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Trainingskonzept „Neuro-Rider”

Reiten mit Köpfchen

Ein Problem, das viele Reiter kennen: In der Hilfengebung schleicht sich immer derselbe Fehler ein, er ist einem bewusst, aber es gelingt einfach nicht, ihn langfristig abzustellen. Hier kann ein neuartiges Trainingskonzept der Schlüssel zum Erfolg sein. Diplomtrainer Marc Nölke hat das Programm „Neuro-Rider“ entworfen, in dem erstmal ganz ohne Pferd trainiert wird und neurologische Erkenntnisse zur Leistungssteigerung genutzt werden. Im Interview mit dem PM-Forum verrät der ehemalige Skispringer und Olympiateilnehmer wie das Konzept funktioniert.

Beim Konzept „Neuro-Rider“ liegt der Fokus auf dem Reizaustausch zwischen Gehirn und Nervensystem. Foto: Stefan Lafrentz/FN-Archiv

PM-Forum: Herr Nölke, können Sie in drei Sätzen erklären, was das Programm „Neuro-Rider“ ist?

Marc Nölke: Gerne. Das Programm besteht aus zwei Säulen: Zum einen ist es ein Trainingssystem, das auf der Neuroanatomie und Neurologie basiert. Es hilft dem Reiter dabei, bestimmte Bereiche gezielt zu trainieren. Zum anderen ist es ein Weiterbildungssystem für Menschen, die im Reitsport arbeiten.

PM-Forum: Hinter Ihrem Konzept steckt das System der Neuro-Athletik. Was ist das überhaupt?

Nölke: Neuro-Athletik ist der Oberbegriff in Deutschland. Ich benutze das Wort aber nicht so gerne, weil es die Dinge unpräzise beschreibt. Diese Art des Denkens bezieht sich nur auf das sportliche Training. Für mich steckt da mehr dahinter. Ich benutze lieber die Begriffe „angewandte Neurologie“ oder „neurozentriertes Training“.

PM-Forum: Okay, was ist dann der Gedanke hinter dem neurozentrierten Training?

Nölke: Wir wissen in der Neuroanatomie schon länger, wie Gehirnbereiche zusammenspielen und welche Bahnen oder Netzwerke für bestimmte Bewegungen genutzt werden. Zwischen Forschung und Anwendung existiert aber eine große Lücke. Bei dieser Art des Trainings werden diese Erkenntnisse genutzt. Wenn ein Bewegungsproblem auftaucht, fragen wir uns, wo liegen die Probleme im Gehirn und Nervensystem? Sie können irgendwo zwischen Kortex und Rezeptor auftauchen. Wir testen die beteiligten Bereiche des Nervensystems, geben möglichst spezifische Reize, um zu sehen, ob diese das Bewegungsproblem verringern.

PM-Forum: Wie weit ist das Konzept der Neuro-Athletik schon im Spitzensport verbreitet?

Nölke: Es wird immer mehr. Zumindest habe ich das Gefühl. Der Deutsche Fußball-Bund hat beispielsweise eine Person, die sich allein darum kümmert. Ich selbst arbeite für den österreichischen Skisprungverband. Aber bei 98 oder 99 Prozent aller Trainer herrscht noch die biomechanische Sichtweise vor. Das ist aber auch klar. Im Sportstudium gibt es vielleicht eine Vorlesung zu Neurologie, aber niemand sagt einem, was man damit genau machen kann.

PM-Forum: Wie schaut die Verbreitung Ihres Programms „Neuro-Rider“ aus?

Nölke: Aktuell gibt es knapp 50 Trainer, die alle drei Module des Fortbildungskurses absolviert haben. Das ist schon mal eine gute Basis. Etwa 100 haben das erste Modul abgeschlossen. Das Interesse wächst. Seit Dezember biete ich auch einen Masterkurs an, der sich über ein Jahr erstreckt und mit einer Prüfung abschließt. Mir ist es wichtig, in diese Ausbildung Qualitätsaspekte reinzubekommen.

Marc Nölke ist Diplomtrainer und hilft Reitern mitseinem Programm besser zu werden. Foto: privat

PM-Forum: Was kann speziell bei Reitern durch diese Art von Training verbessert werden?

Nölke: Nun, zuerst braucht ein Reiter noch immer den klassischen Reitausbilder, der anleitet. Nehmen wir an, dass der Trainer dem Reiter schon dreimal gesagt hat, er soll mit dem rechten Schenkel mehr Druck ausüben. Das klappt vielleicht für zwei Minuten, aber dann taucht der Fehler wieder auf – das macht der Reiter ja nicht mit Absicht. Er kann diese Bewegung einfach nicht ansteuern. Es liegt dann häufig ein Problem in der Bewegungssteuerung vor. Und hier können wir mit dem Programm Neuro-Rider die neurologische Basis schaffen, womit dann alles klappen kann.

PM-Forum: Muss der Reiter dem neurozentrierten Training besonders offen gegenüber sein?

Nölke: Das hat alles nichts mit Glauben zu tun. Es ist auch kein Voodoo, wenngleich die Ergebnisse manchmal Voodoo-ähnlich scheinen. Der Athlet lernt, wie Körper und Gehirn zusammen kommunizieren. Er wird für die Sprache des Körpers sensibilisiert und lernt Selbstbewusstsein – im Wortsinn. Dafür haben wir das Test-Retest-Prinzip.

Das neurozentrierte Training kann helfen, wenn bestimmte Reiterfehler, wie Probleme mit der Schenkellage, immer wieder auftauchen. Foto: Thoms Lehmann/FN-Archiv

PM-Forum: Können Sie das einmal erklären?

Nölke: Wir fragen das Gehirn, ob ein Reiz okay oder nicht okay ist. Wenn ja, dann reagieren das Gehirn und das Nervensystem, indem sie eine qualitativ bessere Bewegung zulassen, zum Beispiel eine bessere Bewegungsweite oder mehr Kraft oder Stabilität. So können wir Trainingspläne entwickeln, die so individuell sind wie ein Fingerabdruck. Und wir können sofort testen, ob der Mensch durch das Training besser wird. Es ist auch eine Frage der Effizienz. Wer trainiert schon gerne sechs Wochen, ohne zu wissen, dass es auch funktioniert?

PM-Forum: Das Programm eignet sich gleichermaßen für Hobby- wie auch Spitzenreiter. Welche Potenziale können bei der letzten Gruppe freigelegt werden?

Nölke: Spitzensportler sind häufig Meister im Kompensieren. Aber auch sie haben Probleme, wenngleich die marginaler sind. Wenn solche gelöst werden können, ist das total wertvoll. Ein halbes Prozent mehr Leistung entscheidet über Medaillen. Wenn ein Topathlet zum Beispiel Schwierigkeiten bei der Balance hat und die normalen Methoden nicht helfen, dann ist er bei mir richtig. Im Spitzensport verstehe ich mich eher als Problemlöser. Klar ist, dass der prozentuale Leistungszuwachs beim „Durchschnittsreiter“ durch die Methode sehr viel größer ist.

PM-Forum: Zum Abschluss: Haben Sie Übungen, die sie jedem Reiter empfehlen können?

Nölke: Das werde ich immer gefragt (lacht). Das ist aber schwierig, da viele Dinge auch kontraproduktiv sein können. Nicht jede Übung ist gleichgut für jeden Mensch. Bei allen Seminaren verdeutliche ich auch, dass jeder Mensch unterschiedlich ist. Was bei dem einen zu einer verbesserten Bewegung führt, kann bei dem anderen genau das Gegenteil bewirken. Aus meiner Sicht müssen die Übungen ausgetestet werden. Ins Warm-Up werden dann nur solche als Power- oder Performance-Drills aufgenommen, die einen besser machen. Den einen Trainingsplan dafür gibt es nicht. Das wäre eine Lüge. Wer Interesse hat, kann zu Beginn erstmal den kostenlosen Online-Mini- Kurs absolvieren.

Das Interview führte Nico Nadig.

Weitere Informationen zur Thematik gibt es unter www.neuro-rider.com.

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