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Das 1×1 der Reitausbildung

Das richtige (Grund-)Tempo finden

Takt, Tempo, Rhythmus, Fleiß – Worte, die im Reitunterricht immer wieder fallen, doch bei vielen Reitern offenbar für Verwirrung sorgen. Dressurausbilderin und Sportwissenschaftlerin Dr. Britta Schöffmann erklärt, was sich hinter den einzelnen Begriffen verbirgt und welche Bedeutung sie bei der Ausbildung eines Pferdes haben.

Ein moderner Warmblüter bringt meist schon von sich aus ein gewisses Maß an Bewegungsqualität mit. Foto: Christiane Slawik

Vor über 100 Jahren formulierte Gustav Steinbrecht – der geistige Vater der klassischen deutschen Reitlehre – den Lehrsatz „Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade“. Er meinte damit aber nicht „geradeaus und Vollgas“, sondern ein durch Biegearbeit auf beiden Körperseiten gleich gymnastiziertes und somit in sich geradegerichtetes Pferd, das letztlich in allen Lektionen eine Vorwärtstendenz aus aktiver Hinterhand zeigt. Doch wie das so ist
mit guten Lehrsätzen, sie werden häufig missverstanden, verwässert oder schlicht vergessen. Und so wundert es nicht, dass auf vielen Reitplätzen entweder gemütlich geschlichen oder eilig gerannt wird. Vorwärts à la Steinbrecht? – Fehlanzeige!

Von hinten nach vorn

Was aber macht ein „richtiges“ Vorwärts aus? Tempo? Schnelligkeit? Oder vielleicht sogar Langsamkeit? Ein richtiges Vorwärts entsteht aus möglichst kraftvoll weit nach vorn unter den Körper fußenden Hinterbeinen des Pferdes, also bereits bestehender oder noch zu fördernder Schubkraft. Wie ausgeprägt diese Fähigkeit beim jungen Pferd ist, hängt zum einen vom Exterieur ab, zum anderen von der angeborenen Bewegungsqualität und natürlich auch von der Pferderasse. Ein auf Dressurblut gezüchteter und mit einem korrekten Körperbau ausgestatteter Warmblüter verfügt meist schon im jungen Alter über mehr Fähigkeit zum Schub als ein kurzbeiniges Shetlandpony oder ein vermehrt auf Tragkraft gezüchteter Iberer. Gefördert werden sollte die Schubkraft jedoch bei allen Pferden, denn ein gleichmäßiges und rhythmisches Durchfußen gelingt nur mit wachsender Kraft und bringt auch Kraft. Dabei wird der Pferderücken ebenso gestärkt wie die Muskulatur der Hinterhand und auch die Anlehnung entsteht und verbessert sich nach dem Prinzip „von hinten nach vorn an die Reiterhand heran“.

Jedes Pferd hat sein eigenes, individuelles Grundtempo, das zu seinem Körperbau, seiner Größe und Bewegungsqualität passt. Foto: Christiane Slawik

Vorwärts = mehr Gas?

Also doch einfach Gas, Gas, Gas? Natürlich nicht. Bleibt man beim Extrem Beispiel des kurzbeinigen Shettys kann man sich leicht vorstellen, dass hier bei zu hohem Tempo die kleinen Beinchenirgendwann nur noch ihre Frequenz – trippel trippel trippel – erhöhen könnten, statt weiter durchzufußen. Ähnliches passiert auch bei anderen Pferden, die von Natur aus nicht mit dem größten Gangwerk ausgestattet sind. Das passende Tempo für jedes Pferd zu finden und es dabei nicht in seiner Balance zu stören, ist deshalb enorm wichtig.

Tempoverwirrung

Zugegebenermaßen kann der Begriff Tempo manchmal für Verwirrung sorgen. Ganz allgemein hat er tatsächlich etwas mit Geschwindigkeit zu tun, mit schnell und langsam. In der Dressurreiterei bezeichnet er aber vor allem die Unterschiede zwischen Arbeitstempo, Versammlung und Verstärkung, also die unterschiedlichen Gangmaße: normal (Arbeitstempo), verkürzt (Versammlung) und verlängert (Verstärkung). Jedes Pferd hat dabei sein eigenes, ganz individuelles Grundtempo. Also eines, das zu seinem Körperbau, seiner Größe und seiner Bewegungsqualität passt. Reitet man dauerhaft über diesem Grundtempo, wird das Pferd nicht zum optimalen Durchfußen und auch nicht zum Loslassen und Schwingen kommen können. Stattdessen wird es eilig und verliert nicht selten den Takt, also das Gleichmaß seiner Schritte, Tritte und Sprünge. Wird dauerhaft unter Tempo geritten, gehen meist Aktivität der Hinterhand und Fleiß verloren, das Pferd verliert an positiver Körperspannung, seine Oberlinie wird instabil, sein Rücken vermehrt belastet.

Die Gymnastizierung des Pferdes mit viel Biegearbeit, Tempounterschieden und Übergängen fördert das taktmäßige Gehen des Pferdes. Foto: Arnd Bronkhorst

Schenkelweichen hilft, den Takt im Schritt zu verbessern – wenngleich Taktstörungen hier meist schwerer zu korrigieren sind als in anderen Gangarten. Foto: Arnd Bronkhorst

Übergänge machen Pferde fleißiger, und zwar sowohl Tempounterschiede innerhalb einer Gangart als auch zwischen den Gangarten. Foto: Jacques Toffi

Takt fühlen und verbessern

• Taktstörungen im Trab sind im Allgemeinen leicht zu spüren. Entweder spürt der Reiter einen allgemein „unrunden“ Bewegungsablauf oder aber er fühlt beim Zulegen einen deutlichen Holperer. Die normale Gymnastizierung des Pferdes mit viel Biegearbeit, Tempounterschieden und vielen Übergängen kann hier schon helfen, das Problem zu lösen.
• Taktstörungen im Galopp sind eigentlich auch gut zu spüren, zumindest für den Reiter, der einen fleißigen, sicher im Dreitakt durchgesprungenen Galopp gewöhnt ist. Denn meistens kommt es bei Taktproblemen im Galopp zum Viertakt, der sich irgendwie rumpelnd anfühlt. Wer nicht sicher ist, ob sein Pferd im klaren Dreitakt galoppiert, sollte sich vorstellen, im Walzertakt zu sein – eins-zwei-drei, eins-zwei-drei, mit der Betonung auf Eins. Mogelt sich vor der nächsten Eins ein kurzes „vier“ ein, stimmt etwas nicht. Hier hilft meist mehrmaliges energisches Zulegen, wodurch zunächst die Hinterhand des Pferdes wieder aktiviert wird. Im Arbeits- und versammelten Galopp dann Sprung für Sprung an „Angaloppieren“ denken und entsprechend einwirken.
• Taktstörungen im Schritt sind eine Hausnummer für sich. Neben dem eher schwer zu fühlenden Kurz-Lang ist eine Taktverschiebung zum Zweitakt das häufigste Problem. Ein Zackeln, also eine diagonal-zweitaktige trabähnliche Bewegung, bemerkt noch jeder Reiter. Die Taktverschiebung Richtung Pass bzw. passartigem Gang ist da schon schwieriger zu fühlen, zumindest für unerfahrene Reiter. Die Ursachen für passartige Taktverschiebungen sind vielfältig. Ein zu kurzer Zügel, eine starre Reiterhand, ein dadurch festgehaltener Pferderücken, ein falsches Tempo, ein nicht passender Sattel oder aber eine angeborene Bewegungseigenart – all das kann diese Taktstörung zur Folge haben. Die Änderung vom Viertakt hin zu einem mehr oder weniger gleichseitigen und gleichzeitigen Ab- und Auffußen spürt mancher Reiter aber erst spät oder gar nicht. Hier hilft das geschulte Auge des Ausbilders, der darauf hinweist und Lösungen an die Hand gibt. Eine davon ist das Reiten von Volten oder auch Schenkelweichen, beides taktsichernde Lektionen.

Hier forsch da bummelnd

Vor allem bei der lösenden Arbeit kann man oft beobachten, dass die Reiter eben nicht das für ihr Pferd passende Grundtempo gefunden haben. Die einen haben vielleicht mal was von Steinbrechts Lehrsatz gehört, reiten jedoch zu forsch nach vorn. Die anderen lassen ihre Pferde kraftlos bummeln. Doch nicht nur beim Lösen hat das passende – oder eben nicht passende – Tempo einen großen Effekt auf das Pferd. Häufig verwechseln Reiter in der Arbeitsphase zum Beispiel Versammlung mit langsam und Verstärkung mit schnell. Da sieht man dann Pferde, die – statt in aktivem, verkürztem Gangmaß ohne großen Kraftaufwand vom Boden abzufedern – in falsch verstandener Versammlung schwerfällig und auf der Vorhand „in den Boden hinein fallen“ und sich dann Tritt für Tritt und Sprung für Sprung wieder nach oben wuchten müssen. Eine kräftezehrende und verschleißende Art der Fortbewegung. Meist geht dabei auch noch, vor allem im Galopp, der Takt verloren. Und der Reiter, der in einer Trabverstärkung lediglich ans Gas geben denkt, erntet spätestens im Prüfungsprotokoll den Kommentar „laufend“ oder „eilig“. Was an und für sich schon ärgerlich wäre, weil es keine gute Benotung mit sich bringt. Dem Pferd nimmt das Renntempo darüber hinaus aber auch jede Möglichkeit des Schwingens. Stattdessen hält es seinen Rücken fest und bewegt nur seine Beine schneller, was sich oben im Sattel dann wie auf einem Pfefferstoßer anfühlt und auch für das Pferd eher unangenehm ist.

Das richtige Grundtempo finden

Taktstörungen hängen häufig eng mit einem falschen (Grund-)Tempo zusammen. Am besten hilft es, in allen Gangarten nach Leichtfüßigkeit und Leichtigkeit, aber auch Gelassenheit zu streben. Im Schritt ans Marschieren denken, das Pferd nicht schleichen lassen. Je mehr der Schritt energisch durch den Körper geht, im Mittel- und starken Schritt zu erkennen an einer gleichmäßigen Nickbewegung des Pferdes Richtung vorwärts-abwärts, desto eher lockert sich die gesamte Muskulatur. In Trab und Galopp sollte das Pferd im Vorwärts eine gewissse Freiwilligkeit mitbringen, sich also nicht bei jedem Tritt oder Sprung bitten lassen. Spürt man Triebigkeit, nicht jede Sekunde drücken, quetschen und mit den Schenkeln klopfen. Stattdessen wenige, kurze und gegebenenfalls energische Schenkelimpulse setzen. Nur so verhindert man Abstumpfung auf die Reiterhilfen. Pferde, die zu eilig nach vorwärts hasten, immer wieder über halbe Paraden zum „Warten“ auffordern und viele Wendungen reiten.

Das richtige Grundtempo zu finden, ist Gefühls- und Erfahrungssache – hier hilft ein guter Ausbilder, der mit Tipps und Ratschlägen zur Seite steht. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

Vorwärts ist nicht gleichzusetzen mit mehr Gas – gerade kleine Ponys mit kurzen Beinen könnten sonst irgendwann nur noch ihre Frequenz erhöhen anstatt weiter durchzufußen. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

Dass Fleiß nichts mit Schnelligkeit zu tun hat, lässt sich am besten am Extrembeispiel der Piaffe verdeutlichen. Auch hier fußt das Pferd fleißig ab, bewegt sich aber kaum vorwärts. Foto: Jacques Toffi

Wer nicht sicher ist, ob sein Pferd im klaren Dreitakt galoppiert, sollte sich vorstellen, im Walzertakt zu sein – eins-zwei-drei, eins-zwei-drei, mit der Betonung auf Eins. Foto: Jacques Toffi

Die Sache mit dem Fleiß

Das richtige Grundtempo und das korrekte Tempo zu finden, ist zugegebenermaßen Gefühls- und Erfahrungssache. Deshalb ist hier der Ausbilder besonders gefragt, dem Reiter mit Tipps und Ratschlägen zur Seite zu stehen und ihm dabei auch zu erklären, warum ein passendes (Grund-)Tempo so wichtig ist. Und spätestens hier kommen auch die beiden Begriffe Fleiß und Rhythmus ins Spiel. Fleiß verwechseln viele Reiter nämlich mit Gas geben, dabei hat er damit nur indirekt zu tun. Fleiß gibt es letztlich auch in der Piaffe – und hierbei kommt das Pferd nun wirklich nicht schnell von A nach B. Genau genommen hat Fleiß damit zu tun, mit welcher Energie ein Pferd in der Bewegung seine Hufe/Beine wieder anhebt. Eben nicht „in den Boden hinein stampfend“ sondern „vom Boden weg federnd“. Aus fleißig gerittenen Grundgangarten entstehen mit der Zeit auch mehr und mehr (Feder-) Kraft und damit mehr Athletik. Selbst im Schritt macht Fleiß oder eben ein Mangel daran – bezogen auf den Trainingseffekt – einen großen Unterschied. Man kann sich das so vorstellen: Ein fleißloser, eher geschlichener Schritt gleicht einem Schaufensterbummel. Nett, gemütlich – aber keine sportliche Betätigung. Ein fleißig gerittener Schritt ähnelt dagegen einem zügigen Gehen mit Walking-Stöcken, bei dem sich außer den Beinen auch Arme, Schultern und Rücken rhythmisch bewegen und sich die Muskulatur an- und abspannt. Im Vergleich zum Schaufensterbummel also durchaus sportliches Training, wenn auch natürlich nicht Höchstleistung.

Das Erfühlen von Takt und Rhythmus lässt sich auch gut bei der Arbeit mit Cavaletti schulen. Stefan Lafrentz/FN-Archiv

Ein richtiges Vorwärts entsteht aus möglichst kraftvoll weit nach vorn unter den Körper fußenden Hinterbeinen – noch wertvoller ist das Zulegen, wenn dabei die Anlehnung erhalten bleibt. Foto: Jacques Toffi

Fleiß erarbeiten

Wie gesagt, Fleiß ist nicht unbedingt eine Frage von Tempo. Fleiß gibt es auch in der höchsten Versammlung. Manche Pferde bringen von Natur aus genügend Fleiß mit, andere neigen eher dazu, sich mit halber Energie zu bewegen. Hier hilft das Einbauen von Tempoerhöhungen in die Arbeit, entweder Richtung Arbeitstempo oder auch Richtung Verstärkung, um den Fleiß wiederherzustellen. Auch Übergänge in kurzer Folge, zu Beispiel Trab-Schritt-Trab oder Galopp-Trab-Galopp, können fleißfördernd wirken, da sie die Reaktionsschnelligkeit des Pferdes (und auch des Reiters und seiner Einwirkung) verbessern. Insgesamt in allen drei Gangarten an einen eher „zackigen“ Bewegungsablauf denken und gemütliches Schlurfen nicht zulassen.

Eigener Rhythmus

Auch der Bewegungsrhythmus ist beim Reiten und bei der Ausbildung von Pferden von großer Bedeutung. So wie jedes Pferd sein eigenes, individuelles Grundtempo hat, so hat es auch seinen eigenen Bewegungsrhythmus. Wenn Takt, Tempo und Fleiß stimmen, dann entsteht eine ganz gleichmäßige und rhythmische Bewegung, ähnlich dem Grundschlag (Metrum) eines Musikstückes. Dabei ist es dann in der weiteren Ausbildung ganz egal, ob  in der Versammlung oder in der Verstärkung geritten wird – der Rhythmus sollte gleich bleiben. Denn es ändert sich in den verschiedenen Reittempi ja nicht die Geschwindigkeit des Bewegungsablaufes, sondern lediglich der Bewegungsausschlag, die Amplitude. Länger und flacher bei Verstärkungen, kürzer und höher in der Versammlung. Wenn alles wirklich perfekt gelingt, dann hätte die Piaffe eines Pferdes den gleichen Rhythmus wie sein starker Trab. Aber was ist schon perfekt in der Reiterei?!

Die Sache mit dem Rhythmus

Ein gleichmäßiger Rhythmus bringt ein gleichmäßiges An- und Abspannen von Mukulatur, eine möglichst geringe Gelenkbelastung und auf Dauer auch einen Kraftzuwachs mit sich. Wer sich nicht sicher ist, ob sich sein Pferd wirklich rhythmisch bewegt, kann sich zwischen den Pferdeohren ein Metronom vorstellen: Schritt-Schritt-Schritt, Trab-Trab-Trab oder Sprung-Sprung-Sprung (im Galopp) wäre der Beat der Bewegung bei immer gleichbleibendem Zeitintervall. Bei fortgeschrittener Ausbildung wäre es dann, abhängig vom Vermögen von Pferd und Reiter, auch möglich, dieses Zeitintervall zu verlängern. Die Bewegung wird dann ausdrucksvoller, getragener und kadenzierter – aber immer noch in gleichmäßigem Rhythmus.

Gefühl schulen

Das Bestreben des Reiters sollte es aber auf jeden Fall immer sein, sein Gefühl für Takt, Tempo und Fleiß zu schulen, um dann irgendwann auch in der Lage zu sein, aus einem vielleicht eher kurzen Rhythmus seines Pferdes einen getrageneren, größeren zu machen. Spätestens dann kann – je nach Dressurqualität des Pferdes – aus Traben Tanzen werden.

Dr. Britta Schöffmann

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