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Persönlichkeiten der Pferdeszene: Dr. Juliette Mallison
Pferdegesundheit: Über Viren und Impfstoffe
Impfungen als Wunder der Medizin
Die Corona-Pandemie und die Entwicklung von Impfstoffen bestimmen seit nunmehr fast einem Jahr die Nachrichten. Nicht nur beim Menschen, sondern auch im Tierreich werden Infektionskrankheiten durch Viren hervorgerufen. Grund genug, sie einmal genauer unter die Lupe zu nehmen und zu schauen, wie und welchen Schaden sie anrichten, wie ein Impfstoff hilft und wie es zu dessen Marktzulassung kommt.
Impfungen können Pferde vor Seuchen schützen. Foto: Fotolia/Anita Zander
Derzeit sind in Deutschland für Pferde über 30 sogenannte immunologische Arzneimittel zugelassen, zu denen auch die Impfstoffe gehören. Viele dieser Impfstoffe bieten Schutz vor viralen Krankheitserregern. Zu den wohl bekanntesten gehören jene, die gegen die „Pferdegrippe“ wirken – diese wird auch als Influenza bezeichnet und eine Impfung ist hierzulande für Turnierpferde vorgeschrieben. Warum? Die krankheitsauslösenden Influenza-Viren sind hochansteckend, sodass sie sich schnell verbreiten und mitunter eine Seuche auslösen können. Und um eine solche zu vermeiden, sind Impfungen essenziell.
„Impfungen kosten zwar Geld, aber wir sind in Deutschland dank solcher zuletzt von schweren Influenza- Seuchenzügen wie in Großbritannien, Australien oder Südafrika verschont geblieben. Dort sind mehrere tausend Pferde erkrankt“, berichtet Dr. Max Bastian. Der Fachtierarzt für Mikrobiologie ist Geschäftsstellenleiter der Ständigen Impfkommission Veterinärmedizin (StIKo Vet). Die Geschäftsstelle der Kommission ist beim Friedrich-Loeffler-Institut angesiedelt und hat wie dieses ihren Hauptsitz auf der Insel Riems bei Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern. Hauptaufgabe der StIKo Vet ist es, Empfehlungen zur Verwendung von Impfstoffen auszusprechen.
Experte Dr. Max Bastian, Foto: privat
Ziel der Viren: Vermehrung
Aber wie funktionieren Impfungen eigentlich und warum spielen sie eine so entscheidende Rolle bei der Eindämmung von viralen Krankheiten? Dafür muss man sich erst einmal mit Viren und ihrem Aufbau beschäftigen. „Ein Virus ist ein Erreger, der keinen eigenen Stoffwechsel besitzt. Er besteht aus seiner eigenen Erbinformation und einer Hülle“, erklärt Dr. Bastian den groben Aufbau. Zwischen den einzelnen Viren existieren allerdings teilweise große Unterschiede. Manche haben beispielsweise noch eine Lipid-Hülle um ihren inneren Kern herum. Diese Ummantelung sorgt dafür, dass Seife den Erreger zerstören kann. „Unbehüllte Viren sind dagegen weitaus schwieriger zu knacken“, erklärt Dr. Bastian. Ein weiterer fundamentaler Unterschied bestünde außerdem darin, ob die Erbinformation in Form von DNA oder RNA vorliegt.
Mag der Aufbau der einzelnen Viren auch variieren, so eint sie ihr Ziel: Vermehrung. Weil sie aber keine eigenständigen Lebewesen sind, brauchen sie fremde Hilfe – zum Beispiel von Zellen des Pferdes. „Viren besitzen die Fähigkeit, in andere Zellen einzudringen. Den Stoffwechsel dieser programmieren sie um, sodass die eigene Erbinformation abgelesen wird“, erklärt Dr. Bastian. Eine der Folgen: Diese sogenannte Wirtszelle baut dann zwangsweise neue Viren zusammen. Stirbt sie ab, suchen die freigesetzten Erreger neue Wirtszellen.
Verschiedenste Wege
Bevor sich ein Virus mithilfe einer Wirtszelle vermehren kann, muss es aber erstmal in den Körper des Pferdes gelangen. Influenza- und Equine-Herpes-Viren werden dabei laut Dr. Bastian in erster Linie über die Luft aufgenommen. Anders verhält es sich bei dem West-Nil-Virus. Dieses wird durch Mücken übertragen. „Die Erreger vermehren sich hier innerhalb des Insekts und werden dann mit dem Stich auf das Pferd übertragen“, erklärt Dr. Bastian, „grundsätzlich kann ein Virus durch alle Körperöffnungen eindringen.“
Im Körper angelangt, richten die Viren zum einen direkten Schaden an: Dadurch, dass die Erreger die Zellen umprogrammieren, wird deren normale Funktionsweise geschädigt. „Je nachdem wie schnell sich ein Virus im Körper verbreitet, kann das die Hauptproblematik darstellen“, sagt Dr. Bastian über die direkte Schädigung. Zum anderen reagiert das Immunsystem des Pferdes auf die Eindringlinge und fängt an, sich zu wehren. Diese Abwehrantwort kann mitunter Kollateralschäden verursachen.
Über die Nüstern oder auch andere Körperöffnungen können Viren in den Pferdekörper eindringen. Foto: Pixabay
Unterschiedliche Symptome
Als Folge des Virenbefalls der Zellen des Pferdekörpers können Infektionskrankheiten auftreten, die unterschiedliche Symptome beim Tier hervorrufen: Hinweise für Influenza sind beispielsweise Fieber, klarer Nasenausfluss und Husten; anfangs wässriger und später schleimiger Nasenausfluss in Verbindung mit Fieber kann dagegen auch auf Herpes hindeuten. Weniger eindeutig sind die Anzeichen für die Equine Infektiöse Anämie, bei der es sich sogar um eine durch Viren hervorgerufene anzeigepflichtige Tierseuche handelt. Symptome treten von Pferd zu Pferd mit unterschiedlicher Intensität auf, sind nur phasenweise zu erkennen oder fehlen manchmal sogar gänzlich.
Einige Viren werden auch durch Mücken übertragen. Foto: Pixabay
Nicht immer muss ein Virenbefall dabei zur Erkrankung führen. Wie etwa bei Herpesviren: Ist ein Pferd mit diesen Erregern einmal infiziert, trägt es sie ein Leben lang latent in sich. „Herpesviren haben die Überlebensstrategie, sich in Geweben zu verstecken, die vom Immunsystem gerne in Ruhe gelassen werden. Würde sich die Abwehr gegen diese Gewebe richten, könnte das nämlich möglicherweise fatal sein“, erklärt Dr. Bastian. Eine abgeschwächte Abwehrlage des Immunsystems, durch zum Beispiel hohe Belastung, falsche Fütterung oder Stress, können dann zum erneuten Ausbruch der Erkrankung führen.
Das immunologische Gedächtnis
Eine andere Möglichkeit, warum ein Virenbefall nicht zur Erkrankung führt: Das Pferd ist immun. Was bedeutet das aber? Dafür ist ein genauerer Blick auf das Immunsystem vonnöten. Der Körper besitzt das sogenannte immunologische Gedächtnis. „Ein Teil des Immunsystems ist dabei angeboren. Es besteht aus sehr vielen, hoch differenzierten Zellen. Zum Beispiel sorgen Fresszellen im Gewebe dafür, dass Bakterien, die über eine Hautwunde eingedrungen sind, schnell unschädlich gemacht werden“, sagt Dr. Bastian. Demgegenüber steht der adaptive Teil des Gedächtnisses, der sich im Laufe des Lebens entwickelt. Zu diesem adaptiven Gedächtnis gehören die T- und B-Zellen sowie die Antikörper.
„Die T-Killerzelle ist dabei wohl am bekanntesten. Sie erkennt infizierte Zellen und tötet sie ab“, erzählt Dr. Bastian. Das Besondere an den Bund T-Zellen ist aber, dass sie sogenannte Gedächtniszellen bilden. Dr. Bastian erklärt, was diese auszeichnet: „Diese Memory-Zellen werden im Rahmen einer ersten Immunantwort entwickelt und richten sich spezifisch gegen ein Antigen.“ Dringt das Virus dann später ein zweites Mal in den Körper ein, reagiert das adaptive Immunsystem auf das bekannte Antigen. Umgehend startet die Produktion der passenden Antikörper, die den Erreger sofort vernichten können.
So muss man sich ein Virus vorstellen: eine Hülle mit Erbinformationen darin. Hier ist ein Herpesvirus zu sehen. Grafik: Shutterstock
Die Oberfläche etwas anders als die des Herpesvirus, aber vom Grundsatz her gleich: So sieht ein Grippevirus aus. Grafik: Shutterstock
Besser präventiv agieren
Ziel ist es jedoch, Pferde von vorne herein vor Infektionskrankheiten zu schützen, eine Erkrankung des Pferdes für einen späteren immunologischen Schutz soll nicht in Kauf genommen werden. Daher wird auf Impfungen zurückgegriffen. Dr. Bastian: „Die grundsätzliche Idee dabei ist es, das Immunsystem auf Erreger vorzubereiten, die mal in den Körper gelangen können.“ Dabei existieren zwei herkömmliche Weisen der Impfung: Lebend- und Inaktivimpfungen. Bei Erstgenannter werden dem Pferd abgeschwächte, lebende Erreger injiziert. „Bei Inaktivimpfstoffen werden die Viren in Kultur angezüchtet und dann inaktiviert. Die Oberflächenbestandteile bleiben dabei erhalten, sodass sich das Immunsystem daran abarbeiten kann“, erklärt Dr. Bastian.
Keine weite Verbreitung
Doch es gibt noch eine dritte Variante von Impfstoffen. So ruhen die Hoffnungen im Kampf gegen die Corona-Pandemie bekanntermaßen unter anderem auf dem von dem deutschen Unternehmen BioNtech mitentwickelten Impfstoff. Und bei diesem handelt es sich weder um einen Lebend- noch um einen Inaktivimpfstoff, sondern um einen mRNAImpfstoff. Diese Impfstoffe enthalten Informationen aus der Virus-mRNA, mit deren Hilfe der Körper bestimmte Virusmerkmale nachbauen und anschließend Antikörper gegen diese bilden kann. „Ein solcher Impfstoff sorgt für eine gute Immunstimulation. Außerdem kann ein solcher Impfstoff nicht wieder krankmachende Eigenschaften entwickeln – wie das bei Lebendimpfstoffen vorkommen kann“, erzählt Dr. Bastian. Ebenfalls vorteilhaft sei, dass er synthetisch hergestellt werde.
Allerdings haben mRNA-Impfstoffe auch Nachteile. Vor allem ihre Empfindlichkeit stellt eine große Herausforderung dar. Enzyme könnten die mRNA schnell abbauen. „Deshalb muss BioNtech seinen Impfstoff auch tiefkühlen“, sagt Dr. Bastian und erklärt mit Blick auf Veterinärimpfstoffe: „Die Synthese und das Sicherstellen der Abwesenheit von Enzymen sind schon sehr kostenaufwendig, weshalb in der Veterinärmedizin eher auf klassische Ansätze gesetzt wird.“ In Deutschland und Europa sei ihm jedenfalls kein solch zugelassener mRNA-Impfstoff für Tiere bekannt.
In den Impfausweis werden alle Impfungen des Pferdes durch den Tierarzt eingetragen. Foto: Boehringer Ingelheim
Von der Idee zur Zulassung
Apropos Zulassung: Wie funktioniert eigentlich der Prozess von der Idee bis hin zum Verkauf auf dem Markt? Zuerst braucht es einen Wissenschaftler, der einen Einfall für einen Impfstoff hat. Entweder weil ein für Deutschland neuer, aber grundsätzlich schon bekannter Erreger wie das West-Nil-Virus auftaucht. Oder weil er etwa ein neues Phänomen beobachtet und einen gänzlich unbekannten Virus beziehungsweise eine Mutation entdeckt hat. In einem zweiten Schritt probiert der Forscher dann verschiedene Methoden aus, um ein Schutzprinzip zu etablieren. „In dieser Phase bleiben schon viele Konzepte stecken“, weiß der Geschäftsstellenleiter der StIKo Vet zu berichten.
Gelingt das, rücken die pharmazeutischen Unternehmen ins Blickfeld. Sie müssen sich die Fragen stellen, ob es einen Markt für den Impfstoff gibt und ob eine Großproduktion machbar sowie wirtschaftlich sinnvoll ist. Bejahen sie dies, stehen Wirksamkeitsstudien an. Dr. Bastian: „Diese sind sehr teuer, da sowohl Infektionswie auch Feldversuche vorgenommen werden. Wenn dabei Erreger verabreicht werden, die in Deutschland nicht existent sind, dann müssen hohe Sicherheitsstandards eigenhalten werden.“
Der Zulassungsprozess
Im Anschluss werden die Daten und ein Zulassungsantrag an das Paul-Ehrlich-Institut oder die Europäische Arzneimittel-Agentur übermittelt. „Was eingereicht werden muss, ist genau vorgeschrieben. Neben einer genauen Beschreibung der Ausgangsmaterialien, der Herstellung sowie der Qualitätskontrolle müssen auch Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffes vorgelegt werden. Von Einreichung bis zur Marktzulassung kann sich dieser Prozess über ein bis zwei Jahre hinziehen“, berichtet Dr. Bastian. Ist der Antrag erfolgreich, werden Chargen beim Paul-Ehrlich-Institut mit den entsprechenden Daten eingereicht. Nach der Freigabe kann die Charge dann in den Verkauf.
Für Pferde, die am Turniersport teilnehmen, ist alle sechs Monate eine Auffrischung der Influenza-Impfung erforderlich. Foto: iStock
Dass sich aktuell neue Impfstoffe für Pferde in dem Zulassungsprozess befinden, ist Dr. Bastian unterdessen nicht bekannt. Das könnte sich jedoch schnell ändern. „Sobald eine neue gefährliche Erkrankung auftritt, würde sich auf dem Markt etwas tun“, sagt Dr. Bastian und ergänzt: „In der Veterinärmedizin gestaltet sich das Geschehen bei Impfstoffen dynamischer als in der Humanmedizin. Impfstoffe sind leichter auf den Markt zu bringen und es gibt auch mehr Tierseuchen.“
Der Fluch der guten Tat
Und obwohl Impfstoffe eben Seuchen eindämmen können, stehen sie oftmals in einem schlechten Licht. Die Gründe dafür sind vielfältig. So besteht bei viralen Infektionen etwa das Problem, dass die Immunität nicht ewig anhält. Wie Dr. Bastian verrät, muss die Impfung gegen Influenza und Herpes für eine optimale Wirksamkeit beim Pferd zweimal pro Jahr nach den initialen Impfungen – der sogenannten Grundimmunisierung – aufgefrischt werden.
Außerdem verursachen Impfungen bei einigen Pferden Nebenwirkungen wie Schwellungen, Abgeschlagenheit oder in manchen Fällen Fieber. Und auch wenn die Symptome innerhalb weniger Tage im Regelfall abklingen, rücken sie beim Ausbleiben von Seuchen in den Vordergrund. „Die Impfung wird gewissermaßen Opfer ihrer selbst. Wenn sie funktioniert, tritt die Krankheit nicht auf“, sagt Dr. Bastian. Die Nebenwirkungen bleiben dagegen bestehen. Letztendlich drehe sich dann die Beweislast um. Besitzer würden sich fragen, wozu es eigentlich die Impfung bräuchte. Für Dr. Bastian ist die Sache dagegen sehr eindeutig, weshalb er an den Verstand appelliert. Mit einer Impfung könne man sein Tier vor schwersten Erkrankungen schützen. „Sogar eine ganze Population kann vor einer schlimmen Seuche bewahrt werden. Im Grunde genommen ist es ein Wunder der Medizin, dass so etwas gelingt“, betont Dr. Bastian.
Nico Nadig
Fieber ist ein Symptom, das auf eine virale Infektion hindeuten kann. Foto: Sabine Brose/Sorge
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FN-Film zum Impfen
Warum soll man Pferde impfen? Welche Impfungen sind sinnvoll? Und wie impft man richtig? Diese Fragen beantwortet die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) in ihrem Animationsfilm „Pferde impfen – einfach erklärt”. In nur drei Minuten erklärt der Film übersichtlich das Thema Impfungen beim Pferd. Auch die besonderen Impfvorschriften für Turnierpferde sind leicht verständlich dargestellt. Der Film kann hier nebenstehend angesehen werden.
Erklärfilm der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) zum Thema „Impfen beim Pferd“. Auf der FN-Webseite unter www.pferd-aktuell.de/ausbildung/pferdehaltung/impfung finden sich zudem weiterführende Informationen sowie häufig gestellte Fragen und Antworten rund ums Impfen beim Pferd.
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