Vorheriger Artikel

Ausgabe 06/2021
Gesundheit kompakt: Sommerekzem

Nächster Artikel

Ausgabe 06/2021
PM-Reisekalender

Der Wert des Aufgabenreitens

„Fehler machen gehört einfach dazu“

Das Reiten von Aufgaben ist für die Turniervorbereitung obligatorisch, aber auch außerhalb jeglicher Turnierambitionen ergeben sich entscheidende Vorteile. Schließlich geht es nicht immer nur darum, etwas bereits perfekt zu können, sondern auch darum, Schwachstellen zu identifizieren und sich selbstreflektiert mit ihnen auseinanderzusetzen. Ausbilder und Richter Rolf Petruschke gibt im Interview mit dem PM-Forum Einblicke in den Wert des Aufgabenreitens – und das unabhängig vom Niveau von Reiter und Pferd.

Konzentriertes Aufgabenreiten eignet sich auch im Training, um den Ausbildungsstand von Reiter und Pferd zu kontrollieren. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

PM-Forum: Steigen wir direkt ein: Unabhängig von der Turniervorbereitung – wozu kann das Aufgabenreiten hilfreich sein?

Rolf Petruschke: Aus meiner Sicht ist das Aufgabenreiten eine der wichtigsten Möglichkeiten, um den IST-Zustand der Ausbildung zu kontrollieren. Hier wird auf den Punkt hin überprüft, was funktioniert und was nicht.

PM-Forum: Inwiefern unterscheidet sich denn das Aufgabenreiten vom „freien“ Reiten?

Petruschke: Grundsätzlich liegt die Schwierigkeit schon in der Trennung von angeleitetem und freiem Training. Ich glaube, wir nehmen die Reitschüler oft zu starr an die Hand und geben zu konkrete Anweisungen. Als Ausbilder sollte man das Ziel verfolgen, dass der Schüler das Gelernte auch alleine anwenden kann. Deswegen plädiere ich immer dafür, dass man den Unterricht nicht allzu stark vorgibt.

PM-Forum: Man erlebt ja oft, dass bestimmte Lektionen und Anforderungen im Unterricht gut gelingen, aber zuhause dann plötzlich nicht mehr. Wie kommt das?

Petruschke: Das ist der Punkt. Der Unterricht ist meist zu stark angeleitet, der Reitschüler muss selbst keine Ideen entwickeln. Während einer Unterrichtseinheit müssen sich die Phasen des angeleiteten und des freien Reitens stetig abwechseln. Ich schaue mir die Schüler zum Beispiel bei der selbstständigen Lösungsphase ganz genau an. So bekomme ich als Trainer einen besseren Einblick, ob der Schüler die nötige Planungssicherheit besitzt, das Zeitmanagement passt und ob eigenständige Ideen zum Lösen des Pferdes miteingebracht werden.

PM-Forum: Wann und wie lassen Sie denn im Unterricht Aufgaben reiten?

Petruschke: Im Prinzip verwende ich in jeder Unterrichtseinheit Ausschnitte einer Aufgabe. Ich bin aber immer darauf bedacht, dass ich die Inhalte nicht immer auf den vorgeschriebenen Linien reiten lassen, sondern auch viel auf dem zweiten oder dritten Hufschlag, der Viertel- oder der Mittellinie. So kann ich besser sehen, wo noch Schwierigkeiten liegen und diese dann mit dem Schüler gezielt angehen. Der Reiter muss ja letztlich in der Lage sein, selbst zu reflektieren, was klappt und was nicht und im besten Fall auch noch wissen, warum etwas nicht wie gewünscht funktioniert.

Rolf Petruschke ist Pferdewirtschaftsmeister, Ausbilder und Richter. Die gute Basisausbildung liegt ihm besonders am Herzen. Foto: FN-Archiv

Wichtig: Die Aufgabe an einem Stück durchreiten, ohne zu stoppen, wenn etwas mal nicht klappt. Foto: Stefan Lafrentz/ FN-Archiv

PM-Forum: Und außerhalb des Unterrichts?

Petruschke: Unangeleitet tun sich viele Reiter schwer damit, auf den Punkt und wirklich fokussiert zu reiten. Das ist aber genau die Aufgabe von uns Ausbildern und Trainern. Wir sind in erster Linie auch Pädagogen und müssen mit unseren Reitschülern genau daran arbeiten. Viele Reiter neigen ja dazu, zuhause nur die Lektionen zu reiten, die wirklich gelingen. Davor muss man ihnen die Scheu nehmen. Fehler machen gehört einfach dazu, nur so kann man besser werden. Auch unabhängig von Turnieren oder Unterricht sollte man sich also einen fixen Tag wählen, an dem man ganz bewusst versucht, sein Pferd auf den Punkt zu lösen und anschließend eine Aufgabe durchzureiten – ohne zu stoppen, wenn etwas mal nicht klappt.

PM-Forum: Wo sehen Sie die Berührungspunkte zwischen der Skala der Ausbildung und dem Aufgabenreiten?

Petruschke: Meiner Ansicht nach gibt es keine engere Verknüpfung zur Überprüfung des Ausbildungsstandes. Das Reiten von Aufgaben stellt die Kontrolle der Leistung von Reiter und Pferd dar – unabhängig von der Klasse. Sitz, Einwirkung und die daraus resultierende Durchlässigkeit, also die Grundsätze der Ausbildung, werden Non-Stop und auf den Punkt hin überprüft.

PM-Forum: Wie sollte ein sinnvolles Aufgabentraining aufgebaut werden?

Petruschke: Grundsätzlich sollte sich der Reiter immer Baustücke aus der Aufgabe herausnehmen und an diesen einzeln arbeiten. Erst wenn die einzelnen Lektionen sicher sitzen, kann man an die gesamte Aufgabe herangehen. Die schnelle Abfolge der Lektionen wird oft unterschätzt, das beginnt bereits bei Klasse E. Wichtig ist auch, dass Reiter und Pferd nicht ermüden. Wenn also etwas nicht klappt, bloß nicht immer die gesamte Aufgabe neu beginnen. Beim Springtraining wird ja meist auch nur der Sprung im Parcours wiederholt, der nicht geklappt hat. Warum also in der Dressur immer wieder Lektionen anfassen, die funktionieren?

PM-Forum: Und wie bereiten Sie das Aufgabenreiten vor?

Petruschke: Ich lasse die Reiter die Aufgaben auch gerne mal abgehen – das hat etwas Prägendes. Es fokussiert, entschleunigt und der Reiter hat mehr Zeit zum Überlegen, was als nächstes kommt. Man kann Aufgaben auch sehr effektiv komplett im Schritt reiten lassen. Das schult die Selbstständigkeit, weil sich der Reiter darüber Gedanken macht, welche Hilfe er wann und wie geben muss, damit das Pferd beispielsweise wirklich sauber auf die Mittellinie abwendet.

PM-Forum: Und wenn etwas mal gar nicht klappt?

Petruschke: Bloß nicht entmutigen lassen! Dann lieber einen Schritt zurückgehen und die Lektion zum Beispiel abändern. Dann wird der einfache Wechsel auf der Diagonalen eben bewusst einmal über den Trab geritten. Funktioniert das gut, sind Reiter und Pferd gleich viel entspannter und gehen an weitere Aufgaben lockerer heran.

PM-Forum: Worauf achten die Richter denn am meisten? Was sind „Kapitalsfehler“?

Petruschke: Ganz klar: Es kommt auf den Sitz und die Einwirkung an, auf geregelte Grundgangarten und natürlich auf das Einhalten der Hufschlagfiguren, was von vielen Reitern übrigens sehr stiefmütterlich behandelt wird. Aber damit wird eben das punktgenaue Reiten überprüft und das klappt nur, wenn die Basis stimmt. Ich möchte als Richter Harmonie zwischen Reiter und Pferd sehen – unabhängig von der Klasse.

PM-Forum: Zum Schluss: Was wünschen Sie sich als Ausbilder und Richter?

Petruschke: Insgesamt wünsche ich mir, dass im Wort Unterrichten auch das Richten im Fokus steht. Wir müssen den Reiter natürlich motivieren und ihm Lösungsansätze bieten, ihn aber unbedingt auch fair einschätzen und den Mut zum Fehlermachen geben. Auch aus einem schlechten Ritt kann man etwas lernen – also nicht nur die Protokolle von guten Noten abholen. Wir sollten den Reitschüler dahingehend anleiten, dass er auch alleine, unabhängig vom Unterricht, in der Lage ist, sein Pferd nach den klassischen Ausbildungsrichtlinien zu reiten.

Das Interview führte Lorella Joschko.

Vorheriger Artikel

Ausgabe 06/2021
Gesundheit kompakt: Sommerekzem

Nächster Artikel

Ausgabe 06/2021
PM-Reisekalender