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Deutschlands Haupt- und Landgestüte, Teil 6: Warendorf

„Mutig vorangehen“ und Zukunft einleiten

Es gibt sie im Norden, Süden, Osten, Westen: Haupt- und Landgestüte als kultur- und geschichtsträchtige Orte, die sich bis heute zum Erhalt einer vielfältigen Pferdezucht engagieren. 2026 feiert das Nordrhein-Westfälische Landgestüt sein 200-jähriges Jubiläum. Ein guter Anlass, um sich bereits jetzt die geschichtsträchtigen Gestütsanlagen einmal genauer anzuschauen und einen Blick in die Zukunft zu werfen.

Repräsentativ für das NRW-Landgestüt: Das Rondell mit Bronzestatue des Landbeschälers Paradox I. Foto: Fotostudio Kaup

Kraftvoll ziehen die beiden auf Hochglanz gestriegelten Rheinisch-Deutschen Kaltblüter die Kutsche um das Rondell und die Bronzestatur des Landbeschälers Paradox I. Auf dem Kutschbock die Obersattelmeister Rudolf Brocks und Ludger Niemerg. In der Kutsche selbst sitzt Dr. Felix Austermann, der neue Gestütsleiter auf dem Landgestüt Warendorf, der seinen Dienst erst im März aufgenommen hat. Als „der Neue“ muss sich Dr. Austermann erstmal in seinem neuen beruflichen Domizil einleben, alles kennenlernen – die Mitarbeiter, Abläufe und natürlich die Pferde. „Das ist ziemlich viel auf einmal, viele Antrittsbesuche, viele Namen und Personen – aber ich freue mich unglaublich auf die kommende Zeit. Vor allem im Hinblick auf das bald 200-jährige Jubiläum bin ich besonders stolz, die Zukunft des NRW-Landgestüts mit gestalten zu können“, sagt der Gestütsleiter. 2026 ist es so weit. Das Landgestüt in Warendorf, das 1826 von König Friedrich Wilhelm III. gegründet wurde, feiert 200-jähriges Jubiläum. Auch wenn das Gestüt im Vergleich zu Marbach mit dem Gründungsjahr 1514 doch recht jung ist, ist es historisch gesehen nicht minder geschichtsträchtig.

Gründerjahre und Etablierung

Die Gründung des Landgestüts ist den hiesigen Bauern und Züchtern zu verdanken, die bereits zehn Jahre vor der offiziellen Gründung an den damaligen preußischen Oberstallmeister Ludwig von Jagow herangetreten waren und den Wunsch äußerten, ein Landgestüt nach dem Vorbild Trakehnens oder Neustadt/Dosse zu errichten. Am 1. Februar 1826 war es schlussendlich soweit: 24 ostpreußisch gezogene Hengste wurden nach Warendorf gebracht. Die gradlinige Aufnahme der Zucht gestaltete sich allerdings recht schwierig, da in der preußischen Provinz Westfalen viele verschiedene Pferdetypen zu finden waren – meistens eine Mischung aus Offiziershengsten und Arbeitstieren. Auch in Warendorf prägte der allgegenwärtige Konflikt vom Bedarf an Militärpferden und Pferden für die Landwirtschaft die Zucht. 1848 wurde das Gestüt dem Ministerium für landwirtschaftliche Angelegenheiten unterstellt. Vor diesem Hintergrund erfolgte eine Reformierung der Zuchtgrundsätze und Klassifizierung der Hengste. Warendorf erlebte einen regen Wechsel im Führungsregiment, was keine Ruhe in die Zuchtausrichtung brachte. Gestütsleiter von Heuser letztlich wagte einen Neuanfang und läutete seine Ära mit einer drastischen Reduzierung der aufgestallten Hengste ein, da er die Gesundheit der Hengste durch ungemäße Stallungen in Gefahr sah. Mit lediglich knapp über 100 Hengsten wurden in zwei Jahren Bedeckungszahlen von rund 5.100 Stuten erzielt. Die Zuchtausrichtung festigte sich.

Seit ein paar Monaten im Amt: Der neue Gestütsleiter des NRW-Landgestüts Dr. Felix Austermann. Foto: Georg Frerich

Das Landgestüt um 1900. Foto: NRW-Landgestüt Warendorf

Krieg verändert alles

1904 folgte die offizielle Etablierung des Westfälischen Pferdestammbuchs, das sowohl einen kaltblütigen- als auch warmblütigen Schlag vorsah. „Die Rheinisch-Deutschen Kaltblüter haben für Warendorf nach wie vor einen
enorm hohen Stellenwert. Wir arbeiten aktiv daran, diese Rasse zu erhalten und den Züchterinnen und Züchtern eine gute Auswahl an Blutlinien zur Verfügung zu stellen – die Kaltblüter gehören einfach zu Warendorf“, erklärt Dr. Austermann. Die Nachfrage nach Kaltblutfohlen stieg zur damaligen Zeit rapide, aber auch Warmblüter wurden beliebter: 1935 wurden 16.662 Stuten von Landbeschälern gedeckt. Mit der zunehmenden Aufrüstung und dem Bedarf an 2,7 Millionen Pferden für Kriegszwecke nahm die Belegungszahl durchgängig zu. In den Wirren des Krieges und unter Besetzung durch amerikanische und britische Truppen, mussten die Hengste auf andere Stationen verteilt werden. Erst Mitte 1946 wurde das Landgestüt in großen Teilen wieder freigegeben, der Zustand war allerdings katastrophal

Die Rheinisch-Deutschen Kaltblutpferde gehören seit jeher zum NRW-Landgestüt in Warendorf dazu. Hier genießt der Hengst Adoro Freilauf im Winter

Die Stallungen im Landgestüt sind öffentlich zugänglich.

Sympathieträger Kaltblut

Am 23. August 1946 gründete die britische Militärregierung das heutige Bundesland Nordrhein-Westfalen und das Landgestüt erhielt seinen bis heute gültigen Namen: Nordrhein-Westfälisches Landgestüt Warendorf.
Zu dem Zeitpunkt lag das Verhältnis von Kaltblut- zu Warmbluthengsten bei 2:1. „Unsere Kaltblüter sind immer noch Sympathieträger – das merkt man auf jeder Veranstaltung. Und ich denke, dass die Nachfrage auch in Zukunft wieder steigen wird, vor allem in Hinblick auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit. In Wald und Forst ist das Kaltblut nach wie vor etabliert – und perspektivisch wird dieser Trend wohl erhalten bleiben, oder auch weiter steigen“, prognostiziert Gestütsleiter Dr. Austermann.

Jubiläum im Blick

„Die Jubiläumsfeier steht im Prinzip kurz vor der Tür. Mit Blick auf dieses bedeutsame Jubiläum haben wir auch bestimmte Aufgaben und Pflichten: Einerseits das Jubiläum gebührend zu feiern, andererseits das Landgestüt auf
die Zukunft vorzubereiten. Auf diese Herausforderungen freue ich mich besonders. Wir wollen das Gewesene feiern, aber auch guten Mutes in die Zukunft schauen“, sagt Dr. Austermann. Neben den Haupt- und Landgestüten werden private Hengsthalter zunehmend präsenter bei der Züchterschaft und hinsichtlich der Aufstellung von Hengsten. „Natürlich sind wir irgendwo Konkurrenz, aber wir als Landgestüte haben den Vorteil, nicht auf jeden Modetrend aufspringen zu müssen, wir können den Hengsten, in denen wir Potential sehen, auch die nötige Zeit geben, sich zu etablieren. Wir können besondere Blutlinien erhalten und einen breiten Genpool zur Verfügung stellen“, erklärt der Gestütsleiter. Dennoch wächst der Druck von allen Seiten – und die prestigeträchtigen Haupt- und Landgestüte mittendrin. „Es ist wichtig, die Haupt- und Landgestüte zukunftssicher zu machen. Ich bin viel in Gesprächen mit Mitarbeitern und Wegbegleitern des Landgestüts. Es gibt dabei natürlich unumstößliche und wichtige Grundpfeiler wie Tierschutz und Tierwohl – diese Bereiche müssen wir weiterentwickeln“, erklärt der Gestütsleiter.

Die Pferde fühlen sich wohl auf den neuen Paddocks. Fotos (5): Georg Frerich

Als die Hengstparaden pandemiebedingt ausfallen mussten, wurden sie kurzerhand ins Digitale verlegt. Hier lenkt Obersattelmeister Rudolf Brocks fünf Kaltblüter.

Mittendrin – und eingeschränkt

Das Landgestüt befindet sich im Zentrum der Stadt Warendorf. Zusammen mit der Deutschen Reitschule bildet sie in der Pferdestadt den „Gegenpol“ zur Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), dem Deutschen Olympiade Komitee für Reiterei (DOKR), dem Bundesstützpunkt Reiten sowie der Bundeswehrsportschule. Dadurch sind die Nutzungsmöglichkeiten weiterer Flächen gerade im Hinblick auf Weidegang stark limitiert. Im Zuge
der Modernisierungsmaßnahmen rüstet Warendorf auf 21 neue Paddocks auf. „Wir sind ein Landgestüt, das sich mitten im urbanen Raum befindet und damit auch mitten in der Gesellschaft, für alle frei zugänglich ist – deshalb
ist ein Zweitstandort eine mögliche Option für die Zukunft. Wir können hier nicht mal eben nebenan eine Weide dazu pachten. Andere Haupt- und Landgestüte, Beispiel Marbach, sind da deutlich besser aufgestellt“, erklärt
Dr. Austermann.

Von oben gut zu erkennen: Das Landgestüt liegt mitten in der Stadt Warendorf im urbanen Raum und ist somit vom Platz her am Standort limitiert, was Erweiterungen betrifft. Foto: Andre Aue

Bei der Symphonie der Hengste verbinden sich Pferde-Schaubilder wie diese Kaltblut-Quadrille mit der Live-Musik eines Orchesters. Foto: Fotostudio Kaup

Vorbildlich: Im NRW-Landgestüt tragen alle Reiter und Fahrer Reithelm. Hier zu sehen ist der Hengst Hanseat.

Zuschauermagnet

Gerade die zentrale Lage des Gestüts in Warendorf macht auch den Tourismus so wichtig für den Erhalt und die Etablierung als Kulturstätte. Warendorf ist Pferdestadt und das Landgestüt Magnet für jährlich mehrere Zehntausend Besucherinnen und Besucher. Der Veranstaltungskalender ist voll. Die Anspannung bei allen Mitarbeitern groß: Nach über zwei Jahren Corona-Pause öffnet das NRW Landgestüt wieder die Tore: „Wir möchten auch zukünftig Veranstaltungen wie die Symphonie der Hengste, die Warendorfer Hengstparaden bis hin zu Zuchtveranstaltungen oder Gartenausstellungen anbieten. Wir leben hier das Kulturgut Pferd und das wollen wir auch zeigen!“, resümiert der neue Gestütsleiter Dr. Felix Austermann. Aber nicht nur hinsichtlich der Zucht hat sich einiges seit den Gründerjahren getan. Auch bei den Arbeitsschutzrichtlinien zeigt sich in Warendorf der Wandel in Richtung Moderne. So sitzen die beiden Obersattelmeister bereits seit einigen Jahren mit Reithelm anstelle der traditionellen Kopfbedeckungen auf dem Kutschbock und auf dem Pferd

Bildungsstätte

Ausbildung, Fortbildung und Weiterbildung sind in Warendorf elementare Bestandteile – nicht zuletzt durch die direkte Anbindung der Deutschen Reitschule. Berufsreiter aus ganz Deutschland, Bayern ausgenommen, müssen im Rahmen ihrer Ausbildung zur Zwischen- und Abschlussprüfung nach Warendorf kommen und sich hier den hohen Ansprüchen im Sinne der klassischen Reitausbildung stellen. „Wir kooperieren bei der Ausbildung eng mit der FN, der Bundesvereinigung der Berufsreiter (BBR) und der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, um genau diesen hohen Standard zu erhalten und zu fördern“, erklärt der Gestütsleiter, der selbst in seiner Freizeit aktiv reitet. Inhaltlich und fachlich ist die Ausbildung zum Berufsreiter damit einheitlich geregelt. Neben der klassischen Reitausbildung beheimatet das Landgestüt auch die Fachschule Fahren, in der Lehrgänge und
Prüfungen vom Fahrabzeichen bis zum Fahrlehrer angeboten werden.

Hoher Ausbildungsstandard

Das Landgestüt zählt rund 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und gilt mit 22 Auszubildenden als eines der größten staatlichen Gestüte Europas. Ausgebildet wird in den Fachrichtungen „Klassische Reitausbildung“, „Pferdezucht“ und „Pferdehaltung und Service“. Hinsichtlich der Ausbildung in der Fachrichtung Zucht gibt es beständige Kooperationen mit anderen Haupt- und Landgestüten. „Wir haben hier keine Stutenherde, von daher ist ein Austausch der Auszubildenden über einen gewissen Zeitraum mehr als sinnvoll, damit sie auch wirklich gut und umfassend ausgebildet werden können“, erklärt der Gestütsleiter. Um ein möglichst breites Ausbildungsspektrum zu ermöglichen, werden die Mitarbeitenden vor Ort zusätzlich von renommierten externen Ausbildern in den Disziplinen Dressur und Springen unterstützt. „Dadurch sichern wir die Überprüfung unserer hohen Standards bei der Ausbildung unserer Reiterinnen und Reiter sowie bei den Hengsten ab“, resümiert Dr. Austermann, der zuvor unter anderem den Bereich Tierhaltung und Tierschutzrecht in der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen leitete. So ist nun Hans-Heinrich Meyer zu Strohen neuer Dressurausbilder im Gestüt. Fritz Lutter unterstützt als Ausbilder im Bereich Springen.

Das Landgestüt Warendorf steht nicht nur für erstklassige Qualität bei den Landbeschälern, sondern auch hinsichtlich der Ausbildung von Reitern undFahrern. Davon darf sich auch gern die Öffentlichkeit ein Bild machen. Foto: Georg Frerich

Entwicklungsperspektiven

Die Daseinsberechtigung von Haupt- und Landgestüten als Bewahrer des Kulturguts Pferd steht außer Frage. Dennoch sind Entwicklungsperspektiven immer präsentes Thema: Vor diesem Hintergrund wurde ein Arbeitspapier auf den Weg gebracht, dass die Aufgaben, die Ausrichtung, Organisation und Wirtschaftlichkeit des NRW-Landgestüts beleuchtet und sowohl Zukunftsperspektiven als auch Handlungsbedarfe aufzeigt. „Die Welt und der Reitsport wandeln sich, da müssen wir als Haupt- und Landgestüte mutig vorangehen“, appelliert der engagierte Gestütsleiter. Grundlage dieses Berichts war unter anderem ein Workshop zur Zukunftsfähigkeit des Landgestüts, an dem verschiedene Organisationen, Verbände, Einrichtungen und Vertreter teilgenommen haben. Im Mittelpunkt standen Fragen zu Rolle und Aufgaben des Landgestüts in Warendorf – auch hinsichtlich wirtschaftlicher Interessen – und natürlich Zukunftsperspektiven und Möglichkeiten, gerade auch im Bereich Tierschutz und Tierwohl sowie eine sich daraus ableitbare Vorbildfunktion. Das Ergebnis ist eindeutig: Das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz bekennt sich ausdrücklich zum Erhalt des Landgestüts am Standort Warendorf, sieht aber auch die Notwendigkeit, Veränderungen einzuleiten, darunter:

Verbesserung des Tierwohls durch bauliche Veränderungen und die Suche nach einem möglichen Zweitstandort
Abbau des Investitionsstaus
Baumaßnahmen im Hinblick auf die Deutsche Reitschule
Digitalisierung
Optimierung des Deckstellennetzes
Aufbau veterinärmedizinischer Fachexpertise
Ausbau und Aufbau eines Kompetenzzentrums Pferd
Intensivierung der Zusammenarbeit mit Stadt und Region
Freude auf die Zukunft

Es wird sich in den kommenden Jahren viel tun hinter den geschichtsträchtigen Mauern des Landgestüts Warendorf. „Da kommt viel Arbeit auf uns zu. Trotzdem bin ich die Stelle mit großer Zuversicht und viel Freude angetreten. Ich sehe die Herausforderungen als Chance und Gestaltungsspielraum“, resümiert Dr. Austermann. Denn nur mit Perspektive und Vorausblick lässt sich diese einmalige Kulturstätte erhalten.

Lorella Joschko

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