gibt es andere Attraktionen. Fotos (2): Gabriele Boiselle

Tourismus mit Pferd verbinden

„Pferde allein funktionieren nicht mehr. Es gibt zu wenige Touristen, die nur der Pferde wegen Redefin und das Umland besuchen. Wir müssen uns also die Frage stellen, was die Leute interessiert und was sie erwarten – und diesen Erwartungen müssen wir uns stellen!“ Wie alle Haupt- und Landgestüte bezieht auch Redefin den Tourismus in das alltägliche Geschäft ein und wie bei allen anderen touristischen Ausflugszielen hat Corona der Jahresplanung einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht. Neben den pandemiebedingten Einbußen müssen sich die Haupt- und Landgestüte aber grundsätzlich dem großen Umbruch stellen, dass Pferde alleine nicht mehr ausreichen, um die Touristenströme anzulocken.  

„Die Pferde sollen natürlich immer die Nr. 1 bei uns bleiben, aber wir müssen Schnittstellen finden, um Tourismus mit professioneller Pferdezucht und Ausbildung in Einklang zu bringen – die Ressourcen sind da, warum sollten wir diese nicht nutzen?“, appelliert Christoph Seite. Der Gestütsleiter, der selbst aus der Marketing-Branche kommt, hat genügend Ideen – und auf dem Gelände des Gestüts Redefin vor allem auch genügend Platz, um diese Ideen umzusetzen. So wird es die Gäste der Mecklenburger Festspiele auch im kommenden Jahr nicht mehr nur in Konzerthäuser, sondern auch in die imposante Reithalle des Landgestüts locken. Gleich an drei Terminen verwandelt sich die Reithalle mit dem einzigartigen vorgelegenen Portal in einen Konzertsaal der Extraklasse.

Buchtipp

Wer mehr über die Geschichte der Landgestüte in Deutschland und deren Stempelhengste erfahren möchte, kann dies in unserem Buchtipp aus dem FNverlag. Michaela Weber-Herrmann, Stephan Kube Die Deutschen Landgestüte 1. Auflage 2018 240 x 280 mm, gb. Hardcover 232 Seiten mit vielen Fotos ISBN 978-3-88542-706-3 34,90 Euro

Hengstparade – aber anders

„Wir verabschieden uns auch von den klassischen Hengstparaden. Wir wollen Touristen auch ohne Pferdeaffinität ein Ausflugsziel bieten“, erklärt Seite. Dabei wird die klassische Präsentation der Landbeschäler durch Falkner-Vorführungen, Voltigier- Shows, live Schmieden und zahlreiche Stände, die zum Bummeln und Flanieren einladen, ergänzt. 

Der Winterzauber mit Weihnachtsmarkt rundet das Veranstaltungsjahr in Redefin ab. „Das Konzept findet sich noch absolut im Aufbau. Wir haben aber schon begriffen, wie viel Potential in Redefin steckt. Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass wir und auch die anderen Gestüte sich breit aufstellen und ein großes Publikum ansprechen müssen, um auch langfristig zukunftsfest zu sein“, resümiert der Gestütsleiter. Eine der Ideen des neu eingesetzten Gestütsleiter war es auch, dass in das Landstallmeisterhaus ein Hotel integriert, ein Gästehaus und ein direkt angeschlossenes Café etabliert wurden. Der Bezugspunkt zum Pferd soll natürlich erhalten bleiben. Pferde erzeugen seit Jahrhunderten Emotionen und verzaubern sowohl Groß als auch Klein. „Redefin steht für etwas: für herausragende Pferde und herausragende Ausbildung. Der Pferdebezug muss bei jeder Veranstaltung erhalten bleiben. Die Besucher sollen Pferde erleben, aber eben vor wechselnden Kulissen – damit stärken wir den Standort und etablieren uns weiter als Hotspot der Sport- und Kulturszene in Mecklenburg-Vorpommern“, schließt Seite.

Aufruf für mehr Zusammenhalt

Die Landgestüte sehen sich immer mehr dem Wettbewerb auf breiter Front ausgesetzt. Die historischen Landgestüte vermitteln dabei weit mehr als nur Genetik: Hier treffen sich Kultur, Historie und Moderne. „Alle Haupt- und Landgestüte zusammen sind ein einzigartiges Konglomerat, das für die Verbindung von Mensch und Pferd steht. Wir müssen diese Kultur wieder beleben und gemeinsame Synergien nutzen. Ich würde mir wünschen, dass wir, die deutschen Staatsgestüte, vereint auftreten und die Stärken und Schwächen jedes einzelnen auffangen und das Beste rausholen“, resümiert und appelliert Christoph Seite.

Lorella Joschko

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