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Kälteempfingen

Pferde regeln selbst

Sobald die Nächte kühler werden und die Temperaturen dauerhaft unter 10 Grad Celsius fallen, werden vielerorts die Pferdedecken aus dem Sommerlager geholt. Für Pferde ergeben sich aus dem Eindecken oder Scheren wenig Vorteile, die Vorzüge sind vor allem auf Seiten der Pferdebesitzer zu finden.

Der Schnee bleibt auf dem Fell liegen – ein Indiz der ausgezeichneten Isolationsfunktion. Fotos (6): Christiane Slawik

Steppenlandschaften wie Wüsten-, Gras-, Busch- und Baumsteppen sowie Savannen- und Tundrengebiete zählen zum ursprünglichen Lebensraum der Vorfahren unserer heutigen Hauspferde. Charakteristisch für derartige Landschaften ist, dass es tagsüber sehr heiß wird, in der Nacht stark abkühlt und es so zu großen Temperaturschwankungen innerhalb von 24 Stunden kommt. Zum anderen sind Wind und eine starke Sonneneinstrahlung für diese Regionen landschaftstypisch. An derartige Witterungsverhältnisse ist das Pferd über mindestens 25 Millionen Jahre angepasst – mit Hitze und Kälte sowie großen Temperaturschwankungen kann es leicht umgehen.

Bestens angepasst

Sobald die Tage im Spätsommer kürzer werden, beginnt das Pferd mit dem Fellwechsel, es richtet sich dabei weniger nach sinkenden Temperaturen als viel mehr nach der abnehmenden Tageslänge. Der Fellwechsel verlangt dem Pferd viel ab, oft wird während dieser Zeit eine Leistungsminderung wahrgenommen. Um dem zu entgehen, greifen viele Pferdehalter auf ein frühzeitiges Scheren und Eindecken zurück, um den natürlichen Mechanismen der Thermoregulation entgegenzuwirken. Ziel der Thermoregulation ist es, die Körperkerntemperatur gleichmäßig zwischen 37,5 und 38,5 Grad Celsius zu halten. Dabei verfügt das Pferd über eine breite thermoneutrale Zone zwischen 0 und 25 Grad Celsius. In diesem Temperaturbereich muss das Pferd für die Aufrechterhaltung der Kernkörpertemperatur nahezu keine Energie aufwenden. Anders sieht es beim Menschen aus: Die thermoneutrale Zone ist weniger breit und bewegt sich in einem Temperaturbereich von 25 bis 30 Grad Celsius. Menschen frieren und schwitzen schneller als Pferde. Der Schnee bleibt auf dem Fell liegen – ein Indiz der ausgezeichneten Isolationsfunktion. Fotos (6): Christiane Slawik Durch das Aufstellen der Haare wird bei niedrigen Temperaturen die Isolationsfunktion durch die zusätzliche Luftschicht verstärkt. Wird es dem Pferd jedoch zu warm und die Kernkörpertemperatur steigt, muss der Körper aktiv Wärmeenergie abgeben, wird es zu kalt, muss Wärme produziert werden. Dafür stehen strukturelle Komponente wie Haut, Schweiß- und Talgdrüsen und das Haarkleid zur Verfügung.

Regulierende Mechanismen

Dabei passt sich das Haarkleid den Umgebungszuständen sowie dem Lebensraum an. Auch ist es bei Fohlen, alten und adulten Tieren und bei bestimmten Stoffwechselerkrankungen, wie zum Beispiel Cushing, jeweils unterschiedlich ausgebildet. Durch das Aufstellen der Haare wird bei niedrigen Temperaturen die Isolationsfunktion durch die zusätzliche Luftschicht verstärkt und die Anordnung der Haare wirkt zusammen mit den Talgdrüsen der Haut wasserableitend. Bei Schneefall lässt sich eine funktionierende Isolationsfunktion daran erkennen, dass der Schnee auf dem Fell der Pferde liegen bleibt. 

Eine besondere Funktion übernimmt auch die Haut(dicke). So lässt sich beobachten, dass Pferde im Jahreszyklus zum Winter hin mehr fressen, um die Hautdicke bzw. die Fettschicht zu vergrößern und so die Isolationswirkung zu erhöhen. Bei der Hautdicke lassen sich jedoch von Pferd zu Pferd Unterschiede feststellen. Grundsätzlich nimmt die Dicke vom Rücken zum Bauch hin ab, Vollblüter haben im Vergleich zu schweren Zugpferderassen eine deutlich dünnere Haut, ebenso haben jüngere Pferde dünnere Haut als ältere.

Trotzen großen Temperatursprüngen: In einem Bereich zwischen 0 und 25 Grad Celsius benötigen Pferde kaum Energie, um ihre Körperkerntemperatur konstant zu halten.

Folgen dauerhaften Eindeckens

  • Anstieg der Körpertemperatur (bereits in wenigen Stunden unter Sonneneinstrahlung; nachgewiesen auch bei leichten, luftdurchlässigen Fliegendecken im Sommer). Klinische Symptome sind: Abgeschlagenheit, verminderte Leistungsfähigkeit bis hin zu Kreislaufproblemen und/oder Koliken.
  • Erhöhung des Infektionsrisikos: Durch die permanente unnatürliche Wärmezufuhr mittels Decken verlieren Pferde nach und nach die Fähigkeit zur Thermoregulation. Das macht das Immunsystem anfälliger für Krankheiten.
  • Ischämische Schädigungen durch unpassenden Sitz der Decken oder durch permanenten Druck (Schmerzen durch Minderdurchblutung der Haut insbesondere am Widerrist. Folge: Rückenprobleme). Daher sollten nur Decken mit guter Passform, leichten Materialien und guter Atmungsaktivität verwendet werden.
  • Erhöhung des Hautinfektionsrisikos: Werden die Hautatmung und der natürliche Feuchtigkeitsaustausch der Körperoberfläche gestört, bildet sich ein idealer Nährboden für Hautpilzerkrankungen.

Unterstützung notwendig

Neben der Witterung können noch andere Faktoren dafür sorgen, dass die Funktion der natürlichen Thermoregulation herabgesenkt oder gar eingeschränkt wird. Stoffwechselprozesse im Körper erzeugen auf natürliche Weise sehr viel Wärme. Bei alten Pferden sind diese Prozesse jedoch stark verlangsamt, sodass sie mehr Energie aufwenden müssen, um die Körperkerntemperatur konstant zu halten. Auch chronisch oder schwer kranke Pferde können der jahreszeitlichen Anpassung nicht immer nachkommen. So kann mit partiellem Scheren nachgeholfen werden, wenn das Fell im Frühjahr nicht ausfällt und das Pferd übermäßig schwitzt.

Wohl überlegt

Der Großteil der Pferdehalter steht im Herbst und in den Wintermonaten vor der Frage, ob eingedeckt oder geschoren werden soll. Laut Studien decken über 80 Prozent aller Pferdehalter ihre Pferde ein. Dabei wird entweder frühzeitig eingedeckt, um der Bildung des Winterfells entgegenzuwirken, oder nach der Schur, durch welche die natürlichen Regulationsfunktionen außer Kraft gesetzt werden. Die Thermoregulation wird über Rezeptoren in der Haut gesteuert und richtet sich nach den äußeren Witterungsbedingungen. Durch das Auflegen einer Decke wird diese Reizübertragung gehemmt. Zusätzlich steigt die Temperatur in den Bereichen unter der Decke. Das kann dazu führen, dass es unter der Decke zu warm wird und das Pferd Energie aufwenden muss, um den Körper zu kühlen. Auch die Vitamin-D-Synthese wird durch mangelndes Sonnenlicht gehemmt. Ein weiterer Faktor bezieht sich auf das Gewicht der aufgelegten Pferdedecken, welches bei langer Tragzeit die Durchblutung mindern kann. 

Durch das Aufstellen der Haare wird bei niedrigen Temperaturen die Isolationsfunktion durch die zusätzliche Luftschicht verstärkt.

Moderne Decken bieten den Vorteil, dass sie aus leichten und atmungsaktiven Materialien bestehen. Wichtig ist vor allem bei dauerhafter Weidehaltung im Winterhalbjahr, dass eine Decke einen Witterungsschutz niemals ersetzen kann. Ob das Pferd eingedeckt wird, sollte in jedem Falle gut überlegt sein, da es einen massiven Eingriff in die Thermoregulation des Pferdes darstellt. Es gilt, unnötiges Eindecken im Winter zu vermeiden.

Wenn überhaupt: Teilschur

Das Scheren und Eindecken der Pferde hat sich in erster Linie aus der Nutzung als Sport- und Freizeitpartner heraus entwickelt. Ein tatsächlich nachgewiesener Unterschied beim Training ergibt sich primär nur in Bezug auf die Respirationsrate, die bei geschorenen Pferden niedriger ist. Einfluss auf die Körpertemperatur und die Herzfrequenz, die als Belastungsindikatoren gesehen werden, hat eine Schur nicht. Der entscheidende Unterschied liegt in der Regenerationszeit nach der Bewegung: Diese ist bei geschorenen Pferden, sofern sie nach der Bewegung nicht direkt wieder eingedeckt werden, deutlich kürzer. Das Pferd kann die durch die Bewegung entstandene Wärmeenergie deutlich schneller abgeben und somit die Körpertemperatur senken. Wenn der Mensch auf diese Art in die Thermoregulation eingreift, bringt er ein empfindliches und genau aufeinander abgestimmtes System durcheinander. Im Sinne des Pferdes ist es daher in den meisten Fällen besser, auf das Scheren und Eindecken zu verzichten. Ist das Scheren notwendig, sollte möglichst auf eine Teilschur zurückgegriffen werden.

Gut gemeint, schlecht gemacht

Hartnäckig hält sich der Glaube, dass das Erkältungsrisiko durch ein Scheren im Winter minimiert wird. Dies kann aber (bisher) nicht in direkten Zusammenhang zum Scheren und Eindecken gebracht werden. Pferdehalter neigen eher dazu, das eigene Kälteempfinden auf das des Pferdes zu übertragen. So wird die Frischluftzufuhr gerade im Winter in vielen Fällen durch geschlossene Fenster und Tore vermindert. Damit mischt sich die verbleibende Luft mit dem Staub aus der Einstreu und dem Ammoniak der Exkremente und kann zu Atemwegserkrankungen führen – eine Managementmaßnahme die zwar gut gemeint, aber völlig kontraproduktiv ist. Das Erkältungsrisiko bei ungeschorenen Pferden kann aber dadurch steigen, wenn dem Trockenreiten nicht genügend Zeit eingeräumt und das Pferd mit nassem Fell in die Box zurückgestellt wird. Entsprechendes Trockenreiten und Abpflegen bleiben unerlässlich, um die Gesunderhaltung zu gewährleisten. In einigen Fällen leistet bei sehr dichtem und langem Winterfell eine Schur Abhilfe. Wird geschoren, reicht eine Teilschur oft vollkommen aus. Für das Management von Reitsportanlagen gilt: Diese sollten so angelegt sein, dass eine dauerhafte Frischluftzufuhr ohne Zug gegeben ist und sich die Temperatur nach den Außentemperaturen richtet.

Fazit

Durch die natürlichen Thermoregulationsfunktionen sind die Pferde optimal an das europäische Klima und sogar an große Temperaturschwankungen angepasst. Werden Pferde ganzjährig oder über einen längeren Zeitraum bei widriger Witterung ganztägig draußen gehalten, sollte ein entsprechender Witterungsschutz angeboten werden. Diesen können die Tiere bei anhaltendem Regen, Wind und niedrigen Temperaturen aufsuchen, um sich zu schützen. Denn ist das Fell einmal durchnässt, sind auch die Regulationsfunktionen außer Kraft gesetzt und das Pferd kühlt aus. Das dauerhafte Eindecken eines gesunden Pferdes sollte dabei niemals als eine Alternative zu einem entsprechenden Schutz angesehen werden. Alte und kranke Pferde bedürfen hingegen einer individuellen Betrachtung, da diese die Körperkerntemperatur schlechter halten können beziehungsweise mehr Energie dafür aufwenden müssen. Hinsichtlich der Regenerationszeit gibt es entscheidende Unterschiede von geschorenen und ungeschorenen Pferden. So kann das Scheren bei stark beanspruchten Sportpferden, die häufig in aufgeheizten Hallen und Ställen bewegt werden und untergebracht sind, durchaus von Vorteil sein. Um die natürlichen Thermoregulationsmechanismen nicht außer Kraft zu setzen, sollte aber auf eine Teilschur zurückgegriffen werden, um den Pferden bei guten Witterungsbedingungen die Decke abnehmen zu können. Ganz gleich, ob geschoren oder nicht, ein entsprechendes Warm- und Trockenreiten bleibt unerlässlich. Pferdehalter sollten sich bewusst sein, dass dauerhaftes Eindecken oder das Scheren des Fells zu einer gestörten Thermoregulation und damit zu einer Beeinträchtigung des Wohlbefindens führen. Die Entscheidung für eine Schur oder für das Eindecken orientiert sich an der Notwendigkeit für das Pferd und nicht am Geschmack oder am Komfort des Pferdehalters.

Christiane Pietsch

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