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Deutschlands Haupt- und Landgestüte, Teil 3: Neustadt/Dosse

Schule und Forschung

Es gibt sie im Norden, im Süden, Osten, Westen: Haupt- und Landgestüte als kultur- und geschichtsträchtige Orte, die sich bis heute zum Erhalt einer vielfältigen Pferdezucht engagieren. Das Brandenburgische Haupt- und Landgestüt in Neustadt/Dosse vereint dabei das gute Gespür für erstklassige Pferde und rückt auch das Thema Ausbildung in den Fokus, denn nur mit folgenden, pferdebegeisterten Generationen wird sich das Kulturgut halten können.

Die Aus- und Weiterbildung ist ein zentrales Element in Neustadt/Dosse. Foto: Jana Harder

„Zum Besten des Landes“ – so hat Friedrich Wilhelm II., König von Preußen und Markgraf von Brandenburg, das Friedrich-Wilhelm Gestüt und das Landgestüt Lindenau 1788/89 gegründet, aus dem später das Hauptund Landgestüt hervorgegangen ist. Auch dokumentiert ist der Pferdebestand zum Gründungsdatum: 35 englische Stuten, 20 Zweibrücker Stuten, zwölf preußische Stuten, 13 mecklenburgische und fünf dänische Stuten, dazu noch eine Handvoll Hengste, unter anderem ein Araberhengst. Anlass zur Errichtung des Gestüts gab der damalige Reitstallmeister des Königs, Carl Heinrich August Graf von Lindenau. Dieser zeigte die Vorteile der eigenen Pferdezucht für Militär und Hof gegenüber teuren Ankäufen aus dem Ausland auf und wurde schließlich Oberstallmeister. Der Aufbau des Gestüts und die Dokumentation der Zucht entwickelten sich sehr rasch. Das Zuchtziel bzw. die Zuchtausrichtung selbst befanden sich zu dem Zeitpunkt aber noch in der Schwebe. Nachdem die Vollbluthengste aus England nicht das gewünschte Anpaarungsziel erreichten, setzte Lindenau auf reinrassige Araber, darunter auch Bayan, dessen Sohn Pretender als Zuchthengst auch im Haupt- und Landgestüt Marbach eingesetzt wurde.

Die Frage nach dem Zuchtziel

In den Wirren der Französischen Besetzung sind viele Pferde verloren gegangen, 15.000 weitere mussten an Frankreich übergeben werden. Graf Lindenau, der sein Lebenswerk in Trümmern liegen sah, zog sich zurück. Ludwig von Jagow folgte ihm und reformierte die Pferdezucht in Neustadt. 1857 wurden daraus resultierend vier Zuchtausrichtungen bestimmt: Arbeits- und Lastpferde, Kavalleriepferde, Reit- und Fahrpferde sowie Rennpferde. Trakehnen und Graditz gehörten zur damaligen Zeit noch zu den preußischen Gestüten. In Graditz wurden Vollblüter gezüchtet, in Neustadt hingegen Reitpferde. Die Absatz- und Belegungszahlen rutschten ins Bodenlose. 1895 wurde die Zucht unter Siegfried Graf von Lehndorff, Namensgeber des heutigen Graf-Lehndorff-Instituts für Pferdewissenschaften, erneut reformiert: Man setzte von nun an auf Halbblüter und Anglo-Araber. Langsam entwickelte sich ein stabiles Warmblutpferd.

„Das Kulturgut Pferd muss erhalten bleiben, aber dafür müssen wir uns immer neu aufstellen“, sagt Landstallmeister Dr. Henning Frevert. Foto: Boiselle

Die historischen Gestütsgebäude sind bis heute erhalten und machen das ganz besondere Flair auf dem Haupt- und Landgestüt Neustadt Dosse aus. Foto: Archiv HuL Neustadt/Dosse

Viehzucht vor Pferdezucht

Durch die Infrastruktur innerhalb der einzelnen Gestüte konnten große Pferdebestände, darunter 583 Trakehner, im ersten Weltkrieg nach Neustadt umgesiedelt und so gerettet werden. In den folgenden Jahrzehnten waren die preußischen Gestüte immer wieder von Umbrüchen geprägt: Neuerungen in der Zucht, Neuerungen innerhalb der Betriebsnutzung und Krieg und Krisen ließen die Neustädter Zucht auf ein Minimum schrumpfen. So wurde das Gestüt nach dem Zweiten Weltkrieg vorrangig für die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung genutzt, Viehzucht vor Pferdezucht war die Devise. Ab 1957 schwappte der Pferdesport wieder in Richtung Brandenburg und das Gestüt sollte neu aufgestellt werden. Auch die Tradition der Reit- und Fahrschule wurde wiederbelebt. Ab 1993 bekam das Haupt- und Landgestüt unter Heinz Hoppe wieder eine einheitliche Leitung, zwei Jahre später erfolgte die Übergabe der Gestüte an das Land Brandenburg.

Auf dem Weg zur Stiftung

Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Errichtung der Stiftung „Brandenburgisches Haupt- und Landgestüt in Neustadt an der Dosse“ im September 2001 stimmte das Landesparlament geschlossen für den Erhalt des preußischen Kulturerbes der Neustädter Gestüte. Die Gründung öffnete den Weg für eine stabile nachhaltige Entwicklung und die dringend notwendige grundlegende Restaurierung und Modernisierung der Gebäude und Anlagen aus Mitteln der Europäischen Union und des Landes Brandenburg. Ziel des Gründungsgesetzes der Stiftung ist es, das Brandenburger Gestüt als modernes, wirtschaftlich orientiertes Pferdezentrum zu etablieren, im Rahmen eines denkmalgeschützten Ensembles, das eine hohe kulturhistorische Bedeutung hat.

Die Hengstparade ist das Highlight des Jahres. Foto: Archiv HuL Neustadt/Dosse, Björn Schroeder

Der Reiternachwuchs soll gefördert werden unter anderem durch das Projekt „Reiten in der Schule“. Foto: Archiv HuL Neustadt/Dosse

Reiten als Unterrichtsfach

Ein Ansatz in diesem Pferdezentrum ist auch die Förderung von Nachwuchsreitern mit einem einzigartigen Projekt, das bereits seit zehn Jahren besteht und es so nur in Neustadt/ Dosse gibt. Dieses Projekt heißt „Reiten in der Schule“ und findet in Kooperation mit der Prinz-von-Homburg- Schule und der Stiftung Brandenburgisches Haupt- und Landgestüt unter sportfachlicher Leitung des Landesverbands Pferdesport Berlin- Brandenburg statt. „Mit diesem einzigartigen Projekt ermöglichen wir pferdebegeisterten Jungen und Mädchen eine pferdenahe schulische Ausbildung. Das Besondere ist, dass die Schüler nicht bereits auf sehr hohem Niveau Reiten können müssen, es geht um die Motivation, Talent und das Engagement. Viele Schülerinnen und Schüler haben zu Beginn nicht mal ein eigenes Pferd. Hier springen wir dann ein und stellen gut ausgebildete Schulpferde zur Verfügung“, erklärt Landstallmeister Dr. Henning Frevert. Viele der Absolventen, die an dem Projekt teilgenommen haben, machen im Anschluss daran auch ihre Ausbildung auf dem Haupt- und Landgestüt. So kann schon Kindern und Jugendlichen der Weg zum Pferd geebnet und ihnen eine sportliche Förderung möglich gemacht werden. Die Möglichkeit der Ausbildung im Bereich Pferdewirt im Anschluss an den Schulabschluss ist den Schülerinnen und Schülern freigestellt. Auf jeden Fall ist dieses Projekt Sinnbild für die Philosophie des Haupt- und Landgestüts Neustadt/ Dosse: Innovation und Kultur miteinander zu verbinden. 

Durch den homogenen Pferdebestand finden die Wissenschaftler und Veterinäre des Graf-Lehndorff- Instituts optimale Voraussetzungen für ihre Forschungen rund um das Pferd. Foto: Boiselle

„Das Thema Ausbildung ist grundsätzlich sehr zentral bei uns. Mit den Fachrichtungen Zucht und klassische Reitausbildung sind wir größter Ausbildungsbetrieb in ganz Berlin-Brandenburg. Auch alle anderen Auszubildenden des Landes kommen im Rahmen der überbetrieblichen Ausbildung zu uns auf das Gestüt“, erklärt Dr. Frevert. Am Haupt- und Landgestüt Neustadt/Dosse müssen alle Auszubildenden zunächst die Ausbildung mit der Fachrichtung Zucht bestehen. Reiterlich talentierte Absolventen können im Anschluss die Lehre zum Pferdewirt mit Ausrichtung klassische Reitweise ergänzen.

Forschung und Innovation

Mit dem Graf-Lehndorff-Institut für Pferdewissenschaften ist das Landgestüt auch im Hinblick auf die Forschung bestens aufgestellt. Das Institut wird gemeinsam von der Stiftung Brandenburgisches Haupt- und Landgestüt Neustadt/Dosse und der Veterinärmedizinischen Universität Wien betrieben und forscht schwerpunktmäßig in den Bereichen Zucht und Reproduktion sowie Haltung, Training, Tierschutz und Gesundheit. „Wir verstehen uns als Vorreiter in Sachen Pferdehaltung und Tierschutz und möchten zeigen, dass Qualität in der Zucht und Erfolg im Sport im Einklang mit dem Tierwohl und einer pferdegerechten Haltung stehen“, erklärt Landstallmeister Dr. Frevert. 

Durch die Verbindung beider Ressourcen, also dem praktischen und wissenschaftlichen Stützpunkt mit der Vet. Universität Wien und den bestmöglichen Forschungsgrundlagen in Neustadt/Dosse hat sich deutschlandweit mit dem Graf-Lehndorff- Institut unter der Leitung von Prof. Dr. Christine Aurich eine Einrichtung für wissenschaftliche Untersuchung bei Pferden etabliert. „Hier auf dem Gestüt wechseln die Wissenschaftler recht regelmäßig. Das ist meistens projektbezogen. Wir pflegen aber auch Kooperationen mit anderen Universitäten, es ist nicht nur den Studenten oder Doktoranden der Universität in Wien vorbehalten“, sagt Dr. Christina Nagel, Leiterin des Instituts Neustadt/Dosse. Hinter der Idee dieser Forschungsgrundlage stehen die optimalen Bedingungen, die die Wissenschaftler auf dem Hauptund Landgestüt vorfinden: Der Großteil des Pferdebestandes stammt aus eigener Zucht und Aufzucht. Deshalb weisen die Pferde die gleichen Haltungsbedingungen vor, das ermöglicht das Forschen an einer recht homogenen Gruppe. „Besonders interessant sind für uns Forschungen rund um die Reproduktionsmedizin, also Besamung, Embryo-Transfer, die frühe Phase der Trächtigkeit, die Geburt an sich und dann noch die Gesundheit der Hengste und die Samenqualität. Wir haben zum Beispiel ganz intensiv zu WFFS (Warmblood Fragile Foal Syndrome)geforscht“, erklärt die Tierärztin.

Abwechslung und Spaß stehen in der Ausbildung ganz weit vorn. Die nachkommenden Generationen sollen Freude am Pferd und Pferdesport haben – nur so kann das Kulturgut erhalten bleiben. Foto: Boiselle

Buchtipp

Wer mehr über die Geschichte der Landgestüte in Deutschland und deren Stempelhengste erfahren möchte, kann dies in unserem Buchtipp aus dem FNverlag.

Michaela Weber-Herrmann, Stephan Kube
Die Deutschen Landgestüte
1. Auflage 2018 240 x 280 mm, gb. Hardcover
232 Seiten mit vielen Fotos
ISBN 978-3-88542-706-3
34,90 Euro

Mit etwas Glück können Sie dieses Buch auf unserer Ehrenrunde-Seite gewinnen.

Auf dem Weg in die Zukunft

„Das Kulturgut Pferd muss erhalten bleiben, aber dafür müssen wir uns natürlich auch immer neu aufstellen und neu finden. Nur an der Vergangenheit festzuhalten, ist sicherlich nicht der richtige Weg“, sagt Dr. Henning Frevert, der das Amt des Landstallmeisters zum 1. Februar 2021 als Nachfolger von Uwe Müller angetreten ist. Mit dem Graf-Lehndorff-Institut und anderen Projekten ist das Haupt- und Landgestüt Neustadt/ Dosse besonders breit aufgestellt. „Als Haupt- und Landgestüt haben wir vielfältige Verantwortlichkeiten, zu denen insbesondere, aber nicht ausschließlich, die Hengsthaltung und Pferdezucht zählen. Es ist unsere hoheitliche Aufgabe, den Genpool der Pferdepopulation des Landes Brandenburg zu erhalten und somit aktiv am Zuchtgeschehen teilzunehmen – damit das Pferd bleibt“ resümiert Dr. Frevert.

Lorella Joschko

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