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Deutschlands Landgestüte, Teil 2: Celle

Für jede Stute ein passender Hengst

„Pferde für unsere Kinder“ – unter diesem Motto fiel mit einer großen Gründungsgala im hessischen Dagobertshausen der Startschuss für die gleichnamige Initia­tive, die von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung unterstützt wird. Ihr Ziel: In zehn Jahren soll jedes Kind in Deutschland die Möglichkeit haben, in seiner persönlichen Entwicklung durch den positiven Einfluss des Pferdes unterstützt zu werden.

Landstallmeister Dr. Axel Brockmann setzt auf die Kombination von Fortschritt, Innovation und Tradition. Hier mit Landbeschäler Diacontinus. Foto: Archiv Landgestüt Celle

Mehr als 200 Jahre nachdem in Marbach bereits die ersten Pferde gezüchtet wurden, entstand das Landgestüt Celle. Gegründet unter Georg II., Kurfürst von Hannover und König von Großbritannien am 27. Juli 1735 als zweitältestes der deutschen Haupt- und Landgestüte. Ziel der damaligen Politik war es, möglichst viel im eigenen Land zu produzieren, um eine positive Außenhandelsbilanz zu erzielen. Dieser Ansatz wirkte sich nicht nur auf das Handwerk und die Industrie aus, sondern auch auf die Landwirtschaft und somit auch auf die inländische Pferdezucht. Zu der Zeit entstanden etliche weitere Gestüte, darunter auch Dillenburg, Graditz und Trakehnen. 

Das Landgestüt Celle wurde 1735 unter Georg II. gegründet. Die historischen Gebäudestehen auch heute noch, unter anderem der Grabenseestall mit seinem Glockenturm, der pünktlich zu Beginn der Hengstparade läutet. Foto: Archiv Landgestüt Celle

Kriege und Krisen ließen einige der damals aufgebauten Gestüte wieder verschwinden, andere gingen aus schwierigen Zeiten jedoch gestärkt und gewappnet für die Zukunft hervor, darunter auch das Landgestüt Celle. In seinem bald 300-jährigen Bestehen hat sich an der Hauptaufgabe des Gestüts in seinen Grundfesten nichts geändert: Den Züchtern des Landes sollen wertvolle Hengstlinien zur Verfügung gestellt werden – zu bezahlbaren Decktaxen und möglichst kurzen Wegen. Dieses besondere Anliegen und die einzigartige Infrastruktur zeichnen das Landgestüt Celle bis heute aus.

Turbulente Zeiten

Das damalige Kurfürstentum Hannover, zu dem auch die Regionen der Unterelbe, Unterweser und der Aller gehörten, waren schon damals Zentrum der Pferdezucht mit großen landwirtschaftlichen Betrieben. Der Startschuss für das Landgestüt Celle fiel im Winter 1735 mit dem Kauf von 13 Holsteiner Hengsten unter dem ersten Gestütsleiter George Roger Brown. Vordergründig wurden in der Region schwere Pferde für die Landwirtschaft gezüchtet. Die Stutenstämme der Bauern waren bis dahin gründlich gepflegt und vererbten ein schweres Exterieur. Brown, mit offenkundigem Sinn für die Zucht, verstand sich bestens darauf, die Zuchtstuten der ansässigen Bauern zu begutachten und klug anzupaaren – das Resultat waren leistungsfähige und robuste Pferde für Militär und Landwirtschaft. Aber nicht alle Zuchtwege führten Celle voran: So wurden für den königlichen Marstall anfänglich in erster Linie Schimmel gezüchtet. Unter den „Herrenhäuser Weißgeborenen“ etablierte sich im Hofgestüt Herrenhausen allerdings eine Schimmel- Zuchtlinie, die schon bald durch die gehäufte Inzucht zum Scheitern verurteilt war. Nach diesem ersten Knick in der Zuchtgeschichte Celles brachte Gestütsleiter Brown das Landgestüt sehr schnell voran. Bereits 1745 stiegen die Bedeckungszahlen auf über 2.000 Belegungen jährlich an, 1757 standen den Züchtern bereits 55 Landbeschäler zur Verfügung.

In Celles Historie wurde im Laufe der Jahrhunderte auf verschiedene Rassen gesetzt. Der englische Vollblüter „Foxhunter“, geboren 1854, war Landbeschäler in Celle. Foto: Archiv Landgestüt Celle

Die Ausbildung der jungen Hengste erfolgte 1970 noch in der Hengstprüfungsanstalt in Westercelle. Foto: H. Sting/Archiv Landgestüt Celle

Fortschritt, Innovation, Wachstum

Die kommenden Jahrzehnte waren geprägt von Fortschritt, Innovation und Wachstum. So war Matthias Gotthard Haack 1770 als erster Rossarzt im Landgestüt festangestellt. König Georg III. ließ 1778 in Hannover die Roß-Arzney-Schule gründen, aus der die heutige Tierärztliche Hochschule hervorgegangen ist. Der Pferdeexport steigerte sich auf 10.000 Pferde pro Jahr. Friedrich von Spörcken modernisierte den Zuchtbetrieb ab 1839 abermals und führte Deckscheine, Papiere für Stuten und Fohlen sowie ärztliche Zeugnisse über die Hengste ein.

Rassevielfalt

Auch hinsichtlich der Rassevielfalt hat sich Celle mehrere Standbeine aufgebaut. Neben Holsteinern wurde zusehends auch auf Vollblüter, Kaltblüter und Oldenburger gesetzt. Die damaligen Hannoveraner wurden erstmalig auf der Allgemeinen Deutschen Pferdeausstellung 1890 in Berlin vorgestellt. 1913 wurden die Landbeschäler auch im Hannoverschen Stall in Westercelle untergebracht und damit der Weg für das Celler Deckstellennetz geebnet, was Celle bis heute auszeichnet.

Nach den düsteren Zeiten

Der zweite Weltkrieg, die Währungsreform und die Teilung Deutschlands brachten abermals düstere Zeiten über das Landgestüt. Trotz der Rekordbedeckungszahlen von 35.000 gedeckten Stuten von 360 Landbeschälern 1947 führten die zunehmende Motorisierung und das Abflauen des Interesses am Pferd als solches zu einem Einbruch im Absatz. Qualitätssteigerung der Zucht war die Zauberformel von Landstallmeister Christian Freiherr von Stenglin, der das Sportpferd wieder nach vorne brachte. Das Einrichten von Besamungsstationen, technischem, medizinischem und wissenschaftlichem Fortschritt brachte Celle wieder in den Fokus des Zuchtinteresses – nicht nur national.

So unterschiedlich wie ihre Geschichte sind auch die Uniformen der Landgestüte. In Celle trägt man Rot. Foto: Archiv Landgestüt Celle

Keine weiten Wege

Celle ist, neben seiner historischen Gestütsanlagen, vor allem bekannt für die ausgezeichnete Infrastruktur und das breit aufgestellte Netzwerk an Deckstellen in Norddeutschland. Den Startschuss gab das Umsiedeln von Celler Hengsten auf die Deckstation Westercelle 1913. Seit der Gründung 1735 wurde an den Leitlinien des Landgestüts, Hengstlinien bezahlbar und nah dran am Züchter, nichts geändert. Das Deckstellennetz wurde zusehends ausgebaut und zählt heute 27 Deckstellen und Besamungsstationen. Das hat Tradition in Celle. So war es früher jedem Bauern des Landes möglich, seine Stuten zu den Landbeschälern zu bringen und decken zu lassen. 

„Bis heute werden die Hengste vor Beginn der Saison mit ihren Bereitern und Pflegern den jeweiligen Deckstellen zugeordnet, wo sie dann mehrere Monate verbringen“, sagt Dr. Axel Brockmann, Landstallmeister des Landgestüts Celle. Er fährt fort: „Es geht nicht mehr darum, dass die Stute zum Hengst kommt. Es ist auch nicht mehr auf jeder Deckstelle ein Hengst vertreten, durch die Frischsamenübertragung und den eigenen Transportservice (ETS) ist das auch nicht mehr nötig. Es geht jetzt viel mehr um unseren Service für die Züchter vor Ort: die Zuchtberatung, Organisation rund um Stute und Fohlen – wir bilden einen Anlaufpunkt für die Zuchtgemeinschaft.“

Starke Kerle für Niedersachen. Zu Celles Hengstriege gehören auch Kaltblüter. Foto: Marianne Schwöbel/entnommen aus „Die Deutschen Landgestüte” FNverlag

 Generell gilt in Celle immer noch der gleiche Grundgedanke, dass für jede Stute ein passender Hengst zu finden ist. Durch dieses Angebot an die Züchter – darunter auch viele Hobbyzüchter – greift das Landgestüt aktiv in die Zuchtgestaltung der Moderne ein und leistet einen großen Anteil am Erhalt verlässlicher Blutlinien und gewinnt so auch die Möglichkeit, neue Anpaarungen vorzunehmen. „Dieses Jahr ist auch ein spannendes Projekt mit alten Spring-Blutlinien gestartet. Linien, die die Hannoveraner Züchter auch heute noch begeistern: zum Beispiel Werther, Espri und Watzmann. In dem Zuge stellen wir interessierten Züchtern mit modernen Stuten wertvolle TG-Reserven gegen geringe Kosten zur Verfügung“, erklärt Dr. Brockmann. Wie das Experiment ausgeht, ist ungewiss. Aber eins ist klar: Celle versucht noch immer, das alt Bewährte mit dem Neuen zu verbinden – die letzten 300 Jahre mit vollem Erfolg.

Buchtipp

Wer mehr über die Geschichte der Landgestüte in Deutschland und deren Stempelhengste erfahren möchte, kann dies in unserem Buchtipp aus dem FNverlag.

Michaela Weber-Herrmann, Stephan Kube
Die Deutschen Landgestüte
1. Auflage 2018
240 x 280 mm, gb. Hardcover
232 Seiten mit vielen Fotos
ISBN 978-3-88542-706-3
34,90 Euro

Auf dem eigenen Aufzuchtgestüt in Hunnesrück haben die Mitarbeiter die Entwicklung der Jungtiere im Blick. Foto: FN-Archiv

Hengsthaltung muss gut durchdacht sein: In Celle kommen die Hengstegleichzeitig und in Sichtweite auf die Padocks. Foto: FN-Archiv

Potential nutzen

Innovation und Wachstum sind zentrale Handlungsfelder des Landgestüts Celle. Nach jahrhundertelangem Auf und Ab waren sich die Landstallmeister einig darüber, neben den Landbeschälern auch die Stuten nicht aus den Augen zu verlieren, obwohl Celle nur Hengste beherbergt. George Roger Brown als erster Landstallmeister Celles war einer der Pioniere in Sachen Zuchttauglichkeitsprüfung bei den vorhandenen Stuten. „Wir wollten eine Möglichkeit schaffen, um das Potential in der Pferdezucht noch besser nutzen zu können. Viele ältere Züchter geben die Zucht auf, haben aber immer noch gepflegte Stutenstämme in ihrem Stall stehen. Auf der anderen Seite gibt es viele Neulinge, die kaum Erfahrung mit der Pferdezucht haben und sich deshalb davor scheuen, eine eigene Stute zu kaufen. Beide Potentiale müssen also ausgenutzt und kombiniert werden“, sagt Landstallmeister Dr. Brockmann. Durch das Stuten-Leasing-Programm können interessierte Neuzüchter an das Thema herangeführt werden. Sie profitieren vom Erfahrungsschatz der alten Generation und Celle tritt als Vermittler zwischen beide Partner. „Das Stuten-Leasing-Programm ist völlig uneigennützig. Wir vermitteln erst mal nur und treten erst dann wieder in Erscheinung, wenn es um die Besamung der Stute geht. Ansonsten basiert das Programm auf unserem Verständnis vom Kundenservice und der Erhaltung und Bewahrung der Pferdezuchtkultur“, resümiert Dr. Brockmann. 

Die Hengstparade mit ihren verschiedenen Schaubildern bildet den Höhepunkt des Jahres in Celle. Foto: Marianne Schwöbel

Auch die eigene Hengstkollektion zeichnet sich Jahr für Jahr durch Vielschichtigkeit aus. Zum einen unterhält das Landgestüt selbst eine erfolgreiche Nachzucht an Sportpferden, zum anderen werden jedes Jahr aufs Neue um die 50 Fohlen angekauft – so garantiert Celle immer neuen Einfluss auf gängige Blutlinien und ist für die Züchter besonders breit aufgestellt. Zucht und Aufzucht gehen in Celle Hand in Hand. So bietet das Aufzuchtgestüt Hunnesrück beste Bedingungen für die Top-Beschäler von morgen. Über die Decksaison verteilt übermitteln die Mitarbeiter des Landgestüts überdurchschnittliche Hengstfohlen des jeweiligen Fohlenjahrgangs. Durch die eigenen Aufzuchtsmöglichkeiten ist das Landgestüt näher dran am Potential von morgen.

Zwischen Kultur und Fortschritt

Die Bedeckungszahlen gehen deutschlandweit zurück. Einzelne Rassen verschwinden von der Bildfläche. Skandale im und um den Spitzensport liegen über der Zukunft der Zucht und des Reitsports. Um diesem Trend entgegenzuwirken, liegt es auch an den Landgestüten, Blutlinien und die Vielfalt der Rassen zu erhalten, über Zuchtwerte aufzuklären und die neuen Generationen an das Pferd heranzuführen. „Jedes Hauptund Landgestüt kommt dieser Aufgabe nach. Sie beheimaten ihre spezifischen Warmblutlinien und überdies auch noch zahlreiche traditionelle Rassen. Während Marbach seit jeher eine der imposantesten Araberstutenherden der Welt innehat, haben wir vor einigen Jahren auch wieder begonnen, Kaltbluthengste und Alt- Oldenburger aufzustellen“, erklärt der Gestütsleiter.

Höhepunkt der Celle Hengstparade: Die große Schulquadrille der Vererber. Foto: Marianne Schwöbel

Arterhaltung ist ein wichtiger Grundstein der Landgestüte, private Hengsthalter können die Zuchterhaltung ohne finanzielle Unterstützung nicht stemmen. Der Hengstbestand sollte, wie ein Landgestüt selbst, immer vielschichtig aufgestellt sein, von alten bis neuen Linien, um durch diese Brücke auch noch die nächsten Jahrhunderte zu überdauern und einen Teil zum Erhalt dieses Kulturgutes beizutragen.

Lorella Joschko

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