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Persönlichkeiten der Pferdeszene

Hans im Busch

Er agierte immer im Hintergrund, war umso mehr Stütze, Ratgeber und Freund für seine Reiter und Reiterinnen: Vielseitigkeitsbundestrainer Hans Melzer. Mit 70 Jahren beendet er 2021 seine offizielle Laufbahn.

Eine Ära geht zu Ende: Der Bundestrainer der Vielseitigkeit Hans Melzer gibt sein Amt zum Ende des Jahres ab. Fotos (7): Jacques Toffi

Wenn man am Dressurtag eines größeren Vielseitigkeitsturniers am Prüfungsviereck vorbeispaziert, sieht man sofort die rote Jacke leuchten, die mit dem schwarzen Schriftzug „Germany“ auf dem Rücken und dem Bundesadler auf dem linken Oberarm. Hans Melzer steht da, oft allein, manchmal in Gesellschaft, mit konzentriertem Blick auf seine Schützlinge, drahtige Statur, markantes, gebräuntes Gesicht, auffällig wasserblaue Augen umspielt von vielen Lachfalten, die Arme verschränkt. Manchmal glimmt ein Zigarillo zwischen seinem Zeige- und Mittelfinger. Ab und an sieht man, wie seine Kaderreiter auf dem Abreiteplatz seinen Blick suchen, Worte werden nicht viele gewechselt, alle sind im Tunnelblick-Modus. Nach der Prüfung, wenn alle Anspannung abgefallen ist, steht Hans Melzer am Ausritt und nimmt die Reiter in Empfang. Er freut sich mit ihnen, gibt Feedback, muntert auf, lobt, bestärkt und sagt, was nicht so gut gelaufen ist. Die Reiter scheinen alles regelrecht aufzusaugen, was ihr Trainer ihnen sagt, dankbar für die unmittelbare Rückmeldung. Der 70-Jährige ist immer dabei, von März bis November unterwegs – Luhmühlen, Strzegom, Radolfzell, Aachen, Baborowko, Warendorf, Le Lion d’Angers, Badminton, Burghley, Kentucky… dazwischen Championate auf der ganzen Welt: USA, Südamerika, Asien, Europa. Viele Flugmeilen und Autobahnkilometer. Auf dem Nummernschild seines Autos steht passenderweise „VS“ – Vielseitigkeit. Die Disziplin, mit der er unzertrennlich verbunden ist, seit Jahrzehnten, 100 Prozent.

„London war das schönste Turnier“, sagt Hans Melzer über die Olympischen Spiele 2012.

„Ich bin keine Autoritätsperson, ich bin der gute Freund“, so Melzer über seine Art das Amt des Bundestrainers auszufüllen.

Zuhause in Luhmühlen

Hans Melzers Zuhause ist das deutsche Buschmekka Luhmühlen. In einem muckeligen, norddeutschen Häuschen, nur einen Steinwurf entfernt vom Ausbildungszentrum, lebt er mit seiner Frau Anne – die Springreiterin, die er in Warendorf kennengelernt und in Luhmühlen wiedergesehen hat und mit der er seit 19 Jahren kinderlos verheiratet ist. Mit von der Partie ist Hund Bob, der ein braunes und ein hellblaues Auge hat. Der Mischling hat es sich neben seinem Herrchen gemütlich gemacht auf den Polstern der Gartenmöbel, unter einem Vordach mit Blick auf den Garten, der von einer riesigen Eiche dominiert wird. Während Hans Melzer Bob krault, erinnert er sich an seine Kindheit und Jugend. Er ist in der Nähe von Kassel aufgewachsen als einer von zwei Söhnen und mit einem pferdebegeisterten Vater.

„Da bin ich automatisch auch zum Reiten gekommen“, so Melzer. Von Anfang an hatte er Spaß am Geländereiten. „Es war anders als heute, es gab viele Mannschaftswettkämpfe, alle ritten Gelände.“ Er trainierte auch bei Ottokar Pohlmann. „Da hat mich dann der Bazillus gepackt.“ Nach dem Abitur studierte er zunächst Betriebswirtschaft, 1974 zog es ihn aber mit 23 Jahren nach München auf das Gut Westenried, die Anlage der Familie Blum. Er absolvierte seine Bereiterlehre bei Albrecht von Bredow, Jessica von Bredow-Werndls Schwiegervater. Ein Jahr später wechselte er auf Max Habels Initiative hin an das DOKR nach Warendorf, um seine Ausbildung unter den Fittichen von Wolfgang Feld und Willi Schultheis zu beenden. 1975 und 1977 nahm er im Sattel des Hannoveraners Salut v. Senior an den Vielseitigkeits-Europameisterschaften in Luhmühlen und Burghley teil. Er legte den Vorläufer des heutigen Diplom-Trainers ab, Fahr- und Voltigiertrainer inklusive, arbeitete von 1978 bis 1980 als Nachwuchsführungskraft für das DOKR und absolvierte seine Meisterprüfung.

 

 Die Faszination Vielseitigkeit – für Hans Melzer war und ist sie „das ganze Paket: Dressur, Gelände, Springen, jedes Pferd braucht ein universelles Training, es ist eine tiefe Partnerschaft zwischen Reiter und Pferd und es sind die Reiter, die ihre Pferde bis in den Spitzensport fördern, das ist Vertrauen. Und den Pferden macht es unheimlich Spaß“. In Warendorf lernte Hans Melzer auch Claus Erhorn kennen, eine Verbindung, die ein Leben lang halten sollte. Gemeinsam gingen die beiden 1980 nach Vechta, um für 18 Monate die Leitung der Landesreitschule zu übernehmen. Anschließend wechselten sie zusammen nach Luhmühlen. Dort blieb Hans Melzer bis 1985, dann zog es ihn nach Hamburg, wo er einen Vielseitigkeitsstall führte. Zwischen 1989 und 1998 war er Bundestrainer der Pony-Vielseitigkeitsreiter und gewann mit seinen Schützlingen neun Gold-, zwei Silberund zwei Bronzemedaillen bei Europameisterschaften, bevor er 1997 wieder nach Luhmühlen zurückkehrte, um die Leitung des Ausbildungszentrums zu übernehmen.

Der 70-Jährige reitet auch selbst noch regelmäßig. Foto: Stefan Lafrentz

Anruf aus Warendorf

2001 kam dann der entscheidende Anruf aus Warendorf. Melzer sollte die Nachfolge von Martin Plewa und Horst Karsten als Bundestrainer der Vielseitigkeitssenioren antreten. „Ich habe schon erst mal überlegt, ob das das Richtige ist.“ Er entschied sich dafür und übernahm das Amt mit Chris Bartle als Co-Trainer. Der Start war jedoch nicht der einfachste. Bei den Weltreiterspielen 2002 in Jerez kam kein deutscher Reiter bis ins Springen. Doch Beharrlichkeit und Kompetenz sind zwei Dinge, die Hans Melzer mehr als anderen zugeschrieben werden. Bartle und Melzer bauten über die Jahre ein völlig neues Trainings- und Managementsystem auf. Sie führten moderne sportwissenschaftliche Methoden ein, eine umfangreiche Leistungsdiagnostik bildete fortan das Fundament des Trainings, das Galoppieren am Berg wurde standardisiert. In detaillierten Jahresplanungen wurde abgebildet, wie viel das Pferd galoppiert, wie viele Turniere es geht und wann es Pause macht. Bei allen Kaderreitern wurde begonnen, regelmäßig die Herzfrequenz und Laktatwerte ihrer Pferde zu messen, um das Training anzupassen. „Es geht bei allem darum, dass Pferd so zu trainieren, dass es die optimale Leistung bringen kann und dass es sich nicht verletzt.“

Der Bundestrainer legt beim Training auch den Fokus auf den richtigen Sitz des Reiters.

Von 2001 bis 2016 war Chris Bartle als Co-Trainer an seiner Seite.

Fokus auf Geländesitz

Vor allem Chris Bartle legte den Fokus auf den Geländesitz. Die Reiter sollten lernen, von ihrem traditionellen leichten Sitz mit dem Oberkörper dicht am Pferdehals dazu überzugehen, mehr am Pferd zu sitzen, aufrechter, die Unterschenkel mit Druck im Absatz in Tendenz nach vorn. „Einige hatten wirklich Schwierigkeiten damit, die hingen förmlich auf dem Pferdehals, aber im Gelände musst du jede Bewegung des Pferdes ausgleichen können und im Gleichgewicht sitzen bleiben können. Chris Bartle hat dafür extra ein Balance-Lehrgerät entwickelt – Rock on Ruby – mit dem man den Sitz trainieren kann. Und eigentlich ist es auch eine gute Übung, junge Pferde zu reiten“, betont Hans Melzer. Zusammen mit seinem ehemaligen Co-Trainer stellte er individuelle Sichtungswege auf und schickte seine Schützlinge auf zahlreiche Turniereinsätze im Ausland. Die Videoanalyse wurde als fester Bestandteil des Trainings etabliert – mittlerweile reist ein eigenes Team mit auf die Turniere und filmt die Prüfungen, die Reiter bekommen sportpsychologische und mentale Unterstützung und ihre Trainer legten von Anfang an Wert auf das Zusammengehörigkeitsgefühl des Teams. Hans Melzers Hauptaufgaben als Bundestrainer waren die Jahresplanung und das Management der Reiter und Pferde, die Organisation des Trainings, das Geländetraining und die Turnierbetreuung. „Ich bin keine Autoritätsperson, ich bin der gute Freund. Es hat mir immer sehr viel Spaß gemacht.“ Sein Vorbild sei Max Habel gewesen, sagt er, „seine Art mochte ich sehr gern – er war ruhig, sachlich, hat im Vorfeld Dinge besprochen“. Das hat Hans Melzer mehr als verinnerlicht – erlebt man ihn doch genau so: diplomatisch, besonnen, freundlich. Nur schwer lässt sich vorstellen, dass er mal laut werden kann.

Sieger der Herzen

2004 gewannen die Deutschen, allen voran Bettina Hoy, bei den Olympischen Spielen in Athen Einzel- und Teamgold. Die Medaillen wurden zwar im Nachhinein aberkannt, aber sie blieben die Sieger der Herzen. „Das, was in Athen passiert ist, war einerseits bitter, aber andererseits auch gut für uns, denn so sind wir bekannt geworden, unsere Disziplin stand im Rampenlicht.“ 2006 folgte die Revanche. Der Weltmeistertitel in Aachen ging an die deutschen Reiter. 2008 wurde Hinrich Romeike mit Marius in Hongkong Olympiasieger und gewann Gold mit dem Team. „Aachen und Hongkong waren unsere Genugtuung für die aberkannten Medaillen. Wir mussten erst einmal verlieren, um dann umso besser zurückzukommen. Uns hat in die Karten gespielt, dass das Format 2004 geändert wurde. Danach hat sich der Pferdetyp geändert, es kam viel mehr auf Rittigkeit an und wir haben gute Dressur- und Springtrainer in Deutschland. Und irgendwann hat es sich gelohnt, Profisportler zu sein. 

Erfolge als Trainer

Europameisterschaften
5 x Einzelgold, 4 x Teamgold
5 x Einzelsilber, 1 x Teamsilber
4 x Einzelbronze, 1 x Teambronze

Weltreiterspiele
2 x Einzelgold, 2 x Teamgold
1 x Einzelsilber
1 x Einzelbronze

Olympische Spiele
4 x Einzelgold, 2 x Teamgold
1 x Teamsilber
1 x Einzelbronze
Insgesamt 34 Medaillen, davon 19 mal Gold.

Auszeichnungen
Trainer des Jahres, Goldenes Verdienstabzeichen
der BBR, Reitmeister

Das war nicht immer so. Unser ehemaliger DOKR-Geschäftsführer Reinhardt Wendt hat uns unglaublich geholfen und so viel in Bewegung gesetzt. Allein, dass er die Perspektivgruppe ins Leben gerufen hat, war Gold wert. Dort haben so viele erfolgreiche Reiter angefangen: Sandra Auffahrt, Julia Krajewski, Anna Siemer, Dirk Schrade, Frank und Andreas Ostholt…“, betont der Trainer und fügt mit dem für ihn so typischen Grinsen hinzu: „Nur: Wenn es mal nicht ganz so rund lief – da standen wir aber stramm!“

London – das schönste Turnier

2009 gab es ein neues Tal zu durchschreiten. Bei der Europameisterschaft im französischen Fontainebleau war Michael Jung der einzige deutsche Reiter, der durch das Gelände kam. „Da weiß man, man muss besser werden.“ 2012 waren die Olympischen Spiele in London. Michael Jung lag bis zum Schluss auf Silberkurs in der Einzelwertung. Weil die schwedische Goldkandidatin Sara Algotsson aber im abschließenden Parcours einen Abwurf hatte, wurde es doch Gold für Michael Jung und Sam. Sandra Auffarth gewann Einzelbronze, das deutsche Team holte Gold. „London war das schönste Turnier“, sagt Hans Melzer. „Mittendrin in Greenwich, im Land der Vielseitigkeit. Wir hatten das Leben im olympischen Dorf mit den anderen Sportlern. Und natürlich die Erfolge mit Sandra und Michi. Das war einmalig.“ 2012 war dann auch das Jahr, in dem Hans Melzer als erster Pferdesportler vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) mit dem Titel „Trainer des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Ein Jahr später ehrte ihn die BBR für sein Engagement und Wirken im Berufsstand mit dem Verdienstabzeichen in Gold und 2017 folgte die Auszeichnung „Reitmeister“ durch die FN. Insgesamt hat Hans Melzer in seiner Laufbahn als Bundestrainer mit seinen Reitern bei Championaten 34 Medaillen gewonnen, davon 19 mal Gold – und ist damit der erfolgreichste Nationalcoach weltweit.

Hans Melzer holte 19-mal Gold mit den deutschen Vielseitigkeitsreitern. Hier 2014 bei den Weltreiterspielen in der Normandie.

Im Gespräch mit seinen Reitern: Hier bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen mit dem späteren Olympiasieger von Hongkong Hinrich Romeike.

Braxxi entdeckt

Ein „Once in a lifetime horse“, das Pferd des Lebens – auf die Frage, ob er so eines hat, sagt Hans Melzer ohne nachzudenken: Braxxi. Ingrid Klimkes Butts Abraxxas. „Der hatte wenig Vermögen, aber ein sehr großes Herz. Dabei hat anfangs keiner an ihn geglaubt. Ich kannte ihn aus einigen L-Vielseitigkeiten, er trabte wie ein Pony. Ingrid fragte mich, was ich mir denn dabei denke. Ich sagte zu ihr: Tu mir einen Gefallen und setze dich wenigstens einmal drauf.“ Der Rest ist Geschichte: Ingrid Klimke wurde mit Braxxi zweimal Team- Olympiasiegerin und bestritt erfolgreich die Fünf-Sterne-Klassiker in Badminton, Burghley und Kentucky. „Die beiden waren einfach ein tolles Team“, schwärmt Melzer und fügt mit Nachdruck hinzu: „Gute Pferde werden gemacht!“ 2021 ist Hans Melzers letztes Jahr im Amt. Das krönte Julia Krajewski mit Olympischem Einzelgold in Tokio – eine besonders emotionale Medaille, nachdem die Reiterin bei früheren Championaten vom Pech verfolgt war, mit Verweigerung, Vorbeiläufer und einem positiven Medikationsfall. „Ich habe mich dafür eingesetzt, dass Julia mit nach Tokio darf. Ich wusste immer, dass sie es schaffen kann.“ Michael Jung dagegen hatte in Tokio einen nicht ganz so guten Lauf. Er lag mit Chipmunk auf Goldkurs, als im Gelände an einem Sprung das MIM-System auslöste und ihm elf Strafpunkte bescherte. Das Fatale: Das System löste erst aus, nachdem Chipmunk schon drei Galoppsprünge hinter dem Sprung war. „Wenn du gewinnen willst, musst du Glück haben“, analysiert der Bundestrainer ganz pragmatisch. „Ich habe zu Michi gesagt: In London hast du Glück gehabt, in Tokio Pech. Wir brauchen einen sicheren Sport, aber wenn die Pferde anfangen, vorsichtiger zu springen, um keine Fehler zu machen, geht das auf die Beine. Wir müssen dabei bleiben, dass Geländesprünge touchiert werden können und die Pferde durch die Hecken wischen. Mein Vorschlag wäre, dass das Auslösen des MIM-Systems keine Strafpunkte zur Folge hat. So bleibt die Sicherheit erhalten genauso wie das geländemäßige Überwinden der Hindernisse.“

Jagdreiten und Fohlen

Seine zukünftig freie Zeit möchte Hans Melzer unter anderem mit Jagdreiten verbringen und er hat noch eine Stute mit Fohlen, „sein Projekt“. Außerdem lebt er in Luhmühlen, da gibt es immer genug zu tun, wie er sagt. „Aber für 2022 habe ich bewusst keine Pläne gemacht. Wir fahren erst einmal in den Ostseeurlaub und dann sehen wir weiter. Wenn ich in Zukunft als Equipechef gebraucht werde, stehe ich zur Verfügung.“ Zur Vielseitigkeits-WM in Pratoni nächstes Jahr wird Hans Melzer als Fan reisen.

Laura Becker

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