Vorheriger Artikel

Ausgabe 03/2023
10 Tipps für die Arbeit mit Cavaletti

Nächster Artikel

Ausgabe 03/2023
Fair geht vor: Jugend für Fairness engagiert

Interview zum Thema Bodenarbeit

„Ungemein wichtig für harmonisches Reiten“

Früher oft milde belächelt, haben in den letzten Jahren immer mehr Reiter den Wert von Bodenarbeit erkannt und auch die FN-Bodenarbeitsabzeichen und die Ergänzungsqualifikation Bodenarbeit für Ausbilder tragen dieser Entwicklung Rechnung. Im Interview mit dem PM-Forum verraten FN-Ausbildungsbotschafter Christoph Hess und die internationale Dressurreiterin Bernadette Brune, was Bodenarbeit für sie und ihre Ausbildungsphilosophie bedeutet.

Bodenarbeit ist sehr wertvoll für die Pferd-Mensch-Beziehung, kann richtig Spaß machen und ist gar nicht so langweilig wie einige denken. Fotos (5): Jacques Tof

PM-Forum: Wie sind Sie zur Bodenarbeit gekommen?

Christoph Hess: Ich muss gestehen, dass ich der Bodenarbeit früher, wie sie vielerorts praktiziert und angepriesen wurde, keinen Rückenwind gegeben habe. Sie war immer mehr Selbstzweck als Mittel zum Zweck, wurde also nicht genutzt, um zum Beispiel gezielt an reiterlichen Problemen und Schwachstellen zu arbeiten. Genau darum hat mich Bernadettes Arbeit auch direkt überzeugt: Sie zeigt, dass man nicht das eine oder das andere machen muss, sondern dass Bodenschule und Reiten unweigerlich zusammengehören. Das beginnt beim Führen eines Pferdes und geht bis zur Piaffe an der Hand. Die Bodenschule, die das Reiten unterstützt und vorbereitet, hat mich schon immer beeindruckt. Gerade Richard Hinrichs hat mich geprägt. Er setzt in der Bodenschule seine Körpersprache so gezielt ein, dass sich selbst unser Pferd, das wirklich schon lange nicht mehr piaffiert ist, von ihm sofort in halben Tritten versammeln ließ. Daran habe ich gemerkt, Pferde wollen mit dem Menschen kommunizieren und sie haben Spaß an der Arbeit an der Hand. Das zeigt aber auch, dass Bodenarbeit gelehrt und gelernt werden muss.

Bernadette Brune: Ich war lange Zeit in Frankreich und dort hat Elisabeth de Corbigny jahrelang mit meinen Pferden gearbeitet. Ihr System hat unter anderem Elemente der Bodenarbeit eingebunden. Ich habe in der Arbeit wirklich viel erkannt und fand es sehr spannend, wie sie mit den Pferden umgegangen ist, wie sie mit ihnen kommuniziert hat. Später hatte ich dann selbst einen sehr schwierigen Totilas-Sohn, bei dem ich einfach nicht weiterkam. Er hatte unglaubliche Angst vor allem, was von hinten auf ihn zukam und es wurde zum Teil auch sehr gefährlich. Ich musste mir daher überlegen, wie ich an ihn rankommen und ihm die Angst nehmen kann. Also habe ich das System von Elisabeth de Corbigny gewissermaßen übernommen, aber mit eigenen Elementen wie „Spielzeug” kombiniert. Der Schlüssel war letztlich die Bodenarbeit. Das war für mich dann auch der Anfang dieser Reise. Mit dem Pferd konnte ich später übrigens sogar auf der Equitana auftreten, trotz der doch beeindruckenden Atmosphäre – und auf der anderen Seite waren wir auch im Sport erfolgreich. Durch diese Erfahrung habe ich genauer hingeschaut und mir einfach einen eigenen Weg gesucht, wie ich Bodenarbeit zielgerichtet in mein Trainingsprogramm integrieren kann.

PM-Forum: Blicken wir einmal auf junge Pferde und das Anreiten – welche Vorteile ergeben sich hier durch die Bodenarbeit?

Bernadette Brune: Warum auf ein nervöses Pferd steigen und beim Anreiten ein Risiko eingehen? Gerade hier wird oft so viel falsch gemacht, das ist einfach schade. Für mich ist es nicht wertschätzend einem Pferd gegenüber, wenn ich es innerhalb von einer Woche anreite – was natürlich durchaus möglich ist. Unterm Strich sind viele Pferde in so einer Situation muskulär gar nicht in der Lage, den Reiter zu tragen. Das kann Angst machen und zu Unsicherheiten führen. Warum also sollte ich mein Pferd überfordern, wenn es auch anders geht? Warum nicht erst das Pferd gelassen und angstfrei machen und dann mit dem Anreiten beginnen? Durch die Bodenarbeit bekommt das junge Pferd ein besseres Gefühl für seinen eigenen Körper. Die Übungen vermitteln Balance, Selbstbewusstsein – und je nachdem, was man an Equipment einbaut, werden sie auch unerschrocken und gelassener. Dann ist das Pferd auch sicherer mit den weiteren Schritten, wenn zum Beispiel ein Reiter aufsitzt.

PM-Forum: Erzählen Sie mehr. Wie beginnen Sie konkret mit einem jungen Pferd zu arbeiten?

Bernadette Brune: Die ersten vier Wochen wird die klassische Vorbereitung gemacht: Anlongieren, Anlegen der Ausrüstung, Führen – also der einfache Umgang und die anfänglich „normale“ Arbeit vom Boden. Danach übernehme ich die Pferde. Grundsätzlich arbeite ich mit drei Grundübungen: Gehen und Halten, Vorhandwendung sowie Hinterhandwendung. Wichtig ist mir auch, dass die Pferde für die Bodenarbeit immer aufgewärmt sind. Es gibt bei mir aber nicht den einen Plan, nach dem ich mich richte. Die Pferde geben den Weg vor – und die Zeit. Bei manchen kann ich gleich mit der Handarbeit beginnen, mit anderen arbeite ich erst frei. Aber vor allem die Freiarbeit erfordert ein hohes Maß an Disziplin und Körperbeherrschung für den Menschen. Viele verkennen das, Halfter ab und scheuchen – wie im Film. So ist es aber nicht. Freiarbeit und die entsprechende Körpersprache müssen gelernt werden. Ich muss genau wissen, wie ich das Verhalten des Pferdes interpretieren muss, um zu erkennen, wann ich den Druck erhöhen oder ihn verringern muss.

Christoph Hess und Bernadette Brune standen für ein PM-Hybrid-Seminar 2022 auch schon gemeinsam in der Reitbahn. Foto: Antje Jandke/FN-Archiv

Vertrauensvoll folgt das Pferd Bernadette Brune.

PM-Forum: Bodenarbeit wird ja oft immer noch eher im Freizeit- und Horsemanship-Bereich verortet – warum sollte sich das ändern?

Christoph Hess: Es erleichtert das Reiten, es erleichtert den Kontakt, die Kommunikation und stärkt die Bindung zwischen Pferd und Reiter. Das ist ungemein wichtig für harmonisches Reiten. Unterm Strich gibt es eigentlich nur Vorteile und ehrlicherweise hätte ich mich der Sache auch früher aufgeschlossen zeigen müssen (lacht). Umso schöner zu sehen, dass auch erfolgreiche Reiter wie Bernadette die Bodenarbeit integrieren und ihren Wert erkennen. Wir müssen einfach anfangen, auch mal nach links und rechts zu schauen.

Bernadette Brune: Genau, es geht nicht um das eine richtige Konzept, es geht eher darum, dass man die Augen für neue Wege und Möglichkeiten öffnet. „Es verändert das Leben des Pferdes“ – dieser Spruch hat sich bei mir eingebrannt. Und mit dieser Mentalität gehe ich auch an das Training und die Ausbildung jeden Pferdes heran. Jedes Pferd ist individuell zu sehen und so muss auch die Ausbildung einfach immer angepasst werden. Das sind wir unseren Pferden schuldig.

PM-Forum: Wie integrieren Sie die Bodenarbeit in ihr Training? Und wie vermitteln sie diese als Ausbilder?

Christoph Hess: Im Leben, speziell in der Ausbildung von Pferden, gibt es keine Blaupause. Auch ich muss mich trotz meiner Erfahrung immer neu an den Reitschülern ausrichten. Unfallverhütung ist im Reitsport essenziell und
dazu kann Bodenarbeit entscheidend beitragen. Gerade bei ängstlichen Reitern und/oder Pferden kann sie helfen, die Bindung und das Vertrauen zu stärken. Deshalb bin auch so begeistert von Bernadettes Weg beim Anreiten und bei der Vorbereitung junger Pferde.

Bernadette Brune: Mit jedem neuen Jungpferd arbeite ich zunächst vom Boden aus. Danach baue ich die Handarbeit ein – je nach Bedarf. Gerade bei der Ausbildung muss ich als Ausbilder und Reiter auch bereit sein, wieder ein paar Schritte zurückzugehen. Insgesamt versuche ich aber einmal im Monat für alle Pferde eine Art „Spielwiese” mit den verschiedensten Elementen ins Training zu integrieren: Lautsprecher, Regenschirme, Planen, Pylonen, Matten – alles, was ich so auftreiben kann (lacht). Das bringt nicht nur Abwechslung, sondern bereitet die Pferde auch auf später vor: Verladen, Turnier, Publikum, flatternde Werbebanner…

PM-Forum: Ist die Bodenarbeit also auch eine Art Stressmanagement?

Bernadette Brune: Genau. Um junge Pferde auf schwierige Situationen, zum Beispiel auf dem Turnier, vorzubereiten, provozieren wir künstlich Stress, konfrontieren das Pferd mit Gegenständen wie Regenschirmen, Flatterplanen, Bällen und so weiter. Im ersten Schritt zeige ich dem Pferd die Gegenstände, danach arbeite ich mit ihm vom Boden aus an den Basisübungen im Umfeld dieser „Gruselelemente“ und letztlich dann auch geritten. Schritt für Schritt.

PM-Forum: Und wenn das Pferd mit Reiter gar sehr ängstlich ist?

Bernadette Brune: Wenn es vom Sattel aus nicht klappt, gehe ich einen Schritt zurück und führe wieder. Das gibt dem Pferd Vertrauen, weil es das vom Boden aus schon kennt.

PM-Forum: Wie kann ich beim Reiten an „Gruselecken“ arbeiten, damit sich das Pferd an den Stellen nicht immer erschrickt?

Bernadette Brune: Dafür habe ich mehrere kleine Tipps: Man reitet zur Ecke hin, in der das Pferd Angst hat und sagt sich selbst im Kopf, dass eine andere Stelle in der Reitbahn „viel gruseliger“ ist. Das Problem ist nämlich, dass der Kopf immer mitreitet. Der Reiter spannt sich also in dem Moment, in dem es auf die „Gruselecke“ zugeht, schon unterbewusst an, weil er ein bestimmtes Verhalten erwartet und macht unbemerkt Druck – auch wenn er es selbst gar nicht bemerkt, das Pferd merkt es und wird sich wieder erschrecken. Deshalb ist es ratsam, aus seinem Denkmuster bewusst auszubrechen. Mein zweiter Tipp: Vor der Ecke etwas ganz Schwieriges reiten, durch die Ecke dann völlige Entspannung zulassen, sodass kein Druck da ist, und nach der Ecke wieder richtig arbeiten. Nach einiger Zeit lernt das Pferd, diese Ecke mit Pause zu verbinden, also mit etwas Positivem. Daran schließt sich auch der dritte Tipp an: Die Trainingseinheit genau in dieser Ecke beenden, absitzen und das Pferd loben.

PM-Forum: Welchen Stellenwert nimmt Lob bei Ihnen denn grundsätzlich ein?

Bernadette Brune: Für das Pferd ist das beste Lob eine Pause. Pausen sind bei mir extrem wichtig – also auch ohne Streicheln und Betüddeln. Dadurch lernen die Pferde nachhaltig, dass Stehen toll ist und das erleichtert unser Ausbilderleben ungemein: bei der Grußaufstellung, beim Decke auflegen, beim Putzen…

PM-Forum: Wie läuft die Arbeit mit Geräuschen ab, zum Beispiel Applaus, Lautsprecher, Knistern? Wie gehe ich dabei am besten vor?

Bernadette Brune: Immer von hinten nach vorne. Quasi umgekehrte Psychologie. Wenn das Pferd am weitesten entfernt ist, ist das Geräusch am lautesten. Traut es sich dichter ran, sollte auch das Geräusch leiser werden. Das Pferd muss zunächst lernen, dass ein Geräusch nichts Schlimmes ist. So merkt das Pferd: Ah, wenn ich auf das Geräusch zugehe, dann verschwindet es. Diese Vorgehensweise kann das Pferd übrigens auch in seinem Selbstvertrauen stützen.

Gerade bei der Arbeit mit ängstlichen und schwierigen Pferden kann Bodenarbeit wahre Wunder wirken – entspannt bei der Arbeit vom Boden aus, ist schon mal die halbe Miete.

Wenn die Übungen mit „Gruselelementen“ vom Boden aus gut klappen, geht das Training vom Sattel aus weiter

Wer Bodenarbeit ernst nimmt, profitiert von den damit aufgebauten Grundlagen auch beim Reiten – frei nach dem Motto: Besser Reiten dank Bodenarbeit!

PM-Forum: Und wie übertrage ich das Gelernte dann in den Sattel?

Bernadette Brune: Bei der Bodenarbeit verwende ich immer die gleichen Kommandos. Diese übernehme ich dann zunächst auch vom Sattel aus und verknüpfe sie dann Schritt für Schritt mit den reiterlichen Hilfen. Bis ich ohne die Kommandos nur mit den reiterlichen Hilfen auskomme, weil das Pferd es übertragen hat. Und wenn es nicht funktioniert, dann nehme ich mir zusätzlich einen Helfer von unten dazu oder gehe wieder zwei Schritte zurück. Die Vorteile der Gelassenheitsarbeit verstehen sich von selbst: Habe ich ein gelassenes Pferd, habe ich ein zufriedenes Pferd.

PM-Forum: Gibt es etwas, dass Sie allen Reitern und Pferdehaltern raten?

Bernadette Brune: Eine für mich ganz entscheidende Leitfrage ist: Möchte ich, dass mein Pferd etwas, zum Beispiel auf den Anhänger zu gehen, genau jetzt hier und heute auf Biegen und Brechen macht oder möchte ich, dass mein Pferd in Zukunft immer gelassen auf den Anhänger geht und nachhaltig lernt? Danach sollte jeder seine Arbeit mit dem Tier ausrichten.

PM-Forum: Wie sollte die Zukunft im ganzheitlichen Pferdetraining aussehen?

Christoph Hess: Wir haben es heute oftmals mit einer Klientel zu tun, die häufig tierfern und sehr internetlastig groß wird, jedoch meint, das Tier Pferd gut zu kennen. Oftmals ist das aber nicht der Fall. Die Herausforderung ist also, die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen. Den angehenden Reitern und denen, die sich schon mit Pferden beschäftigen, denen müssen wir erst einmal ein Gefühl dafür geben, wie Pferde ticken, wie sie sich verhalten, sich bewegen… Da gebe ich immer den Tipp: Beobachtet euer Pferd! Lernt das Lebewesen Pferd in seinem Verhalten kennen. Danach kommt dann das Grundsätzliche wie Pflege, Füttern, Führen und Reiten. Nur wenn der Reiter das Pferd und seine Verhaltensweisen versteht, kann auch ein wertschätzendes Miteinander entstehen – und das sollte Ziel jeglicher Ausbildung sein. Da gehört die Bodenarbeit unumgänglich dazu und davon ausgehend dann natürlich das sportliche Reiten. Das eine baut aufs andere auf.

Bernadette Brune: Für mich wäre es wünschenswert, wenn in der Ausbildung und täglichen Praxis die Bodenarbeit fest integriert würde. In Frankreich in den Reitschulen gibt es zum Beispiel weit verbreitet einmal pro Woche Bodenarbeit mit dem Pferd, das lernt der Reiternachwuchs dort von Anfang an. Wichtig ist, das Interesse für die Arbeit mit dem Pferd vom Boden aus zu wecken und den Mehrwert für die reiterliche Ausbildung noch besser herauszustellen. Ich sage mir immer wieder: Jeden Tag, an dem du reitest, solltest du glücklich sein, dass du so eine großartige Kreatur überhaupt reiten darfst.

Das Interview führte Lorella Joschko.

Buchtipp

Das FN-Grundlagenwerk „Bodenarbeit – Pferde verstehen, Umgang und Bodenarbeitsabzeichen“ widmet sich intensiv dem Pferd und seinen ursprünglichsten Eigenschaften und Bedürfnissen. Es dient der Pferdeerziehung vom Boden aus – als wichtige Basis für das Reiten, Fahren und Voltigieren – und gibt dem Menschen umfangreiches Wissen und praktische Tipps an die Hand. In diesem Lehrbuch wird der Spagat zwischen Wissenschaft und Praxis, zwischen Verstehen und Handeln für jedermann verständlich und nachvollziehbar dargestellt.

ISBN 978-3-88542-684-4
1. Auflage 2022
Preis: 19,90 Euro
www.fnverlag.de

Vorheriger Artikel

Ausgabe 03/2023
10 Tipps für die Arbeit mit Cavaletti

Nächster Artikel

Ausgabe 03/2023
Fair geht vor: Jugend für Fairness engagiert