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Persönlichkeiten der Pferdeszene: Gabriele Pochhammer

Queen des Pferdejournalismus

Kritische, wahrheitsgetreue Berichterstattung, immer im Sinne der Pferde – diesem Grundsatz hat sich Pferdesportjournalistin Gabriele Pochhammer ihr Leben lang verpflichtet. Sie hat Karriere gemacht, viel gesehen und viel  bewegt.

Alle Fotos: Jacques Toffi

Wenn man bei Gabriele Pochhammer zu Besuch ist, kann man sich sicher sein, dass es einem an nichts fehlt – nicht an Gastfreundlichkeit, nicht kulinarisch und vor allem nicht an Stoff für Geschichten. Geschichten von Pferden, Reiterinnen und Reitern, von Skandalen, sportlichen Erfolgen und Misserfolgen, von Pressestellen, Presse-konferenzen und den größten Sportevents rund um den Globus. Insgesamt hat Gabriele Pochhammer zehn (!) Olympische Spiele als Berichterstatterin im Reitsport begleitet, mehr als jede und jeder andere: Los Angeles, Seoul, Barcelona, Atlanta, Sydney, Athen, Hongkong, London, Rio und Tokio. Sie arbeitete in Vor-Internet-Zeiten auf der ganzen Welt mit Schreibmaschine, Textschreibern, stundenlangen Telefonaten und Faxgeräten. Fotos wurden als Dias per Flieger nach Hamburg geflogen. In Barcelona 1992 wurden erstmals Texte über das Internet geschickt. „Olympische Spiele haben eine ganz besondere Atmosphäre, weil dort so viele Sportarten zusammenkommen, das Gastgeberland sich so viel Mühe gibt und weil sie für die Sportler so viel bedeuten“, erklärt Gabriele Pochhammer die Faszination Olympia. Die 74-Jährige arbeitet seit über 40 Jahren als Journalistin. Sie war 17 Jahre lang Chefredakteurin des Fachmagazins St. Georg in Hamburg – als erste Frau überhaupt auf diesem Posten – ist mittlerweile die Herausgeberin des Magazins und weiterhin freie Mitarbeiterin mit einem wöchentlichen Blog auf der Homepage, für den sie 2018 für das Silberne Pferd nominiert war. Auch die Süddeutsche Zeitung zählt auf ihre Texte.

Im Norden verwurzelt

Von Ruhestand ist Gabriele Pochhammer weit entfernt. Sie scheint oft in ihrem Kopf 100 Gedanken gleichzeitig zu haben, manche Sätze beendet sie nicht, springt auf oder zum nächsten Thema. Während des Gesprächs klingelt ihr Handy, es geht um die Besamung einer ihrer Stuten. „Da muss ich einmal schnell dran…“ Während sie erzählt, sitzt sie am Holztisch in ihrer Küche, die auch für einen „Schöner Wohnen”-Titel herhalten könnte: rustikal, norddeutsch, mit Kochinsel, einem holzbefeuerten Herd, Polstermöbel im englischen Landhausstil und mit Blick auf eine Pferdekoppel. Border Terrier Filly und Labrador Erwin haben ihren Platz an den bodentiefen Fenstern. An den Wänden hängen nicht nur Familien- und Pferdebilder, sondern auch die englische Königin und ein Hochzeitsteller von Prinz William mit Herzogin Kate, ein Gag-Geschenk von einer Freundin. Queen-Fan Gabriele Pochhammer lebt auf Gut Westerthal in Windeby, Schleswig-Holstein, umgeben von ihrer Familie, die in direkter und weiterer Nachbarschaft verwurzelt ist, die Ostsee nicht in Sichtweite, aber mit einer frischen Brise im Gesicht. Im Stall nebenan stehen drei Pferde, die Mutterstuten mit den Fohlen ein Stück Richtung Norden. Ihr Haus teilt sie sich momentan mit einer ukrainischen Familie, einer Mutter mit zwei Kindern im Teenageralter, denen sie das obere Stockwerk zur Verfügung stellt. Als Fotograf Jacques Toffi sagt, er möchte sie wie die Queen fotografieren, antwortet sie prompt: „Dann muss ich erst noch mein Diadem putzen.“

So sieht man Gabriele Pochhammer heute oft auf den großen Turnieren: stets modisch gekleidet in englischem Stil, immer auch etwas eigen mit Wiedererkennungswert und natürlich mit Hut. 

Kritisch und aufmerksam

Sie ist schlagfertig und selbstironisch. Und wenn Gabriele Pochhammer als Journalistin für etwas steht, dann ist es kritische Berichterstattung. Keine Pressekonferenz, in der sie – oft als einzige – in der Fragerunde nicht den Arm hebt, um jenseits des allgemeinen Geplänkels ein Zitat zu bekommen. Gab es einen Skandal, hat es sicherlich den ein oder anderen ins Schwitzen gebracht, ihre Telefon-nummer auf dem Display zu sehen. 

Denn sie fragt nach, auch wenn es unangenehm werden kann und egal, ob am anderen Ende der Leitung ein Funktionär, eine Richterin oder der Weltranglistenerste spricht. Ihr berufliches Credo bringt sie schnell auf den Punkt: „Der Grundsatz, nach dem ich mich immer gerichtet habe, ist erstens die Wahrheit, zweitens die Wahrheit und drittens die Wahrheit. Kritisch und aufmerksam sein, das halte ich für sehr wichtig. Und mir ist bewusst, dass man sich diese Einstellung leisten können muss. Ich hatte da immer sehr viel Rückendeckung. Es besteht natürlich die Gefahr, dass man dieser Szene so verbunden ist, dass man nicht mehr über bestimmte Leute und Dinge schreiben sollte. Ich mag diesen Sport, und ich mag Pferde – da muss man aufpassen, dass man sich nicht vereinnahmen lässt, man wird schnell als Mitglied der Szene betrachtet. Aber ich sitze nicht im selben Boot, höchstens im Boot, das nebenher rudert. Leistung kann man uneingeschränkt anerkennen, wenn man glaubt, dass es richtig ist. Aber ich verschließe nicht die Augen, wenn jemand etwas falsch macht. Man darf nicht zum Lobbyisten werden, sonst ist man nicht mehr glaubwürdig – und Glaubwürdigkeit ist das allerhöchste Gut eines Journalisten. Wenn ich PR mache, muss ich das kenntlich machen, denn dann ist man nicht mehr objektiv. Ich will über einen Sport berichten, in dem sehr viel passiert, der sehr viele Leute interessiert, der auch Spaß macht, aber ich darf nie zum Entertainer werden, dann bin ich kein Journalist mehr.“

Gabriele Pochhammer bei ihren Pferden… 

… und mit den beiden Hunden Border Terrier Filly und Labrador Erwin.

Unterstützt und angefeindet

Schöne Geschichten gab und gibt es zuhauf, sagt Gabriele Pochhammer, und auch Momente, in denen das Schreiben schwerfällt, am meisten wenn eine Reiterin oder ein Reiter tödlich verunglückt. Mit ihrer Arbeit hat es Gabriele Pochhammer geschafft, einen Ausbilder wegen Tierquälerei und Versicherungsbetrug ins Gefängnis zu bringen. Und sie hat eine internationale Diskussion angeschoben: 1992 verfasste der ehemalige Chefredakteur und damalige freie Mitarbeiter Heinz Meyer einen Beitrag darüber, wie Spitzenreiterinnen und -reiter mit ihren Pferden auf den Abreiteplätzen umgehen. Gabriele Pochhammer gab dem Beitrag die Headline „Rollkur“. Ein Begriff, der im internationalen Fachvokabular einen festen Platz bekam – in seiner vollen Tragweite allerdings erst 13 Jahre später, als Gabriele Pochhammer gemeinsam mit dem heutigen St. Georg Chefredakteur Jan Tönjes den Beitrag „Dressur pervers“ verfasste und darin vor allem die niederländischen Reiter für ihre Trainings- und Abreitemethoden scharf kritisierte. Der Beitrag löste eine Lawine aus. „Es war ein Thema, das unterschwellig gärte und reif war. Ein Thema, bei dem der St. Georg seine Kompetenz ausspielen konnte. Wir wurden unterstützt, aber auch angefeindet – da muss man dann auch mal ein bisschen den Rücken gerade machen. Es war ein Kampf, aber ich finde wir haben ihn gewonnen.“ In der Folge gab es jahrelange Diskussionen auf nationaler und internationaler Ebene und wissenschaftliche Untersuchungen. Letztendlich wurde die Rollkur verboten. Harmonische, pferdegerechte Ausbildung hat wieder einen ganz neuen Stellenwert bekommen.

Man kennt und schätzt sich. Gabriele Pochhammer ist eines der Gesichter des deustchen Pferdesportjournalismus und hat auch Isabell Werths Karriere schreibend begleitet, aber sie sagt auch, dass man aufpassen muss die Balance zwischen Nähe und kritischer Distanz zu halten

Wer viel arbeitet, darf auch mal müde sein und die Pressestelle für einen Powernap nutzen.

Zuchterfolg: Der Landos-Sohn Leonidas II ist Gabriele Pochhammers Herzenspferd, mit der neuseeländischen Vielseitigkeitslegende Mark Todd war er bei Weltreiterspielen, Olympischen Spielen und fünfmal in Badminton am Start.

Richtlinien inhaliert

Geboren ist Gabriele Pochhammer 1948 als eine von zwei Töchtern eines Diplomingenieurs und einer Ärztin in Windeby. Weil der Vater in Düsseldorf arbeitete, zogen Pochhammers schließlich nach Neuss. „Ich bin aber jede Ferien zurückgekommen und hatte dann auch hier meinen ersten Kontakt zu Pferden, auf dem Gut gab es 20 Arbeitspferde. Ich kann heute noch in den Stall gehen und weiß, wo welches Pferd stand, wie es hieß, wie es aussah, was es für Macken hatte… 

Wir Kinder durften die Pferde abends zur Koppel reiten, das war mein absolut Schönstes und da fing eigentlich alles an. Mit zehn bekam ich für ein Zeugnis ohne die Note drei Reitunterricht. Da hatte ich großes Glück, mein Reitlehrer war ein Wachtmeister des ostpreußischen Reiter-Regiments 1. Ihm verdanke ich unglaublich viel. Er hat einen unglaublich getrimmt, aber er hat auch sehr guten theoretischen Unterricht gemacht. Er hat mir die Reitlehre erklärt und ich habe die Richtlinien für Reiten und Fahren inhaliert. Da habe ich die Grundlagen begriffen. Das war, glaube ich, sehr wichtig für meinen Beruf später. Ich ritt auf Schulpferden, an ein eigenes Pferd war gar nicht zu denken. Für eine zwei gab es eine halbe Stunde extra, für eine eins eine ganze Stunde, und wenn es nicht funktionierte, wurde Reiten gestrichen.“

Extra Kuchen von Paul Stecken

Glücklicherweise war Gabriele Pochhammer eine gute Schülerin. Zu Weihnachten bekam sie einen Ferienlehrgang bei Paul Stecken in Münster, bronzenes Reitabzeichen. „In der Dressur war ich die Beste und bekam von Herrn Stecken ein extra Stück Kuchen – das kam bei mir schon damals gut an“, erzählt Gabriele Pochhammer mit einem Lachen. Ein Jahr später folgte das Silberne Reitabzeichen. Kurz vor dem Abitur bekam sie die Möglichkeit, ein dreiwöchiges Praktikum in Marienloh zu absolvieren, wo den Sommer über die Pferde von Gestüt Vornholz von Clemens Freiherr von Nagel untergebracht waren. „Das war der absolute Traum“, erinnert sie sich. „Ich habe zwei, drei Pferde eigenständig gearbeitet, der Chef kam einmal am Anfang und einmal am Ende der Ferienzeit und sagte, was wir falsch und was wir richtig gemacht haben.“ Bevor sie dann nach dem Abitur mit ihrem Studium startete, verbrachte sie noch einmal ein halbes Jahr auf Gestüt Vornholz. „Ich habe alles in der Zucht miterlebt und die Zuchtphilosophie von Baron Nagel kennengelernt. Er war der erste Züchter, der gezielt Pferde für den Leistungssport züchten wollte, damals war er ein Pionier, dem viele gefolgt sind. Sein berühmter Angloaraber-Hengst Ramzes war damals der große Held. Eine ganz wunderbare Zeit. Baron Nagel und ich kamen uns nah, obwohl der Altersabstand sehr groß war.“

Verluste und Neuorientierung

Anschließend begann Gabriele Pochhammer in München ihr Studium in Germanistik und Politologie, nahm auch an Studententurnieren teil. Später zog sie nach Hamburg und studierte weiter. Dann starb ihre Mutter recht früh, 1968 – da war Gabriele Pochhammer gerade mal 20 Jahre alt. „Da beschlossen Baron Nagel und ich, dass ich nach Vornholz ziehe. Das empörte viele in meinem Umfeld. Aber es war genau der richtige Schritt. Ich war erst Assistentin, dann Gestütsleiterin, habe das Stutbuch geführt und bin geritten.“ 1977 starb Baron Nagel, das Gestüt wurde aufgegeben. „Da musste ich mir neue Pläne machen. Ich habe in Vornholz wahnsinnig viele Menschen getroffen, von General Niemack bis hin zum Equipechef Harald Momm – Leute, von denen andere nur gelesen haben. Da dachte ich, du weißt so viel und bekommst es ganz gut zu Papier, ich sollte in den Journalismus gehen.“

Der Alt-Oldenburger Deichgraf war bis zur obersten S-Klasse erfolgreich und schaffte es, seine eigene Hengstlinie zu begründen. Foto: Volker Dusche

Sportlich! Gerade im Fahrsport sind die Schweren Warmblüter beliebt und auch sehr erfolgreich. Foto: Brit Placzek

Weg zum St. Georg

Wie es der Zufall wollte, hatte Gabriele Pochhammer auf Gut Vornholz den damaligen Verleger des St. Georg, Alexander Jahr, kennengelernt. Als sie ihm sagte, dass sie gerne Pferdesportjournalistin werden möchte, empfahl er ihr, zunächst ein Volontariat bei einer Tageszeitung zu absolvieren. Ein sehr guter Tipp, wie sie heute sagt. Sie volontierte beim Westfalenblatt und wechselte schließlich 1981 mit 33 Jahren zum St.Georg. Damals arbeitete sie noch von Rheine aus, wo ihr Mann Peter Mohrmann eine Kinderarztpraxis führte. Das Paar zog in den 1990ern gemeinsam nach Windeby, trennte sich dann aber. 1995 übernahm Gabriele Pochhammer dann den Posten als Chefredakteurin. Den hatte sie bis 2012 inne.

Olympische Schwärmerei

Fragt man sie, welche Olympischen Spiele sie am schönsten fand, sagt sie Sydney und London. „In Sydney lag eine Leichtigkeit und Fröhlichkeit über den Spielen, die war sehr sehr schön. Wir waren etwas außerhalb in einem Mediadorf untergebracht mit riesigem Frühstücksraum, wo es wirklich alles gab, Kimchi für die Koreaner, Eier und Speck für uns… Abends traf sich da alles wieder, unter Palmen und die Papageien pfiffen“, schwärmt Gabriele Pochhammer noch heute. „In London war alles so schön und vertraut. Wir waren in einer Universität untergekommen, es sah aus wie bei Harry Potter. Das Stadion im Greenwich Park war gigantisch. Jeden Tag war ein Mitglied der Royal Family da. Gegenüber des Parks gab es eine Eckkneipe, der Treffpunkt für alle, das hat man ganz selten.“ 

Nicht immer bequem: Ein guter Journalist kann mit vielen Situationen klarkommen und sogar noch arbeiten…

… Hauptsache die Story passt am Ende.

Zuchtleidenschaft

Gabriele Pochhammer ist den Pferden nicht nur über den Journalismus eng verbunden, sondern auch über ihre Zucht, die auf der hannoverschen Stute Finnländerin basiert, eine der Vornholzer Stammstuten. Ihre erste Zuchtstute, Marion v. Ramzes, bekam sie von Baron Nagel geschenkt. Eine Tochter von Marion nahm sie mit nach Windeby, die ihr u. a. die Stute Nairobi III v. Parco xx brachte, von der wiederum der Landos-Sohn Leonidas II stammt, geboren 2004, Gabriele Pochhammers Herzenspferd. Der kleine große Leo, Stockmaß 1,65 Meter, kam nach seiner Grundausbildung sechsjährig zu Neuseelands Busch-Ikone Mark Todd und zog nach England.

Idyllisch lebt es sich auf Gut Westerthal in Windeby, Schleswig-Holstein. Gabriele Pochhammer ist in dem Ort geboren, hat anderswo gelebt, viel von der Welt gesehen und ist doch zurückgekehrt.

Pferd in Badminton

Der Beginn einer Karriere im Spitzensport: Leo ging Badminton (fünfmal ohne Geländefehler), war bei den Weltreiterspielen in Caen am Start und bei den Olympischen Spielen in Rio, wo er zweitbestes Geländepferd war und im Einzel den siebten Platz belegte. „Das war ein riesiger Spaß, eines deiner Pferde auf den Turnieren zu sehen. Was hat mir Leo für eine Freude gemacht mit dem wunderbaren Mark Todd.

Man ist als Züchterin überglücklich, wenn dein Pferd bei so einem Reiter landet. Ich habe immer hyperventiliert, wenn Leo gegangen ist. Wo er vorstand, sprang er rüber. Der schönste Moment war das erste Mal Badminton. Als er bei der Verfassung gezeigt wurde vor diesem imposanten Badminton House, da dachte ich nur ,und ich habe dieses Pferd gezüchtet, das ist mein Pferd’.“ 2018 wurde Leo in Luhmühlen in die Hall of Fame des Vielseitigkeitssports aufgenommen. Drei Jahre später hatte er bei der Europameisterschaft in Avenches seinen letzten Auftritt und genießt seitdem das Rentnerleben bei seinen Besitzern in England. Seine Züchterin wurde mit der FN-Medaille in Silber geehrt.

Paris im Blick

Gabriele Pochhammers Herz schlägt weiter für die Zucht. Und für den Pferdesportjournalismus sowieso. Die nächsten Olympischen Spiele werden 2024 in Paris ausgetragen.

Laura Becker

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