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Lektion im Fokus: Traversalen
Sexualisierte Gewalt im Pferdesport
Sensibilisieren, hinschauen, eingreifen!
Sexualisierte Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem, von dem der Sport leider nicht ausgenommen ist. Die körperliche und emotionale Nähe, die im Sport entstehen kann, birgt die Gefahr sexualisierter Übergriffe. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) hat daher 2021 als erster Sportverband einen BetroffenenRat zum Thema Sexualisierte Gewalt im Pferdesport eingerichtet. Im Rahmen der HKM Bundeschampionate Anfang September hat der BetroffenenRat sich und seine Arbeit nun erstmals öffentlich vorgestellt.
Schwer greifbar und verschwommen: Keiner weiß wie hoch die Dunkelziffer sexualisierter Gewalt im Pferdesport ist. Foto (Symbolbild): Frank Sorge
Hier gibt es Hilfe
Haben Sie in Ihrer Kindheit oder Jugend sexuellen Missbrauch erlebt? Sind Sie aktuell betroffen? Hier finden Sie Unterstützung: N.I.N.A. – telefonisch unter 0800/22 55 530 oder per E-Mail an mail@nina-info.de. Die Beratungszeiten sind montags, mittwochs und freitags von 9 bis 14 Uhr sowie dienstags und donnerstags von 15 bis 20 Uhr.
Der BetroffenenRat setzt sich zusammen aus Menschen, die selber Erfahrung mit sexualisierter Gewalt oder Belästigung gemacht haben bzw. die sich für das Thema Prävention gegen sexualisierte Gewalt engagieren möchten. Er besteht aus zehn Erwachsenen unterschiedlicher Altersstufen und Geschlechter. „Wir erhoffen uns, dass der BetroffenenRat die FN als Impulsgeber bei der Weiterentwicklung unserer Aktivitäten zur Prävention Sexualisierter Gewalt im Pferdesport berät und wir so noch besser werden. Zugleich soll der BetroffenenRat auch unbequemer Mahner sein, der den Finger in die Wunden legt“, sagt Soenke Lauterbach, FN-Generalsekretär. Denn eines ist klar: Konzepte für die Prävention von sexualisierter Gewalt (PSG) zu erstellen und vor allem umzusetzen, ist für Sportverbände und -vereine absolut notwendig. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung beschäftigt sich daher zusammen mit ihren Mitglieds- und Anschlussverbänden sowie dem DOSB seit geraumer Zeit mit der Frage, wie Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene, bestmöglich vor Übergriffen bei der Ausübung ihres Hobbys Pferdesport geschützt werden können.
In Zusammenarbeit mit DOSB und DSJ ist bereits vor einiger Zeit ein Poster entstanden, mit dem sich die FN stellvertretend für den Pferdesport klar gegen Missbrauch positioniert. Das Poster kann im FN-Shop kostenfrei bestellt und im Reitverein aufgehängt werden.
„Das Thema ist uns so wichtig, dass wir bei den HKM Bundeschampionaten eine sehr publikumswirksame Aktion auf allen Plätzen inszeniert haben“, erklärt FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach. Bei dieser Aktion wurden auf allen Plätzen der HKM Bundeschampionate „Verstörer“ über Lautsprecher in der Pause inszeniert. Das Publikum wurde Zeuge eines vermeintlichen Dialogs in einer mehr als unangemessenen Art über Frauen. Dann wurde es als Inszenierung aufgelöst: „Ist Ihnen auch gerade die Kinnlade runtergefallen? Können Sie nicht glauben, was Sie gerade gehört haben? Sind Sie angewidert, verstört? Das sollten Sie auch sein. Dieses Gespräch fand gerade zwar nicht wirklich statt. Es kam vom Band. Echt war allerdings der Dialog. Solche widerlichen Unterhaltungen finden nämlich tatsächlich statt. Solche Gespräche können Sie am Rande eines Turnierplatzes, einer Reithalle oder an einer Biertheke hören. Sie können aus dem Mund eines Ausbilders oder Zuschauers kommen. Fast immer kommen sie aus dem Mund eines Mannes. Das sind nicht einfach blöde Sprüche. Das ist sexualisierte Gewalt. Und viel zu oft folgen solchen Sprüchen auch Taten. Deshalb: Hören Sie nicht weg, hören Sie hin. Schweigen Sie nicht, greifen Sie ein, wenn Sie so etwas mitbekommen.“ Einen Eindruck davon, was sexualisierte Gewalt bei Betroffenen anrichtet und wie sich der Prozess hin zu sexualisierter Gewalt schleichend entwickelt, gibt das anonyme Interview mit einer Betroffenen auf der nächsten Seite. Es sensibilisiert hinzuschauen und einzugreifen.
Adelheid Borchardt /Eva Borg
FN seit mehr als 10 Jahren engagiert
Auch wenn es den BetroffenenRat erst seit 2021 gibt, so engagiert sich die FN schon seit mehr als 10 Jahren gegen sexualisierte Gewalt im Pferdesport und hat seitdem eine Reihe an Maßnahmen ergriffen. So wurde unter anderem die FN-Satzung mehrfach im Hinblick auf die Prävention von sexualisierter Gewalt und mögliche Sanktionen ergänzt, bei der Trainerausbildung wird bereits im Vorfeld ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis verlangt und Inhalte zum Thema „Schutz vor sexualisierter Gewalt“ sind fester Bestandteil des Lehrplans. Außerdem kooperiert der Verband mit dem Verein N.I.N.A. („Nationale Infoline, Netzwerk und Anlaufstelle zu sexueller Gewalt an Jungen und Mädchen“), der die fachliche Leitung eines Hilfe-Telefons innehat, sowie mit Innocence in Danger e.V., einer weltweiten Bewegung gegen den Missbrauch von Kindern. Ausführliche Informationen zur Arbeit der FN gegen sexualisierte Gewalt im Pferdesport finden sich hier auf der Verbands-Webseite.
Anonymes Kurz-Interview mit einer Betroffenen
PM-Forum: Sie waren recht jung, eine gute Reiterin und haben aber schon mit 18 Jahren wegen des Missbrauchs den Sport aufgegeben. Was hat das für Sie bedeutet?
Zuallererst war das Aufgeben des Reitens für mich ein Gewinn. Ich bin dadurch gesünder geworden. Ich konnte wieder schlafen, die Albträume wurden weniger, kurz: ich konnte wieder leben. Aber ich habe mit der Aufgabe auch das verloren, was mir sehr viel bedeutet hat – das Reiten. Ich hatte mir damals schon überlegt, das Reiten zu meinem Beruf zu machen. Das wurde alles zerstört und ich musste mich ganz neu orientieren. Das Schlimmste ist aber, die Nähe zu den Pferden zu verlieren. Die fehlt mir bis heute. Das ist ein großer Zwiespalt. Denn nach wie vor ist bei mir der Geruchstrigger aktiv. Sobald ich in die Nähe von Reitplätzen oder -ställen komme, steigen in mir Ängste auf. Ich wage es nicht, mich auf ein Pferd zu setzen. Ich möchte mir überhaupt nicht vorstellen, was das bei mir auslösen würde.
PM-Forum: Sie haben sich Menschen aus Ihrem engsten Umfeld geöffnet und von den Übergriffen erzählt. Wie haben Ihre Vertrauten reagiert?
Die Reaktionen waren für mich sehr enttäuschend. Mein eigener Vater etwa hat mir nicht geglaubt. Er sagte, ich würde mich wichtigmachen. Eine angesehene Person wie der Reitlehrer würde so etwas nie tun. Ich habe nach diesen Enttäuschungen sehr, sehr lange geschwiegen, viele Jahre. Später habe ich mir die Leute dann sehr genau ausgesucht, denen ich irgendetwas erzählt habe. Und da war es durchaus verständnisvoll, wobei natürlich nicht jeder Gesprächspartner damit umzugehen weiß. Geholfen hat mir letztendlich nur mein eigener Mut.
PM-Forum: Wer war aus der Rückschau die wichtigste Person, die Ihnen geholfen hat, aus den Fesseln von Manipulation und Schweigen auszubrechen?
Die größte Rolle hat die Psychologin gespielt, zu der meine Mutter damals mit mir gegangen ist. Sie hat für mich den Befreiungsschlag aus der manipulativen Zwickmühle gebracht. Sie schlug vor: „Sag einfach, du willst nicht mehr reiten.“ Das habe ich getan. Jetzt, viele Jahre danach, ist mein Mann mein wichtigster Berater. Er ist derjenige, der mich auffängt, wenn es in tiefen Phasen wieder zu depressiven Momenten kommt.
Zivilcourage zeigen, nicht wegsehen, sondern hinschauen und eingreifen. Jeder kann seinen Teil dazu beitragen, sexuellen Missbrauch im Pferdesport zu stoppen. Foto: Fotolia
PM-Forum: Sie haben sexualisierte Gewalt durch einen Reitlehrer erlitten, als Sie 15 waren – und das hat auch eine Zeit lang angedauert. Außenstehende, welche die Manipulation nicht kennen, die mit Übergriffen verbunden ist, fragen sich vielleicht: Warum macht jemand das mit?
Es ist schwer, es jemanden zu erklären, der das nicht selbst erlebt hat. Der Reitlehrer, mein Täter, hat mich von Anfang an manipuliert. Ich hab zwar mit einem Nein versucht, aus dieser Situation herauszukommen. Aber das gelang mir nicht. Der Täter hat sich ja scheinbar um mich gekümmert. Ich wurde dadurch irgendwie zu etwas Besonderem. Ich bekam das Interesse dieser wichtigen Person. Und gleichzeitig habe ich mich unendlich geschämt. Denn das, was ich heute Missbrauch nennen kann, hat sich schon damals von Anfang an falsch angefühlt. Ich hab mich geschämt für das, was ich tun sollte. Ich hatte aber mit 15 Jahren keine Idee, wie erwachsene Sexualität oder Erotik funktioniert. Ich habe mich gewundert und habe für mich gewusst: Das möchte ich nicht haben. Durch das Zulassen bekam ich Möglichkeiten, die ich im Reitsport sonst wohl nicht gehabt hätte. Es hat mich sportlich weitergebracht. Es hat sich angefühlt, als ob das, was ich dafür im Tausch von mir geben musste, eine Art Währung war. Auch dafür habe ich mich geschämt. Ich habe es aber nicht geschafft, es zu beenden. Es war ein unglaubliches Durcheinander in mir. Scham ist das Gefühl, was es am ehesten noch beschreibt. Ich hab mich damals für mich selber geschämt. Ich weiß heute natürlich, dass es dafür überhaupt keinen Grund gab – weil die Manipulation und das, was der Täter mir angetan hat, überhaupt nicht meine Schuld war.
PM-Forum: Sie sind im Betroffenen- Rat der FN und entschlossen, anderen jungen Reitern zu helfen. Was ist Ihrer Ansicht nach am wichtigsten im Reitsport, damit Übergriffe und Missbrauch möglichst nicht mehr geschehen?
Ich wäre als 15-Jährige zu keinem Reitlehrer und auch zu keiner Ombudsperson gegangen, um meine Geschichte zu berichten. Ich habe es ja noch nicht mal meinen Eltern erzählt. Umso wichtiger finde ich es, die Gesellschaft dafür zu sensibilisieren, dass man Übergriffe und sexualisierte Gewalt für möglich hält. Es ist essenziell, dass die reiterlichen Vereine verstehen, dass diese Dinge passieren. Das ganze Umfeld im Trainingsbetrieb, in den Reitställen, in den Zuchtbetrieben und auf Turnierplätzen muss diese Realität anerkennen. Die ganze Reiterei sollte dafür sensibilisiert werden, hinzuschauen. Es muss Courage aufgebaut werden und die Menschen müssen in die Lage versetzt werden, diese Zivilcourage auch auszuüben – und einzugreifen. Die jungen Menschen, denen Manipulation und Missbrauch widerfährt, brauchen Hilfe von außen. Es ist für viele überlebenswichtig, dass sie sich nicht allein aus dieser furchtbaren Lage befreien müssen. Ich möchte dazu aufrufen, dass weitere Betroffene den Mut finden, ihre Geschichten zu erzählen.
Das Interview führte Christian Füller.
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