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Supplemente in der Pferdefütterung

Bedeutung mentaler Stärke im Pferdesport

Kopf frei! Ängste erfolgreich ablegen

Egal in welcher Disziplin und auf welchem Ausbildungsstand, ob auf dem Turnier oder im Alltag zuhause: die Kommunikation zwischen Reiter und Pferd steht immer im Mittelpunkt. Manchmal ist diese Kommunikation allerdings gestört, weil der Reiter nervös ist, sich zu viel Druck macht, sich nicht konzentrieren kann oder er schlichtweg Angst hat. Hier kann es helfen, gezielt an der eigenen mentalen Stärke zu arbeiten, um dadurch auch die Kommunikation mit dem Pferd zu präzisieren und zu verbessern. Positiver Nebeneffekt: Ein selbstbewusster, konzentrierter Reiter im Sattel senkt das Verletzungsrisiko für sich und das Pferd. Doch wie anfangen, den Kopf freizubekommen?

Mit einfachen Atemübungen lässt sich Stress abbauen – dabei wird tief durch die Nase ein und leicht verlängert durch den Mund ausgeatmet. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

Führt der Kopf im Sattel ein Eigenleben, leidet die Konzentration, der Reiter ist insgesamt blockiert, kann sein und das Potenzial seines Pferdes nicht entfalten, begibt sich und den Vierbeiner im schlimmsten Fall sogar in gefährliche Situationen. Hier kann mentales Training helfen, den Kopf wieder freizubekommen. „Mental fit zu sein, ist genauso wichtig wie körperlich fit zu sein“, bringt es Lena Heinze auf den Punkt. Sie ist Sportwissenschaftlerin mit Zusatzausbildung zur Sportpsychologie. Sie sagt: „Mentaltraining ist mittlerweile salonfähig geworden. Früher hatte das etwas von ,auf die Couch legen‘, mittlerweile ist dieses Bild bereinigt und es hat auch ein Stück weit mit Professionalität zu tun, sich mental zu schulen. Mentales Training hat Auswirkungen auf unser Tun. Die Forschung ist sehr weit, um darstellen zu können, wie sich mentales Training auswirkt. Ein wichtiger Forschungsschritt für mich war: Wenn wir mental trainieren, sprechen wir dieselben Gehirnareale an, die auch in der Praxis angesteuert werden. Das, was passiert, ist etwas völlig Normales. Körper und Geist hängen ja immer zusammen. Mentales Training ist kein Hokuspokus!“

Nicht nur für Profis!

Ob man Mentaltraining braucht, hängt nicht vom Alter ab, eher davon, wie sich der Reiter verbessern möchte, wie hoch der Leidensdruck ist bzw. wie sehr man sich selbst im Weg steht. Gerade junge Reiter sind zu Beginn ihrer Karriere im Sattel zunächst meist unbedarft, aber manchmal verändert sich das mit der Zeit, weil sich die (eigenen) Erwartungen verändern, die Ziele größer werden und sich die eigene Stresstoleranz verringert oder andere Ängste hinzukommen – das kann hemmen. Wichtig zu wissen: Mentales Training ist nicht disziplinspezifisch oder nur für ein bestimmtes Leistungsniveau geeignet. Freizeitreiter, die ein (mentales) Problem im Sattel haben, können genauso profitieren wie ambitionierte Amateure oder Profireiter, bei denen es darum geht, die eigene Leistung bis ins letzte Detail auszuschöpfen, sich noch besser fokussieren zu können oder Versagensängste zu überwinden.

Konzentriert, fokussiert: Beim Reiten spielt der Kopf eine große Rolle. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

Hier gibt es Hilfe

Beim Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) gibt es eine Datenbank mit qualifizierten Experten: www.bisp-sportpsychologie.de Darüber hinaus gibt es viele Experten, die auch Mentalcoaching anbieten – hier empfiehlt es sich, sehr differenziert nach den genauen Qualifikationen zu fragen.

Reden hilft! Sich Ängste einzugestehen, sie zuzulassen und sich Hilfe zu suchen, ist der erste Schritt zur Lösung des Problems. Der Ausbilder ist hier ein möglicher Ansprechpartner. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

Gedanken ausschalten

Doch wie läuft Mentaltraining überhaupt ab? Zunächst einmal ist Mentaltraining ein Teil der Sportpsychologie und das Grundprinzip ist, eine Bewegung zu lernen bzw. darzustellen, ohne sie wirklich auszuführen. Es geht also darum, eine Vorstellung davon zu bekommen, wie man eine Bewegung optimal ausführen kann. So erstellt sich der Reiter eine Art „inneres Drehbuch“ und setzt sich dadurch intensiv mit den einzelnen Schritten einer Lektion oder Übung auseinander. Im Idealfall bereitet der Reiter also sein Gedankensystem so gut vor und trainiert Abläufe durch Wiederholungen im Kopf, dass er sich im Sattel allein auf die Hilfengebung konzentrieren kann.

Mentaltraining lehrt, wie man im Training und auf Turnieren seine beste Leistung auf den Punkt abrufen kann, wie man Handlungsabläufe im Kopf durchgeht, um sie dann in der Praxis parat zu haben, und wie man im Hier und Jetzt sein und störende, hemmende Gedanken einfach „ausschalten“ kann. Das mentale Training gibt dem Reiter parallel zum Training im Sattel die Möglichkeit, sich ohne Pferd zu schulen. „Aus meiner Sicht ist Mentaltraining gerade im Pferdesport wichtig, weil wir für das Pferd mitdenken, vorausdenken müssen, und nicht nur für uns selbst bestmöglich vorbereitet sein sollten“, betont Lena Heinze. „Die Hilfengebung im Sattel ist sehr facettenreich, wir müssen sehr fokussiert bei der Sache sein. Hinzu kommen die Einflüsse der Umwelt und des Umfelds. Und ein Pferd hat unterschiedliche Gemütszustände wie wir auch. Es geht darum, Verhaltensweisen so gut steuern zu können, dass wir am Ende das Ideale rausholen.“

Hilfe zur Selbsthilfe

Mentales Training heißt bewusst Training, weil der Mensch, in dem Fall der Reiter, die Strukturen trainieren muss – erst am Tisch und später auch in der Praxis. Eine mentale Schwäche ist wie ein falsches Bewegungsmuster – dieses zu ändern, ist mitunter schwierig. Wie sich das Training gestaltet, hängt sehr von der jeweiligen Person und den Erfahrungen ab, die sie gemacht hat – das ergibt ein breites Themenspektrum. „Ich möchte meinen Schülern mit dem mentalen Training ein Werkzeug an die Hand geben, mit dem sie sich selbst coachen können. Mir ist wichtig, dass keine Abhängigkeit entsteht. Es geht immer darum, die Schüler dahingehend zu bestärken, dass sie sich auf sich selbst verlassen können“, erläutert Lena Heinze ihren Trainingsansatz. Dem pflichtet auch Sportpsychologin Dr. Gaby Bußmann bei: „In der Sportpsychologie beziehungsweise beim mentalen Training erarbeiten wir gemeinsam Grundlagen und vermitteln individuell angepasste Tools, die die Reiter eigenständig einsetzen können. Weitere Interventionen erfolgen dann je nach Bedarf. Wir vertreten das Selbstwirksamkeitsprinzip: Der Reiter kann immer besser selbst herausfordernde und schwierige mentale Situationen meistern.“

Sich selbst von außen sehen: Videoaufzeichnungen sind heute schnell erstellt und können helfen. Foto: Stefan Lafrentz

Beim Anreiten eines Sprungs die eigenen Gedanken positiv beeinflussen und sagen „Ich sehe die Distanz und nehme sie“. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Drei Methoden

Prinzipiell gibt es beim mentalen Training drei Methoden. Beim „subvokalen Training“ wird der geforderte Bewegungsablauf über das positive Selbstgespräch geschult. Beim Anreiten eines Sprungs denkt der Reiter also nicht: „Oh Gott, ich sehe die Distanz nicht. Ich schaffe das nicht“, sondern „Ich sehe die Distanz, ich halte den Galopp, ich reiten in eine gute Distanz.“ Mit dieser Technik vergegenwärtigt er sich also die Situation und die benötigte Technik. Beim „verdeckten Wahrnehmungstraining“ visualisiert man aus distanzierter Beobachterrolle einen Film über den Bewegungsablauf, den man verbessern möchte, vor dem inneren Auge. Man beobachtet sich von außen. Hierbei helfen auch Videoaufzeichnungen, die heute mit dem Smartphone leicht zu erstellen sind. Beim „ideomotorischen Training“ hingegen geht es darum, eine Bewegung aus der Innenperspektive zu betrachten. Das bedeutet, man stellt sich genau vor, wie sich die Bewegungsausführung anfühlt und wo die Knackpunkte des Bewegungsablaufs liegen.

Positive Ziele setzen

Lena Heinze hat gemeinsam mit Dr. Gaby Bußmann das Arbeitsbuch „Mental stark im Pferdesport – zufrieden, konzentriert, selbstbewusst“ geschrieben. Darin heißt es, dass es für jedes Training wichtig ist, sich Ziele zu setzen. Ziele sollten dabei immer spezifisch, messbar und positiv formuliert sein. Der Reiter legt also fest, was er mit seinem Pferd erreichen möchte, und fokussiert sich eben nicht auf das, was er vermeiden will. „Es ist sinnvoll, diese wohldefinierten Ziele schriftlich so präzise wie möglich festzuhalten und gegebenenfalls die Schritte der Umsetzung festzulegen. Durch das Aufschreiben erhalten die Ziele eine andere Qualität, sie werden zu einer bindenden Verpflichtung. Durch bildliches Vorstellen wird die Motivation nochmal erhöht“, wissen die beiden Mentaltrainerinnen.

Sich an alte Erfolge zu erinnern, kann helfen, wieder zurück zu alter Stärke zu finden. Foto: RuF Kloster Heiligenrode

Ein selbstbewusster, konzentrierter Reiter im Sattel senkt das Verletzungsrisiko für sich und das Pferd. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

Übungen zum Nachmachen

Um an mentaler Stärke zu arbeiten, gibt es viele verschiedene Übungen:
Am einfachsten lässt sich Stress
durch „befreiendes Ausatmen“ abbauen. Die Atementspannung ist die natürlichste Form, um sich zu entspannen. Sie ist schnell zu erlernen und überall einsetzbar. Die Augen schließen, drei- bis sechsmal durch die Nase einatmen und leicht verlängert durch den Mund ausatmen. Mit jedem ausströmenden Atemzug lässt man die Anspannung und alles, was einen belastet, wegfließen.
Eine Übung für Konzentration und Achtsamkeit ist zum Beispiel „Der Scheinwerfer“: Dazu stellt sich der Reiter im Kopf einen Schweinwerfer vor. Der Reiter ist der Kameramann, Beleuchter und Regisseur zugleich. Der Lichtstrahl kann alles, was der Reiter möchte und was ihm wichtig ist, in hellem Licht erleuchten lassen.
Es gibt die „Als-ob-Methode“: Wenn man so agiert, als ob man eine bestimmte Stimmung und Einstellung hätte, dann hat man diese zum Schluss auch tatsächlich. Die Chemie des vorgetäuschten Gefühls ist gleich mit der des echten Gefühls. Wenn man selbstsicher sein will, sollte man sich auch so verhalten. Denn durch Körperhaltung, Atmung, Mimik, und Stimmlage lässt sich die innere Einstellung steuern.
Störende Gedanken kann man durch ein Stopp-Signal unterbrechen oder man stellt sich vor, durch einen Magnetfilter zu gehen, an dem alle negativen Gedanken hängenbleiben. Anschließend vergegenwärtigt man sich seine Stärken und die seines Pferdes.
Leitsätze bzw. positive Selbstgespräche wie zum Beispiel „Ich zeige hier und jetzt, was wir drauf haben!“ oder „Ich genieße das Reiten und habe Spaß!“ erhöhen das Selbstvertrauen und die Stimmung.
Wenn das „System“ nicht mehr richtig funktioniert und sich negative Gedanken einschleichen, hilft es, einen Reset des eigenen mentalen Computers vorzunehmen. Das System wird sozusagen einmal heruntergefahren und geordnet wieder hochgefahren.

Sicherheit durch Rituale

Auch Rituale und Routinen geben Sicherheit, Halt und Orientierung, so dass weniger Stress entsteht und der Reiter sich besser fokussieren kann. Rituale sind fest eingeplante Tätigkeiten, die einen hohen persönlichen Symbolgehalt haben. So gibt es Reiter, die ihrem Pferd nach jedem Aufsitzen ein Leckerli geben und dadurch einen Moment des vertrauensvollen Miteinanders schaffen. Routinen sind immer wiederkehrende, gleiche Abläufe. Eine solche Routine kann etwa das Schrittführen vor dem Aufsitzen sein. Besonders im Turnierstress können Rituale und Routinen helfen, die Ruhe zu bewahren und feste Abläufe beizubehalten. Außerdem helfen sie, sich zu fokussieren, wenn das Pferd zum Beispiel auf dem Turnier zu sehr abgelenkt ist.

Rituale und Routinen geben Sicherheit – hierzu kann auch der immergleiche Ablauf beim Fertigmachen des Pferdes zählen. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Für jedermann! Mentales Training ist nicht disziplinspezifisch, sondern für jedes Leistungsniveau geeignet. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Die Sache mit der Angst

Angst gehört zur Basisausstattung an Gefühlen und sollte nicht immer nur negativ gesehen werden. Im Gegenteil: Sie ist hilfreich für jeden Reiter. „Sie macht aufmerksam, risikoreiche Aktionen zu vermeiden und sorgt dafür, dass Personen handlungsfähig bleiben, die Muskulatur wird durchblutet. Wichtig ist das passende Maß an Angst, um handlungsfähig zu bleiben. Zu viel Angst blockiert und lähmt. Ein erster Schritt ist, sich die Angst einzugestehen. Angst will gesehen und wahrgenommen werden“, heißt es in dem Arbeitsbuch aus den FNverlag. Angst kann viele Ursachen haben: ein Sturz, schlechte Erfahrung, Versagensangst oder eben auch eine Turnier- oder Abzeichenprüfung. Wichtig ist zunächst, die Angst zu akzeptieren und zu akzeptieren, dass Fehler zum Lernprozess dazu gehören. Dann sollte man sich gegenüber einer Vertrauensperson öffnen und analysieren: Worüber mache ich mir Sorgen, was kann ich dagegen tun, für welche Vorgehensweise entscheide ich mich?

Raus aus der Angst

Angstmuster können durch bestimmte Übungen unterbrochen werden, der „Gedankenstopp“ und Entspannungsübungen sind geeignete Techniken. Beim Gedankenstopp stellt sich der Reiter ein großes rotes Stoppschild wie im Straßenverkehr vor. Dabei nimmt er zwei bis drei tiefe Atemzüge, um zur Ruhe zu kommen. Das Stoppschild verbietet bildlich die negativen Gedanken. Durch diesen Reset schafft er die Basis für eine genauere Analyse der Situation. Mit eigenen Mutsätzen und einem positiven inneren Dialog geht es dann weiter, der Reiter konzentriert sich auf seine Stärken und die seines Pferdes und festigt so Selbstvertrauen und Zuversicht. „Mein Pferd und ich sind ein tolles Team, ich weiß, dass ich mich auf es verlassen kann.“ Oder „Wir sind beide topfit und haben gut trainiert, wir werden diese Aufgabe meistern.“ sind Beispiele für solche positiven Mutsätze, die der Angst entgegenwirken. Videoaufzeichnungen von früheren Erfolgserlebnissen sind ebenfalls sehr hilfreich, denn sie schaffen eine positive Verfassung und lassen der Angst weniger Raum.

In den Flow kommen

Auch mit einem Misserfolg umzugehen, will gelernt sein. Hier gilt es, ihn zunächst zu akzeptieren, anschließend nach Lösungen und Unterstützung zu suchen, das Selbstvertrauen wieder aufzubauen und sich dann auf die Planung und mentale Vorbereitung der nächsten Aufgabe zu konzentrieren. Wenn Gefühle, Gedanken und Motive übereinstimmen, bekommt der Reiter ein Gefühl von „Ich bin im Flow“.

Junge Reiter sind zu Beginn ihrer Karriere im Sattel zunächst meist unbedarft – das kann sich jedoch ändern. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

 Alles scheint mühelos. Man ist der Aufgabe gewachsen, es herrscht das Gefühl von Kontrolle, der Reiter kann sich konzentrieren, Sorgen verschwinden, er ist selbstbewusst und das Empfinden von Zeitabläufen ist anders. Um in diesen Flow zu kommen, ist es ratsam ein eigenes Motiv zu finden und ein klares Ziel zu formulieren. Es gilt Herausforderungen zu finden, die den Fähigkeiten von Pferd und Reiter entsprechen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und im besten Fall Erinnerungen an vergangene Flow-Erlebnisse zu nutzen. Auch Musik und Bilder können hier unterstützen. Wer es schafft, den Kopf frei zu bekommen, querschießende Gedanken auszublenden und bei sich zu bleiben, ist auf seiner persönlichen Skala mentaler Stärke schon ein ganzes Stück vorangekommen.

Laura Becker

Buchtipp aus dem FNverlag

Möchte nicht jeder Reiter im Umgang mit seinem Pferd selbstbewusst und mental gefestigt sein? Dafür ist es entscheidend, dass der Reiter mit seinen Emotionen umgehen kann und auch den richtigen Fokus hat, um angemessen auf das Pferd einwirken zu können. Das Buch „Mental stark im Pferdesport: zufrieden – konzentriert – selbstbewusst“ aus dem FNverlag richtet sich an alle Aktiven im Pferdesport, unabhängig von Disziplin, Alter und Leistungsklasse. Es bietet konkrete Schritte, sich mental besser aufzustellen und selbstbewusst an Herausforderungen heranzugehen.

ISBN: 978-3-88542-359-1
Preis: 22 Euro
www.fnverlag.de

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