Vorheriger Artikel

Ausgabe 04/2021
Namen und Nachrichten

Nächster Artikel

Ausgabe 04/2021
Lernen vom Reitmeister: Karsten Huck

Darmgesundheit beim Pferd

Das Bauchgefühl zählt!

Wie wichtig die Darmgesundheit im Hinblick auf das allgemeine Wohlbefinden und das Immunsystem ist, ist in der Humanmedizin schon lange bekannt. Die ersten Aufzeichnungen dazu lassen sich in der Traditionellen Chinesischen Medizin vor über 1.000 Jahren finden – nicht umsonst wird dort der Darm als „Mitte“ bezeichnet. Doch auch in der Veterinärmedizin rücken die Darmgesundheit und das immunologische Verständnis immer weiter in den Fokus einer ganzheitlichen Betrachtung und Anamnese.

Ein möglichst kontinuierlicher Zugang zu qualitativ hochwertigem Raufutter bildet stets die Grundlage zur Gesunderhaltung des Pferdes. Alle Fotos: Christiane Slawik

Der Verdauungstrakt des Pferdes wird in fünf Zonen unterteilt: Die Nahrung gelangt über die Mundhöhle und die Speiseröhre in den Magen, von wo aus sie in den Dünnund Dickdarm wandert. Der Magen des Pferdes ist – bedingt durch eine permanente Magensäureproduktion – im nüchternen Zustand sehr sauer. Hat das Pferd nun dauerhaften Zugang zu Raufutter, liegt der pHWert im Schnitt bei zwei bis drei. Da der Mageninhalt innerhalb weniger Stunden in den Zwölffingerdarm, so wird der erste Abschnitt des Dünndarms bezeichnet, entleert wird, ist das Pferd als Dauerfresser auf eine andauernde Nahrungsaufnahme angewiesen. Dadurch kann einer Übersäuerung des Magens und etwaigen Schäden entgegengewirkt werden. Der Magen an sich hat – verglichen mit der Körpermasse des Pferdes – ein relativ kleines Fassungsvermögen von 8 bis 15 Litern. Der Dünndarm hingegen kann je nach Größe des Pferdes eine Länge von bis zu 30 Metern haben. Im Dünndarm wird der Nahrungsbrei stufenweise enzymatisch aufgespalten. Im Dickdarm erfolgt die Verdauung der Rohfaser, also zum Beispiel von Zellulose. Die Verdauung im Dickdarm findet überwiegend unter sauerstofffreien Bedingungen und mit Hilfe von Bakterien statt, deshalb wird der Blinddarm des Pferdes auch als „Gärkammer“ bezeichnet. Anschließend wird der Kot zu Ballen geformt und ausgeschieden. Grundsätzlich ist der Verdauungstrakt des Pferdes ein sehr gut aufgebautes, aber auch sehr sensibles Organ.

Im Frühjahr sollten die Pferde langsam an das frische Gras gewöhnt werden, da sich auch das Mikrobiom erst auf die neue Nahrung einstellen muss.

Je nach Futterart ändert sich das Mikrobiom des Pferdes. Deshalb ist es essentiell, Futterumstellungen langsam durchzuführen, um den Verdauungstrakt nicht zu belasten.

Bakterienstämme im Darm

Neben Atemwegserkrankungen und Erkrankungen des Bewegungsapparates sind es vor allem gastrointestinale Erkrankungen wie Kolik, Durchfall oder Geschwüre, die besonders häufig bei Pferden auftreten. Nicht zuletzt ist es auch der oft schwerwiegende und langwierige Verlauf solcher Erkrankungen über alle Altersgruppen hinweg, der das zunehmende Interesse an der Darmgesundheit begründet. Auslöser für Magen-Darm-Erkrankungen können unter anderem Störungen der symbiotischen Beziehung zwischen den im Darm angesiedelten Mikroorganismen und dem Wirt, also dem Pferd, sein. Die Besiedlung der Schleimhäute des Verdauungstraktes mit Bakterien beginnt für das Fohlen bereits als Fötus im Mutterleib, vor allem aber nach der Geburt durch die Aufnahme der Muttermilch. Je nach Darmabschnitt sind andere Bakterienstämme angesiedelt. „Im Dünndarm ist der Stamm der Proteobacteria am meisten angesiedelt, der bekannteste Vertreter ist wohl E. coli. Im Dickdarm (Blinddarm, großes Kolon) nimmt die Anzahl wieder stark ab. Dort siedeln sich in erster Linie Bakterien des Stamms Bacteroidetes und Firmicutes an“, erklärt Prof. Dr. Gerald Fritz Schusser von der Veterinärmedizinischen Fakultät Leipzig, Spezialist für Gastroenterologie.

Einfluss der Fütterung

Je nach Fütterung kann die Anzahl der angesiedelten Bakterienstämme stark schwanken. Untersuchungen zu Folge ergeben sich sogar gravierende mikrobielle Unterschiede hinsichtlich der Getreidearten. „So führt Haferstärke zu einer Erhöhung der Laktobazillen (Milchsäurebakterien) mit gleichzeitiger Abnahme des Enterococcus faecalis (eine Bakterienart aus der Gattung der Enterokokken). 

Bei Maisstärke konnte diese Veränderung des Mikrobioms genau umgekehrt beobachtet werden“, erklärt Prof. Dr. Schusser. Diese Veränderungen sind allerdings ein natürlicher Vorgang bedingt durch die Futterumstellung. Je nach Futterration und Zusammensetzung sind unterschiedliche Mikroorganismen an der Verwertung beteiligt. Futterumstellungen sollten daher generell nicht plötzlich erfolgen. So ist es auch ratsam, das Pferd im Frühjahr langsam an das frische Gras zu gewöhnen, da sich auch das Mikrobiom erst auf die neue Nahrung einstellen muss.

Der Verdauungstrakt des Pferdes ist besonders voluminös und ausgeklügelt, genauso empfindlich ist er aber auch. Illustration: Dr. med. vet. Beatrice Dülffer-Schneitzer, Steinbach/Ts.; mit frdl. Genehmigung entnommen aus „Pferdegesundheitsbuch” von Dr. med. vet. Beatrice Dülffer-Schneitzer, FNverlag, Warendorf 2019

Das Mikrobiom erklärt

Als Mikrobiom wird die Gesamtheit der im Verdauungstrakt angesiedelten Mikroorganismen bezeichnet. Dazu zählen Bakterien, Protozoen, Pilze, Hefen, Viren und Bakteriophagen, die die Darmschleimhaut symbiotisch besiedeln, das bedeutet, der Wirt, also das Pferd, und die Mikroorganismen profitieren voneinander. Grundsätzlich wird zwischen pathogenen, also potenziell krankmachenden, und kommensalen Mikroorganismen unterschieden. Zu den pathogenen zählen zum Beispiel Salmonellen oder toxinbildene Clostridien, die eine schwere Colitis Entzündung des Dickdarms) oder Enteritis (Entzündung des Dünndarms) bis hin zum Tod auslösen können. Kommensale Mikroorganismen hingegen sind nicht nur Nutznießer des Pferdes, sondern unterstützen das Pferd auch bei der Verdauung von Nahrungsbestandteilen. „Bei diesem Fermentationsprozess durch fibrolytische, also fasernspaltende Bakterien im Dickdarm, werden darüber hinaus auch kurzkettige Fettsäuren produziert, die bis zu 70 Prozent der Erhaltungsenergie des Pferdes decken“, erklärt Prof. Dr. Schusser. Noch wichtiger scheint aber die Tatsache, dass das kommensale Mikrobiom einen entscheidenden Einfluss auf das Immunsystem nimmt und mit diesem interagiert.

Symptome bei einer mikrobiellen Dysbiose und damit einhergehenden Erkrankungen des Verdauungstraktes

• Durchfall
• Veränderungen bei Kotgeruch und -farbe
• Vermehrte und unregelmäßige Darmperistaltik (Darmgeräusche)
• Koliksymptome
• verminderter Appetit
• Apathie
• mögliche Hufreheschübe

Fehlendes Gleichgewicht

Bei einer Dysbiose, also einem Ungleichgewicht zwischen pathogenen und kommensalen Mikroorganismen, können sich pathogene Keime stärker manifestieren und vermehren. Deshalb ist es wichtig, rechtzeitig zu reagieren. „Wenn zum Beispiel Salmonellen, Clostridien, pathogene E. coli oder Fusobacterium spp. eine Dysbiose des intestinalen, also des zum Darmkanal gehörenden Mikrobioms herbeiführen, erleidet das Pferd starken Durchfall. Ein wichtiges Kriterium ist dann die Versorgung mit gutem Futter. Dadurch kann das vorhandene Mikrobiom die pathogenen Bakterien reduzieren und das Pferd wieder normalen Kot absetzen. So kann eine Dehydratation vermieden werden. Allerdings können solche Pferde auch zum Dauerausscheider werden, insbesondere bei Salmonellen. Diese stellen dann wiederum eine gravierende Infektionsgefahr für Fohlen oder andere Pferde im Stall oder auf der Weide dar. Deswegen gilt es, bei Pferden mit Durchfall stets eine Kotprobe zu entnehmen und eine bakteriologische und parasitologische Untersuchung durchzuführen, um der Ursache auf den Grund zu gehen“, erklärt Prof. Dr. Schusser. Dysbiosen des equinen intestinalen Mikrobioms und allgemeine Erkrankungen des Verdauungstraktes bedingen sich oft gegenseitig. Zu den häufigsten Erkrankungen zählen akute und chronische Enteritis (akute oder chronische Entzündung des Dünndarms) sowie Colitis (Entzündung des Dickdarms). Zu den begünstigenden Faktoren zählen in erster Linie Stress, Infektionen, Parasiten, Fehler in der Pferdefütterung, Kolik und auch die Verabreichung von Medikamenten wie Antibiotika.

Die Besiedlung der Schleimhäute des Verdauungstraktes mit Bakterien beginnt bereits während der Trächtigkeit, vor allem aber nach Geburt durch die Muttermilch.

Vermehrte und deutlich hörbare Darmgeräuschekönnen ein Symptom für Magen-Darmerkrankungen sein.

Die Darmflora beeinflussen

Neben der symptomatischen Behandlung und der ganzheitlichen Anamnese kann auch das Wiederherstellen der Balance des Mikrobioms die Genesung des Pferdes bedingen. Besonders die Gabe von Antibiotika im Zuge einer Behandlung kann die mikrobielle Besiedlung der Schleimhäute destabilisieren. Der Einsatz von Pro- oder Präbiotika soll die Darmflora stabilisieren und das Wachstum der kommensalen Mikroorganismen begünstigen. Demzufolge sollten „aufgrund der heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht nach einer Antibiotikabehandlung, sondern während der Antibiotikabehandlung Probiotika oder Präbiotika gegeben werden“, resümiert Prof. Dr. Schusser. Als Probiotika werden lebende Mikroorganismen bezeichnet, die dem Pferd verabreicht werden und aktiv auf das Darmmilieu einwirken. Diese Organismen siedeln sich zwar nicht an, verändern aber den pH-Wert zugunsten des kommensalen Mikrobioms. Als Probiotika werden in der Regel Hefearten und Milchsäurebakterien eingesetzt. Als Präbiotika hingegen werden Substrate bezeichnet, die den im Darm angesiedelten Mikroorganismen als Nahrung dienen und somit zum Wachstum der intestinalen Darmflora beitragen. So wird das Fructan Inulin bereits seit Jahren als Präbiotikum eingesetzt, wobei die Menge und Dauer genau mit dem Tierarzt abgesprochen werden muss, da Fructane in Verbindung mit der Entstehung von Stoffwechselstörungen wie Hufrehe stehen können.

Transplantation von Kot

In extremen Fällen kann sogar eine Fäkaltransplantation durchgeführt werden. „Das ist vor allem bei chronischen und antibiotikaassoziierten Durchfällen indiziert. Die Fäkaltransplantation beinhaltet das originäre, intestinale Mikrobiom des Pferdes. Im Vergleich dazu enthält ein Probiotikum lediglich einen Hefepilz wie zum Beispiel Saccharomyces cerevisiae. Das vorbereitete Fäkaltransplantat muss allerdings von Pferden stammen, die negativ auf die Equine Infektiöse Anämie getestet wurden, keine Endoparasiten haben und keine Salmonellen oder pathogene Clostridien im Kot aufweisen“, erklärt der Spezialist. Bei der Fäkaltransplantation wird einem gesunden Pferd Kot entnommen, eine Suspension angefertigt, der Kot wird also in Flüssigkeit „aufgelöst“, und dem erkrankten Pferd per Nasenschlundsonde eingegeben. Diese Möglichkeiten zur Wiederherstellung des Mikrobioms werden auch unter dem Begriff der „Darmsanierung“ zusammengefasst. Aber auch alltägliches Handeln kann die Darmgesundheit unterstützen. 

Durch den voluminösen Verdauungstrakt können Pferde bei Durchfall schnell dehydrieren. Bei länger anhaltendem Durchfall sollte unbedingt der Tierarzt mzu Rate gezogen werden.

So sollte vor der Verabreichung von Wurmkuren immer eine parasitologische Kotuntersuchung durchgeführt werden, um die Parasitenart und die Stärke des Befalls zu identifizieren. Hinsichtlich der Fütterung ist besonders auf die Qualität und ausreichende Quantität des Raufutters zu achten. Weiterhin entscheidend für das intestinale Mikrobiom ist auch Weidegras und anderes Saftfutter wie Karotten. Beim Kraftfutter ist wieder Vorsicht geboten: Eine überhöhte Kraftfuttermenge verändert das intestinale Mikrobiom. Probiotische Futterzusätze sollten entsprechend der EU-Verordnung (EC) 1831/2003 geprüft sein, ob sie im Futter erlaubt sind.

Darm gesund, Pferd glücklich

Die Darmgesundheit hat folglich einen entscheidenden Einfluss auf das allgemeine Wohlbefinden und die Widerstandskraft des Pferdes. Besonders die hohen Komplikationsraten in Zusammenhang mit Erkrankungen des Verdauungstraktes lassen das kommensale Mikrobiom zunehmend in den Fokus einer ganzheitlichen Anamnese und Therapie rücken. Platt gesagt: Ist der Darm gesund, geht es auch dem Pferd gut. Das Bauchgefühl ist eben doch entscheidend!

Lorella Joschko

Vorheriger Artikel

Ausgabe 04/2021
Namen und Nachrichten

Nächster Artikel

Ausgabe 04/2021
Lernen vom Reitmeister: Karsten Huck